„… dass für alle Kinder und Jugendlichen auch andere pädagogische und kinder- und jugendpsychiatrische Zugänge, Orte, Settings in Frage kommen.“
Das ist gut. Aber wir müssen gewährleisten, dass genau diese Zugänge, Orte und Settings auch bereitstehen und aktiviert
werden können. Das ist keine einfache Aufgabe, aber es ist die Aufgabe, die wir im Sinne der Jugendlichen, aber auch der Gesellschaft angehen und bewältigen müssen. Marie Luise hat dazu schon viel gesagt. Ich bin auch sehr für die frühen Hilfen. Deswegen haben wir es auch in den vorliegenden Entschließungsantrag aufgenommen.
Was wir nicht aufgenommen haben, ist die Forderung nach zusätzlichen Ausschüssen, Unterausschüssen, Kommissionen oder anderen Gremien. Eine solche Forderung - ich kann es nur immer und immer wieder betonen - ergibt nur dann Sinn, wenn es nicht bereits Gremien gibt, die diese Aufgaben erfüllen können. Diese Gremien gibt es aber, zum Beispiel in Form des Bildungsausschusses, und wir sollten uns das nicht aus der Hand nehmen lassen. Deshalb sehe ich auch nicht ein, warum wir diese Aufgabe delegieren sollten. Wir arbeiten ja bereits daran. Wenn ich allein an die 37 Fragen denke, die heute aus dem Ausschuss an das Ministerium gegangen sind, so sieht man, dass die Arbeit in vollem Gange ist.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Muhß. - Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Hoffmann hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die öffentlich gewordenen Vorwürfe gegen Einrichtungen der Haasenburg GmbH haben uns alle erschüttert. Das haben Sie bereits gemerkt. Wir haben uns damit auch zu Recht bereits mehrfach im Bildungsausschuss beschäftigt, unter anderem in einer eigens dazu einberufenen Sondersitzung am 4. Juli 2013. Dort wurde uns durch die Ministerin die Untersuchungskommission mit ihren Mitgliedern und ihrem Arbeitsauftrag vorgestellt.
Diese Kommission hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt, welcher ein deutliches und erschütterndes Bild vom Versagen gezeichnet hat. Und ich muss ehrlich sagen - das kann ich an dieser Stelle durchaus einräumen -, dass sich auch für mich das Bild in der Bewertung der Vorfälle um die Haasenburg nach dem Lesen des Berichtes deutlich verändert hat.
Zunächst möchte ich an dieser Stelle positiv erwähnen, dass die Kommission in diesem Bericht nicht davor zurückschreckt, Missstände, Probleme und Versäumnisse klar beim Namen zu nennen. Es ist sicher nicht selbstverständlich, dass, wenn eine solche Kommission vom Ministerium eingesetzt wird, sie auch die dortigen Missstände benennt. Dafür möchte ich im Namen meiner Fraktion der Kommission Respekt zollen und meinen Dank aussprechen.
Weniger positiv fand ich an dieser Stelle allerdings das Gebaren der Ministerin, als es um die Frage der Übermittlung des Berichtes ging. Liebe Frau Muhß, wenn Sie sagen, wir seien das richtige Gremium dafür, und wenn hier immer Vertrauen
angemahnt wird, dann, glaube ich, ist das ein exemplarisches Beispiel dafür, warum das mit dem Vertrauen manchmal ein wenig hakt. Man muss sich nämlich vorstellen: Wir haben im Ausschuss eine freiwillige Frist, dass man sagt: 48 Stunden vor der Sitzung sollten normalerweise die Berichte vorliegen, damit man sich ein bisschen vorbereiten kann. Normalerweise ist so ein Bericht eine halbe DIN-A4-Seite lang, bis vielleicht 4 oder 5, manchmal auch 8 Seiten.
In diesem Fall umfasst der Untersuchungsbericht mehr als 120 Seiten, und das bei einem sehr, sehr sensiblen Thema. Damit wir uns vernünftig vorbereiten können, hat der Vorsitzende des Ausschusses dem Ministerium einen Brief geschickt mit einer sehr nachvollziehbaren Bitte, wie ich finde: von dieser üblichen 48-Stunden-Frist abzuweichen und den Abgeordneten den Bericht schon 72 Stunden vor Beginn der Sitzung zukommen zu lassen.
Auf diese Bitte hat das Ministerium überhaupt nicht reagiert. Es gab nicht einmal eine Antwort. Es gab gar keine Reaktion. Im Gegenteil: Selbst die übliche Frist wurde noch deutlich überschritten und wir haben den Bericht erst spätabends erhalten. Ich glaube, das ist dem Umfang und dem Ausmaß der Angelegenheit nicht angemessen. Das ist an sich schon fragwürdig. Aber noch peinlicher ist aus meiner Sicht, dass man bereits 3 Stunden, bevor wir als Abgeordnete den Bericht hatten, Meldungen im Internet lesen konnte, in denen die Presse aus dem Bericht zitierte. Dazu sage ich ganz ehrlich: Das, meine Damen und Herren, ist eine Missachtung der Abgeordneten sondergleichen.
Das ist eine Unverschämtheit! Und wenn Frau Münch sagt, sie habe diesen Bericht nirgendwo schriftlich vorgelegt - im Kabinett oder so -, dann kann das nur heißen, das er aus dem Ministerium kommt. Wenn es so ist, dass die Abgeordneten den Bericht nicht bekommen - aus Angst, sie könnten ihn weitergeben -, aber die Presse lange vorher daraus zitiert, dann heißt das einfach mal: Sie haben Ihr Haus nicht im Griff, Frau Ministerin, und das ist ein Problem.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man den Bericht liest. Hier wird nämlich sehr plastisch vor Augen geführt, welch ein Verantwortungs-Wirrwarr dazu geführt hat, dass es diese breite mediale Debatte brauchte, um diese Vorwürfe ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. So wird zum Beispiel in dem Bericht deutlich angesprochen, dass die Kommunikation zwischen Landesjugendamt und Ministerium fragwürdig sei.
Bei der Befragung von Mitarbeitern aus dem Ministerium verweisen diese dann darauf, dass das Landesjugendamt eine eigenständige Behörde sei und man deshalb im MBJS nicht regelmäßig Rechenschaft verlangt habe. Es gab also keine Berichte an die Fachaufsicht, es gab keine Jahresberichte. Das alles steht so in diesem Bericht, klar und deutlich. Es steht sogar so deutlich darin, dass sich der zuständige Abteilungsleiter in der Ausschusssitzung genötigt sah, zuzugeben, dass man erst mal überlegt hat, ob man nicht vielleicht diesen Absatz „redaktionell“ überarbeitet, weil es in Wahrheit alles gar nicht so schlimm sei.
Wenn es in Wahrheit nicht so schlimm ist, wenn die Kommunikation also prima funktioniert, dann frage ich: Wie kann es dann sein, dass das Ministerium keine Kenntnis von der Zunahme der Beschwerden und Missstände seit 2008 hat, obwohl diese Beschwerden im Landesjugendamt aufgelaufen sind? Wie kann es dann sein, dass das Landesjugendamt sagt, es wusste bis 2009 nichts von den Fixierliegen, wenn Mitarbeiter aus dem Ministerium sagen, sie hätten die Liegen dort 2007 schon stehen sehen? Und wie kann es dann sein, wenn die Kommunikation so gut läuft, dass die Ministerin von alledem nichts gewusst hat? Wie erklären Sie es sich dann, dass im Bericht steht, dass solche Missstände der Behörde immer wieder zur Kenntnis gelangt sind, aber letztlich nichts passiert ist? Das alles erweckt nicht den Eindruck eines gut geführten Hauses, einer gelingenden Heimaufsicht, sondern es sieht nach Zerfallserscheinungen aus, und deshalb brauchen wir eine Fortentwicklung der Heimaufsicht.
Ich will an dieser Stelle noch einmal klarstellen - damit hier kein falscher Zungenschlag entsteht -, dass meine Fraktion nach wie vor der Meinung ist, dass geschlossene Heime in bestimmten Fällen durchaus eine sinnvolle Alternative für einige Jugendliche sein können.
Auch dafür finden sich Beispiele im Bericht. Es gibt auch noch andere geschlossene Einrichtungen, nicht nur die Haasenburg. Aber ich sage auch - und das habe ich schon damals gesagt -: Gerade bei einem so sensiblen Feld, in dem es so viele Spannungen gibt, brauchen wir eine funktionierende und gelingende Heimaufsicht. Und daran habe ich Zweifel. Diese habe ich schon im Juli geäußert.
Drei Mitarbeiter führen die Aufsicht über 400 Einrichtungen im Land. Das muss man sich einmal vorstellen. Da muss man nicht einmal Experte sein, um zu sagen, dass das nicht funktionieren kann.
Sie müssen sich vorstellen: In der Prignitz hat die Polizei von Amts wegen eine Anzeige gegen das Landesjugendamt wegen Vernachlässigung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht erstattet. So weit sind wir gekommen.
Die angespannte Personalsituation, die im Bericht erwähnt wurde, wurde auch gegenüber der Ministerin angezeigt. Das Problem ist hier wie bei den anderen Missständen: Es hat sich nichts verändert, meine Damen und Herren.
Deshalb sage ich ganz klar: Es reicht nicht, dass die Ministerin jetzt den Entzug der Betriebserlaubnis für die Einrichtungen der Haasenburg verkündet. Damit werden zunächst einmal alle Mitarbeiter, die dort arbeiten, unter einen Verdacht gestellt, auch die, die sich möglicherweise nichts haben zuschulden kommen lassen.
Was auch problematisch ist: Es ist noch nicht einmal klar, ob dieser Entzug der Betriebserlaubnis aufgrund der Versäumnisse im Haus - zum Beispiel die Frage der Aktenführung - vor Gerichten überhaupt Bestand hat, meine Damen und Herren. Wenn das zurückgenommen wird, so wie jetzt der Belegungsstopp, dann haben wir uns mit der ganzen Angelegenheit richtig ins Knie geschossen. Deshalb brauchen wir dringend eine objektive und unabhängige Untersuchung, damit wir vernünftige Vorschläge, wie wir die Heimaufsicht in Zukunft gestalten können, unterbreiten können. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Krause hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens seit dem 15. Juni 2013 ist jedem aufmerksamen Brandenburger und jeder Brandenburgerin die Haasenburg GmbH ein Begriff. An jenem Tag berichtete die Berliner Tageszeitung „taz“ unter der Überschrift „Die Firma am Waldrand“ über kritikwürdige und unzulässige Praktiken des pädagogischen Personals gegenüber den zu betreuenden Kindern und Jugendlichen.
Seitdem gab es Dutzende Zeitungsartikel und andere Medienberichte, in denen Kinder über ihre verletzenden Erlebnisse berichtet haben. Rund 70 Verfahren werden bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Cottbus dazu bearbeitet.
Übereinstimmend berichten die jungen Menschen von Erniedrigungen, von Isolation in karg eingerichteten Zimmern, deren Fenster mit Milchglasfolie abgeklebt seien, von Verweigerung des Toilettengangs sowie üblicher Hygienemaßnahmen, von der Missachtung des Postgeheimnisses ebenso wie vom Mithören von Telefonaten; sie beschreiben Erfahrungen körperlicher Gewalt, kritisieren die Missachtung ihres Schamgefühls sowie ihrer Privatsphäre und schildern die Verabreichung von Medikamenten gegen ihren Willen. Von Bestrafung ist die Rede und von Fixierungen.
Viele Schicksale wurden öffentlich dokumentiert. RenzoRafael Martinez berichtet von mehreren Suizidversuchen aufgrund seiner Erfahrungen; Svenja gab an, eine rektale Leibesvisitation sowie Isolierungen erlebt zu haben; Jan sagt, er wurde drei Tage ununterbrochen auf einer Liege fixiert; Julia berichtet, sie habe monatelang ohne Kontakt zu anderen Kindern gelebt, ihr Zimmer war zumindest in den ersten drei Monaten nur mit einer Matratze versehen; Susanne beschreibt Erfahrungen körperlicher Gewalt, monatelange Isolierung, die Verweigerung medizinischer Versorgung und der Missachtung des Schamgefühls beim Toilettengang; Lena wurde zum steten Tragen von Sturzhelm, Knie- und Ellenbogenschonern zu ihrem eigenen Schutz genötigt, dennoch verstirbt sie am 31. Mai 2008 in der Einrichtung nach einem Sturz aus dem Fenster; wenige Wochen zuvor hatte sie Strafanzeige gegen einen der Erzieher wegen sexuellen Missbrauchs erstattet.
Die Vorwürfe reichen Jahre zurück, aber sie beziehen sich eben nicht nur auf die Vergangenheit. So berichtet Hakan, der erst im Juli 2013 aus einer der Einrichtungen entlassen wurde, von einer sechswöchigen Isolierung auf dem Zimmer, dem Verbot, aus dem Fenster zu schauen, der Verweigerung des Toilettengangs, von Provokation durch das Personal und von lediglich fünf Minuten am Tag an der frischen Luft.
Sehr geehrte Damen und Herren, in der Retrospektive ist es gut, den Untersuchungsbericht zu haben. Dennoch empfinde ich es gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Berichts als eine sehr schwierige Situation, dass den Kindern und Jugendlichen, die ihre Beschwerden bereits seit Monaten äußern, nicht ausreichend Glauben geschenkt wurde und sie daher viele weitere Wochen in den Einrichtungen verbleiben mussten.
Hätten Kinder aus vermeintlich normalen Familien nur einen solcher Vorwürfe gegen ihre Eltern erhoben, wären sie von der Polizei oder dem Jugendamt in Obhut genommen worden. Anschließend wäre man den Aussagen nachgegangen und hätte eine Klärung der Situation herbeigeführt. Auf jeden Fall hätte an erster Stelle die Sicherung des vermeintlich gefährdeten Kindeswohls gestanden. Im Fall der Haasenburg-Kinder wurde dies unterlassen.
Die Fachabteilung und die zuständige Ministerin entschieden sich, erst zu prüfen und dann zu handeln. Dies führte zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung, zu einer Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen, die in der Haasenburg GmbH betreut werden. Diese Entscheidung war falsch.
Am 9. Juli 2013 verhängte die Ministerin wegen des Verdachts der seelischen und körperlichen Misshandlung von Kindern und Jugendlichen einen vorläufigen Belegungsstopp sowie Beschäftigungsverbote. Damit schlug sie einen anderen Weg ein, als von unserer Fraktion und von Oppositionsfraktionen gefordert wurde. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Linke plädierten von Anfang an für eine Schließung der Heime und setzten sich für eine alternative Unterbringung der Kinder und Jugendlichen ein. Maßgeblich für unsere Haltung war die Schutzwürdigkeit aller Kinder in den Einrichtungen sowie die Sicherung des Kindeswohls.
In der Beratung des Fachausschusses am 15. August begründete die Ministerin ihre Entscheidung gegen eine komplette Schließung der Heime. Nach ihrer Auffassung beträfen die geäußerten Vorwürfe Situationen, die alle in der Vergangenheit lägen. Entsprechende Auflagen seien erteilt worden. Demnach komme es nicht mehr zu Fixierungen, Videokontrollen, Postöffnungen und Isolierungen. Darüber hinaus lägen ihr keine Hinweise auf eine aktuelle Beeinträchtigung des Kindeswohls vor. Zitat: „… begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Trägers bestünden“ nicht, so Ministerin Münch.
Auch die teilweise Aufhebung des Belegungsstopps zum 1. September und die Erteilung von Auflagen wurden von uns kritisch betrachtet, Auflagen, von denen man hätte annehmen können, dass sie Selbstverständlichkeiten formulierten, und von denen wir heute nach der Entscheidung des Verwaltungs
gerichts Cottbus wissen, dass sie viel zu undifferenziert und missverständlich waren. Für uns ist bis heute nicht nachvollziehbar, warum es trotz unveränderter Situation eine ungleiche Behandlung der Standorte gegeben hat.
Sie beschreibt in ihrem Bericht ein Menschenbild, das nicht von Empathie geprägt war und Kinder sowie Jugendliche als Objekte sieht. Statt auf Willkommenskultur setzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Machtdemonstration und Einschüchterung. Haus- und Schulordnungen seien restriktiv und verletzten die Menschenwürde. Umgesetzt wurden diese Ordnungen von Menschen, die oftmals nicht für die pädagogische Arbeit mit Kindern qualifiziert waren. Auch gab es insgesamt zu wenig Personal.