Wir sind demzufolge am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung. Es liegt Ihnen der Antrag, „Unterricht ist nur gut, wenn er stattfindet! - Landeskonzept gegen Unterrichtsausfall erstellen!“, Drucksache 5/5820, eingebracht von der FDP-Fraktion, vor. Wer diesem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.
Flächendeckende und kontinuierliche Unterstützungsangebote für pflegende Familien entwickeln und aufbauen
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren - die wenigen, die noch da sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen das: Wenn man eine Reise macht, dann kann man viel erzählen. Man könnte auch sagen: Reisen bildet. Unser Antrag resultiert aus einer interessanten Reise, die der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie im Mai dieses Jahres durchgeführt hat; sie dauerte fast eine Woche. Wir sind mit sehr vielen Eindrücken zurückgekommen und noch dabei, all das, was wir dort gesehen und gehört haben, aufzuarbeiten.
Interessant war für uns das von der Universität Bielefeld in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Krankenhäusern entwickelte Modellprojekt, das an der Schnittstelle bzw. am Übergang vom Krankenhaus in die häusliche Pflege ansetzt. Dort ist eine spannende Struktur geschaffen worden. In Krankenhäusern werden Pflegeberaterinnen und -berater ausgebildet, die, falls ein Pflegefall während der Behandlung im Krankenhaus eingetreten ist, bei der Entlassung der Patientinnen und Patienten und ihrem Übergang in den häuslichen Bereich die pflegenden Angehörigen beraten, und das in aller Regel sechs Wochen lang. Das Spannende daran ist, dass Pflegetrainings bereits im Krankenhaus angeboten werden, um den Übergang in den häuslichen Bereich zu erleichtern. Die Pflegetrainer etablieren Gesprächskreise mit pflegenden Angehörigen und vermitteln Pflegetechniken. Letzteres ist besonders wichtig für die Pflegekassen, da die Pflege am Bett einer ihrer Schwerpunkte ist. Die Pflegekasse bei der AOK Nordost will ein entsprechendes Modell hier in Brandenburg etablieren und wird darauf achten, dass den pflegenden Angehörigen diese Techniken wirklich nahegebracht werden.
In Nordrhein-Westfalen beteiligen sich derzeit 250 Krankenhäuser an dem Projekt, 27 000 pflegende Angehörige werden bisher erreicht.
Wir haben überlegt, wie wir dieses Projekt auf Brandenburg projizieren können, und sind sehr froh, dass sich alle Beteiligten - das Ministerium und, ganz wichtig, die Pflegekassen - bereiterklärt haben, es unter Beachtung der Brandenburger Bedingungen hier zu etablieren. Unser Antrag soll diese Herangehensweise politisch unterstützen.
In unserem Antrag ist ausführlich und gut beschrieben, was wir wollen; das kann man verstehen. Zusammengefasst: Es geht darum, im Übergang vom Krankenhaus zur häuslichen Pflege eine Struktur einzuziehen. Ein entsprechendes Angebot haben wir derzeit nicht. Uns ist es auch wichtig, dass durch Pflegebe
ratung und Pflegetraining für die pflegenden Angehörigen der Übergang in die bestehenden Pflegestrukturen des Landes Brandenburg erleichtert wird. Damit meine ich vor allem die Pflegestützpunkte. Niemand muss Sorge haben, dass wir bestehende Strukturen gefährden.
Noch kurz zu dem Antrag der FDP-Fraktion: Diesen lehnen wir ab. Wir schaffen lediglich einen weiteren wichtigen Baustein der pflegerischen Versorgung. Das tangiert zum einen überhaupt nicht das Landespflegegesetz. Zum anderen ist „familiale Pflege“ im Pflegegesetz mit häuslicher Pflege belegt. Ich halte diese Definition für ausreichend.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lehmann. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Schier hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! Auch ich mache es kurz; dennoch will ich ein paar Zahlen nennen. Ich hatte erwartet, dass sie schon von der Rednerin der einreichenden Fraktion kommen würden, da sie wirklich beeindruckend sind.
Laut Statistischem Bundesamt waren im Dezember 2009 in Deutschland 2,3 Millionen Menschen pflegebedürftig. Das war gegenüber 1999, also innerhalb von zehn Jahren, eine Steigerung um 16 %. Insgesamt 83 % der Pflegebedürftigen waren über 65 Jahre und älter. Mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Von diesen erhielten gut eine Million Pflegebedürftige ausschließlich Pflegegeld. Das bedeutet, dass sie in der Regel allein durch Angehörige gepflegt wurden. Von den 85 800 Pflegebedürftigen in unserem Land wurden im Jahr 2009 75 % zu Hause versorgt; ich finde, das ist eine enorme Zahl.
Keine Frage: Die Pflegebedürftigkeit nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung zu. Die genannten Zahlen verdeutlichen, wie wichtig es ist, Strukturen zu schaffen, die auch in Zukunft tragfähig, finanzierbar und für die Betroffenen individuell am besten geeignet sind.
Gott sei Dank wird in unseren Familien über Leben, Pflegen und Sterben offen gesprochen. In Sachen Pflege ist zweierlei zu beobachten: Die meisten Menschen sagen zu ihren Angehörigen: „Gebt mich bitte nicht in eine Einrichtung, wenn ich alt und krank bin!“ Ich verwende hier das Wort „Einrichtung“, da „Heim“ ein schlechtes Wort ist. - Die pflegenden Angehörigen haben dann ein schlechtes Gewissen, die Leute wegzugeben, und nehmen sich vor, ihre Angehörigen zu pflegen. Dass sie dabei an physische und psychische Grenzen stoßen, ist ihnen zunächst einmal gar nicht bewusst. Dann tritt der Fall ein: Ein Angehöriger liegt im Krankenhaus, und es wird gesagt, dass Pflege notwendig ist. Dann muss der Angehörige alles das, was er theoretisch weiß, in die Praxis umsetzen.
In dieser Situation sind zwei Dinge besonders wichtig: zum Ersten das Entlassungsmanagement, zum Zweiten die Begleitung der Angehörigen. Das Erste funktioniert in den Krankenhäusern unterschiedlich gut; es wird meist von Sozialarbeitern gemacht.
Das Zweite ist die Begleitung der Angehörigen. Meine Kollegin Sylvia Lehmann sagte es: Es gibt in Nordrhein-Westfalen ein System, das uns sehr gut gefallen hat. Wir müssen uns darauf konzentrieren, dass die Angehörigen, die dann vor völlig neuen Aufgaben stehen, geschult werden. Das beginnt bei ganz simplen Fragen: Wie bekomme ich den zu Pflegenden aus dem Bett oder aus dem Sessel? Es soll niemand überfordert werden.
Wir haben eine Struktur kennengelernt, die - das ist richtig bestimmt nicht wenig Geld kostet. Aber es ist eine Struktur, die sich bezahlt macht. Gleichzeitig wird dem Wunsch Rechnung getragen, nicht in eine Einrichtung zu müssen.
Wir stimmen dem Antrag zu und hoffen, dass die Landesregierung die Pflegekassen und die Krankenkassen ins Boot holen kann.
Ich weiß allerdings nicht so richtig, was die Formulierung „geschlechtergerechtes Familienprojekt“ in dem Antrag soll.
Man weiß, dass Männer gern als Pfleger genommen werden, weil sie mehr Muckis haben und es anders verkraften.
Aber man erlebt auch - insbesondere unter der Generation, die jetzt in Pflegeeinrichtungen ist -, dass manche älteren Herrschaften eine männliche Pflegekraft ablehnen. Das wird sich mit der nächsten Generation ändern, aber daran muss man noch denken.
Dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion stimmen wir nicht zu. Wir wollen erst einmal mit den Pflegekassen gemeinsam etwas definieren. Ob man es dann in das Landespflegegesetz aufnimmt, darüber kann man sich später unterhalten. Das wäre jetzt der zweite Schritt vor dem ersten.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schier. - Die Aussprache wird mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fortgesetzt. Frau Abgeordnete Wöllert hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Es scheint, als hätten die Kollegen der CDU-Fraktion unseren Antrag verstanden, weil sie so euphorisch klatschen. Danke!
Ich fasse mich ebenfalls kurz und gehe nur auf den Antrag der Kolleginnen und der Kollegen der FDP-Fraktion ein. Ich muss sagen: Sie haben den Knackpunkt nicht gefunden, was innerhalb unseres Antrages verdeutlicht werden sollte. Der Schlüssel ist das Krankenhaus und keine Pflegeeinrichtung. Alles ist am Krankenhaus angedockt und es geht um ein Ineinandergreifen von Möglichkeiten aus den Sozialgesetzbüchern V und XI. Genau dies ist der Knackpunkt.
Bei dem einen besteht der Anspruch auf Qualifizierung und Beratung und bei dem anderen auf Pflegekurse. Beides soll zusammengebracht werden, um dem zu Pflegenden zu helfen, damit seine Angehörigen richtig mit ihm umgehen, sowie um den Pflegenden zu helfen, damit sie sich selbst durch falsche Pflege keine gesundheitlichen Schäden zufügen. Außerdem ist es für die Krankenhäuser sehr wichtig, ihr Entlassungsmanagement besser planen zu können. Darin liegt der Kern unseres Antrages. Ich bitte Sie um Zustimmung.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Büttner bekommt heute, glaube ich, einen Orden für sehr viele Redebeiträge.
Danke. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ja grundsätzlich ein sinnvoller Antrag,
(Beifall SPD und DIE LINKE - Ministerpräsident Platz- eck: Hey, hey! - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Hal- lo!)
mit dem versorgenden, pflegenden und begleitenden Familien geholfen werden soll, entsprechende Aufgaben zu übernehmen und diffizile und belastende familiare und persönliche Entwicklungen zu bewältigen. Es ist okay, und ich habe es verstanden. Ich mache es kurz. Wir haben in unserem Änderungsantrag einen Punkt, in dem wir sagen: Es ist richtig, wenn uns im II. Quartal 2013 der Stand der Umsetzung vorgelegt wird. Es wäre aber besser, wenn man uns auch darüber einmal eine Erkenntnis geben würde, was das Ministerium denkt, ob es nicht sinnvoll ist, das Landespflegegesetz zu ändern. Das vermissen wir in dem Antrag der Regierungsfraktionen. Sollte nämlich der an die Landesregierung gerichtete Prüfauftrag ergeben, dass das Modellprojekt zur Unterstützung der Kompetenzförderung pflegender Familien auch in Brandenburg sinnvoll ist, dann muss die familiale Pflege natürlicher Bestandteil des entsprechenden Gesetzes werden.
Darüber mag es unterschiedliche Auffassungen geben, aber wir wollen dann die familiale Pflege auch als eigenständigen Punkt im Landespflegegesetz verankert haben. Das ist der Kernpunkt der Schwierigkeiten, die wir mit dem Antrag haben. Deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Ansonsten wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.