Protocol of the Session on December 14, 2012

Lassen Sie mich zum Ende kommen! Was wollen wir in Brandenburg? Wollen wir eine Rückfallquote von 90 %, von 50 % wie bundesweit im Durchschnitt - oder von 45 %? Wollen wir Brandenburg um diese 5 % sicherer gestalten und damit lebenswerter machen? Ich sage Ihnen: Ich will die 45 % erzielen. Das Gesetz gibt uns dafür die Handhabe.

Der Resozialisierungsauftrag ist vom Bundesverfassungsgericht schon 1973 als Verfassungsauftrag kreiert worden. Es hat damals im Wesentlichen zwei Gründe angeführt:

Erstens. Um besten Schutz vor Straftaten zu erreichen, bedarf es auch des gebesserten Straftäters. Insofern ist das Gegeneinanderausspielen von Resozialisierung und Sicherheit für mich intellektuelle Quacksalberei.

Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat das Resozialisierungsprinzip aus der Garantie der Menschenwürde abgeleitet. Diesen Grundsatz haben übrigens die Verfassungsväter und Verfassungsmütter auch Artikel 54 der Brandenburger Landesverfassung zugrunde gelegt.

In den 60er-Jahren, schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, hatte Fritz Bauer - Generalstaatsanwalt in Hessen, Sozialdemokrat, Antifaschist - diesen Ansatz formuliert. Ihm haben wir es zu verdanken, dass der große Auschwitz-Prozess geführt werden konnte. Ich erinnere an die Debatte, die wir vor zwei Tagen zum NPD-Verbot geführt haben. Bauer, der in der Verfolgung von Nazis unerbittlich war, hat als Gegenprogramm zu deren Kriminalpolitik, die aus „Schwanz ab!“, „Kopf ab!“ und dem Ausmerzen von „Andersartigen“ bestand, einen humanistischen, die Menschenwürde achtenden und auf Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzug gefordert - eben abgeleitet aus der Garantie der Menschenwürde -, der auch für Straftäter gelten soll, die die Menschenwürde mit Füßen getreten haben. Das ist übrigens auch die Antwort auf diejenigen, die mit T-Shirts herumlaufen, auf denen „Todesstrafe für Kinderschänder!“ und Ähnliches steht. Die entsprechende Partei wollen wir verbieten.

Brandenburg will den Resozialisierungsauftrag verstärken, weil er verfassungsrechtlich geboten und auch vernünftig ist.

Ich freue mich auf die Debatten zu dem Gesetzentwurf.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Der Abgeordnete Eichelbaum spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, ich bin etwas verwundert: Sie tun immer so, als ob es in den Justizvollzugsanstalten Brandenburgs überhaupt keine Resozialisierungsmaßnahmen gebe und dort für Gefangene nichts getan werde.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE: Das hat er nicht gesagt!)

Damit diskreditieren Sie die Arbeit von über 1 000 Justizbeschäftigten, die tagtäglich unter schwierigen Bedingungen einen guten Job machen.

(Beifall CDU)

Wer die Justizvollzugsanstalten in unserem Land schon einmal besichtigt hat, der weiß, dass wir - anders als andere Bundesländer - über neue, moderne Gefängnisse verfügen, in denen bereits heute umfangreiche Qualifizierungs- und Therapiemaßnahmen angeboten werden.

(Frau Stark [SPD]: Aber nur ganz wenige!)

Da wird nicht weggesperrt, da können junge Menschen ihre Schulabschlüsse und ihre Berufsausbildung nachholen. Das ist auch ein Verdienst der Politik von CDU-Justizministern!

(Beifall CDU)

Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es auch Straftäter gibt, die sich einer Therapie schlicht verweigern, die sich mit ihrer Straftat nicht auseinandersetzen oder die nicht therapier

bar sind. Deshalb kann man doch nicht das gesamte Strafvollzugssystem infrage stellen. Sicherlich gibt es Änderungsbedarf - das will ich gar nicht bestreiten -, aber wir benötigen keinen Paradigmenwechsel, Herr Minister, vor allen Dingen nicht bei den Vollzugslockerungen für Schwerverbrecher.

(Beifall CDU)

Herr Minister Schöneburg, Sie erwecken hier den Eindruck, als sei es das Normalste auf der Welt, dass ein Schwerverbrecher, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, bereits nach kurzer Zeit Langzeitausgang erhält.

(Frau Wöllert [DIE LINKE]: Das hat er überhaupt nicht gesagt!)

Wir halten das für unverantwortlich - gegenüber den Opfern, in Bezug auf die Abschreckungswirkung der Freiheitsstrafe und gegenüber dem Rechtsempfinden vieler Brandenburger Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall CDU)

Wir reden hier nicht von harmlosen Tätern, die auf einem offenen Hof behandelt werden können. Wir reden von Straftätern, die schwere Verbrechen begangen haben. Die Bürger können vom Rechtsstaat erwarten, dass diese Schwerverbrecher ihre gerechte Strafe absitzen. Freiheitsstrafe muss auch in Brandenburg Freiheitsstrafe bleiben.

(Beifall CDU)

Deshalb darf es keinen Kuschelvollzug geben. Wir stehen insoweit ganz fest an der Seite der Gewerkschaft der Polizei und der Opfervereinigung „Weißer Ring“.

Eines muss ich Ihnen auch sagen: Ich verstehe die Haltung der SPD-Fraktion nicht mehr. Vor einem halben Jahr haben wir hier im Landtag im Rahmen einer Aktuellen Stunde über den richtigen Umgang mit Schwerverbrechern gesprochen. Die SPD-Fraktion lobte vor allem den Musterentwurf, den zehn Bundesländer zum Strafvollzug erarbeitet hatten und der noch vorsah, dass Straftäter, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind, frühestens nach fünf Jahren Langzeitausgang erhalten können. Kollege Kuhnert sagte damals, die SPD-Fraktion gehe davon aus, dass in der Frage des Langzeitausgangs für Schwerverbrecher die Zahl näher an der 10 als an der 5 liegen werde.

Tatsache ist, dass nach dem vorliegenden Gesetzentwurf Schwerverbrecher die Möglichkeit erhalten, bereits am ersten Hafttag Langzeitausgang zu beantragen - nicht, wie bisher, nach zehn Jahren, nicht nach fünf Jahren, nein, sofort. Diesem Gesetzentwurf haben auch die SPD-Minister im Kabinett zugestimmt.

(Beifall CDU)

Herr Kuhnert, entweder war Ihr Redebeitrag nicht ernst gemeint, oder die SPD ist vor der Linken eingeknickt.

(Widerspruch bei der SPD)

Eine solche - täterfreundliche - Regelung gibt es jedenfalls in keinem anderen Bundesland.

Unabhängig von den Vollzugslockerungen hätte ich mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Entwurf mehr als bisher den Fokus auf den Opferschutz gerichtet hätten. Herr Minister, Sie haben in Ihrem Redebeitrag die Opfer nicht mit einem Wort erwähnt. Ich darf an Folgendes erinnern: Der Europäische Rat und das Europäische Parlament haben im Oktober die Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz der Opfer von Straftaten sowie für die Opferhilfe erlassen. Daran hätten Sie anknüpfen können. Insoweit können Sie übrigens noch einiges vom Berliner Justizsenator Thomas Heilmann lernen.

(Beifall CDU)

Aus unserer Sicht benötigen wir in Brandenburg vor allen Dingen eine Erweiterung der Informationsrechte der Opfer, einen Opferschutzbeauftragten und auch einen jährlichen Opferschutzbericht.

Opferschutz heißt aber auch: Weder durch die Verlegung in den offenen Vollzug noch durch Vollzugslockerungen darf eine Gefährdung der Öffentlichkeit riskiert werden. Es ist ein völlig falsches Signal, die Freiheit des Täters über die Sicherheit der Bürger zu stellen. Deshalb wird es Zeit, dass Opferschutz und Kriminalprävention in Brandenburg endlich Chefsache werden.

(Frau Stark [SPD]: Unerhört!)

Sie haben Recht: Eine erfolgreiche Resozialisierung ist der beste Opferschutz. - Doch die linke Realpolitik in Brandenburg sieht ja wohl anders aus. Sie reduzieren die Lehrerstunden im Jugendstrafvollzug. Sie streichen Stellen für Pädagogen und Psychologen. Sie wollen die Arbeitspflicht für Gefangene abschaffen und in den nächsten Jahren noch einmal 169 Stellen im Strafvollzug abbauen. Wer soll denn bitte Ihre groß angekündigten Resozialisierungsmaßnahmen umsetzen?

(Beifall CDU)

Die Wahrheit ist: Ihr Gesetz ist bereits heute zum Scheitern verurteilt, weil Sie die selbst gestellten hohen Ansprüche schon personell nicht erfüllen können. Deshalb wäre es das Beste, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf zurückzögen.

(Beifall CDU - Frau Stark [SPD]: Nicht ein konstruktiver Vorschlag!)

Der Abgeordnete Kuhnert setzt fort. Er spricht für die SPDFraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zehn Bundesländer haben sich zusammengetan - wir haben es gehört -, um einen Musterentwurf zu erarbeiten. Ich fand es von vornherein gut, dass es immerhin zehn waren, weil ich insgesamt die Kleinstaaterei in Deutschland nicht so positiv finde, auch in diesem Bereich nicht, zumal wir auch mit anderen Ländern kooperieren wollen.

Der Grundgedanke - der Minister hat es schon dargestellt - dieses Musterentwurfs, immerhin von allen ostdeutschen Bundesländern mit ausgearbeitet oder unterzeichnet, ist der, den Straf

gefangenen zu einem straffreien Leben und zur sozialen Reintegration zu befähigen, und - Sie haben es auch gesagt, Herr Eichelbaum - er leistet einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz; es ist natürlich nicht der einzige. Wir haben in den letzten Tagen auch über vieles andere geredet. Es beginnt bei der Bildungs- und Sozialpolitik und geht bis zur Justizpolitik.

Die zehn Länder sind sich also in diesem Anliegen einig. Ich habe das Wochenende genutzt, um einmal nach allen 16 Bundesländern zu googeln. Die sechs Länder, die nicht zu dieser Gruppe gehören, haben auf ihren Homepages dasselbe Ziel beschrieben: mehr Behandlungsvollzug, weniger Verwahrvollzug. Darin sind wir uns alle einig, da sind wir in einer guten Debatte und müssen nicht gleich alle Gesetze zurücknehmen.

Die Umsetzung ist aber in den Ländern verschieden, da haben Sie Recht. Ich habe bisher nur einen dem Musterentwurf entsprechenden Gesetzentwurf gefunden, den von MecklenburgVorpommern; die anderen haben aber über Kleine Anfragen und Interviews schon die Tendenz angegeben, in die sie gehen werden; sie wird sich von unserer unterscheiden. Hier ist der erste Punkt, über den wir diskutieren müssen. Für mich ist klar: Die Justizministerin von Sachsen-Anhalt, einem Land, mit dem wir kooperieren, wird die erste Gesprächspartnerin unserer Fraktion darüber sein, warum dieses Land einen anderen Weg geht, natürlich nur an manchen Punkten. Ich meine, wir sollten uns gegenseitig dazu einladen und auffordern, diesen Diskussionsweg zu gehen und nicht gleich über „Alles oder nichts“ zu sprechen.

Der Regierungsentwurf von Brandenburg, der uns jetzt vorliegt, ist nahe an dem Musterentwurf. Die Debatte mit unseren fünf ostdeutschen Nachbarn - das liegt nahe, weil wir mit ihnen kooperieren und grenzüberschreitende Zusammenhänge haben - ist vor allem interessant für mich. Vielleicht haben Sie es auch ergoogelt. Die Ministerpräsidentin von NRW, Frau Kraft, hat extra einen Justizvollzugsbeauftragten berufen, der hochinteressante Themen formuliert, die Ihnen und auch mir sehr nahe kommen, zum Beispiel: Wie bindet man Opferbeauftragte in die Art des Behandlungsvollzugs ein? Das ist natürlich eine hochspannende, auch hochriskante, aber, wie ich meine, auch ganz wichtige Aufgabe, die genau in dem Sinne ist, der uns allen am Herzen liegt: dass natürlich Strafvollzug nicht gegen die Interessen der Opfer sein kann.

Übrigens ermöglicht der Gesetzestext, der uns vorliegt, auch so etwas, wie es sich Nordrhein-Westfalen vorstellt: Familienkonferenzen oder auch Wiedergutmachungsmöglichkeiten symbolischer Art, dass Täter durch Arbeit Geld ansparen und einen symbolischen Betrag an die Opfer zahlen. Solche Sachen in den nächsten drei Monaten zu diskutieren, darauf habe ich große Lust und das finde ich auch sehr spannend.

Von den Vorrednern wurden schon die beiden Punkte genannt, die in allen 16 Bundesländern kritisch und kontrovers diskutiert werden. Der eine ist die Arbeitspflicht. Dazu kann ich erzählen: 1990, als wir in Brandenburg begannen, war es genau umgekehrt. Damals brachen die volkseigenen Betriebe zusammen, so das Stahl- und Walzwerk oder das Getriebewerk, die Arbeitsmöglichkeiten im Strafvollzug angeboten hatten. Es war so, dass schätzungsweise 90 % der Gefangenen arbeiten wollten, wir aber gar keine Arbeit hatten. Inzwischen ist vielleicht für 60, 70 oder 80 % der Gefangenen Arbeit vorhanden. Insofern funktioniert die Arbeitspflicht auch gar nicht, weil wir