die Jalousien, das Licht, die Türen, und auch außerhalb des Hauses nimmt die Automatik immer mehr zu. Selbst die Kirchensteuer wird ab dem nächsten Jahr automatisch dem Sparer abgezogen.
Nur der Gesetzgeber hält sich zurück. Die Steuervorschriften werden nicht automatisch an die Inflation angepasst. Über die kalte Progression nimmt der Staat den Steuerzahlern Jahr für Jahr mehr Geld ab - ohne Parlamentsbeschluss, ohne Einspruchsmöglichkeit beim Finanzamt, ohne Transparenz. Die daraus resultierenden Mehreinnahmen sind sogar in den Bundes- und Landeshaushalten fest eingeplant.
Wenn man die Abschaffung der kalten Progression will, wird man aufgefordert, eine Gegenfinanzierung aufzuzeigen. Die Steuerzahler sollen also eine Finanzierung für Steuern erbringen, die man ihnen ungerechterweise abknöpft. Angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen der vergangenen Jahre ist es längst überfällig, dass gegen versteckte Steuererhöhungen endlich vorgegangen wird. 2005 kassierten Bund, Länder und Gemeinden rund 450 Milliarden Euro Steuern, 2015 werden es 670 Milliarden Euro sein.
Die Sonderlasten durch die kalte Progression addieren sich bei Bürgern und kleinen Unternehmen, die nach der Einkommensteuertabelle belastet werden, seit 2010 auf gigantische 72 Milliarden Euro. Allein in dieser Legislaturperiode werden es
55,8 Milliarden Euro sein, weil das Entlastungsvorhaben der letzten Bundesregierung von den SPD-geführten Ländern im Bundesrat verhindert wurde.
Arbeitnehmer in unserem Land erhalten Lohnsteigerungen als Inflationsausgleich, damit sie sich das Gleiche wie bisher leisten können. Arbeitnehmer erhalten Lohnsteigerungen als Leistungsprämie, weil auch sie einen gerechten Anteil am Aufschwung und an dem haben sollen, was sie selbst erarbeitet haben. Das darf durch den Effekt der kalten Progression nicht zerstört werden.
Ein wachsender Teil des zusätzlichen Lohnes wandert bei unserem heutigen System an den Staat. Auf diese Weise steigt das Einkommensteueraufkommen bei real konstanten, also inflationsbereinigten Löhnen und Gehältern überproportional an. Diese Ungerechtigkeit muss beseitigt werden.
Nie hätte ich auch nur im Entferntesten erwartet, dass ich in diesem Zusammenhang einmal Sigmar Gabriel zitieren würde. Im Mai sagte er in einem Interview:
„Die kalte Progression ist sozial ungerecht, und im Übrigen wäre es wirtschaftlich sinnvoll, den Leuten mehr Netto vom Brutto zu lassen, weil es die Binnenkonjunktur stärkt.“
Recht hatte der Mann. Aber nicht nur Sigmar Gabriel unterstützt die Forderung meiner Fraktion. Auch der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, ist dieser Meinung. Er wirft der Politik vor, dass Haushaltslöcher, Investitionsbedarf bei der Infrastruktur und Geldknappheit in der Bildung immer dann entdeckt würden, wenn es um den Abbau der kalten Progression ginge. Er fordert: Angesichts der gigantischen Steuereinnahmen müssen endlich die Steuerzahler entlastet werden, sprich: Die kalte Progression muss abgebaut werden. Und die Wirtschaftsweisen schreiben in ihrem aktuellen Jahresgutachten 2014, dass eine Korrektur des Tarifs mittlerweile überfällig sei.
Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass unsere Forderung auch vom DGB-Chef Reiner Hoffmann für richtig gehalten wird, können wir Klientelpolitik - dieser Vorwurf kommt sicher gleich - wohl von vornherein ausschließen. Aber den guten Worten müssten jetzt auch Taten folgen, und sie müssten nicht nur heiße Luft bleiben.
Die Diskussion dieses Themas ist so wechselhaft wie das Wetter. Der Bundesfinanzminister will die kalte Progression angeblich abschaffen, die Kanzlerin nicht, die CSU vielleicht, aber später. Bei der SPD hängt es davon ab, mit wem gesprochen wird. Die Grünen und die Linken fragt gar keiner.
Unser Motto „Leistung muss sich lohnen“ gilt nach wie vor unverändert. Menschen, die sich beruflich entwickeln, die mehr Lohn oder Gehalt bekommen, dürfen das, was sie sich hart erarbeitet oder erstritten haben, nicht vom Staat wieder kalt aus der Tasche gezogen bekommen.
Unterstützen Sie unseren Antrag, sorgen Sie dafür, dass die Ungerechtigkeit im Steuersystem abgeschafft wird - im Inter
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Vogdt. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Bitte, Frau Abgeordnete Geywitz.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Im Film gibt es die Kategorie der Goldenen Himbeere für den schlechtesten Film. Als ich die heutige Tagesordnung ansah, dachte ich: Subjektiv betrachtet ist dieser Antrag meine Goldene Himbeere des Tages. Er ist so überflüssig wie nur irgendwas. Ich glaube, der einzige Zweck, den er erfüllt, ist, dass Frau Vogdt hier ihre Abschiedsrede halten konnte.
Sie haben gerade mit großer Geste als Vertreterin der FDP gesagt, dass bei den Linken und den Grünen gar keiner fragt, was sie zur kalten Progression sagen. Das verwundert mich etwas. Denn wenn man sich einmal etwas für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat interessiert, wird man feststellen, dass die Länder, bei denen die Liberalen noch an der Landesregierung beteiligt sind, auf ganze vier Stimmen im Bundesrat kommen, während die Kollegen von den Grünen, den Roten und der Sozialdemokratie immerhin 35 Stimmen auf sich vereinigen können. Wer weiß, wie viele Stimmen es im Bundesrat gibt, der weiß, wer dort eine Mehrheit hat, Frau Vogdt. Insofern wären Sie gut beraten, wenn Sie an der Abschaffung der kalten Progression arbeiten, mit den Kollegen von den Grünen und den Linken genauso zu reden wie mit den Sozialdemokraten.
Die Abschaffung der kalten Progression ist übrigens kein neues Thema. Es war schon ein Megathema beim letzten Bundestagswahlkampf. Wir haben es auch hier schon mehrfach diskutiert. Für alle, die es vergessen haben: Der Effekt ist ganz einfach. Inflation 2 %, Lohnerhöhung bzw. Tarifsteigerung 2 %, das klingt erstmal so, als würde nichts weiter passieren. Aber da man dadurch in der Besteuerung nach oben rutscht, hat man hinterher unter Umständen weniger. Das ist ein misslicher Effekt, dessen Beseitigung - das steht auch in Ihrem Antrag sehr viele Milliarden Euro kostet.
Dann haben Sie sich in Ihrer Rede einen schlanken Fuß gemacht und gesagt: Hach, da wird jetzt bestimmt einer von den armen Steuerzahlern eine Gegenfinanzierung fordern. - Nein, das machen sie nicht, das ist nicht der Job der Steuerzahler. Aber das ist ja wohl der Job der Politik. Wir alle sind in der Politik, und wenn wir die kalte Progression abschaffen, dann fehlt sehr viel Geld im Steuersäckel. Dann muss man entweder sagen, wir nehmen wieder Kredite auf, oder man muss sagen, wir kürzen in dem gleichen Maße, oder man macht einen Gegenfinanzierungsvorschlag.
Sie, Frau Vogdt, haben es vermieden, eine dieser drei Lösungen zur Gegenfinanzierung des Abbaus der kalten Progression anzuführen. Das ist schade. Das macht Ihren Antrag nicht besser. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Geywitz. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der CDU fort. Herr Abgeordneter Burkardt, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat nicht das erste Mal, dass wir uns hier mit der kalten Progression befassen. Es ist ebenso nicht das erste Mal, dass wir uns hier im Landtag mit Themen befassen, die anderen Organen, Staatsorganen, in der Zuständigkeit zukommen, nämlich Bundestag und Bundesrat.
So ganz einfach, wie Sie es eben abgetan haben, Frau Kollegin Geywitz, ist das Thema der Finanzierung des Abbaus der kalten Progression nun doch wieder nicht. Dabei geht es nämlich nicht darum, zurückzuzahlen, was in der Vergangenheit dem Bürger vielleicht zu viel abgenommen wurde, sondern darum, in der Zukunft weniger zu zahlen. Wer sich die Prognosen unserer Steuereinnahmen anschaut, wird nachvollziehen können, dass das durchaus möglich ist. Von daher ist der Situationsbeschreibung wenig hinzuzufügen.
Die kalte Progression ist in der Tat leistungsfeindlich. Sie betrifft nicht nur, Frau Kollegin Vogdt, die Geringverdiener oder „vor allem die Geringverdiener“, um Ihre Formulierung genau aufzunehmen, sondern sie betrifft in der Tat die Leistungsträger, die Facharbeiter, die Meister, die Krankenschwestern, die Lehrerinnen und wen auch immer. Sie alle sind davon betroffen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Steuer, sondern, was immer wieder ausgeblendet wird, dort, wo man an die Versicherungspflichtgrenzen herankommt, kommt obendrein „zur Belohnung“ ein höherer Versicherungsbeitrag bei Krankenund Rentenversicherung hinzu.
Deswegen sind wir schon seit langem für den Abbau, und wir sind auch dafür, einen dynamischen Ausgleich für die Mehrbelastung, die durch die Progression entsteht, einzubauen. Wir könnten uns auch dazu aufraffen, die Landesregierung aufzufordern, etwas zu tun, wenn Sie nur nicht in der Überschrift gesagt hätten, die Bundesregierung solle die heimlichen Steuererhöhungen zurücknehmen. Sie kann sich zwar auch beteiligen, aber am Ende entscheiden auch dort Bundestag und Bundesrat.
Meine Damen und Herren, in der Sache ist es gut gemeint. Es ist auch angezeigt, es zu tun. Nur weiß ich nicht, wie das ein Vierteljahr vor der Landtagswahl umgesetzt werden soll. Von daher haben wir Schwierigkeiten, diesem Antrag in der vorgelegten Form zuzustimmen. Das heißt nicht, dass das eine Absage an die generelle Absicht ist. - Schönen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Burkardt. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Jürgens hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Sie werden es wissen: Die PDS ist 2002 aus dem Bundestag ausgeschieden. Insofern kann ich nachvollziehen, dass es ein schmerzhafter Einschnitt ist, wenn man eine Fraktion im Bundestag verliert. Das ist aber, bitte schön, kein Grund, uns hier durch diesen Antrag zum dritten oder vierten Mal mit Steuerpolitik der Bundesebene zu belästigen. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, und zwar aus fünf Gründen.
Erster Grund: Entgegen Ihrer Behauptung im Antrag wurde der Grundfreibetrag im Jahr 2013 um 126 und im Jahr 2014 um 224 Euro erhöht. Zusätzlich gab es eine Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen. Das insgesamt war eine spürbare Entlastung vor allem auch der kleinen und mittleren Unternehmen. Die kalte Progression ist eben nicht in dem Umfang eine hohe Belastung für Geringverdienerinnen und Geringverdiener, wie Sie es behaupten.
Zweiter Grund: Die kalte Progression ist vor allem dann ein Problem, wenn wir eine hohe Inflationsrate haben. Wir sind aber zurzeit eher in einer Phase von Deflation. Wir befürchten sozusagen eine negative Inflation. Deswegen ist dies perspektivisch auch kein so großes Problem.
Dritter Grund: Sie schwadronieren in Ihrem Antrag immer von einer negativen Konnotation von dem Staat, der profitieren würde, von dem Staat, zu dem umverteilt wird. Wer ist denn dieser Staat? Wir sind dieser Staat, Sie sind dieser Staat, die öffentlichen Einrichtungen sind dieser Staat, die Kommunen sind dieser Staat. Hören Sie auf, den Staat immer als böse Macht oder als eine Art Mordor darzustellen!
Vierter Grund: In Ihrer Begründung steht der Satz: Die höheren Einnahmen des Staates sind sachlich nicht zu rechtfertigen. Was ist das denn für ein Blödsinn? Natürlich sind die höheren Einnahmen zu rechtfertigen. Es gibt einen Mehrbedarf im Bildungsbereich, einen Mehrbedarf der öffentlichen Infrastruktur. Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Büttner, stellt sich gestern bei den Kitas hin und fordert mehr Geld und stellt sich heute bei den Musikschulen hin und fordert mehr Geld. Natürlich brauchen wir zusätzliches Geld in diesem Staatssystem.
Ein fünfter Grund - darauf hat die Kollegin Geywitz schon hingewiesen - ist die Frage nach der Gegenfinanzierung. Wenn Sie durch den Abbau der kalten Progression Steuereinnahmen
reduzieren, dann muss das natürlich gegenfinanziert werden. Dazu fehlt jegliches Wort in Ihrem Antrag. Die Linke sagt: Wenn wir kleine und untere Einkommensgruppen entlasten wollen, müssen wir im Gegenzug dazu die oberen Einkommensgruppen stärker belasten. Das ist unsere Position. Zu der Frage Gegenfinanzierung fehlt jeglicher Kommentar in Ihrem Antrag.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jürgens. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Herr Abgeordneter Vogel hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP verabschiedet uns mit einer Fülle von Anträgen in die Sommerpause. Von einem Feuerwerk an neuen Ideen würde ich aber zumindest bei dem hier vorliegenden Antrag zur kalten Progression nicht reden wollen.
Denn die Diskussion um die kalte Progression ist so alt wie der progressive Einkommensteuertarif, und dieser besagt nun einmal, dass höhere Einkommen auch in höherem Maße zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.
Kalte Progression - ich gehe jetzt einmal tatsächlich auf den Antrag ein und erläutere auch unsere Position - ist die Bezeichnung für eine Steuermehrbelastung, die dann eintritt, wenn Lohnsteigerungen lediglich einen Inflationsausgleich bewirken und die Einkommensteuersätze nicht der Inflationsrate angepasst werden. Das ist so weit auch unbestritten und Konsens. Ohne Gegenmaßnahmen - Peer Jürgens hat schon darauf hingewiesen, dass sie stattgefunden haben, wie nämlich die Anhebung des Grundfreibetrages 2013 oder die Anpassung der Steuersätze 2010 -, ohne solche Gegenmaßnahmen führt die kalte Progression in der Tat zu einer relativen Mehrbelastung der niedrigen und mittleren Einkommen. Das hat aber eben nicht stattgefunden.