Protocol of the Session on December 17, 2009

Deshalb ist die Frage eines öffentlichen Schienennetzes auch immer eine Frage gesellschaftlicher Teilhabe.

(Beifall GRÜNE/B90)

Vor allem aber sollte ein neuer Verkehrsvertrag als gemeinsamer Landesverkehrsplan Berlin-Brandenburg ausgehandelt werden. Nur so kann der ÖPNV in beiden Bundesländern sinnvoll im Sinne der Pendlerinnen und Pendler aufeinander abgestimmt werden. Die bisherigen Landesregierungen sind diesen Ansprüchen bisher leider nicht gerecht geworden.

Ich möchte abschließend daher noch einmal ausdrücklich die Forderung meiner Fraktion formulieren: Herr Ministerpräsident, erklären Sie ein attraktives Nahverkehrsangebot endlich zur Chefsache! - Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90)

Für die Landesregierung spricht Ministerin Lieske.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Verehrte Gäste! Ich möchte mich insofern für diesen Antrag bedanken, als es an dieser Stelle möglich ist, die Sicht der Landesregierung zum Schienenangebot in Brandenburg darzustellen und die eine oder andere Aussage zum „katastrophalen Ausmaß“ der Situation infrage zu stellen.

Das Land Brandenburg bzw. die Verkehrsregion Berlin-Brandenburg verfügt - Herr Beyer, ich freue mich, dass wir diesbezüglich übereinstimmen - über ein gutes Verkehrsangebot im öffentlichen Personennahverkehr. Dafür sprechen - das haben Sie sehr eindrücklich ausgeführt - die seit Jahren stetig wachsenden Fahrgastzahlen; dies geschieht ja nicht ohne Grundlage. Die in den letzten zwei Jahrzehnten getätigten Investitionen aus EU-, Bundes- und Landesmitteln sind in ein modernes Schienennetz geflossen, das die Bedienung der heutigen Verkehrsbedürfnisse sicherstellt. Die Bahn ist insbesondere für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die als Pendler zwischen Wohn- und Arbeitsstätte unterwegs sind, ein unverzichtbarer Verkehrsträger. Die immer drängender werdenden Anforderungen gerade im Bereich des Klimaschutzes und der Demografie werden den Zuwachs an umweltfreundlichen Verkehrsträgern noch befördern. Die Bahn verbindet die Regionen des Landes miteinander und mit der Metropole Berlin. Die Nachfrage auf Regionalexpresslinien und Regionalbahnlinien zeigt dies nur zu deutlich. Überall dort, wo in die Infrastruktur und in Fahrzeuge investiert wurde, wo gute Reisezeiten und Anschlüsse geschaffen wurden, haben wir zufriedene Fahrgäste in modernen und komfortablen Fahrzeugen.

Die zuweilen geäußerte Kritik bezieht sich meist auf die Forderung, dass Angebote ausgeweitet bzw. mehr Kapazitäten geschaffen werden und dass der Takt verdichtet wird. Ich schließe das derzeitige S-Bahn-Angebot ausdrücklich aus; die Probleme der S-Bahn kamen heute schon zur Sprache.

Auf regional wichtigen Verbindungen im ländlichen Raum wie dem Prignitz-Express werden Fahrgastzahlen verzeichnet, die alle Prognosen weit übertreffen. Auch bei der Ostbahn haben

sich durch ein koordiniertes Engagement der Akteure sichtbare Erfolge eingestellt. Lokale und kommunale Initiativen haben Leuchtpunkte wie den Kaiserbahnhof in Joachimsthal an den Strecken gesetzt. Gerade für den ländlichen Raum ist der Bahnanschluss in der jeweiligen Region ein wesentlicher Standortfaktor.

Das Verantwortungsgefühl der Kommunen für den Bahnhof als ÖPNV-Schnittstelle und Eingangstor ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Die Zeiten aber, in der die meisten Kommunen stolz auf ihren Bahnhof waren, weil er zusammen mit dem Rathaus, der Schule, der Kirche und dem Postamt ein bedeutendes öffentliches Gebäude darstellte, sind vorbei. Auch die Funktion der bedeutenden Stadtplätze wie Marktplatz, Rathausplatz, Bahnhofsvorplatz mit den entsprechenden Ansprüchen an Aufenthaltsqualitäten hat sich verändert. Bahnhofsvorplätze müssen heutzutage vielfältige funktionale Bedürfnisse als intermodulare verkehrliche Schnittstellen befriedigen.

Städtebaulich prägend bleibt oft das überkommene Empfangsgebäude am Bahnhof. Dank moderner Verkehrsorganisation sind in der Regel kurze Anschlusszeiten zwischen den Verkehrsmitteln zu erzielen, sodass der Bedarf an Wartesälen und dergleichen nicht mehr zeitgemäß ist. Der Prozess der Freisetzung und Nachnutzung der Empfangsgebäude läuft daher schon seit längerem. Eine unliebsame Begleiterscheinung sind natürlich marode und leerstehende Bahnhofsgebäude; das steht außer Frage. Da ist jedoch der Eigentümer, also die Deutsche Bahn, oder der Investor des sogenannten Bahnhofspakets in der Pflicht, für entsprechende tragfähige Nachnutzung zu sorgen. Die jeweilige Kommune ist dabei ein wesentlicher Partner. Mit der Bahnhofskonferenz von Anfang 2008 haben wir als Land gemeinsam mit der Bahn die Akteure informiert und zusammengebracht. Wir werden diesen notwendigen Vitalisierungsprozess der Bahnhofsgebäude auch weiterhin begleiten. An dieser Stelle danke ich Frau Kircheis für die beispielhaften Darlegungen.

Mit dem Landesnahverkehrsplan für die Jahre 2008 bis 2012 wurde die Stärkung der Regionalstrecken in den Mittelpunkt gerückt. Wir diskutieren heute bei Weitem nicht mehr über drohende Abbestellung von Strecken, sondern prüfen und bauen dort, wo es volkswirtschaftlich - auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Betrachtung - sinnvoll ist, auch neue Haltepunkte wie in Ahrensfelde „Am Rehhahn“. Wir nutzen die jüngsten Konjunkturprogramme des Bundes intensiv zur Optimierung der Infrastrukturen, beispielsweise für die Verbesserung von über 150 Stationen oder für den Streckenausbau Berlin-Cottbus.

Eine Grundlage dieser Erfolgsgeschichte ist freilich auch die Planungs- und Finanzierungssicherheit, die durch langfristige Verkehrsverträge gegeben wurde. In Umsetzung des gemeinsamen Konzepts „Zielnetz 2000“, der SPNV-Pläne der Länder Berlin und Brandenburg sowie der auf dieser Grundlage geschlossenen Verkehrsverträge konnte das SPNV-Angebot im Regionalverkehr qualitativ stetig verbessert und im Leistungsumfang deutlich gesteigert werden. Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs, also die Wahrnehmung der Aufgabenträgerschaft für den öffentlichen Personennahverkehr durch die Länder, gibt es mittlerweile seit 14 Jahren. Die Aufbauphase in der zweiten Hälfte der 90er Jahre und die Konsolidierungsphase bis zur zweiten Revision des Regionalisierungsgesetzes 2006, verbunden mit empfindlichen Mittelkürzungen des Bundes, gehören der Vergangenheit an.

Mit dem Landesnahverkehrsplan 2008 bis 2012 trat das Land Brandenburg in eine neue Gestaltungsphase des ÖPNV, insbesondere des SPNV, ein. Diese ist geprägt von einer konsequenten maßvollen Fortführung des Wettbewerbs auf der Schiene; ich betone: einer maßvollen Fortführung. Frau Kircheis und Frau Wehlan haben deutlich gemacht, warum.

Bis 2007 konnte rund ein Viertel der brandenburgischen Regionalverkehrsleistungen im Wettbewerbsverfahren vergeben werden. Am Ende der Laufzeit des DB-Vertrags im Jahr 2012 er ist Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde - werden aller Voraussicht nach alle SPNV-Leistungen im Vergabeverfahren neu gebunden sein.

Ein Meilenstein zur Herstellung des Marktes im SPNV wird nach dem im Sommer erfolgten Vergabeverfahren, in dem der Zuschlag für die Lose erteilt worden ist, die Inbetriebnahme des Netzes Stadtbahn sein. Der Schienenpersonennahverkehr wird im Rahmen der Daseinsvorsorge immer einen Bedarf an öffentlichen Zuschüssen haben. Das sollte im Hohen Hause unbestritten sein. Der 2002 im Rahmen der Revision des Regionalisierungsgesetzes ermittelte und von der DB AG nachgewiesene Zuschussbedarf wurde damals entsprechend den Forderungen der Länder durch einen Wirtschaftsprüfer einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Das Plausibilitätsgutachten wurde von allen Beteiligten - auch vom Bund - anerkannt. Die Ansätze des Gutachtens wurden bundesweit in Verkehrsverträgen zugrunde gelegt; das möchte ich in Erinnerung rufen. Der große Verkehrsvertrag von 2002 mit der DB AG ist vergaberechtlich wie verfassungsgerichtlich überprüft und bestätigt worden. Er ist auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz rechtmäßig zustande gekommen. An dieser Stelle wünsche ich mir ein wenig mehr Erinnerungsvermögen bei den Kollegen der CDU-Fraktion.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Die Rahmenbedingungen des Vertragsabschlusses sind im Landtag zwar nicht zur Beschlussfassung vorgelegt, aber doch intensiv erörtert worden. Das ist nachzulesen im Protokoll über die 64. Landtagssitzung am 10. Oktober 2002, und zwar unter Tagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde. Über das Intranet hat jeder die Möglichkeit nachzulesen.

Die finanziellen Konditionen des Vertrags werden seit 2003 von der EU-Kommission unter verschiedenen Aktenzeichen geprüft. In dem seit 2007 laufenden, von der Generaldirektion Energie und Verkehr geführten Beihilfeprüfverfahren steht die Frage im Mittelpunkt, ob der DB Regio nicht notifizierungspflichtige Ausgleichszahlungen nach der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69, also unerlaubte Beihilfen, gewährt werden. Materiell steht die Frage nach einer Überkompensation im Vordergrund. An der Stelle möchte ich nicht die definitiven Aussagen, die heute schon zu vernehmen waren, bestätigen, sondern sagen, dass der Ausgang des Verfahrens offen ist. Hierzu finden zurzeit Gespräche zwischen den Parteien unter der Leitung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung als Verfahrensbeteiligtem statt. Sollten sich die Parteien mit der Kommission nicht einvernehmlich über das weitere Vorgehen einigen - was wir natürlich nicht hoffen -, erfolgt voraussichtlich zeitnah eine Entscheidung der Kommission. Sie wird dann die angemessene Höhe der Zuschüsse beurteilen. Vom Rednerpult aus war heute schon zu hören, dass die Höhe der Zuschüsse dann sicherlich bestritten würde. Wann dieses Verfahren ab

geschlossen sein wird, ist zeitlich nicht eingegrenzt. Ich will nicht sagen: Es steht in den Sternen.

Eventuell rückerstattete Mittel, die uns dann zur Verfügung stünden - das sage ich definitiv -, wären in jedem Fall zweckgebunden und würden der ÖPNV-Systematik zugeführt. Wenn dieser Fall eintreten sollte, sind alle herzlich eingeladen, sich im Ausschuss an der Diskussion, wie diese Mittel zu verwenden sind, zu beteiligen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält noch einmal die SPD-Fraktion, für die die Abgeordnete Kircheis spricht. - Sie verzichtet. Dann erhält noch einmal die Linksfraktion das Wort, für die die Abgeordnete Wehlan spricht.

Herr Kollege Genilke, ich habe gesehen, dass Sie Ihre Interventionskarte gleich gezückt haben, als ich Sie an die Abbestellung des Regionalexpresses 3 in Ihrem Wahlkreis erinnerte und hier auch ein Stück weit auf die Verbindung hinwies, dass das natürlich auch ein Ergebnis der Kürzung von Regionalisierungsmitteln im Bund war. Deswegen wollte ich es an dieser Stelle noch einmal mit zwei Sätzen erklären, denn: Sie haben leider nach mir die Chance, etwas dazu zu sagen, und ich kann dann nicht mehr reagieren. Insofern nutze ich die Chance jetzt.

Wir hatten im Oktober 2006 den Antrag gestellt, eine Bundesratsinitiative zu initiieren, nämlich, dass der Landtag die Landesregierung auffordert, sich stark zu machen, dass es keine Kürzung der Regionalisierungsmittel durch den Bund gibt. Dieser Antrag hat nicht die Chance erhalten, wenigstens im Ausschuss diskutiert zu werden, weil die CDU sozusagen einen Komplettbeschluss hat, Anträge der damaligen PDS und der heutigen Fraktion DIE LINKE nicht einmal fachlich im Ausschuss zu diskutieren. Deswegen ist mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel im Dezember 2006 die Abbestellung des Regionalexpresses erfolgt. Diesen sachlichen Zusammenhang konnte ich leider nicht in der gebotenen Breite ausführen. Insofern bin ich gespannt, wie Ihr Zücken der Interventionskarte zu verstehen ist.

Zweitens: Sie haben Ihre Ausführungen umfassend der Problematik Verkehrsminister Meyer und Bahn-Beratervertrag gewidmet. Diesbezüglich möchte ich wenigstens anmerken, dass man auch vor der eigenen Tür ein wenig kehren sollte.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt ja Möglichkeiten, Schamgrenzen für Minister oder Staatssekretäre im Amt einzuführen, die im Nachgang Beraterverträge - Lobbyverträge - abschließen. Das empfinde ich auch auf der Bundesebene als ziemlich schmerzlich. Da stehen Sie in konkreter Verantwortung. Also tun Sie etwas! Das kann man tun, und dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der Rednerliste der Aktuellen Stunde angelangt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 1 und begrüße unseren neuen Gäste, Schülerinnen und Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums aus Fürstenwalde. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg und einen spannenden Vormittag!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

Drucksache 5/174 Drucksache 5/107

Wir beginnen mit der Dringlichen Anfrage 5 (Der Fall Stobra- wa - Transparenz, Verantwortung und Konsequenz?), die der Abgeordnete Prof. Dr. Schierack stellen wird.

Der Ministerpräsident hat im Zusammenhang mit den Stasiverquickungen in der Fraktion DIE LINKE betont, dass eine offene, konsequente und ehrliche Aufarbeitung der Maßstab für die Koalition sei. In einem Interview mit den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ vom 11. Dezember äußerte sich der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck, zwar zu zwei Fällen, nicht aber zum Fall IM „Marisa“ der Abgeordneten Stobrawa.

Auf dem Parteitag der Linken am 12. Dezember 2009 in Potsdam wurde laut Presseberichten die Zukunft von Frau Stobrawa ebenfalls nicht thematisiert. Demgegenüber berichtete der rbb am 14. Dezember 2009 über einen Koalitionsausschuss, der sich auch mit der Stasiproblematik befasst haben soll. Bis heute hat sich die Regierungskoalition nicht klar zum Fall Stobrawa geäußert, obwohl in dessen Folge eine Neuwahl für die Position der Landtagsvizepräsidentin erforderlich wurde.

Ich frage die Landesregierung: Wie bewertet der Ministerpräsident den Fall Stobrawa und die Konsequenzen aus der heutigen Sicht?

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prof. Schierack, ja, der Koalitionsausschuss hat getagt, und er tagt regelmäßig. Weil ja dieses und jenes zu lesen war: Er hat immer ohne Journalisten getagt. Er wird auch künftig ohne Journalisten tagen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Damit muss der Rest der Welt auch leben.

Zweitens: Herr Prof. Schierack, die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative ist ein konstituierendes Element unserer parlamentarischen Demokratie. Deshalb wird das Verfassungsorgan Landesregierung gut beraten sein, sich nicht zu dem zu äußern, was das Verfassungsorgan Landtag vielleicht denkt, tut oder - wie auch immer - der Meinung ist, Konsequenzen ziehen zu müssen. Es ist nicht Sache der Landesregierung, hier eine Bewertung vorzunehmen.

Drittens: Die designierte Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe hat gestern und vorgestern in mehreren Interviews gesagt, dass wir alle gut beraten seien, wenn wir endlich dazu kämen, eine differenzierte, tiefgründige Bewertung von Lebensläufen und Handlungen vorzunehmen.

(Homeyer [CDU]: Das machen wir!)

Wenn ich das recht verstehe, wird der Landtag - das wollte er ja schon heute bzw. gestern beschließen, Sie haben dadurch, dass Sie andere Anträge gestellt haben, diesen Vorgang verzögert eine Kommission einsetzen, die sich dann genau mit solchen Vorgängen tiefgründig und so, wie es Frau Poppe vorgeschlagen hat, differenziert befasst und dann entsprechende Maßnahmen empfiehlt. Dem habe ich einfach nichts hinzuzufügen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Nachfragen.