Protocol of the Session on November 18, 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt: 67 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt, 8 Abge ordnete mit Ja. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Abstimmungslisten siehe Anlage S. 1698)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe Tagesordnungs punkt 6 auf:

Geflügelhaltung in Brandenburg

Große Anfrage 9

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 6/1068

Antwort

der Landesregierung

Drucksache 6/1980

Des Weiteren liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 6/2954, ein Ent schließungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 6/3005, sowie ein Entschließungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN, Drucksache 6/3018, vor.

Die Aussprache eröffnet der Abgeordnete Raschke für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich habe, ehrlich gesagt, ziemlich mit mir gerungen, ob ich heute mit Ihnen über Geflügelhaltung diskutieren kann und will. Angesichts der vielen Kriege auf der Welt, der Anschläge in Paris und all dessen, was uns sonst noch beschäftigt, ist si cherlich nicht nur mein Herz schwer, sodass kaum noch Platz für andere Themen bleibt. Die Frage, wie wir mit unseren Tie ren und unserer Umwelt umgehen, ist vielleicht nicht mehr so wichtig angesichts der Frage, wie wir all die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, gut unterbringen.

Deswegen war ich sehr versucht, die Große Anfrage von der heutigen Tagesordnung nehmen zu lassen und unsere Anträge zurückzuziehen. Sie stehen aber weiterhin darauf. Das liegt auch an der guten Debatte heute Morgen. Dafür möchte ich mich bedanken - es war für mich sehr befreiend, wie wir das heute diskutiert haben. Ich denke, wir haben herausgearbeitet, dass es weitergehen muss.

Es gibt einen zweiten Grund, der mich bewogen hat, das wei terzuführen: Mir ist klar geworden, dass, wenn wir diese De batten heute und in Zukunft nicht führen, die Fleischindustrie und die SPD ihre Vorstellungen von einer modernen Landwirt schaft einfach unbemerkt durchsetzen. Diese Vorstellungen ha ben mit Tierschutz wenig zu tun, vor allem nicht bei Geflügel.

So richtig bewusst geworden ist mir das am Montag bei der Schlagzeile auf agrarheute.com: „Kükentötung: Bundesregie rung lehnt gesetzliches Verbot ab“. Das Bundeskabinett hat letzte Woche Mittwoch - von der Öffentlichkeit fast unbe merkt - beschlossen, dass auch weiterhin jedes Jahr rund 50 Millionen männliche Küken am ersten Tag getötet werden, weil ihre Aufzucht zu teuer wäre.

Da hat also die Geflügelindustrie im Schatten der Flüchtlings krise bei der SPD mal wieder ganze Arbeit geleistet. Dem Hauptargument „Wir wandern sonst ins Ausland ab“ hat die SPD nichts entgegenzusetzen. Wir haben das gleiche Bild in Brandenburg. Die Antwort auf die Große Anfrage verrät uns, dass es in Brandenburg ungefähr 800 000 Mastplätze für Puten

gibt. Puten sind unter allen Vögeln bekanntlich die ärmsten Schweine. Sie werden die Bilder von den hochgezüchteten Pu ten kennen, die ihr eigenes Gewicht kaum tragen können und in engen Ställen ein kurzes Dasein fristen.

Wir hätten gerne etwas getan, damit es den Brandenburger Pu ten besser geht - und uns auch: Stichwort Antibiotika. Der Ein satz von Antibiotika ist bei Puten geradezu enorm. Der Bun desrat hat endlich beschlossen, für die Putenhaltung wenig stens Mindeststandards gesetzlich festzuschreiben. Dem hätten wir uns in Brandenburg anschließen können; das finden Sie im Antrag von uns Grünen und der CDU-Fraktion. Jetzt raten Sie, was passiert ist! Richtig, die Geflügelindustrie brachte das Ar gument: Wir wandern dann ins Ausland ab. - Und schon war es um den Tierschutz bei der Brandenburger SPD und in der Pu tenhaltung geschehen. Die SPD hat uns heute den Antrag vor gelegt, wir sollten uns stattdessen mit dem Eckwertepapier der Geflügelindustrie begnügen. Ich sage Ihnen gern, warum das nicht ausreicht:

Erstens: Suchen Sie doch in dem Eckwertepapier einmal die Wörter „Frischluft“ oder „Auslauf“. Zweitens: Dieses Eckwerte papier ist eine völlig freiwillige Selbstkontrolle ohne jegliche Sanktionen. Drittens, da ziehe ich Wilhelm Busch zurate: Das einzelne Tier spielt keine Rolle. Bei Wilhelm Busch hieß es noch: „Mancher gibt sich viele Müh‘ mit dem lieben Federvieh.“

Heute können wir in den Faustzahlen für die Landwirtschaft nachlesen, dass ein Tierhalter etwa 10 Minuten pro Tierplatz und Jahr einplant. Für unsere Brandenburger Pute heißt das: In ihrem ca. 20-wöchigen Leben bekommt sie etwa vier Minuten lang Aufmerksamkeit geschenkt. Das zum Maßstab guter Pu tenhaltung zu machen ist schlichtweg Verbrauchertäuschung. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Brandenburger Stäl len - Tierfabriken - gibt es ja nicht nur Puten, sondern jede Menge Geflügel.

Die Antworten der Landesregierung verraten uns da: Innerhalb der letzten 20 Jahre ist die Zahl der Tierplätze um fast 75 % gestiegen. In absoluten Zahlen waren das 2012 fast 12 Millio nen Tierplätze - Tendenz steigend. Damit das so weitergeht, geben wir jedes Jahr eine Menge Geld aus, beispielsweise für den Bau von Legehennenställen in Bestensee. Da gibt es eine Firma, die in zwei Anlagen rund 1,8 Millionen Hühner hält. Dafür haben wir rund 4,6 Millionen Euro Fördermittel sprin gen lassen. Für diese Fördermittel bekommen wir allerdings deutlich weniger, als Sie wahrscheinlich vermuten und wir Verbraucher auch erwarten. Selbst das, was uns Minister Vo gelsänger als Premiumförderung verkaufen will, liegt nur ganz minimal über dem, was ohnehin gesetzlicher Standard ist. Des halb ist die Kernforderung des Volksbegehrens gegen Massen tierhaltung und beinhaltet auch unser zweiter Antrag, nur noch wirklich artgerechte Tierhaltung zu subventionieren.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Wie könnte eine artgerechte Tierhaltung aussehen? Ein Anfang wäre - das schlagen wir mit unserem Antrag vor -, Geld nur noch für solche Ställe auszugeben, die die EU-Öko-Verord nung erfüllen. Das heißt zum Beispiel, dass die Tiere deutlich mehr Platz haben.

Wenn ich Ihr Augenmerk einmal auf die Videoleinwand im Plenarsaal lenken darf: Das sind ungefähr sieben Quadratme ter. Stellen Sie sich jetzt 180 Hühner zusammengequetscht auf

diesen sieben Quadratmetern vor! So darf man in Brandenburg Tiere halten und bekommt dafür noch Basisförderung. Würde man die neuen Förderrichtlinien anlegen und die EU-Öko-För derverordnung ansetzen, wären es nur zehn Hühner pro Qua dratmeter. Das heißt, statt 180 Hühner wären es auf dieser Flä che nur noch 70. Das wäre ein ziemlicher Fortschritt, aber auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Kompromissange bot. Denn zehn Hühner pro Quadratmeter sind sicherlich noch nicht das, was sich die Verbraucherinnen und Verbraucher vor stellen.

Auch bei unserem letzten Punkt blockiert die SPD den Tier schutz. Niemand will heutzutage mehr, dass dem Geflügel die Schnäbel abgeschnitten werden. Aber weil das nicht von heute auf morgen zu ändern ist, sagt selbst das Volksbegehren: Dann lasst uns doch Demonstrationsbetriebe aufbauen, die das aus probieren und anderen Landwirten Einblicke geben. Sie kön nen sich dort abgucken, wie es geht. - Selbst dieses Angebot, das wir hier heute gemeinsam mit der CDU vorlegen, schwächt die SPD noch ab und macht daraus lediglich einen Prüfauftrag. Deshalb ist das Fazit der Großen Anfrage und der Debatte im Vorfeld: Die SPD steht beim Tierschutz auf der Bremse.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Da stehen Sie ziemlich allein.

(Zuruf von der CDU: Bremser!)

Zur Halbzeit des Volksbegehrens haben schon fast 40 000 Men schen unterschrieben. Die Landwirte sind inzwischen auch wei ter als Sie. Herr Vogelsänger hat gesagt, es gebe bald nur noch Premiumförderung, weil die Landwirte nur noch Premiumför derung wollen. Sie wollen schon keine Basisförderung mehr.

Auch die Linksfraktion ist gänzlich anderer Meinung. Minister Markov hat dankenswerterweise - das muss man ihm hoch an rechnen - das Volksbegehren persönlich unterschrieben. Den heutigen Antrag auf Errichtung von Demonstrationsbetrieben haben Grüne und CDU gemeinsam eingebracht. Es wird also einsam um Sie, aber wir haben Ihnen mit unseren Anträgen ei ne stabile Brücke gebaut, über die Sie gern gehen können, da mit das Volksbegehren, wenn es denn erfolgreich ist, an Ihnen nicht scheitert. Ich bitte Sie, die Anträge anzunehmen. - Herz lichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)

Vielen Dank. - Bevor ich Kollegen Folgart aufrufe, erlaube ich mir auf der Gästetribüne die Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Sandra Scheeres, zu begrüßen. Herz lich willkommen bei uns! Kommen Sie gern öfter.

(Allgemeiner Beifall)

Jetzt spricht für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Folgart. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich bin erst einmal ganz bei Benjamin Raschke, der einleitend

auf die vorherigen Debatten am heutigen Tag hingewiesen hat. Das Thema Tierschutz scheint angesichts der großen Heraus forderungen, vor denen das Land Brandenburg, die Bundesre publik Deutschland insgesamt und auch Europa stehen, in der Tat ein kleinteiliges Problem zu sein. Wir müssen uns im Ta gesgeschäft aber auch damit auseinandersetzen.

Ich will nur einen Satz sagen: In der gesamten Debatte darüber, dass Menschen nach Europa strömen, dass sie nach Deutsch land kommen, hat ihre Ernährung bisher keine Rolle gespielt. Alle setzen voraus, dass das, was produziert wird, ausreicht, um alle zu versorgen. Das ist in der Tat so, und es wird in einer guten Qualität geliefert. Dafür tragen auch die Landwirtinnen und Landwirte des Landes Brandenburg Verantwortung.

Wer sich mit der Geflügelhaltung in Brandenburg befassen möchte, sollte zuallererst einen Blick auf das Verbraucherver halten werfen. Kaum ein anderes Agrarprodukt steht so in der Gunst der Verbraucher wie das Geflügelfleisch, allem voran Hähnchenfleisch. Geflügelfleisch gilt als besonders bekömm lich und als aktiver Beitrag zur gesundheitsbewussten Ernäh rung. Kaum ein Lifestyle-Magazin kann heute noch darauf ver zichten, auf Geflügelfleischrezepte hinzuweisen.

Von den 88 kg Fleisch, die die Bundesbürger im Durchschnitt pro Kopf und Jahr verbrauchen, entfallen fast 20 % auf Geflü gel. Ähnlich verhält es sich bei den Eiern. Knapp 220 Eier ver zehret jeder Brandenburger und Berliner im Jahr. Die durchaus zunehmende Nachfrage nach vegetarischen Produkten beför dert dabei sogar die Nachfrage nach Eiern. Ich zitiere einmal von der Internetseite des Wurstwarenherstellers „Rügenwalder Mühle“:

„Unseren Schinken Spicker gibt es jetzt auch in vegeta risch … Statt Fleisch verwenden wir Hühnerei-Eiweiß und wertvolles Rapsöl... Die Eier stammen aus Freiland haltung.“

(Lachen der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man muss kein Ex perte sein, um zu erkennen, dass Geflügel und Eiprodukte auch in Zukunft einen festen Platz auf den Einkaufszetteln der Ver braucher haben werden. Es lohnt sich also in der Tat, einen de taillierten Blick auf die Geflügelhaltung auch in Brandenburg zu werfen. Das hat die Landesregierung mit der Beantwortung der Großen Anfrage zur Geflügelhaltung in Brandenburg ge tan; die Antwort liegt den Abgeordneten übrigens seit dem 8. Juli 2015 vor.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesem Papier ableiten? Die Haltung von Legehennen und Hähnchen ist in allen Land kreisen anzutreffen. Einen Schwerpunkt bilden historisch be dingt dabei die Südkreise unseres schönen Landes. Trotz der Turbulenzen, die es um die Abschaffung der Käfighaltung ge geben hat, hat sich die Zahl der Legehennenplätze auf 5,2 Mil lionen erhöht. Das ist ein Plus von mehr als 35 % innerhalb von 20 Jahren. Diese Tiere leben zu fast 100 % in Boden- und Freilandhaltung; darauf will ich hier hinweisen.

Ähnlich verhält es sich bei den Hähnchen. in Brandenburg gibt es fast 5,4 Millionen Plätze für Hähnchen. 1992 waren es nur knapp halb so viele. Mein erstes Fazit lautet daher: Die Geflü

gelhaltung ist in Brandenburg eine Erfolgsgeschichte - trotz der SPD-Politik.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Heiterkeit bei Frak tion B90/GRÜNE)

Entgegen der rückläufigen Tierzahlen bei Schweinen, Schafen und Rindern haben es die Geflügelhalter in einem nutztier armen Land - auch darüber haben wir des Öfteren in diesem Hohen Hause gesprochen - geschafft, die Bestände zu halten bzw. auszuweiten.

Gestatten Sie mir eine Anmerkung zum ökologischen Teil der Produktion: Zumindest im Bereich der Bioeierzeugung lässt sich feststellen, dass auch in Brandenburg in nennenswerter Größenordnung Öko-Ware produziert wird. Mein zweites Fazit lautet: Insgesamt produzieren wir in der Region Berlin-Bran denburg so viele Eier und so viel Geflügelfleisch, dass wir - theoretisch - vergleichsweise wenig Ware aus anderen Regionen hinzukaufen müssen. Daraus folgt auch, dass wir in Bran denburg beim Geflügel in hohem Maße die Kontrolle über die Tiergesundheit, die Haltungsbedingungen und Umweltauswir kungen haben. Wir haben auch die Chance, eine wachsende Branche über eine gesteuerte Förderpolitik mitzugestalten. Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zeigt der vorge legte Antwortkatalog sehr gut auf, wie ich meine.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine weitere An merkung: Die Brandenburger Geflügelhalter befinden sich in einem harten Wettbewerb mit ihren europäischen Berufskolle gen. Jede landes- oder bundesseitig vorangetriebene Weiterent wicklung muss sich letztlich am internationalen Markt behaup ten können. Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag set zen wir ein deutliches Zeichen dafür, dass die Weiterentwick lung der Geflügelhaltung nur in enger Abstimmung zwischen Wirtschaft und Politik geschehen kann.