Protocol of the Session on November 21, 2013

Drucksache 5/8111

1. Lesung

Der Abgeordnete Vogel beginnt für seine Fraktion die Debatte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über eine schier unendliche Geschichte, die bis zum heutigen Tag ihren langen Schatten wirft. Die Menschen, die heute wieder einmal vor dem Landtag demonstriert haben, rufen es uns erneut in Erinnerung: Die Bodenreform von 1945 und folgende Jahre war ein gigantisches Umverteilungsprogramm. Jeglicher Besitz über 100 ha in der damaligen SBZ wurde entschädigungslos enteignet. Ob jemand die Nazis unterstützte oder nicht, spielte keine Rolle.

In Brandenburg ging es um mehrere Hunderttausend Hektar. Daraus entstanden 82 000 Bodenreformflächen für landlose Bauern und Flüchtlinge. Diese Flächen bekamen die Neusiedler nicht geschenkt, sondern sie mussten dafür zahlen - mit Geld oder Naturalien, teilweise auch mit Krediten, die oft jahrzehntelang abgezahlt werden mussten.

Was dann kam, wurde damals als sozialistischer Frühling und wird heute meist als Zwangskollektivierung bezeichnet: Die Menschen mussten - ob sie wollten oder nicht - ihr Land in die neu gegründeten LPGn einbringen. Sie blieben Eigentümer, aber die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum wurde massiv eingeschränkt. Die friedliche Revolution von 1989 war für viele Menschen auf dem Land daher vor allem mit der Hoffnung verbunden, endlich wieder über ihr Land verfügen zu können.

So kam es dann auch: Am 6. März 1990 verabschiedete die Volkskammer unter Hans Modrow das Gesetz über die Rechte der Eigentümer aus der Bodenreform. Sämtliche in der DDR eingeführten Eigentumsbeschränkungen wurden aufgehoben. Der Eigentumstransformationsprozess galt als abgeschlossen.

Was dann passierte, bezeichnen viele Juristen als einen der größten Rechtsirrtümer des Einigungsprozesses.

Mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz wurde ab 1992 versucht, die Bodenreform rechtlich abzuschließen. In einem viel beachteten Aufsatz wurde zuvor die Vererbbarkeit von Bodenreformland infrage gestellt. Dass dies ein Auftragswerk der enteigneten Alteigentümer von vor 1945 war, wurde erst später thematisiert. Doch der Leitgedanke war geboren.

1992 wurde dann im Bundesjustizministerium durch einen einzigen Referenten ein damals kaum beachteter Abschnitt in das Einführungsgesetz zum BGB lanciert, der diesen Gedanken aufgriff und die Enteignungswelle legitimierte, über die wir heute reden. Auch das Gesetz unterstellte nun die Unvererbbarkeit von Bodenreformeigentum in der DDR. Das hatte zwar nichts mit der DDR-Rechtslage zu tun, passierte aber kaum beachtet den Bundestag. Die Mär von der Unvererbbarkeit hat sich dann bis 1998 gehalten. Erst dann korrigierte der Bundesgerichtshof die herrschende und bis dahin von ihm vertretene Meinung - eine Meinung übrigens, der unser Finanzminister bis zum heutigen Tage anhängt und die er zuletzt bei der ersten Debatte über den Staatsvertrag zu den Bodenreformflächen zum Besten gegeben hat.

Heute ist juristisch klar: Bodenreformeigentum war in der DDR stets vererblich. So steht es in den historischen Bodenreformurkunden, farblich unterlegt: „Übergabe des Landes zum vererbbaren persönlichen Eigentum“. Keine einzige Bestimmung des Rechts in der SBZ oder der DDR hat die Vererbbarkeit jemals ausgeschlossen oder ein Vererbungsverbot postuliert. Doch es half nichts!

Mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz war den Ländern die Möglichkeit gegeben worden, sich in vielen Fällen als vermeintlich besser Berechtigter Bodenreformflächen anzueignen. Von diesen Fällen reden wir heute. Brandenburg hat besonders viele davon. Denn nirgendwo sonst in den neuen Ländern hat ein Bundesland mehr Flächen eingefordert als hier gegen den verzweifelten Widerstand der Betroffenen, die teilweise ihr gesamtes Vermögen einsetzten, um ihr Erbe behalten zu können.

Es geht um 16 000 Liegenschaften mit ca. 34 000 Hektar, es geht aber um sehr viel mehr Menschen, da sehr häufig auch ganze Erbengemeinschaften betroffen waren. 40 % aller Rechtsstreitigkeiten über den Entzug von Bodenreformland fanden in Brandenburg statt, stellte die Bundesregierung vor einigen Jahren fest.

Von besonders intensiver Enteignungspraxis ist im Abschlussbericht zum Fall Feld 5 der Enquetekommission die Rede. Da herrschte fraktionsübergreifend Einigkeit. Da geht es nicht nur um die anonymen Erben, wo das Land in letzter Konsequenz vom BGH gestoppt wurde.

In 7 550 Fällen hatte sich das Land sittenwidrig - so hieß es - in die Grundbücher eingetragen, und wer heute ausfindig ge

macht wird oder sich meldet, bekommt sein Eigentum zurück egal, wie der Fall gelagert ist. Wer sich aber vor der Ausschlussfrist des Vermögensrechtsänderungsgesetzes vor Oktober 2000 selbst gemeldet hatte, schaut in die Röhre.

In 6 500 Fällen hat das Land Ansprüche gegen bekannte Neusiedlererben durchgesetzt. Über diese Fälle reden wir heute. Diese Fälle können wir heute heilen, denn der Staatsvertrag über die Bodenreformflächen gibt uns diese Möglichkeit. Das Land verlöre dabei nicht viel, aber es gewönne vor allem eines: Rechtsfrieden.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)

Schauen wir uns die Zahlen an: Von 1992 bis heute sind dem Land im Zusammenhang mit diesen Flächen 65 Millionen Euro Kosten entstanden. Dem stehen von 1998 bis heute 46 Millionen Euro Einnahmen gegenüber. Die Bilanz der BBG, die diese Flächen heute verwaltet, ist ernüchternd, ja sie ist fast bizarr. Den 1,1 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr das entspricht etwa 60 Euro pro Hektar - stehen Ausgaben für die Verwaltung in ähnlicher Höhe gegenüber.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute über einen Gesetzentwurf, mit dem dieser Missstand endlich aus der Welt geschaffen werden kann.

(Beifall B90/GRÜNE)

Ein Missstand, der gerade auch von der Linken - zu Recht - immer wieder beklagt wurde.

Unser Verfahrensvorschlag ist so einfach wie möglich gestaltet. Wir greifen auf bewährte Instrumente der Sachenrechtsbereinigung zurück, wir lassen die bisher gezogenen Nutzungen beim Land und helfen denjenigen, die sich in ungezählten Rechtsstreitigkeiten bis über die Halskrause hinaus verschuldet haben. Ich weiß, dass viele hier im Raum konkrete Beispiele dafür aus ihren eigenen Erfahrungen in Wahlkreisen kennen.

In der Enquetekommission brachte es die Juristin Frau Dr. Grün, die das von mir vorhin erwähnte BGH-Urteil von 1998 erstritten hat, auf den Punkt:

„Mit der Bodenreformabwicklung und seiner Durchführung ist das Eigentum einer Vielzahl von Menschen mit Füßen getreten worden. Es war nicht beabsichtigt. Es war von niemandem gewollt. Es ist Zeit, das nicht Gewollte endlich auszugleichen.“

Ich bitte um Überweisung an die Ausschüsse. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Der Abgeordnete Kuhnert spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein sehr kompaktes Thema, das in fünf Minuten gar nicht abzuhandeln ist.

Deswegen kann ich hier nur stichpunktartig auf die Thematik eingehen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt eine ungleiche Situation bei den Erben der Bodenreform fest und bietet einen Ausgleich durch das vorgelegte Gesetz an. Das, was Sie nicht erwähnt haben, Herr Kollege Vogel, ist: Sie wollen auch den Ausgleich im Bereich der Verjährung. Jedenfalls habe ich das Gesetz so verstanden.

Verjährung ist ein Rechtstitel - wir haben es gerade gestern von Herrn Wichmann bei den Altlastenfragen gehört -, der seit dem römischen Recht im Zivilrecht und auch im Strafrecht gilt und der immer einschließt, dass am Ende eine ungleiche Situation entsteht und trotzdem seither von jeder Rechtsordnung übernommen worden ist, weil er halt seinen tiefen Sinn hat, den ich aus Zeitgründen hier nicht erklären kann. Aber er ist ja gestern aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils hinreichend beleuchtet worden.

Das, was Sie nicht erwähnt haben, ist, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg 2004 genau diese Rechtslage, diese Rechtsauffassung in der Bundesrepublik bestätigt hat.

Der zweite Punkt - Sie haben das erwähnt -: Zu DDR-Zeiten gehörte das Land denen, die es durch die Bodenreform bekommen haben. Die Praxis war anders, als Sie sie geschildert haben: Es wurde in der Regel vererbt, wenn die Erben den Boden bearbeitet haben. Das hat auch einen tieferen Sinn. Eine Bodenreform ist keine Vermögensbildung, wie ich finde, sondern sie gab gerade den Flüchtlingen damals Boden unter den Füßen, damit sie einer Erwerbsarbeit nachgehen konnten, dass sie ihr tägliches Brot erwerben konnten.

Aber wie man es auch immer sieht, 1990 hat eine nicht demokratisch gewählte Volkskammer ein Gesetz beschlossen, das dieses Eigentum in bürgerliches Recht überführt. Das ist für mich der schwierigste Punkt. Ich kann gut verstehen, dass sich Menschen gerade in dieser Umbruchzeit auf dieses Recht verlassen haben, wohl wissend, dass es keine demokratische Volkskammer war. Aber in dieser wirren Zeit damals wusste man ja eh nicht so genau, worauf man sich überhaupt verlassen kann.

Sie haben es ausführlich beschrieben: 1992 hat der Bundestag das geändert, allerdings nach einer sehr lebhaften, sehr intensiven Debatte. Man hat sich das nicht einfach gemacht. Auch diese Rechtsauffassung hat - das haben Sie auch verschwiegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Der Verfasser Ihres Gesetzentwurfs hat ja, wenn ich es richtig sehe, dort die Klage geführt und eben verloren.

Drittens: Das BGH-Urteil von 2007, das nun wieder eine dritte Gruppe schafft, die wieder anders behandelt wird - nicht zu ihrem Nachteil -, was aber für die anderen, die davor waren - Sie haben das ja zutreffend beschrieben -, natürlich schwierig nachzuvollziehen ist.

Die Lösung, die Sie vorschlagen, ist, dass das Land Brandenburg an die Betroffenen gleichermaßen Land verschenkt oder Entschädigung zahlt. Denn eine Rückgabe ist laut Bundesgesetz nicht möglich. Aber Sie haben Recht: Im April dieses Jahres hat der Vertrag zwischen der Bundesregierung und dem

Land Brandenburg dem Land die Verfügungsgewalt über diese Bodenreformflächen gegeben und es könnte sie jetzt theoretisch weiterverschenken. Damals hat Frau Geywitz dazu gesprochen. Sie haben diesmal den Rechtsausschuss angesprochen. Deshalb müssen Sie jetzt mit mir hier Vorlieb nehmen.

Dagegen sprechen zwei Punkte: einmal - so denke ich - der Artikel 40 unserer Verfassung. Ich denke - ich habe das damals jedenfalls so erlebt, und ich habe mich natürlich auch mit Juristen beraten -, dass das auch so gemeint ist, dass das Land mit seinem Vermögen sehr behutsam umgehen muss und eine Art Schenkung in diesem Bereich des Artikels 40 nicht vorgesehen ist. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt.

Der andere Punkt, der entscheidend ist, ist der: Selbst dann, wenn das Gesetz, das Sie entworfen haben, umgesetzt würde, entstünde keine Gleichheit, wie Sie behaupten, sondern die Ungleichheit würde zu unseren Nachbarländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern bestehen bleiben. Denn die haben das Problem der Verjährung, und die haben das Problem mit 1990 und 1992 ebenfalls.

Mit anderen Worten: Dem Subsidiaritätsprinzip folgend ist es Bundesrecht und es bleibt Bundesrecht. Daher kann es nur auf Bundesebene geregelt werden. Ich halte es durchaus für berechtigt, es dort auch zu versuchen, gerade in den konkreten Fällen, die ich vor Augen habe. Aber das muss auf der Bundesebene geschehen, da das gesamte Beitrittsgebiet betroffen ist und nicht nur ein Land. Insofern wäre dies eine Chance gewesen, ein weiterer Grund für die Grünen, auf Bundesebene ernsthaft für eine schwarz-grüne Koalition zu arbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuhnert. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Eichelbaum hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf betrifft ein eher unrühmliches Kapitel in der Brandenburger Geschichte nach der Wiedervereinigung. Ich denke, ich kann an dieser Stelle auf detaillierte Ausführungen zu den historischen Hintergründen, zur Bodenreform, zum sogenannten Modrow-Gesetz und zum Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz verzichten, denn darauf ist Herr Vogel vorhin bereits eingegangen.

Wichtig ist vielmehr, sich noch einmal das Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2007 ins Gedächtnis zu rufen. Dort wurde der Umgang der Brandenburger Behörden mit den Bodenreformgrundstücken bzw. deren Erben als sittenwidrig und eines Rechtsstaates unwürdig bezeichnet. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wenn ein Bundesland vom obersten Gericht solch ein Zeugnis ausgestellt bekommt, dann ist das höchst bedenklich. Ein solches Urteil kann und darf nicht ignoriert werden.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE - Domres [DIE LINKE]: Warum ignorieren?)

Wenn es auch damals eine Debatte im Landtag dazu gab und die näheren Umstände in einem entsprechenden Untersuchungsausschuss noch einmal intensiv beleuchtet wurden, so ist dieses Kapitel noch lange nicht abgeschlossen. Bis heute sind noch viele Eigentumsfragen ungeklärt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Dierk Homeyer fand damals bei seiner Arbeit im Untersuchungsausschuss ein Schreiben des Finanzministeriums aus dem Jahr 2003 zum Stand der Durchsetzung von Landesansprüchen bei Bodenreformimmobilien, in dem es wörtlich heißt:

„Bevor es dann schließlich an die Verteilung der ‚Beute‘ geht, ist noch eine Hürde zu nehmen.“

Allein die Verwendung des Wortes „Beute“ in einem Vermerk der Ministerialverwaltung ist bezeichnend und unverantwortlich gegenüber den Betroffenen.