Protocol of the Session on September 26, 2012

(Beifall der Abgeordneten Lehmann und Melior [SPD] sowie Nonnemacher [GRÜNE/B90])

Die Menschenwürde und das Existenzminimum dürfen eben nicht von der Staatsangehörigkeit abhängig gemacht werden. Da können wir jetzt hoch und runter reden. Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht mehreren Regierungen dieses Landes eine schallende Ohrfeige versetzt. Ich denke, es ist gut, wenn wir uns heute in ziemlich großer Geschlossenheit auf den Weg machen und hier Abhilfe schaffen.

Bis 1993 erhielten Flüchtlinge und Asylbewerber Sozialhilfe. Dann - wir erinnern uns - kam die „Das Boot ist voll“-Diskussion. Die Rede war von Sozialflüchtlingen, von Wirtschaftsflüchtlingen und von Sozialschmarotzern. Die Attraktivität des Sozialsystems sollte abgeschafft werden. Wir erinnern uns an ich nehme nur die Stichworte auf - Rostock oder Hoyerswerda. Wir hatten jetzt gerade überall an diesen Orten Gedenktage dafür. Ich erinnere mich auch an den Überfall mit Molotowcocktails auf das Asylbewerberheim bei uns in Spremberg. Ich weiß auch noch: Wir hatten damals sehr viele Flüchtlinge. Es gab in

vielen Städten, in denen heute schon lange keine Heime mehr und kaum noch Flüchtlinge oder Asylbewerber zu sehen sind, Flüchtlingsheime. Ich kann mich erinnern, wie die Flüchtlinge in Spremberg zunächst versorgt wurden. Da wurden in diesen Heimen Magazine eingerichtet. Wir als „Runder Tisch für Ausländer - gegen Gewalt in Spremberg“ haben uns dagegen ausgesprochen und lange gekämpft, damit dieses Sachleistungsprinzip und dieses Einkaufen oder Zur-Verfügung-stellen von Sachleistungen aus diesen Magazinen abgeschafft wurde. Das war der erste Sieg, den wir erreicht hatten. Es ging dann weiter mit der Gutscheinversorgung in bestimmten Geschäften in der Umgebung. Wie oft mussten sich auch in meiner Stadt Ausländer, Asylbewerber, die mit Gutscheinen eingekauft haben, Pöbeleien von den anderen Leuten, die in der Reihe standen, anhören. Ich stehe zu illegalen Sachen wie Frau Heinrich zu ihrer illegalen Tierbefreiung. Ich gehörte zu denen, die solche Gutscheine abkauften, damit die Asylbewerberinnen und Asylbewerber normal einkaufen konnten. Wir haben diese Gutscheine dann unter uns verteilt, damit man einmal sieht, welche Wirkung das hat und wie erniedrigend es für Menschen ist, wenn sie so eingeschränkt werden.

(Beifall DIE LINKE und der Abgeordneten Nonnemacher [GRÜNE/B90])

Schade - muss ich natürlich auch sagen -, dass wir dieses Gesetz nicht viel eher abgeschafft haben, aber schön, dass wir es heute gemeinsam tun. Das nenne ich einen echten Beitrag der Länder gegen Fremdenfeindlichkeit und Ungerechtigkeit. Ich glaube, das ist ein Beitrag, der sich auch staatlicherseits sehen lassen kann, weil er nicht nur Zivilcourage fordert, sondern selbst andere politische Rahmenbedingungen schafft. Deshalb hoffe ich für uns alle auf einen langen Atem und ein Nichtnachlassen in unserem gemeinsamen Anliegen. Dass wir diese Geduld vielleicht brauchen, lehrt die gescheiterte Abstimmung zum Flughafenasylverfahren im Bundesrat am letzten Freitag. Deshalb wünsche ich uns allen mit diesem Antrag viel Erfolg.

(Beifall DIE LINKE, SPD und der Abgeordneten Nonne- macher [GRÜNE/B90])

Der Abgeordnete Goetz setzt für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Wöllert, wir schaffen hier gar nichts ab.

(Frau Lehmann [SPD]: Richtig!)

Das wird der Bundestag tun, daran habe ich keinen Zweifel. Aber wir sind es eben nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen, als die Bundesrepublik Deutschland noch sehr jung war - da war Brandenburg noch nicht dabei -, waren die Lebensumstände in vielen Bereichen andere als heute, und vieles war auch einfacher. Im Grundgesetz gab es einen Artikel 16a, der lautete:

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“

Mit diesem einen Satz war 1949 das Asylrecht der Bundesrepublik umfassend kodifiziert, es gab keine weiteren Regelun

gen, jeder hat es verstanden, jeder wusste, was gemeint ist. Jeder wusste auch genau, warum diese Regelung, dieser Artikel 16a, ins Grundgesetz hineingekommen war. Der Hintergrund war, dass die Erinnerung an die Nazizeit bis 1945 allen Leuten noch gegenwärtig war. Insofern gab es keine Diskussionen. Selbstverständlich war sich die Bundesrepublik damals mit wesentlich weniger Leistungsfähigkeit als heute völlig im Klaren darüber, wie mit politisch Verfolgten aus anderen Ländern umzugehen sei. So die Situation 1949.

Mit der Zeit ist die persönliche Erinnerung an die Nazizeit verblasst. Das liegt auch daran, dass weniger Menschen, die es persönlich erlebt haben, heute noch leben. In dem Maße, wie diese Erinnerung verblasst ist - habe ich den Eindruck -, ist auch das Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland verblasst. Das ist eine schleichende Entwicklung, die 1993 mit der drastischen Einschränkung des Artikels 16a einen Höhepunkt hatte. Es folgten weitere Absätze, die das Asylrecht der Bundesrepublik Deutschland weitgehend ausgehebelt haben, und das Asylbewerberleistungsgesetz war letztlich nur ein Ausfluss dieser Grundgesetzänderung, die in gleicher Zeit vorgenommen worden ist.

Es ist traurig - auch das muss man sagen -, dass wir des Bundesverfassungsgerichts bedürfen, um auf Artikel 1 des Grundgesetzes verwiesen zu werden, um an unsere Pflichten und daran erinnert zu werden, wie wir mit Menschen umzugehen haben, egal, woher sie kommen, und egal, welche Geschichte und welche persönliche Erfahrung sie jeweils mitgebracht haben.

Trotzdem wünsche ich mir, dass wir stärker vor unserer eigenen Tür kehren, statt immer zu sagen, was andere tun sollen, in dem Fall die Bundesregierung. Es ist nicht so, dass wir im Land keinen Handlungsbedarf hätten. Ich erinnere daran, dass der Innenausschuss kürzlich auf meine Anregung hin die Zentrale Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt besucht hat. Wir haben dort erheblichen Handlungsbedarf festgestellt. Wir sehen, dass jetzt angefangen wird, die Zentrale Ausländerbehörde zu sanieren, dass erste Arbeiten im Begriff sind, vollzogen zu werden. Das ist im Haushalt 2013 auch weiter abgesichert. Das ist auch gut so.

Ich wünsche mir sehr, dass unser Land Einfluss auf einen Landkreis bei uns nimmt, der nach wie vor Gutscheine ausreicht. Ich finde das Verfahren in diesem Landkreis unglaublich

(Beifall DIE LINKE sowie der Abgeordneten Lehmann [SPD] und Nonnemacher [GRÜNE/B90])

und kann nur alles unterstützen, was hier gesagt worden ist. Es kommt hinzu, dass der Verwaltungsaufwand für die Gutscheine erheblich höher ist als für Barleistungen. Da wäre vielleicht sogar der Landesrechnungshof gefordert, sich einmal anzuschauen, wie bei der Verwaltung der Gutscheine mit dem Geld des Landes, das sind Steuergelder, umgegangen wird.

Es ist viel zu tun. Zwingend wäre für mich, dass Asylbewerber die Möglichkeit erhalten, im Grunde, soweit es irgendwie geht, vom ersten Tage an Arbeit aufzunehmen - auch das gehört dazu -, sodass sie eben nicht auf Leistungen angewiesen sind, sondern die Möglichkeit haben, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Das wäre liberale Eigenverantwortung im besten Sinne, wie wir sie uns vorstellen, und auch das würde zur Entlastung von Sozialkassen führen.

Richtig ist aber auch, dass eine Regelung nicht zwingend besser wird, weil sie künftig woanders erfolgt. Also, wenn man sagt: „Wir heben das Asylbewerberleistungsgesetz auf und geben die Regelungen in andere Gesetze hinein“, führt das nicht zwingend zu besseren Regelungen. Klar ist, dass das Bundesverfassungsgericht uns einen klaren Auftrag erteilt hat, nicht uns, sondern natürlich dem Bundestag. Aber dieser klare Auftrag - daran habe ich keine Zweifel - wird auch kurzfristig erfüllt werden.

Richtig ist aber auch, Kollegin Nonnemacher, dass das, was die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein anstreben, zwar bisher in den Zeitungen stand, uns aber nicht wirklich vorliegt. Bei mir ist es so: Ich sehe schon gern, was andere machen, bevor ich meine Zustimmung erteile. Ich mache das nicht blanko vorab. Insofern habe ich auch ein Problem damit, dass wir jetzt sagen: Wir unterstützen einfach so, was in den Zeitungen steht, was von anderen kommt. Aber das Anliegen ist natürlich verständlich, und ich bin überzeugt davon, dass eine Regelung gefunden werden wird.

Ob die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Hineinverlagerung in die Sozialgesetzbücher die einzig mögliche Lösung ist oder ob es nicht vielleicht auch anders geht, das weiß ich nicht. Das werden wir dann sehen. Insofern würde ich dem, was dort kommt, auch nicht vorgreifen wollen.

Herr Goetz, lassen Sie eine Zwischenfrage von Frau Nonnemacher zu?

Selbstverständlich.

Ich halte meine Uhr kurz an, das ist nicht meine Zeit.

Herr Goetz, vielleicht ist dies Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, oder ich frage: Ist Ihnen bekannt, dass heute eine Presseerklärung erschienen ist, dass die entsprechende Bundesratsinitiative gestern in Mainz vom Ministerrat beschlossen worden ist und dass auch das Kabinett in Schleswig-Holstein dies beschlossen hat? Also, es gab heute eine gemeinsame Presseerklärung, dass diese Bundesratsinitiative am Laufen ist.

Sehr geehrte Kollegin Nonnemacher, das ist mir tatsächlich entgangen. Ich habe mich gestern darauf vorbereitet, dies heute hier zu sagen. Ich habe heute früh die Pressemitteilung nicht gesehen. Ich wäre gern bereit gewesen, dies zur Kenntnis zu nehmen.

Wir sind heute in der Situation, dass ich dabei bleibe, dass wir es gern im Ausschuss beraten hätten, möglicherweise sogar mit einer Anhörung Betroffener. Auch das hätte uns vielleicht gutgetan. Diese Möglichkeit ist nicht gegeben, das bedauern wir sehr. Aus diesem Grunde können wir heute dem Antrag, so wie er vorliegt, nicht zustimmen.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass das Bundeskabinett und der Bundestag in seiner Gesamtheit sicherlich eine über

zeugende Lösung finden werden, die dazu führt, dass so, wie es hier gefordert wird, Asylbewerber keine Menschen zweiter Klasse sind, sondern das Grundgesetz für alle Menschen in gleicher Weise gilt und die Würde auch des Asylbewerbers wie die eines jeden anderen Menschen unantastbar bleibt. Das ist gemeinsamer Auftrag, auch wenn wir heute Ihrem Antrag nicht zustimmen können. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Minister Baaske spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann es kurz machen: Herr Goetz, hätten Sie etwas gesagt, ich hätte es Ihnen leichter gemacht. Den Beschluss, der in Rheinland-Pfalz ins Kabinett eingebracht wurde, hätte ich Ihnen geben können. Er beinhaltet im Wesentlichen das, was wir jetzt besprochen haben, und weicht nur in Formulierungen ab.

Frau Nonnemacher und alle, die vor mir gesprochen haben, mit Ausnahme von Frau Schier, haben sehr gut untermauert, worum es hier geht. Frau Schier hat aber deutlich gemacht, was im Bundestag und nachher auch von der CDU vorgetragen werden wird und was wahrscheinlich auch in den anderen Ländern diskutiert wird, nämlich warum das alles nicht geht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Bund sich kaum ordnungspolitisch sträuben wird, dieses Gesetz zu ändern. Dort weiß man ganz genau, dass es sehr schwer sein wird, dieses Gesetz mit dem, was das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, verfassungsgemäß hinzubekommen. Es ist allen klar, dass es wesentlich einfacher wäre, das, was an Leistungen bisher im Asylbewerberleistungsgesetz verankert ist, in das SGB II und das SGB XII zu nehmen und damit eine Regelung zu haben, die vernünftig ist. Das betrifft im Übrigen auch die Gesundheitsvorsorge. Es wird am Ende wesentlich teurer, wenn man nur in einem Notfall zum Arzt gehen, aber nicht vorbeugend und von Anfang an den Arzt aufsuchen kann.

Einen anderen Punkt möchte ich noch ansprechen. Was wir hiermit nicht erschlagen, ist das Problem der Gemeinschaftsunterkünfte und Wohnungen. Wir hätten damit, wenn es das Gesetz nicht mehr gäbe, zwar das Sachleistungsprinzip abgeschafft, aber wir hätten nach wie vor das, was im Asylverfahrensgesetz geregelt ist, nämlich den Vorrang der Gemeinschaftsunterkunft vor der Wohnung, immer noch als Aufgabe, der man sich stellen muss.

Hinzu kommt: Bisher gibt es drei Länder, die den Bundesrat dazu anrufen. Nordrhein-Westfalen überlegt noch, ob es dabei mitmacht. Ich glaube, dass sich Länder mit CDU/SPD-Koalitionen damit sehr schwertun werden und dass wir auch kaum davon ausgehen können, dafür im Bundestag eine Mehrheit zu gewinnen. Das muss man ganz ehrlich konstatieren. Ich sage dies all jenen, die jeden Tag mit Flüchtlingen zu tun haben, damit Sie ihnen jetzt nicht sagen, dass es das Asylbewerberleistungsgesetz bald nicht mehr gibt. Wir sind zwar hier in der Initiative, sehen aber gleichwohl die politischen Schwierigkeiten, dies in Deutschland bei den gegebenen Mehrheiten umzusetzen. Das sollte man dabei also immer mit bedenken.

Ich bin der Koalition, bin den Grünen sehr dankbar, dass dieser Antrag hier eingebracht wurde, und kann Ihnen versprechen, dass ich alles, was in der Macht meines Hauses steht, dafür tun werde, im Bundesrat für diesen Antrag zu werben.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie GRÜNE/B90)

Meine Damen und Herren, damit ist die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/5993, Neudruck. Wer dem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei drei Enthaltungen und wenigen Gegenstimmen ist dieser Antrag angenommen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Neue E-Government-Strategie für Brandenburg

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/5987

Wir beginnen die Debatte mit dem Beitrag des Abgeordneten Lakenmacher für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich ein Bürger darüber informieren möchte, was hier in Brandenburg unter dem schon genannten Stichwort „E-Government“ so passiert, dann wird er Folgendes tun: Er wird bei Google zwei Wörter eingeben: E-Government und Brandenburg. Folgt er dann den ersten Treffern, wird er rasch auf die Seiten des Innenministeriums des Landes Brandenburg geführt, wo er dann auf die sogenannte E-Government-Strategie des Landes stößt.

So weit, so gut. Ganz und gar nicht normal und gut ist es aber, wenn dann der interessierte Bürger auf den ersten Blick erkennt, dass diese E-Government-Strategie des Landes Brandenburg im Jahr 2003 beschlossen wurde und damit nun fast zehn Jahre alt ist. Zehn Jahre - das muss ich hier niemandem erklären -, das ist im Bereich der modernen Kommunikationstechnologie eine echte Zeitreise, und zwar in die Vergangenheit. Vor zehn Jahren war weder an Smartphones noch an Tablet-PCs noch an LTE-Breitbandleitungen zu denken. Vor zehn Jahren wurden die meisten Internetanschlüsse per Modem über die Telefonleitung betrieben, und in den Büros standen noch Röhrenbildschirme.

Genau dieser sehr angestaubte Zeitgeist spiegelt sich auch in der aktuell - das Wort „aktuell“ kann man hier eigentlich nicht verwenden - gültigen E-Government-Strategie des Landes Brandenburg wider. Dort steht zum Beispiel folgender wegweisender Satz: