Protocol of the Session on April 3, 2014

haupt nicht die Begründung gewesen, warum Sie nach dem Mindestlohn gerufen haben. Sie haben immer gesagt, viele Menschen könnten von ihrem Lohn nicht leben. Sie haben insbesondere auf die Aufstocker abgehoben, die trotz ihrer harten Arbeit auf ergänzende Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Sie haben darauf hingewiesen, dass das unwürdig und ein Skandal ist. Mein lieber Herr Dr. Bernig, der Mindestlohn wird daran nichts ändern, denn die meisten Aufstocker - das wissen Sie auch - haben keine volle Stelle, sondern arbeiten nur einige Stunden in der Woche. Sie werden deswegen auch mit Mindestlohn auf Hilfe angewiesen sein.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Aber das ist doch Unsinn!)

Herr Dr. Bernig, Sie haben die Alleinerziehenden angesprochen. Wissen Sie, Alleinerziehende sind auch diejenigen, die meistens nur Teilzeit arbeiten. Und warum? - Da kommen wir sehr gern wieder in eine bildungspolitische Debatte hinein -: Weil die Alleinerziehenden nicht die Möglichkeit haben, Job und Betreuung ihrer Kinder miteinander zu vereinbaren. Bei der Bekämpfung der Armut von Alleinerziehenden wäre es der richtige Schritt, daran etwas zu ändern. Wir brauchen flexible Öffnungszeiten der Kitas. Wir brauchen die Möglichkeit, dass die Eltern - der Vater oder die Mutter - ihre Kinder betreuen lassen können. Immer mehr Instrumente, die Sie, Herr Dr. Bernig gefordert haben, werden nichts bringen.

Das einzige von Ihnen konsequent geforderte Projekt, das Landesprogramm „Arbeit für Brandenburg“, ist krachend gescheitert und steht vor dem Auslaufen. Ich wundere mich schon, Herr Kollege Baer, dass auch Sie jetzt wieder nach einem neuen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor rufen. Ich habe gedacht, Sie hätten in dieser Legislaturperiode mitbekommen, dass dieses Programm schlicht und ergreifend nichts taugt, krachend gescheitert ist und Sie damit voll gegen die Wand gefahren sind. Aber Erkenntnis kann man bei Ihnen offensichtlich nicht mehr erwarten. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und der Abgeordneten Frau Schier, Frau Richstein und Hoffmann [CDU])

Die Abgeordnete Nonnemacher setzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Der Kampf um den 8-Stunden-Tag hat 1886 den „Tag der Arbeit“ begründet. Fast 130 Jahre später ist gute Arbeit noch immer keine Selbstverständlichkeit. Immer mehr Jobs in Deutschland sind prekär. Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, Praktika-Schleifen, Werkverträge und Minijobs erreichten in den letzten Jahren Rekordstände.

Deutschland liegt beim gestiegenen Anteil des Niedriglohnsektors im europäischen Vergleich ganz vorn: Mehr als jeder Fünfte arbeitet darin - jeder Fünfte, vor allem sind es Frauen. Der hohe Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung verdeckt dabei die Abnahme von Normalarbeitsverhältnissen und die Zunahme von Teilzeit und befristeter Beschäftigung. Das ist allen bekannt, wird immer wieder kritisiert, führt aber zu keinem konsequenten Gegensteuern.

Dabei profitiert von guter Arbeit die gesamte Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die den sozialen Zusammenhang gewährleisten und soziale Verwerfungen vermeiden will, ist auf einen sozialen Ausgleich am Arbeitsmarkt angewiesen. Nur auf der Grundlage verlässlicher Beschäftigungsperspektiven und existenzsichernder Entlohnung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Leben mit einem Mindestmaß an Sicherheit planen und gestalten.

Die jetzt geplante Einführung des Mindestlohnes in Deutschland ist ein richtiger Schritt zum Schutz vor Lohndumping und zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen gerade hier in Ostdeutschland. Er allein ist aber kein Garant für gute Arbeit und wird die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt nicht erleichtern.

Gerade in diesem für Sie so zentralen Politikfeld hat die rot-rote Landesregierung keine Erfolge aufzuweisen. Das Landesprogramm „Arbeit für Brandenburg“ ist grandios gescheitert. Es gibt große Schwierigkeiten bei der Mittelvergabe aus dem ESF für den sozialen Arbeitsmarkt, weil die Landesregierung am Bedarf vorbei geplant hat.

Gute Arbeitsmarktpolitik muss sich aller Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme und Ressourcen bedienen, um jenen Menschen Chancen auf Teilhabe am Arbeitsmarkt zu eröffnen. Besonders jungen Menschen ist durch gute Bildung und Ausbildung von Beginn an die Chance zur Integration zu geben. Brandenburg hat laut dem Bildungs-Monitoring der Initiative „Neue soziale Marktwirtschaft“ aus dem letzten Jahr weiterhin noch beträchtliche Defizite und liegt im Bundesvergleich auf dem letzten Platz.

Gute Arbeitsmarktpolitik muss aber auch neue Perspektiven für Menschen schaffen, die bisher von Erwerbsarbeit weitgehend ausgeschlossen sind: Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten, Alleinerziehende, Schulabbrecher, Ältere, Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte dürfen nicht zurückgelassen werden.

Große Sorge bereiten uns auch die im Transatlantischen Freihandelsabkommen geplante weitere Liberalisierungen von Dienstleistungen, die mögliche Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens und die drohende Absenkung der Standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Gute Arbeit und einen Mindestlohn zu fordern ist das eine, Unternehmen zu haben, die solche Standards auch bieten können, das andere. Nach wie vor fließt der Löwenanteil der Brandenburger Wirtschaftsförderung in klassische Investitionsprojekte und nicht in die Köpfe und die Kreativität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir müssten aber dringend neue Ideen und Innovationen stärker fördern, damit die Unternehmen in der Lage sind, attraktive und gute Arbeitsplätze anzubieten, sonst wandern die hier gut ausgebildeten jungen Leute ab, und es kommen aus anderen Regionen Europas zu wenige zu uns. Einer Umfrage zufolge haben bisher nur 2,5 % der befragten Unternehmen in der Region Berlin-Brandenburg die Möglichkeiten der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit genutzt und sich um ausländisches Fachpersonal bemüht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, außer der angekündigten Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns hat sich in puncto gute Arbeit wenig getan. Auch Rot-Rot ist es bisher nicht

gelungen, nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Die Chancen, die sich aus der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben könnten, werden in Brandenburg noch nicht genutzt. TTIP bedroht die sozialen Standards in unserem Land.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Bischoff [SPD] und Domres [DIE LINKE])

Noch immer lasten Massenarbeitslosigkeit und unerträgliche Jugendarbeitslosigkeit auf weiten Teilen Europas. Nein, von guter Arbeit in einem sozialen Europa sind wir noch weit entfernt. Da es aber auch 2015 wieder einen 1. Mai geben wird, sehe ich der Aktuellen Stunde nächsten April mit Freude entgegen. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD - Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Minister Baaske spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Frau von Halem [B90/GRÜNE]: Guten Morgen!)

Einen schönen guten Morgen, auch an Frau von Halem! Ich weiß auch nicht, ich glaube, Frau Schier, Herr Büttner, Sie haben es nicht verstanden.

(Frau Lehmann [SPD]: Nee! - Beifall SPD)

Es geht heute Vormittag um die Qualität von Arbeit, und es geht um die Würde von Beschäftigten. Ich weiß ja nicht, wo Sie leben, aber ich kenne eine Menge Leute in diesem Land, die mit Tränen in den Augen vor mir saßen, als ich sie gefragt habe, wo sie arbeiten und wie viel sie verdienen. Sie haben sich geschämt, mir das zu sagen, weil sie für ihre Arbeit so wenig bekommen. Da war Scham, da waren Tränen - darum geht es hier, dass wir Leute mit ihrer Würde anerkennen, mit dem, was sie leisten, was sie vollbringen, und genau dem dient diese Aktuelle Stunde!

(Starker Beifall SPD und DIE LINKE)

Natürlich geht es hier um die menschliche Dimension von Arbeit. Das ist für uns aber nicht nur eine sozialstaatliche Verpflichtung. Es geht auch - da schaue ich in Richtung FDP-Fraktion - um die Gewinnung von Fachkräften. Da hatten wir in der vergangenen Legislaturperiode mit einem Wirtschaftsminister, der aus der CDU kam, gut zu tun, wieder damit aufzuräumen bzw. dafür zu sorgen, dass Brandenburg eben kein Billiglohnland sein will und darf!

(Starker Beifall SPD und DIE LINKE)

Daran haben wir heute noch zu knapsen.

Reden Sie doch einmal mit den Personalmanagern der größeren Betriebe, die müssen inzwischen schon in unsere Fachhochschulen und Universitäten gehen und den Ingenieuren sagen: Nein, ihr braucht nicht, wenn ihr zu Daimler wollt, nach

Sindelfingen zu gehen, ihr könnt auch bei Daimler Ludwigsfelde arbeiten. Dort bekommt ihr das gleiche Geld. - Das glauben die gar nicht, weil jahrelang gesagt wurde: Du wirst in Brandenburg schlechter bezahlt. - Das kann doch aber keine Zielstellung sein. Das wirbt Fachkräfte ab, und es ist gar nicht verwunderlich, dass 70 % der brandenburgischen Studierenden sagen, sie gingen nach dem Studium weg, weil sie meinen, dass sie hier schlechter bezahlt würden als woanders. Auch darum geht es hier in dieser Aktuellen Stunde: Gute Arbeit hat auch etwas mit Zukunftssicherung für unser Land zu tun, damit, dass wir Fachkräfte in diesem Land halten können.

Ich will ja gar nicht sagen, dass in diesem Land alles richtig toll läuft, wir eine super Arbeitsmarktpolitik gemacht und keine Sorgen haben. Natürlich haben wir die auch, aber wir haben viel erreicht - auf der anderen Seite haben wir noch viel zu tun, das trat in den Ausführungen der Kollegen bereits zutage.

Bei guter Arbeit geht es natürlich um faire Löhne, es geht um Teilhabe. Es geht aber auch darum, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden - auch das zeichnet gute Arbeit aus.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie der Abgeordneten Non- nemacher [B90/GRÜNE])

Es geht auch darum, dass behinderte Menschen stärker als in der Vergangenheit in Arbeit kommen und dass natürlich auch Langzeitarbeitslose wieder Chancen bekommen, in diesen Arbeitsmarkt integriert zu werden. Es geht auch um Ausbildung, natürlich.

Ich glaube, wenn wir jetzt einmal resümieren, wo wir in den letzten Jahren viel erreicht haben, dann kommen wir gern darauf, dass wir die Arbeitslosigkeit quasi halbiert haben. Ich kann mich erinnern, 2005 sind wir mit 280 000 Arbeitslosen gestartet - die Sozialhilfeempfänger zähle ich jetzt einmal mit 80 % mit rein. Jetzt liegen wir dauerhaft unter 140 000 Arbeitslosen, haben die Anfangszahl also halbiert - das heißt, auf der einen Seite ist viel Sonne. Aber was ist bei den Langzeitarbeitslosen passiert? Damals waren es 62 000, heute sind es 53 000, also ist fast gar nichts passiert. Da, denke ich, muss noch mehr passieren,

(Frau Schier [CDU]: Genau!)

und das hat der Kollege Bernig richtig gesagt. Das ist aber insbesondere auch eine Aufgabe des Bundes. Wir wissen, dass viele Langzeitarbeitslose große Vermittlungshemmnisse haben. Sie können jetzt ruhig sagen: Ja, der Bund soll machen! - Inzwischen ist eine Arbeitsministerin der SPD im Amt. Das ist vollkommen in Ordnung, das sehe ich genauso.

(Zuruf der Abgeordneten Schier [CDU])

Es ist nun einmal so, dass im öffentlichen Beschäftigungssektor mehr passieren muss, als in den letzten Jahren passiert ist. Es war übrigens der Grund, warum „Arbeit für Brandenburg“ nicht so Raum fassen konnte, wie wir es gedacht haben, weil der öffentliche Beschäftigungssektor des Bundes drastisch zurückgefahren wurde. Da, denke ich, muss in den nächsten Jahren unbedingt viel mehr passieren. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist also nicht viel passiert.

Wir haben viele Programme aufgelegt. Ich erinnere hier an die Migrationsbegleiter, die derzeit richtig gut Raum fassen, durch

die viel passiert im Land, die mit einer Betreuungsquote von 1:25 direkt in den Jobcentern sind. Das können Sie sich in der Uckermark in Prenzlau einmal anschauen, die haben dafür extra Räumlichkeiten. Das ist eine wunderbare Sache, durch die Leute auch wirklich dauerhaft in Arbeit integriert werden, und zwar ohne größere Lohnkostenzuschüsse. Also das läuft ganz ordentlich, und ich denke, in diese Richtung muss es dann auch in der nächsten Zeit weitergehen.

Ich glaube aber auch, dass die Teilzeitquote in diesem Land in den letzten Jahren miserabel geworden ist. Auch da muss mehr passieren, und das geht natürlich nur, wenn die Unternehmen erkennen, dass man mit Teilzeit- und atypischen Beschäftigungsverhältnissen junge Leute nicht in diesem Land hält. Wenn ich 30, 40 Jahre alt bin und hier im Land ein atypisches Beschäftigungsverhältnis habe - zum Beispiel nur 50 % der Arbeitszeit in einem Job arbeite -, dann suche ich mir einen Zweitjob. Das kann auch nicht die gesündeste Art und Weise sein, mit Familien umzugehen. Wenn ich eine Teilzeitbeschäftigung oder ein befristetes Beschäftigungsverhältnis habe, suche ich woanders nach einer Festanstellung, und die kann dann eben auch in einem anderen Bundesland sein. Auch das treibt junge Leute in den Süden und den Westen dieser Republik. Auch das ist nicht gerade zielführend, wenn ich mich um die Zukunft des Landes sorgen sollte. Darum denke ich, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft werden müssen.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Wir müssen aber auch einmal sagen, wo wir richtig gut sind, und da sollten wir stolz auf unsere Frauen sein. Brandenburg hat eine Frauenbeschäftigungsquote von 71,6 %. Schweden hat eine von 71,7 %, ist also ein Zehntel besser als wir. Schweden ist bezüglich der Beschäftigungsquote von Frauen europa- und weltweit das führende Land, Brandenburg kommt gleich danach. Das Schöne ist: Wir werden von Jahr zu Jahr besser. Das heißt also, die Einstellung, dass Frau auch arbeiten geht und das nicht nur dem Mann überlässt, vererbt sich auf die Töchter. Das heißt, auch junge Frauen, die heute aus der Ausbildung kommen, wollen unbedingt arbeiten und leben nicht nach der Attitüde: Mein Mann geht arbeiten, ich bleibe zu Hause. - Das ist eine wunderbare Entwicklung, wie ich finde. Deshalb ein großes Dankeschön an die Frauen, die dafür gesorgt haben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das ist übrigens auch einer der wichtigen Gründe, warum der Erwerbsunterschied zwischen Frauen und Männern in Brandenburg nur bei 6 % liegt. In Ostdeutschland liegt er bei 8 %, bundesweit liegt er bei 23 % und in Europa bei 18 %. Schlechter als Deutschland ist nur noch Estland, aber besser als Brandenburg ist kaum einer - das muss man auch ehrlicherweise sagen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das heißt also, der Osten ist richtig gut aufgestellt, und Brandenburg geht mit einem relativ kleinen Unterschied beim Verdienst zwischen Frauen und Männern voran. Aber das hat auch etwas damit zu tun, dass das Lohnniveau im Osten relativ niedrig ist. Nach wie vor verdient der Ossi nur 76 % dessen, was der Wessi verdient - im Schnitt. Wenn Sie jetzt überlegen, dass die großen tarifgebundenen Bereiche - öffentlicher Dienst, Metall, Chemie, Banken, Handel, Versicherungen - inzwischen 100 % des Westlohnniveaus erreicht haben - da wird meist

zwei Stunden mehr gearbeitet, aber ansonsten liegt das Lohnniveau bei 100 % des Westlohnniveaus - und wir im Schnitt bei 76 % des Westlohnniveaus liegen, können Sie sich ausrechnen, wie viele Leute hier noch mit 50 oder 60 % des Westlohnniveaus herumdümpeln.