Protocol of the Session on July 8, 2015

Ich hoffe, dass Sie gemeinsam diese Verantwortung erkennen und wir sie gemeinsam schultern werden. Denn am Ergebnis dieser Reform wird man nicht nur das Ergebnis dieser Legislaturperiode messen, sondern es soll unser Land auf Jahrzehnte hinaus zukunftssicher machen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf den offenen Dialog.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Das Wort erhält nun die SPD-Fraktion. Es spricht zu uns Herr Abgeordneter Ness.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste aus den kreisfreien Städten, aus den Landkreisen und von der Bundeswehr! Ich bin froh, dass diese Debatte heute eine große Aufmerksamkeit bekommt, weil es eine wichtige Debatte ist, der Auftakt für die wahrscheinlich wichtigste Debatte, die wir in dieser Legislaturperiode führen werden.

Die Kernfrage ist: Wie schaffen wir es, dass wir auch in Zukunft gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Brandenburgs gewährleisten? Diese Verwaltungsstrukturreform ist kein technokratisches Modernisierungsprojekt, mit dem Menschen Heimat weggenommen oder sie gequält werden sollen. Sie verfolgt aus unserer Sicht ein politisches Ziel, nämlich zu gewährleisten, dass auch nach 2020 bis 2050 - denn über diesen Zeitraum soll diese Reform wirken - gleichwertige Lebensverhältnisse in Brandenburg hergestellt werden, wir kein Land der - sich verfestigenden - zwei Geschwindigkeiten werden, sondern ein Land, in dem gleichwertige Lebenschancen durch gleichwertig gute Verwaltung organisiert werden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das ist eine große Debatte. Sie hat einen Vorlauf. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode eine Enquetekommission eingesetzt, die sogenannte Enquetekommission 5/2, die sehr gute Arbeit geleistet hat, in der intensiv gearbeitet worden ist, in der gute Ideen entwickelt worden sind, auch über Koalitionsund Oppositionsgrenzen hinweg.

Auf Basis dieser Ideen und auch vielen innerparteilichen Debatten hat unser Innenminister Karl-Heinz Schröter jetzt ein Leitbild vorgelegt, das das Kabinett beschlossen hat, das mit dem heutigen Tag dem Landtag übergeben wird und das jetzt ein Jahr lang die Debatte prägen und danach in den Gesetzgebungsprozess übergehen wird.

Ich bin sehr dankbar, dass unser Ministerpräsident mit KarlHeinz Schröter einen der erfahrensten Kommunalpolitiker und Verwaltungschefs im Land Brandenburg zum Innenminister berufen hat, um diese Reform voranzubringen. Er ist genau der richtige Mann, der die richtige Erfahrung und das richtige Gefühl dafür hat, was dieses Land braucht. Ich glaube, sein Auftritt heute hat bewiesen, dass wir einen Prozess eingeleitet haben, der zu vernünftigen Ergebnissen für das ganze Land Brandenburg führen wird.

(Beifall SPD)

Heute Morgen haben wir schon eine Demonstration vor dem Landtag erlebt. Sie dokumentiert ein bisschen das, was es an Haltung im Land gibt: Eigentlich soll alles so bleiben, wie es ist. Dieses Grundgefühl kennen wir auch bei anderen Reformdiskussionen. Ich glaube, dass man für dieses Grundgefühl Respekt aufbringen muss, weil sich in den vergangenen 25 Jahren in der Tat gute Verwaltung entwickelt hat. Ich glaube aber, wir als Parlament dürfen nicht diesem Impuls folgen, auch wenn er kurzfristigen Beifall verlangt, sondern wir müssen uns der Herausforderung stellen, vor der dieses Land steht. Ich habe es vorhin erwähnt: Die Reform, über die wir reden, ist eine Reform, die ihre Wirkung in den Jahren 2020 bis 2050 entfalten soll. Sie soll absehbaren Entwicklungstendenzen entgegenwirken.

Ich würde deshalb gern einen Kollegen, den ich heute zwar schon gesehen habe, der aber gerade nicht anwesend ist, zitieren, nämlich Sven Petke.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Sven Petke hat sich in der Enquetekommission in der vergangenen Legislaturperiode engagiert eingebracht. Er hat einen schönen Satz gesagt, der, glaube ich, für alle 88 Kolleginnen und Kollegen eine Leitschnur in der Debatte der nächsten Monate sein sollte.

(Wichmann [CDU]: Das kennen wir schon!)

- Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Sie müssen sich nicht aufregen, wenn ich Ihren Kollegen Petke zitiere. Wir nehmen hier als Abgeordnete, hat Sven Petke gesagt, eine Aufgabe wahr, wofür wir von den Menschen in Brandenburg gewählt worden sind. Auch ohne die demografischen Entwicklungen, ohne die veränderten finanziellen Grundlagen für den Haushalt in Brandenburg wären wir in den nächsten Jahren gefordert gewesen, die Strukturen im Land zu verändern. Das ist die Aussage von Sven Petke. Das war auch die Linie, die die CDU-Fraktion noch in der Enquetekommission vertreten hat.

(Dr. Redmann [CDU]: Haben Sie das Minderheitenvotum gelesen?)

Ich bin sehr gespannt, wie sich die Kollegin Richstein nachher äußern wird. Ich hätte mir zwar mehr gewünscht, dass sich der Fraktionsvorsitzende, der Oppositionsführer,

(Beifall SPD)

heute auch an der Debatte beteiligt hätte. Aber vielleicht will er sich die eine oder andere Hintertür offenhalten. Frau Richstein

hat dann das Vergnügen, hier heute eine Position zu vertreten, die vielleicht übermorgen für die CDU nicht mehr gilt. Aber lassen wir das.

Ich bin sehr gespannt: Was macht die CDU? Verhält sie sich so, wie ihre Kolleginnen und Kollegen in Sachsen - dort wurde unter Führung der CDU schon längst eine Kreisgebiets- und Verwaltungsstrukturreform umgesetzt -, oder wie Herr Caffier, der Innenminister aus Mecklenburg-Vorpommern, der dort eine Verwaltungsstrukturreform umgesetzt hat?

(Zurufe von der CDU: Ja! Ja!)

Oder taucht sich die brandenburgische CDU in eine Ackerfurche weg und sagt: Hoffentlich geht dieses Thema schön an uns vorbei, und wir schauen, dass wir hier Verantwortung zeigen.

(Wichmann [CDU]: Wir tauchen nicht in eine Acker- furche weg, sondern wir gehen auf die Marktplätze!)

- Ja, ihr geht auf die Marktplätze und erzählt den Leuten, dass sich nichts ändern muss. Ich glaube, das ist eine Haltung, die uns in Brandenburg nicht voranbringt.

(Zuruf von der CDU: Das ist unglaublich!)

Karl-Heinz Schröter hat darauf hingewiesen: Wir alle, die Verantwortung für Brandenburg tragen, müssen diese Frage, die die Bürger möglicherweise mit der Antwort, es kann so bleiben, wie es ist, beantworten, anders beantworten. Denn für uns darf es nicht entscheidend sein, ob die Verwaltungen ausschließlich heute gut arbeiten, sondern ob sie dazu auch künftig in der Lage sind.

Ein Grundsatz sollte uns dabei leiten: Verwaltung sollte niemals zum Selbstzweck werden. Sie dient in einem demokratischen Gemeinwesen den Menschen. Ich sage hier ausdrücklich: Auch Kreisfreiheit ist kein Selbstzweck. Auch sie muss sich begründen - sie muss sich begründen für die Zukunft, ob sie den Menschen dient oder ob sie möglicherweise Aufgaben konstruiert, die die wirkliche Erfüllung von Daseinsvorsorge behindern.

Ich habe vorhin die Enquetekommission erwähnt. Wir hatten im Zwischenbericht - übrigens mit den Stimmen der CDUFraktion - festgestellt, dass Brandenburg aufgrund der finanziellen und demografischen Entwicklung vor einem strukturellen Umbruch seiner Verwaltung steht.

Worin besteht dieser Handlungsbedarf konkret? Die Bevölkerung im Land Brandenburg wird sich in den nächsten 15 Jahren rapide verändern. Während die Bevölkerung im Berliner Umland bis 2030 um über 5 % wachsen wird, schrumpft sie im anderen Teil des Landes um fast 20 %. Das heißt auch, dass bis 2030 fast die Hälfte der Bevölkerung auf gerade einmal 10 % der Landesfläche leben wird.

Auf diese Entwicklung - das müssen wir ehrlich eingestehen sind unsere Landkreise und kreisfreien Städte in ihrer heutigen Struktur nicht vorbereitet. Die betroffenen Kommunen verlieren durch diese Veränderung Einnahmen. Sie müssen aber nahezu die gleichen Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen. Daraus entwickelt sich eine konkrete Gefahr, näm

lich dass Brandenburg zu einem Land der zwei Geschwindigkeiten wird. Genau deshalb müssen wir handeln.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Wer nicht handelt, lässt es zu, dass Brandenburg ein Land von zwei Geschwindigkeiten und von Menschen mit großen Chancen und mit weniger Chancen wird.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf des Abgeordneten Wichmann [CDU])

Ich finde, dass alle, die sagen, es kann so bleiben, wie es ist, schon jetzt die Fakten zur Kenntnis nehmen müssen. Schon heute gibt es nämlich erhebliche Unterschiede zwischen den Landkreisen. Bei den Personalkosten je Einwohner liegt die Spanne zwischen 188 Euro in Oberhavel und 344 Euro in der Prignitz, ähnlich auch bei den Kreisumlagen. Hier sind es in Spree-Neiße 48,5 % und in Oberhavel nur 35,47 %.

(Dr. Redmann [CDU]: Und das liegt an der Verwaltungs- struktur! Das ist peinlich!)

Das sind keine puren Zahlen. Wenn in der Prignitz 344 Euro je Einwohner für die Aufrechterhaltung der Verwaltung ausgegeben werden müssen, in Oberhavel 188 Euro, heißt das, dass Oberhavel schlicht und ergreifend mehr Geld je Einwohner zur Verfügung hat, um Daseinsvorsorge zu betreiben, Straßen zu bauen, Schulen zu bauen, und die Prignitz immer weniger. Wenn wir wissen, dass die Entwicklung weiter auseinandergeht, wissen wir auch, dass das Konsequenzen für die Kreisumlage haben wird. Warum ist die Kreisumlage in Spree-Neiße bei 48,5 % und in Oberhavel nur bei 35,47 %?

(Dr. Redmann [CDU]: Wegen der Sozialausgaben! Das wissen Sie besser!)

Das liegt daran, dass die Verwaltungsausgaben bei geringerer Bevölkerungszahl einen höheren Anteil beinhalten. Dieses Geld müssen die Kreise den Gemeinden wegnehmen. Den Gemeinden fehlt dieses Geld zur Aufrechterhaltung von Verwaltung: um Kitas, Schulen und kommunale Straßen zu bauen und für die Sozialarbeit.

(Zuruf von der CDU: Unseriös!)

Wir wissen, dass die Bevölkerungszahlen - damit auch die Steuereinnahmen - im Berliner Umland steigen, in berlinfernen Regionen die Tendenz aber gegenläufig ist. Wenn die Verwaltung gleichgroß bleibt, wir also der Tendenz nicht entgegenwirken, machen wir einen großen Fehler. Wer die Einsicht in diese Tatsache verweigert, verweigert Zukunft für das Land Brandenburg.

(Beifall SPD - Zuruf von der CDU: Das ist Unsinn!)

Kurz zu den kreisfreien Städten: Die Entwicklung der letzten 25 Jahre führte dazu, dass die drei kreisfreien Städte Frankfurt, Brandenburg und Cottbus insgesamt 526 Millionen Euro Schulden - Kassenkredite - aufgetürmt haben. Zum Vergleich: Alle Landkreise und übrigen Städte und Gemeinden - die kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Brandenburg - machen 91 % der Bevölkerung aus. In den drei kreisfreien Städten

wohnen nur 9 % der Bevölkerung, aber sie haben zusammen nur 251 Millionen Euro Schulden. Kurzum: Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt machen nur etwa 9 % der Brandenburger Bevölkerung aus, verzeichnen aber 67 % aller Schulden in Brandenburg. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen; darauf müssen wir eine Antwort finden.

Diese Landesregierung macht ein Angebot: Wir möchten diesen Städten durch eine Verwaltungsstrukturreform helfen. Wir wollen sie als Oberzentren stärken, Teilentschuldungen vornehmen. Wir werden Maßnahmen ergreifen, damit Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt ihrer Aufgabe als Oberzentren besser gerecht werden können als jetzt. Sie sollen Hauptstädte ihrer Region werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass Cottbus eine wunderschöne Hauptstadt eines Kreises Niederlausitz ist, seine Aufgabe als Oberzentrum hervorragend wahrnimmt, wunderbar daran mitwirkt, dass es in der Region gute Kulturangebote und eine gute sportliche Infrastruktur gibt, und diese Stadt noch stärker ist als jetzt. Das gilt für alle anderen kreisfreien Städte auch.

Die Diskussion darüber wird spannend. Wir müssen die persönliche Verantwortung annehmen, dass es unsere Aufgabe ist, in dieser Legislaturperiode eine Verwaltungsstrukturreform auf den Weg zu bringen. Sie soll gewährleisten, dass Brandenburg kein Land der zwei Geschwindigkeiten wird, dass in allen Teilen des Landes gleichwertige Lebenschancen gewährt sind. Auf die Debatte freue ich mich und hoffe, dass sich nicht alle Oppositionsfraktionen der Zusammenarbeit verweigern - ich bin mir sicher, dass die Grünen konstruktiv mitwirken werden. Ich würde mir wünschen, dass auch bei der CDU ein Umdenken stattfindet. Sie wollen doch irgendwann wieder Regierungskraft in diesem Land werden!

(Gelächter bei der CDU)

Hier können Sie beweisen, dass Sie angefangen haben zu lernen, dass Sie Verantwortung übernehmen wollen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Weiterhin eine gute Debatte!

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)