Protocol of the Session on March 21, 2013

(Vereinzelt Beifall B90/GRÜNE)

Wir haben das Pilotprojekt Inklusion mit der Zusage gestartet, dass das, was jetzt bei den „Piloten“ ausprobiert wird, ab 2015 an allen Schulen umgesetzt wird, dass die Kinder, die von den Pilot-Grundschulen auf weiterführende Schulen wechseln, das Recht haben, auch dort weiter inklusiv unterrichtet zu werden. Wir sind all den Beteiligten - den Lehrkräften, den Schulleitungen, den Eltern und vor allem den Kindern - Verfahrenssicherheit schuldig.

Darum legen wir diesen Antrag vor, der sich nicht nur am Gutachten von Prof. Preuss-Lausitz orientiert, sondern - das werden alle Eingeweihten gemerkt haben - auch an den Planungen des Ministeriums von vor gerade einmal gut drei Monaten. Wir brauchen diese Verankerung im Schulgesetz, und wir brauchen auf Landesebene auch einen Aktionsplan, der vom MBJS gemeinsam mit dem MASGF sowie dem Städte- und Gemeindebund erarbeitet werden muss und der zeitliche und inhaltliche Schritte der jeweiligen Akteure definiert und quantifiziert.

Warum verlegen wir uns aufs Abwarten? Was wird damit besser? Anders als beim Thema Lausitz-Hochschulen gibt es hier eine breite Debatte. Es gibt runde Tische, und es gibt immer mehr Zustimmung zum gemeinsamen Unterricht. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Zu gut ist den Menschen die Fülle der hervorragenden Pilotprojekte aus den letzten Jahren in Erinnerung, die mit Elan begonnen wurden und auf die sie sich eingelassen haben - Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Schülerinnen und Schüler, Schulleitungen - und die die jeweils zuständigen Bildungsminister - alle von der SPD - dann peu à peu am langen Arm verhungern lassen haben.

Frau von Halem, möchten Sie eine Zwischenfrage beantworten?

Ja.

Bitte, Frau Blechinger.

Frau von Halem, ich habe zwei Fragen. Erstens: Halten Sie das Wort „Aussonderung“ im Zusammenhang mit Kindern für

angemessen? Zweitens: Sind Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus Ihrer Sicht behindert oder sind sie es nicht?

Frau Blechinger, was hat das mit dem zu tun, wovon ich gerade rede? Ich weiß zwar, dass Sie fragen können, was Sie wollen, aber das Wort Aussonderung …

(Frau Blechinger [CDU]: Das kommt in Ihrem Antrag vor!)

- Ja, das ist auch tatsächlich das, was wir im Moment machen.

Zur Frage der Behinderung: Ich weiß, dass dieser Begriff sehr stark negativ konnotiert wird, aber im juristischen Kontext wird er so verwendet. Insofern finde ich nicht, dass Sie mir daraus einen Vorwurf machen können, dass wir diesen Begriff im Antrag verwenden.

Die Redezeit läuft die ganze Zeit; das finde ich nicht angemessen.

Die läuft nicht.

Gut, dann leuchtet hier nur das grüne Licht.

(Zuruf)

- Genau.

Zurück zu meiner Rede: Es geht also um die vielen Pilotprojekte, die angefangen worden sind und die dann ausgetrocknet wurden. Die Fassaden wurden weiterhin erhalten, aber die Ausstattung, die dahintersteht, verkümmerte. Genau das haben die Menschen auch bei der Inklusion von Anfang an befürchtet. Wenn das Projekt Inklusion jetzt tatsächlich verschoben wird und es erst zum Ende dieser Legislaturperiode diese Schulgesetznovelle geben wird, dann heißt das, dass wir das Projekt auf das Schlachtfeld des Landtagswahlkampfs tragen. Das impliziert genau diese Botschaft. Es ist doch Illusion zu glauben, wenn das Gesetz gut genug vorbereitet sei, dann werde es mit der nächsten Landesregierung auch umgesetzt, egal, ob diese Landesregierung rot-rot oder rot-schwarz ist.

Der gemeinsame Unterricht aller Kinder trifft auf sehr große Zustimmung. Widerstände gibt es vor allem wegen der schlechten Ausstattung. Da würde ich gern auf das zurückkommen, was wir heute Mittag im Rahmen der Fragestunde diskutiert haben. Wenn Sie, Frau Ministerin, sagen, es sei unredlich, die Frage nach Unterrichtsausfall mit Zustimmung zur Inklusion zu verbinden - das haben Sie heute als Antwort auf die Frage von Frau Blechinger gesagt -, dann ist zwar durchaus verständlich, warum Sie so argumentieren, aber die Menschen im Land empfinden diesen Zusammenhang subjektiv tatsächlich so. Ich denke, diesen gefühlten Unwillen müssen wir wahrnehmen, akzeptieren und natürlich auch darauf eingehen.

(Vereinzelt Beifall B90/GRÜNE)

Aber wenn wir jetzt abwarten, dann wird dadurch weder die Ausstattung besser, noch wächst durch die sich absehbar unter Rot-Rot nicht weiter verbessernde Ausstattung die Zustimmung zur Inklusion; siehe dazu die Demonstration vor zwei Wochen. Mängel an der Ausstattung sind die einzig plausible Kritik.

Dass immer wieder Teilungs- und Förderstunden dem Vertretungsunterricht zum Opfer fallen, dass Lehrkräfte nicht ausreichend Unterstützung erhalten, das zu ändern, hätte die Landesregierung in der Hand gehabt. Das hat sie nicht getan. Jetzt aber die Schulgesetznovelle auf die lange Bank zu schieben ist nichts anderes als Angst vor der eigenen Courage. Mark Twain sagte dazu: „Sommer ist die Zeit, in der es zu heiß ist, das zu tun, wozu es im Winter zu kalt war.“ Geben Sie den Menschen jetzt die Sicherheit und passen Sie das Schulgesetz an!

(Beifall B90/GRÜNE)

Frau Blechinger hat eine Kurzintervention angemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau von Halem, es ist schon eine Frage, wie ich Kindern begegne, ob ich die unterschiedliche Wahl der Förderung, des Förderortes mit dem Wort „Aussonderung“ bezeichne oder ob ich das nicht tue. Sie wissen, dass es auch in Finnland und anderen Ländern unterschiedliche Orte der Förderung von Kindern gibt.

Zum Zweiten ist es natürlich eine eminent wichtige Frage, ob ich Kinder mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf Lernen als behindert ansehe oder nicht. Denn wenn man sie als behindert ansieht, frage ich: Wieso wirft man den Förderschulen dann vor, dass sie diese Behinderungen nicht heilen können? Dies ist ja bei anderen Behinderten auch nicht möglich. Sind sie aber nicht behindert, weshalb berufen Sie sich dann ständig auf die UN-Behindertenkonvention, wenn es um die Frage des gemeinsamen Unterrichts geht?

Zum Gutachten von Preuss-Lausitz, das Sie immer wieder als Begründung anführen: Ich habe selten so viel Unsinn in einem als wissenschaftlich deklarierten Gutachten gelesen wie in diesem.

(Unmut bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

Ich möchte Ihnen eine Kostprobe davon geben. Herr PreussLausitz geht von etwas aus, das ich anhand von Zahlen darstellen möchte: Wenn ich in einer Förderschulklasse acht Schüler habe, die 24 Wochenstunden haben, entfallen damit auf jeden Schüler rechnerisch drei Stunden Förderung durch den Lehrer. Nach diesem Modell heißt das: Wenn ich diesem Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an die Regelklasse drei Förderstunden zusätzlicher Lehrerstunden mitgebe, erhält der dann die gleiche oder eigentlich sogar noch eine bessere Förderung, weil er ja noch anderen Unterricht hat.

Mit diesem Argument könnte ich in einer Klasse von 20 Schülern mit 20 Wochenstunden den gleichen Lerneffekt erreichen wie in einer Klasse mit 25 Schülern mit 25 Wochenstunden.

Was für ein Blödsinn das ist, weiß jeder, der einmal vor einer Klasse gestanden hat.

(Beifall CDU - Görke [DIE LINKE]: Gegen wen hat sich die Intervention jetzt gerichtet?)

Frau von Halem, Sie dürfen reagieren, wenn Sie möchten.

Ehrlich gesagt ich habe nicht richtig verstanden, warum eigentlich ich angesprochen bin.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich würde trotzdem gerne darauf reagieren. Erstens zum Begriff der Aussonderung: Der ist negativ besetzt und bedeutet, dass Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen - beispielsweise grünen oder blauen Haaren - an unterschiedliche Schulen gehen. Wir kritisieren das, weil unser Ziel ist, alle Kinder - egal, ob grüne oder blaue Haare - in einer Schule gemeinsam zu unterrichten. Und wir möchten diese Schule so gestalten …

(Zuruf der Abgeordneten Blechinger [CDU])

- Jetzt rede ich. - Wir möchten die Schule so gestalten, dass sie den Kindern gerecht werden kann.

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Was die Frage der Behinderungen angeht: Wenn Sie kritisieren, dass ich Kinder mit den Förderbedarfen LES unter die UN-Behindertenrechtskonvention fasse, dann sage ich Ihnen, dass ich das deshalb tue, weil das quasi der Common Sense ist, unter dem wir dieses Thema diskutieren. Ich weiß aber sehr wohl, dass das, was in anderen, auch europäischen und OECD-Ländern unter die UN-Behindertenrechtskonvention fällt, sehr häufig nicht die Kinder impliziert, die die Förderbedarfe LES haben, und zwar schlichtweg deshalb, weil es diese Förderbedarfe in anderen Ländern nicht gibt.

(Zuruf von der SPD: Richtig! - Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Aber bei uns fallen sie in der Diskussion darunter, das ist nun einmal so.

Zweitens, Preuss-Lausitz und Lerneffekte: Ich könnte jetzt durchaus auch schlaue Zitate aus dem Gutachten vorbringen, aber wenn Sie sich auf die Frage fokussieren, was Lerneffekte im Zusammenhang mit Stunden bedeuten - wie viel Stunden wie viel Lerneffekt bringen -, dann halte ich es für eine absolute Illusion, sich einzubilden, dass das eine in direkter Abhängigkeit zum anderen stünde.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Ich glaube, diese Plenardebatten, die wir hier alle Monat für Monat durchleben, sind ein blendender Beweis dafür, weil wir doch alle genau wissen: Wir erinnern uns an das, was amüsant vorgetragen wurde und uns interessiert. Das, was wir hier an

tatsächlicher Sachinformation lernen, hat überhaupt nichts mit dem Stundenumfang zu tun, den wir hier sitzen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Der Abgeordnete Günther setzt für die SPD-Fraktion fort.

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen:

„Inklusion ist ein komplexer Prozess, der gut vorbereitet werden muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir das Projekt auf Kosten der Kinder und Lehrer umsetzen.“