Protocol of the Session on January 23, 2013

Die erwähnten Regelungen im Abgeordnetengesetz machen die Entscheidung des Landtages nicht nur transparent, sondern auch nachvollziehbar; denn so kommen die Zahlen, die im Gesetzentwurf stehen, zustande. Der Präsident hat sie genannt.

Erlauben Sie mir noch eine letzte Anmerkung: Die Linksfraktion als ganze und auch einzelne Mitglieder haben in den vergangenen mehr als 20 Jahren regelmäßig einen Teil ihrer Entschädigung insbesondere für soziale Belange gespendet. Ich weiß, dass dies auch Abgeordnete anderer Fraktionen tun. Die Details für das Jahr 2012 sind auf unserer Internetseite nachlesbar.

Von der Diätenerhöhung im Jahr 2012 haben die Mitglieder unserer Fraktion pro Abgeordnetem 250 Euro für ein Ferienobjekt für behinderte und nicht behinderte Kinder gespendet. Diese Zuwendung für soziale Zwecke werden wir künftig weiter praktizieren.

(Frau Alter [SPD]: Das haben wir alle getan!)

- Das habe ich auch gesagt.

Namens der Koalitionsfraktionen stimmen wir diesem Gesetz zu.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Vielen Dank. - Damit ist die Rednerliste erschöpft und wir kommen zur Abstimmung über das Vierzehnte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes in der Drucksache 5/6671. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen und Gegenstimmen ist das Gesetz in 1. Lesung beschlossen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Gesetz über den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Land Brandenburg (Bran- denburgisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz - BbgSVVollzG)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 5/6599

1. Lesung

Die Landesregierung eröffnet die Debatte. Es spricht Justizminister Dr. Schöneburg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs zum Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet sich das Land Brandenburg bzw. die Landesregierung im Einklang mit den Landeskabinetten der restlichen Bundesländer. Diese haben zum Teil vor wenigen Tagen und Wochen die entsprechenden Gesetzentwürfe verabschiedet bzw. stehen kurz davor.

Das hat auch einen sachlichen Grund. Das Bundesverfassungsgericht hat am 4. Mai 2011 mit einer aufsehenerregenden Entscheidung einen scharfen Schnitt bezüglich des Rechts der

Sicherungsverwahrung vollzogen und die Länder bzw. den Bund beauftragt, eine verfassungskonforme Neuregelung der Sicherungsverwahrung bis zum 31.05.2013 in Angriff zu nehmen.

Lassen Sie mich einen Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser bedeutenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werfen; denn dies ist in gewisser Weise ein Lehrbeispiel dafür, dass rechtspolitischer Aktionismus und rechtspolitische Fehlentwicklung zu verfassungsrechtlich problematischen und zum Teil verfassungswidrigen Verhältnissen führen.

Anfang der 90er Jahre - insbesondere 1990 - konnte man konstatieren, dass von der Sicherungsverwahrung in Deutschland so gut wie kein Gebrauch mehr gemacht wurde. Bundesweit gab es noch 31 Anordnungen. Dies hatte seinen Grund auch darin - wie es der bekannte Strafrechtslehrer Klaus Lüderssen aus Frankfurt/Main etwas zugespitzt formulierte -, dass diese Maßregel der Besserung und Sicherung durch den Einfluss der NS-Gesetzgebung im Kern bereits vergiftet war; denn die Nationalsozialisten hatten die Sicherungsverwahrung im November 1933 mit ihrer ersten großen Strafrechtskodifikation, dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“, in Deutschland eingeführt.

Mitte der 90er Jahre vollzog sich jedoch ein Paradigmenwechsel bzw. ein Wechsel in der Kriminalpolitik. Es gab mehrere aufsehenerregende Straftaten und Einzelfälle, die zum Teil nicht in Deutschland verübt wurden. Der Fall Dutroux in Belgien soll als Stichwort genügen. Auf diese Einzelfälle reagierte die Kriminalpolitik mit einer Ausweitung der Sicherungsverwahrung. Die reine Sicherheitslage in Deutschland hatte sich aber nicht verändert. Es zogen keine marodierenden Banden durch unser Land, obwohl die Sicherungsverwahrung Anfang der 90er Jahre zögerlich angewandt wurde.

Anhand dieser Einzelfälle versuchte die Politik, Aktionsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zu zeigen. Die Handlungsfähigkeit dokumentierte sich in einer Ausweitung der Sicherungsverwahrung in mehrfacher Hinsicht. Einerseits wurde der Kreis derjenigen, die in Sicherungsverwahrung hätten genommen werden können, um Jugendliche und Heranwachsende erweitert. Andererseits wurden die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesenkt.

Hinzu kommt ein Punkt, bei dem der Staat nicht tätig wurde: Er hat diese Maßregel der Besserung und Sicherung nicht als eine Maßregel der Besserung ausgestaltet, sondern lediglich wie eine unbestimmte Strafe vollzogen.

Die Strafrechtswissenschaft konstatiert, dass ein Flickenteppich entstanden war, in dem sich nicht einmal mehr Fachanwälte zurechtgefunden haben. In dieses deutsche ParagraphenGewirr stieß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 hinein - ich nutze eine Formulierung der „Süddeutschen Zeitung“ vom Dezember 2009 - „wie der Fuchs in den Hühnerstall“. Die deutsche Politik reagierte darauf zunächst mit Verwunderung und Unverständnis.

Ich kann mich noch erinnern, dass Sie, Herr Eichelbaum, formulierten, es sei kein Ruhmesblatt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewesen, diese Entscheidung

getroffen zu haben. Man hat versucht, nach der Reparaturkastenmethode an der Sicherungsverwahrung bzw. an den Symptomen etwas zu verändern, um europarechtlich bzw. menschenrechtskonform zu gestalten.

Die Quittung dafür war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2011. Die Landesregierung Brandenburg hat die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ernst genommen. Zudem debattierten wir diese auch sofort in den ersten Sitzungen des Rechtsausschusses in einer sehr konstruktiven Art und Weise; denn wir sahen, dass das die Aufforderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist, die Balance zwischen einem rechtsstaatlichen Strafrecht und den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung wiederherzustellen. Wir haben den Gerichtshof ernst genommen, weil er uns ins Stammbuch geschrieben hat - nachdem er die Zustände der Sicherungsverwahrten in der Justizvollzugsanstalt in Tegel analysiert hat -: Die Sicherungsverwahrung, die nach der Strafe anschließt - als Maßregel der Besserung und Sicherung -, wird wie eine Strafe vollzogen.

Insofern dachten wir in Brandenburg, wir müssen in unserer Landeskompetenz die Sicherungsverwahrung so gestalten, dass sie wirklich eine Maßregel der Besserung ist. Aus diesem Grund haben wir unter anderem mit Berlin eine Expertengruppe ins Leben gerufen, die uns Vorschläge unterbreiten sollte, wie eine solche Maßregel auszugestalten ist. In dieser Expertengruppe saßen hochrangige Forensiker wie Dr. Böhle und Prof. Kröber.

Im Januar 2011 - fast ein halbes Jahr vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - haben wir diese Vorgaben erhalten und sie der Öffentlichkeit vorgestellt. Drei Punkte möchte ich daraus benennen.

Erstens: Die Meinung der Experten war, man müsse schon eher damit beginnen, diejenigen, die zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurden, im Vollzug zu behandeln, um dieses rechtsstaatlich problematische Sonderopfer „Sicherungsverwahrung“ zu verhindern und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich bereits im Vollzug zu bessern.

Zweitens: Eine weitere entscheidende Erkenntnis war, dass die Sicherungsverwahrten keine homogene Gruppe, sondern eine heterogene Gruppe sind. Deshalb müsse man auf sie zugeschnittene Behandlungsangebote entwickeln.

Das dritte Element war: Man sollte die Sicherungsverwahrung so orientieren, dass sie auf die zukünftige Gewinnung der Freiheit ausgerichtet ist. Man muss versuchen, Sicherungsverwahrte wieder lebenstüchtig zu machen und sie in die Lage zu versetzen, ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Die Vorschläge unserer Expertenkommission sind zum Teil wortwörtlich in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Mai 2011 eingeflossen, dass die Sicherungsverwahrung generell so, wie sie durch die Bundesregierung, durch den Bundestag neugeordnet worden ist, verfassungswidrig sei. Es hat außerdem gesagt, die Sicherungsverwahrung sei als Ultima Ratio auszugestalten - nur für höchst gefährliche Gewaltund Sexualstraftäter -, und uns mit auf den Weg gegeben, im Sinne dessen, was Brandenburg schon konzipiert hat, die Sicherungsverwahrung freiheits- und therapieorientiert auszugestalten.

Ich möchte heute nicht debattieren, ob die Bundesregierung, die ja mittlerweile Bundesgesetze auf den Weg gebracht hat, dem auch gerecht geworden ist. Ich bin froh, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger widerstanden hat, eine nachträgliche Therapieunterbringung einzuführen, was eine verdeckte Wiedereinführung der verfassungswidrigen nachträglichen Sicherungsverwahrung gewesen wäre - im Übrigen mit Unterstützung Brandenburgs.

In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung an Herrn Vogel, der sich gerade so angeregt unterhält: Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass Sie gesagt hätten, wir Brandenburger wären im Bundesrat unsichere Kantonisten. - Bezüglich der Sicherungsverwahrung, bei der wir uns auf die Menschenrechte und die Verfassungsrechte bezogen haben, waren wir keine unsicheren Kantonisten, sondern wir waren sichere Kantonisten und haben auch vom Bundesverfassungsgericht Recht bekommen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die wesentliche Aufgabe dieses Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes ist, die Untergebrachten zu befähigen, keine Straftaten mehr zu begehen, sodass sie vorzeitig auf Bewährung entlassen werden können oder die Maßregel für erledigt erklärt werden kann.

Daneben haben wir natürlich auch die Aufgabe, bei denjenigen, bei denen wir die Gefährlichkeit nicht mindern können, für eine sichere Unterbringung zu sorgen. Die Aufgaben sind Resozialisierung, aber auch sichere Unterbringung, insbesondere aber - verglichen mit dem, was wir bisher in Deutschland gemacht haben - eine Intensivierung der Behandlung. Das bedeutet, eine Balance zwischen Behandlung einerseits und Sicherheit andererseits wiederherzustellen, also die Akzentverschiebung, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert hat, rückgängig zu machen bzw. zu verlagern.

Das wollen wir in diesem Gesetz insbesondere auf zwei Ebenen erreichen: einerseits durch die Therapieorientierung, die uns das Bundesverfassungsgericht vorgibt und die sich beispielsweise darin niederschlägt, dass das Gesetz wissenschaftlich fundierte Diagnoseverfahren und therapeutische Angebote vorsieht, die dann auch evaluiert werden und immer wieder auf ihre Wirksamkeit überprüft werden können; andererseits durch den individuellen Rechtsanspruch des Untergebrachten auf eine auf ihn zugeschnittene individuelle Therapie. Es gehört zur Therapieausgerichtetheit, dass wir einen Wohngruppenvollzug für Sicherungsverwahrte organisieren werden. Dafür müssen sie nicht geeignet sein, sondern er wird für alle organisiert. Außerdem müssen wir Motivationsmaßnahmen vorsehen, die entsprechend positiv oder negativ sanktioniert werden können.

Die Freiheitsorientierung zeigt sich darin, dass die Sicherungsverwahrten beispielsweise zehn Stunden pro Monat Besuch empfangen können. Sie zeigt sich auch darin, dass ein Rechtsanspruch auf Lockerungen formuliert ist. Natürlich müssen die Verwahrten dafür geeignet sein. Außerdem zeigt sie sich darin, dass jeder Sicherungsverwahrte nach diesem Entwurf Anspruch darauf hat, vier Mal im Jahr ausgeführt zu werden. Das ist keine spezielle Regelung Brandenburgs, sondern eine generelle Regelung, die auf der sehr detaillierten Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts basiert.

Natürlich haben Untergebrachte auch die Möglichkeit, in einen offenen Vollzug verlegt zu werden, beispielsweise wenn eine Entlassung vorbereitet wird. Die Sicherungsverwahrten bekommen die gleichen Möglichkeiten wie die Strafgefangenen, die wir schon diskutiert haben: einen entsprechenden Entlassungsplan, einen Übergang bzw. eine Hilfestellung durch ambulante soziale Dienste.

Die Sicherungsverwahrung selbst wird sich von der Unterbringung der Strafgefangenen abheben. Dafür werden größere Räume zur Verfügung gestellt. Es wird eine freie Bewegung im Innenraum zugelassen werden - so lange, wie es sicherheitspolitisch vertretbar ist - und wir werden die Freiheit der Sicherungsverwahrten so maßvoll begrenzen, wie es notwendig ist, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten.

Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen: Ich habe vorhin von einem Lehrstück für eine aktionistische, populistische Kriminalpolitik gesprochen. Man kann es auch andersherum sehen: Die Geschichte der Sicherungsverwahrung der letzten 20 Jahre ist auch ein Lehrstück dafür, dass Menschenund Verfassungsrechte letztlich doch Maßstab der Politik sind und sich durchsetzen. Das ist ein großer Zugewinn und ich freue mich auf die Debatten im Rechtsausschuss und hier im Parlament. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Eichelbaum spricht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Reform der Sicherungsverwahrung geht es um ein breit diskutiertes, sensibles und sicherlich auch schwieriges Thema. Es geht um die Sorgen und Ängste der Menschen, und hier sind auch Opferinteressen berührt, die natürlich auch berücksichtigt werden müssen. Es ist der Bevölkerung nicht einfach zu vermitteln, warum mit einem solchen Gesetzentwurf gerade die Haftbedingungen für Schwerverbrecher verbessert werden sollen.

Für mich bleibt es dabei, Herr Minister Schöneburg: Die hier zugrunde liegende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind für mich schwer nachvollziehbar, denn der Staat hat sowohl nach der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch nach der Brandenburger Landesverfassung und dem Grundgesetz die Pflicht, das Leben und die Gesundheit seiner Bürger vor Übergriffen zu schützen und den Opfern und deren Angehörigen zu helfen.

(Beifall CDU)

Deshalb geht es bei der Sicherungsverwahrung um zentrale gesellschaftspolitische Fragen: Wie wichtig ist uns eigentlich der Opferschutz und wie wichtig sind uns die Interessen der Opfer? Welchen Stellenwert hat die Sicherheit der Bevölkerung? - Dabei ist für die CDU-Fraktion eines ganz klar: Opferschutz geht vor Täterschutz.

(Beifall CDU)

Oberstes Ziel der Sicherungsverwahrung ist und bleibt für uns der bestmögliche Schutz unserer Bevölkerung vor gefährlichen und rückfallgefährdeten Straftätern, und wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass die Landesregierung unserer Forderung nachgekommen ist und zumindest den Schutz der Allgemeinheit als Vollzugsziel in das Gesetz aufgenommen hat.

Unsere ausdrückliche Zustimmung findet auch die vorgesehene Möglichkeit der freiwilligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Diese Regelung entspricht einer Forderung der CDU-Fraktion. Wenn ein entlassener Sicherungsverwahrter sagt, er wolle lieber in der Einrichtung bleiben, weil er selbst merke, dass von ihm eine Gefahr ausgehe, dann dient das auch dem Schutz der Allgemeinheit und findet natürlich unsere Zustimmung.