Protocol of the Session on November 19, 2014

Das wäre ein Leitbild, für das es sich eher zu kämpfen lohnte, als mit der Förderung und dem politischen Einsatz für energieund rohstoffintensive Unternehmen und agrarindustrielle Komplexe in einem verzweifelten Wettlauf Wachstumsraten nachzulaufen - ohne die geringste Aussicht, jemals auf Düsseldorfer oder Münchner Niveau zu landen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1990 wollte Brandenburg noch die modernste Verfassung eines deutschen Bundeslandes auf den Weg bringen. Das ist gelungen, genauso wie Brandenburg das modernste deutsche Naturschutzgesetz auf den Weg brachte, als bundesweites Vorbild die Weichen für den Aufbau der erneuerbaren Energien stellte, sozialpolitische Highlights wie ein bis heute vorbildliches Weiterbildungsgesetz auf den Weg brachte und mit LER eine Alternative zum verpflichtenden Religionsunterricht schuf. Sie war umstritten, aber Brandenburg wollte eben nicht nur anders, sondern in der Tat Vorbild sein. Von diesem Elan und Anspruch ist heute nichts übriggeblieben.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Inhaltliche Gestaltungsansprüche sucht man mit der Lupe. Wie könnte es auch anders sein, wenn man erklärtermaßen keinen neuen Aufbruch wagt? „Verwalten statt gestalten“ lautet die Devise; Visionen gibt es dementsprechend höchstens bei der Frage künftiger Verwaltungsstrukturen im Rahmen einer Kommunalreform. Vorbei die Zeiten, wo man anderen zeigen wollte, was eine Landesregierung auf die Beine stellen kann! Heute - unter Rot-Rot - will das in einer Ampelkoalition einst vorbildliche Naturschutzland Brandenburg mit seiner reichhaltigen Naturausstattung im Naturschutz erklärtermaßen nur noch bundesdeutsches Mittelmaß sein. Das trifft mich persönlich ins Mark.

In anderen Politikfeldern, beim Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen angefangen, wären wir dagegen schon froh, am Ende der Legislaturperiode wenigstens Mittelmaß zu sein, endlich die rote Laterne beim Betreuungsschlüssel in den Kitas loszuwerden,

(Beifall B90/GRÜNE)

im Englischunterricht den Anschluss nicht zu verlieren oder vom letzten Platz bei der Hochschulfinanzierung loszukommen. Solche Anstrengungen sind allerdings aller Ehren wert und wir wären begeistert, wenn in den nächsten fünf Jahren wenigstens der Flughafen BER vollendet wäre - und zwar mit einem konsequenten Nachtflugverbot - und die Betroffenen tatsächlich mit dem bestmöglichen Lärmschutz ausgestattet wären.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die Hauptziele dieser Regierung ansieht, so stellt man fest, dass das neben der im Wahlkampf peinlichst verschwiegenen Kommunalreform ein Nachsteuern bei der Polizeireform - genannt Sicherheitsoffensive -, ein Nachsteuern bei der miserablen Personalausstattung der Schulen und Kitas - erstaunlicherweise nicht Bildungsoffensive genannt - sowie die Linderung des Investitionsstaus in der öffentlichen Infrastruktur - genannt Investitionsoffensive sind. Aber sehr offensiv ist das in Wirklichkeit nicht, sondern defensiv. Es klingt nach Nachsitzen statt Aufbruch 2.0.

(Beifall B90/GRÜNE und vereinzelt CDU und AfD)

Die Regierung will das in den letzten fünf Jahren Versäumte nachholen und hofft, dass man ihr dafür auf die Schulter klopft; aber das reicht uns nicht.

(Beifall der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE])

Wieso man sich so bescheidene Ziele setzt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist einer der Gründe, dass bei der Koalitionsbildung gar nicht inhaltliche Unterschiede den Ausschlag gaben, sondern die Frage nach Eigenschaften des jeweiligen Führungspersonals. Ich denke, in seiner niederträchtigen Art hat Herr Ness das heute wieder bestätigt. Was hier abgelaufen ist, ist ein beispielloser Bruch des Vertrauens und der Vertraulichkeit.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU und AfD sowie der fraktions- losen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Man muss ja nicht ein Fan der CDU sein. Aber was, wie ich denke, überhaupt nicht geht, ist, dass man vertrauliche Sondierungsgespräche führt und hinterher genüsslich all das, was man unter dem Siegel der Vertraulichkeit miteinander besprochen hatte, an die Öffentlichkeit bringt, um den Gegner zu desavouieren. Das ist Machiavellismus; das sollten wir hier in diesem Hause nicht tätigen.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU und AfD sowie der fraktions- losen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Aber um bei den bescheidenen Zielen der Landesregierung zu bleiben: Dazu passt auch, dass der Ministerpräsident die Chance für eine grundlegende Kabinettsumbildung nicht genutzt hat. Eine Kommunalreform einzufordern, ohne durch eine Reduzierung der Zahl der Ministerien mit gutem Beispiel voranzugehen, ja sogar noch die Zahl der Staatssekretäre zu erhöhen: Das passt nicht zusammen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU, AfD sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Dass die SPD zwar die Frauenquote für Aufsichtsräte in Unternehmen fordert, sie im eigenen Kabinett aber weit verfehlt: Das passt nicht in die Zeit.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Und dass der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen deutlich gemacht wurde, dass in der Brandenburger SPD keine ministrablen Frauen zur Verfügung gestanden hätten,

(Beifall B90/GRÜNE)

ist ein Affront, der, denke ich, wohl innerparteilich in der SPD auch noch nicht ausgestanden ist. Herr Ministerpräsident, falls das Argument mitschwingt, dass das Amt einer Ministerin und eine Elternschaft einander entgegenstünden, wäre es angebracht, dafür zu sorgen, dass durch veränderte Arbeitsbedingungen beides in Einklang gebracht werden kann - ein Anspruch, den wir gegenüber der freien Wirtschaft schließlich auch vehement erheben.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einem anderen Thema: Ich möchte auf eine weitere Erkenntnis der bereits angesprochenen Hallenser Wirtschaftsstudie zurückkommen. Als wesentlichen Grund für unseren ökonomischen Rückstand nennt das IWH die sinkende Zahl Erwerbstätiger im Osten. Nach einer anderen aktuellen Studie leben 97 % der Menschen mit Migrationsgeschichte in den alten Bundesländern. Man kann hier durchaus einen Zusammenhang sehen. Zitiert sei Prof. Ragnitz:

„Hinzu tritt ein Elitenproblem, denn in den vergangenen 25 Jahren haben vor allem jüngere und höher qualifizierte Menschen den Osten verlassen, die heute mit Blick auf politisches wie bürgerschaftliches Engagement fehlen.“

Die Regierung verweist darauf, dass erfreulicherweise früher abgewanderte Brandenburgerinnen und Brandenburger wieder zurückkehren. Das wird aber nicht ausreichen, um die zunehmend fehlenden Fachkräfte und aktiven Bürgerinnen und Bürger zu ersetzen. Wenn nach vielen Jahren mit Bevölkerungsverlusten und rückläufigen Zuwandererzahlen nun plötzlich Menschen in größerer Zahl vor Krieg und Verfolgung zu uns nach Brandenburg flüchten, könnten wir das neben der humanitären Herausforderung auch als eine besondere Chance für unser Land begreifen.

(Beifall B90/GRÜNE und der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Viele dieser Neuankömmlinge wollen gar nicht zurückkehren, sondern suchen in der Tat hier eine neue Heimat, einen neuen Platz zum Leben und Arbeiten. Brandenburg muss 3,08 % der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aufnehmen. Das sind 2014 rund 6 100 Menschen - nicht einmal drei Flüchtlinge pro tausend Einwohner. Das wird uns doch bei etwas gutem Willen nicht überfordern! Es sollte uns auch nicht überfordern, wenn, was absehbar ist, jedes Jahr ähnlich viele Menschen zu uns flüchten, denn nach der offiziellen Bevölkerungsprognose werden wir bis 2030 trotz Zuwanderung jährlich 10 000 Einwohner verlieren. Bis 2030 werden das 160 000 Menschen sein; das entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Potsdam.

Die Schwierigkeiten bei der menschenwürdigen Aufnahme dieser Flüchtlinge will ich nicht kleinreden. Nach dem Tiefstand bei den Flüchtlingszahlen 2007 wurden allerdings wenig geeignete Unterbringungskapazitäten in Massenquartieren aufgegeben. Das gibt uns aber heute auch die Chance, angemessene Unterkünfte in Wohnungen und kleineren Wohneinheiten zu schaffen und so nebenbei auch die Integration der Zuwanderinnen und Zuwanderer zu befördern.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Schulze [fraktionslos])

Wir Grünen erkennen ausdrücklich an - wenn die Frage sein sollte: Wo bleibt das Positive? -, dass der Koalitionsvertrag sich diesem Thema ausführlich widmet, auch wenn die Antworten häufig noch vage sind. Natürlich muss jetzt vorrangig die bereits in der letzten Periode geforderte und bislang an den Kreisen gescheiterte Unterbringungskonzeption erarbeitet und vereinbart werden. Die angekündigte Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes, das von der Erfüllung der Schulpflicht bis zur Finanzierung von Deutschkursen für Erwachsene Aussagen treffen und auch auf die Sorgen der Menschen vor Ort eingehen muss, darf deshalb aber nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Dabei müssen wir auch Antworten auf die Hass säenden Rechtsextremisten finden, die sich in den sozialen Netzwerken im Internet ausbreiten und inzwischen im Wochenrhythmus mit fremdenfeindlichen Aktionen vor vorhandenen oder geplanten Flüchtlingsunterkünften Angst und Schrecken verbreiten. Zudem müssen wir - das füge ich auch hinzu - gegen die nicht einmal besonders subtil vorgetragenen Ressentiments von Rechtspopulisten auftreten und uns dem entgegenstellen.

Herr Christoffers, recht herzlichen Dank dafür, dass Sie das heute sehr deutlich gegenüber Herrn Gauland zum Ausdruck gebracht haben.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Von landesweiten Initiativen wie „Tolerantes Brandenburg“ oder „EXIT“ bis hin zu lokalen Initiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit oder auch Einzelaktionen von Menschen, die in Flüchtlingsheimen Deutschunterricht geben oder Patenschaften übernehmen - es muss alles gestärkt werden, was der Verbreitung dumpfer Ressentiments Widerstand entgegenstellt.

(Beifall B90/GRÜNE)

Um größtmögliche Wirksamkeit zu erreichen, ist es wichtig, dass das angekündigte neue Landesintegrationskonzept auf breiter Basis erarbeitet und von allen demokratischen politischen Kräften - von CDU bis Grüne - mitgetragen wird. Hier sichern wir Ihnen unsere volle Unterstützung und Bereitschaft zur Mitarbeit zu.

Diese Zusage gilt auch dem neuen Innenminister, dessen Handeln als Landrat in der Vergangenheit nicht geeignet war, Vertrauen in seine menschlichen Kompetenzen im Umgang mit Flüchtlingen zu begründen. Jetzt kann er zeigen, dass er eben nicht der „Sarrazin der Brandenburger SPD“ ist, sondern ganz im Gegenteil - ein Garant für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik werden will.

Lassen Sie mich zu einer Kernfrage für unsere zukünftige Existenz, der unzureichenden Verankerung einer nachhaltigen Entwicklung und damit zum fehlenden grünen Faden in der Koalitionsvereinbarung kommen. Über Jahre hinweg hat immerhin ein Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung getagt und wurde eine Nachhaltigkeitsstrategie entworfen, die einige Schritte in die richtige Richtung zeigt und die mit einem ergänzenden Forderungskatalog des Beirates versehen ist.

Darüber hinaus wurde der Landesaktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ von mehr als 100 mitwirkenden In

itiativen erarbeitet. Wenn also von Zukunftsgestaltung und einem enkeltauglichen Brandenburg die Rede ist, dann müsste die Regierung doch bei der Umsetzung all dieser Programme ansetzen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Diesbezüglich stellen wir aber fest: Das Megathema „Nachhaltigkeit“ wird unverändert dem Politikfeld „Umwelt“ zugeordnet und in zwei Sätzen abgehandelt. Der erste Satz heißt - sehr gut -:

„Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche.“

Nur, wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, warum das Thema Nachhaltigkeit nicht in der Staatskanzlei angesiedelt ist und warum es sich nicht als Leitfaden durch den Einführungsteil für die gesamte weitere Koalitionsvereinbarung zieht. Wie kommt es beispielsweise, dass der Aktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ im Bildungsbereich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird?

(Beifall B90/GRÜNE)

Der zweite Satz lautet:

„Die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes wird fortgeschrieben.“

Möglicherweise ist dem neu zuständigen Minister noch gar nicht bekannt, dass die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes erst 2014 verabschiedet wurde. Müsste da nicht der erste Satz heißen, dass sie umgesetzt wird?