Protocol of the Session on September 27, 2012

Zu einer der ersten Anhörungen waren Vertreter von Ortsteilen, amtsangehörigen und amtsfreien Gemeinden, Ämtern und Landkreisen als Beteiligte bereits durchgeführter Kommunalreformen eingeladen. Diese Anhörung hat gezeigt, dass sich die Kommunen mit den Erfordernissen des demografischen Wandels und der zu erwartenden Verknappung der Kommunalfinanzen auseinandersetzen. Übergreifend ist die Bereitschaft und das Interesse für eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit bis hin zu festen Kooperationen geäußert worden, während ein Ruf nach einer erneuten landesweiten Gebietsreform nicht zu vernehmen war. Der Grundsatz, sich in kommunaler Eigenverantwortung den Problemen zu stellen und vor Ort nach Lösungen zu suchen, schließt für uns umgekehrt ein, Vertrauen in die Kraft der kommunalen Selbstverwaltung zu haben. Deshalb sprechen wir uns für einen Reformprozess von unten aus, für eine breite demokratische Beteiligung und ein hohes Maß an Eigenverantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Das Land sollte seine Aufgabe nicht darin sehen, neue kommunale Strukturen vorzugeben, sondern durch entsprechende Rahmenbedingungen den Reformprozess von unten fördern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet sich ab, dass wir uns insbesondere mit den Problemen des berlinfernen Raums beschäftigen müssen. In diesem ohnehin bevölkerungsschwachen Teil des Landes wird der prognostizierte Rückgang der Bevölkerungszahl zu einer erheblichen Verschärfung bei der Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge führen. Überlegungen, die Prozesse der Entvölkerung durch eine Wegzugsprämie zu beschleunigen, sind bekanntlich schnell und mit großer Einigkeit abgelehnt worden. Das bedeutet aber auch, dass wir gemeinsam Wege dafür finden müssen, wie in kleinen Dörfern mit vorwiegend älteren Einwohnern künftig der Zugang zu gleichwertigen Lebensbedingungen gesichert werden soll. Wie weit ist es möglich, im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung mit der gegenwärtig vorhandenen Verwaltungskraft befriedigende Lösungen vor Ort zu finden? Zum Beispiel mit einem Rufbus, mit mobilen Versorgungsangeboten einschließlich Dienstleistungen in der Verwaltung. Was kann dabei in ehrenamtlichem Engagement geleistet werden? Das ist in erster Linie Verantwortung der jeweiligen Kommunalverwaltung, aber es gehört eben auch zur Verantwortung des

Landes, und letztlich ist es Verantwortung des Einzelnen für sich selbst.

Ob es dabei hilfreich wäre, verbindliche Vorgaben für Mindestgrößen von Verwaltungseinheiten festzulegen und diese Mindestgrößen von gegenwärtig 5 000 Einwohnern zu verdoppeln oder sogar noch höher anzusetzen, wage ich zu bezweifeln.

Zweifellos ist es möglich, so zu verfahren und das Land nach dem Gesichtspunkt der Verwaltungsoptimierung aus zentraler Sicht in Verwaltungseinheiten zu untergliedern. Aber mittlerweile gibt es die verschiedensten Erfahrungen mit kommunalen Gebietsreformen nach diesem überkommenen Muster. Wir haben den großen Vorteil und die Chance, aus diesen Erfahrungen anderer Länder zu lernen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke setzt sich - wie andere auch - für eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ein. Wenn man das wirklich ernst meint, verbindet sich damit aber untrennbar die Wahrung des Prinzips der Freiwilligkeit, also ein Reformprozess von unten. Wir stoßen jedoch auch immer wieder auf den Vorbehalt, dass sich die Kommunen nicht ohne Druck - einschließlich Zwang von oben - bewegen würden. Warum soll es nicht möglich sein, den Gegenbeweis anzutreten? Wir wollen die Chance dafür nutzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor diesem Hintergrund stellen wir uns die Frage, ob die vorhandene Kommunalstruktur die notwendige Leistungsfähigkeit aufweist, um kommunale Daseinsvorsorge in ihrer ganzen Breite zu gewährleisten. Wir groß muss eine Verwaltung sein, um eine qualifizierte Arbeit für die Bürger zu leisten? Natürlich ist es so, dass große Verwaltungen - wie zum Beispiel die in den kreisfreien Städten eine entsprechende Arbeitsteilung und Spezialisierung entwickeln können, wie es in einer kleinen Gemeinde mit 5 000 Einwohnern kaum möglich ist.

Folgte man diesem Ansatz, würde man feststellen: Eine Verwaltung kann nicht groß genug sein. - Wir alle wissen aber, dass das nicht mit dem Grundgedanken der kommunalen Selbstverwaltung, der Sicherung der lokalen Identität und des bürgerschaftlichen Engagement vereinbar ist. Verwaltungseffizienz ist wichtig, aber eben nicht alles. Fakt ist auch, dass solche Veränderungen in der Kommunalstruktur in der Regel nicht umkehrbar sind. Wenn eine gewachsene Gemeindestruktur aufgehoben wird, gibt es kein Zurück.

Deshalb ist es wichtig, nicht technisch-bürokratisch eine Schablone über das Land zu legen, wie das jetzt erneut mit einem Vorschlag versucht worden ist, sondern an die vorhandenen Strukturen anzuknüpfen. So zeichnet sich ab, dass die Ämter entgegen früherer Überlegungen erhalten bleiben und weiter entwickelt werden sollen. Unter einem solchen Dach ist offensichtlich noch ein großes Entwicklungspotenzial vorstellbar.

Wir sind offen dafür, in Brandenburg die neue Form der Verbandsgemeinde einzuführen, was übrigens schon 1999 von der Enquetekommission des Landtages mit dem Modell der brandenburgischen Amtsgemeinde empfohlen wurde.

Meine Damen und Herren, damit verbindet sich die alte Forderung nach einer konsequenten Funktionalreform. Der Zusammenhang zwischen Funktionalreform und Gebietsreform ist in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt

intensiv diskutiert worden, allerdings mit unbefriedigenden Ergebnissen. Die Gebietsstrukturen sind verändert worden, während die Aufgabenübertragung nur in geringem Umfang erfolgt ist. Dieses Thema wird sicher in den Empfehlungen der Enquetekommission eine große Rolle spielen.

Wir werden auf der bevorstehenden Klausur über Inhalt und Umfang von Aufgaben der Landesverwaltung reden, die als kommunalisierbar eingestuft werden können. Dabei muss allerdings gesichert sein, dass eine solche Übertragung sinnvoll ist. Es macht wenig Sinn, wenn der finanzielle Aufwand dadurch erheblich größer wird oder wenn die Aufgabe keinen Gestaltungsspielraum bietet. Es muss zudem genau bedacht werden, ob die Aussicht auf die Wahrnehmung zusätzlicher Aufgaben eine Vergrößerung der Kommunalstrukturen rechtfertigt das muss abgewogen werden. Auch das spricht für ein freiwilliges Abwägen und Entscheiden vor Ort.

In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Frage, welches Potenzial durch eine intensive interkommunale Kooperation erschlossen werden kann und wo eine durch Zusammenschluss vergrößerte Gemeinde Voraussetzung für eine Aufgabenübertragung ist.

Wir haben also genügend Gesprächsstoff für die zweite Halbzeit. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Empfehlungen an den Landtag - wie bisher - in einem breiten Konsens zu erarbeiten. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scharfenberg. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Goetz hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Anfang des Jahres 2011 traf sich hier im Landtag eine kleine konspirative Gruppe - das waren der Kollege Petke, die Kollegin Nonnemacher, das war ich, und das waren die Mitarbeiter der jeweiligen Fraktion, die für Innenpolitik zuständig waren.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Gab‘s Tee?)

Hintergrund war, dass wir uns Gedanken über die Zukunft des Landes Brandenburg machen wollten, die für die nächsten Jahrzehnte zu gestalten war - gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einer sich absehbar verschlechternden Finanzsituation bei uns hier im Lande.

Wir wollten ausdrücklich nicht, dass Gebietsreformen und Strukturveränderungen in dieser Weise diskutiert werden, weil uns klar war, dass jede Gebietsreform - jede neue Landkarte, wie Kollege Petke es ausdrückte - die inhaltlich notwendige Diskussion darüber, wie Aufgaben neu strukturiert werden sollten, überlagern würde. Deswegen ist es auch nicht hilfreich, wenn auf diese Weise von anderen - woher auch immer, Kollege Schippel - entsprechendes Störfeuer kommt.

Wir in unserer Dreierrunde haben die Aufgabe bewusst neutral formuliert, um auch der Regierungskoalition ideologiefrei und

themenbezogen die Gelegenheit zur Mitarbeit zu bieten. Davon hat die Regierungskoalition auch Gebrauch gemacht. Herzlichen Dank an Sie, Kollege Schippel, herzlichen Dank, Kollege Scharfenberg, für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Enquetekommission, die zu dem gemeinsamen Einsetzungsbeschluss aller Fraktionen führte.

Bei Konflikten überwog stets der Wille zur Gemeinsamkeit. Auch wir, Kollege Scharfenberg, waren uns einig, dass die kommunalen Spitzenverbände ihren Sitz in der Enquetekommission haben sollten. Leider war die Linke nicht bereit, dafür einen Sitz zu opfern. So kommt es, dass der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds - Herr Baaskes Schwiegervater - heute als FDP-Experte in dieser Enquetekommission sitzt.

(Heiterkeit bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Das Erstaunliche ist, meine Damen und Herren: Es funktioniert. - Auch das ist für eine Zusammenarbeit möglich - wenn man denn will.

(Bischoff [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass er verheiratet ist! - Weitere Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

- Es gibt Schwiegerväter ohne Eheschließung, meine Damen und Herren Kollegen.

Wir haben in der Enquetekommission Arbeitsgruppen eingesetzt, die bewusst ohne Denkverbote an das Thema herangehen sollten. Wir sind davon ausgegangen, dass Kommunen eigentlich alles können - in dem Wissen, dass das so nicht stimmt -, und wir sind davon ausgegangen, dass Kommunen auch das dafür notwendige Geld in jedem Falle haben würden - in dem Wissen, dass auch das nicht stimmt -, um zunächst die Aufgabenbestimmung durchführen zu können, weil alles andere zur Folge gehabt hätte, dass wir mit den Denkverboten von vornherein unsere Aufgaben eigentlich nicht hätten erfüllen können.

Natürlich fehlt am Ende Geld - das ist allen klar, dafür sorgen hier in Brandenburg schon unsere Freunde der Luftfahrt. Trotzdem ändert das nichts daran, dass die Themen zunächst kritisch hinterfragt werden müssen und wir jede Aufgabe nach der Notwendigkeit der Wahrnehmung wie auch nach dem Ort, an dem sie wahrgenommen werden soll, hinterfragen müssen.

Es gibt tolle Karten. - Ich muss es noch einmal sagen, Kollege Schippel: Das voriges Wochenende von der SPD aus der Kommunalpolitischen Vereinigung heraus war nicht hilfreich. Wenn da von elf Kreisen und der Abschaffung von kreisfreien Städten die Rede ist, führt das zum Aufschrei und verstellt den Blick auf die eigentlich wichtigen Diskussionen. Wenn dort die Kommunen Teltow, Stahnsdorf, Kleinmachnow schon zusammengelegt worden sind, muss ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Das hat selbst im real existierenden Sozialismus unter der Diktatur des Proletariats nicht funktioniert. Also schauen wir einmal, wie es jetzt hinbekommen werden soll, unsere drei Kommunen zusammenzufassen.

(Holzschuher [SPD]: Ist das jetzt ein Gegenargument?)

Das ist eine ganz schwierige Kiste. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich kenne mich in der Gegend aus. Kollege Konsanke kann Ihnen das bestätigen, er kennt das auch.

Es ist auch keine gute Idee, jetzt von Solidarausgleich zwischen Landkreisen zu reden. Die Bundesrepublik hat einen bestimmten Staatsausgleich, den sollte man verinnerlichen, dann kommt man zu anderen Lösungen als ausgerechnet zu dieser.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Der doch recht bekannte Deutsche Kurt Tucholsky hat sich vor 100 Jahren Gedanken über den Einsetzungsbeschluss unserer Enquetekommission gemacht. Man glaubt es kaum, aber es ist so. Er hat geschrieben:

„Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn aber abends zum Kino hast du‘s nicht weit. Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit“

Er führt dann weiter aus und schließt:

„Aber, wie das so ist hienieden: manchmal scheints so, als sei es beschieden nur pö a pö, das irdische Glück. Immer fehlt dir irgendein Stück. Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; hast du die Frau, dann fehl‘n dir Moneten - hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer: bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher. Etwas ist immer. Tröste dich. Jedes Glück hat einen kleinen Stich. Wir möchten so viel: Haben, Sein und Gelten. Dass einer alles hat: das ist selten.“

Das, meine Damen und Herren, ist das Problem, vor dem wir in unserer Enquetekommission stehen: Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Land, müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass gleichwertige Lebensverhältnisse eben keine gleichen Lebensverhältnisse sind. Sie können sich in Teltow ein Grundstück kaufen - 15 Meter breit, 20 Meter lang, direkt neben dem S-Bahnhof -, oder Sie kaufen sich für das gleiche Geld die halbe Uckermark.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Sie kennen die Schönheit der Uckermark gar nicht, Herr Kollege! - Bischoff [SPD]: Sie haben ja gar keine Ahnung! Gar keine! - Weitere Zu- rufe von der SPD sowie der Fraktion DIE LINKE)

Ich korrigiere mich: Ein Viertel der Uckermark.

Was Sie dabei feststellen: Sie haben in Teltow am S-Bahnhof …

(Bischoff [SPD]: Was hat das mit Tucholsky zu tun?)

- Wir sind bei Tucholsky mit genau diesem Vergleich.

In der Uckermark haben Sie vorn die Ostsee, und in Teltow haben Sie hinten die Friedrichstraße.

(Frau Alter [SPD]: Oh, so was von rückwärts orientiert!)

Sie müssen nur wissen: Sie haben nicht beides!

(Frau Hackenschmidt [SPD]: In Teltow die Friedrichstraße?)

- Ja, hinein in die S-Bahn, und schon sind Sie da, Frau Kollegin.