Protocol of the Session on June 7, 2012

Der Tätigkeitsbericht beschreibt eindrucksvoll, wie groß der Beratungs- und Informationsbedarf bei den Bürgerinnen und Bürgern ist, die in der Zeit von 1945 bis 1989 von politischer Verfolgung betroffen waren. Allein im Zeitraum des Berichts das hat Herr Dombrowski schon erwähnt - haben rund 2 000 Brandenburger Anträge gestellt, haben rund 2 000 Brandenburger Hilfe dabei gesucht, in ihre Stasi-Akte Einsicht zu nehmen, einen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung zu stellen oder auch ein Widerspruchsverfahren in Gang zu setzen.

Dass die Landesbeauftragte und ihr Team Mühe haben, alle Anfragen zu beantworten, zu bearbeiten, zeigt einmal mehr, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Brandenburg über viele Jahre hinweg systematisch vernachlässigt wurde. Ausgerechnet die Menschen, denen unser besonderes Interesse, unser besonderes Mitgefühl gelten sollte, waren in Brandenburg viel zu lange alleingelassen. Die Überlastung der Landesbeauftragten ist ein sicheres Indiz dafür, dass dieses Thema hier über Jahre nicht angepackt wurde.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, kurz auf einige Punkte einzugehen, die meiner Fraktion bei der Bewältigung der Folgen der kommunistischen Diktatur besonders wichtig sind. Zu Recht wird in der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses gelobt, dass der Brandenburger Landtag sich anders als andere neue Länder mit der Erkenntnis der späten Jahre dafür entschieden hat, keine Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, sondern eine Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur zu berufen.

Schon in der Bezeichnung dieses Amtes deutlich zu machen, dass es nicht nur um die Beschäftigung mit dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst geht, ist richtig und wichtig, keine Frage. Die Stasi hat Schlimmes angerichtet, sie hat Familien und Biografien zerstört und Unschuldige hinter Gitter gebracht. Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen, dass sie Schild und Schwert einer Partei, der SED, war. Die Stasi war, anders als Egon Krenz und andere um die Reinwaschung der SED Bemühte behaupten, kein Staat im Staate, sie war Befehlsempfänger und ausführendes Organ der Partei.

Ich möchte Frau Poppe und ihre Mitarbeiter daher ausdrücklich ermutigen, bei Veranstaltungen, in Lehrerfortbildungen und der Öffentlichkeitsarbeit die Rolle der führenden Partei in der DDR stärker ins Blickfeld von Forschung und politischer Bildung zu rücken.

(Beifall FDP)

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist die Zeit reif, die gesellschaftlichen Prozesse in der DDR breiter in den Blick zu nehmen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Mir ist bewusst, dass das keine leichte Aufgabe ist, denn auf ihrem Höhepunkt 1986 hatte die SED rund 2,3 Millionen Mitglieder. Fast jeder fünfte erwachsene DDR-Bürger war Mitglied dieser Partei. Wir reden also über keine kleine Gruppe.

Stärker als bisher berücksichtigen sollten wir nach meiner Auffassung auch die Rolle der NVA, der Kampfgruppen, der Massenorganisationen und Blockparteien. Auch sie haben dazu beigetragen, dass sich die SED so lange an der Macht halten konnte.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Ursache und Wirkung sollten dabei allerdings sorgfältig auseinandergehalten werden. Die Nationale Front war Idee und Werk der SED.

Auch wenn es unangenehm und auch schmerzhaft sein wird: Eine wirkliche Aufarbeitung der SED-Diktatur kann nur gelingen, wenn wir auch von der Verantwortung der Menschen reden, die sich als Mitläufer angepasst haben. Dabei darf es ausdrücklich nicht darum gehen, Menschen für ihr Tun anzuprangern. Aber wer verstehen will, wie die SED-Diktatur funktioniert hat, der kann nicht umhin, auch nach der Mitverantwortung des Einzelnen, nach objektiven oder auch nur subjektiv empfundenen Zwängen, aber eben auch nach Handlungsspielräumen und dem Mut, sich der Mehrheit zu widersetzen, zu fragen.

Der Tätigkeitsbericht verweist auf Seite 15 zu Recht darauf, dass es immer auch um die Betrachtung konkreter Lebenssituationen geht, in denen Menschen sich so verhielten, wie sie es taten.

Mit großer Freude habe ich dem Tätigkeitsbericht entnommen, dass die Landesbeauftragte künftig stärker als bisher den Alltag der Menschen in der DDR in den Mittelpunkt ihrer Arbeit rücken will, ich kann Frau Poppe darin nur bestärken. Gerade bei einigen jungen Menschen hat sich ein verklärendes Bild der DDR festgesetzt - ohne eigenes Erleben. Da ist in Erzählungen häufig die Rede davon, dass es nicht so schlecht gewesen sei, dass es keine Arbeitslosigkeit gegeben habe, die Mieten be

zahlbar gewesen seien und die Menschen anders als im angeblich von Konkurrenz und Egoismus geprägten Westdeutschland sich umeinander gekümmert und einander geholfen hätten. Aus meiner Sicht können wir diesem Zerrbild nur mit guter politischer Bildung und weiterer Aufklärung entgegentreten.

In diesem Sinne möchte ich Frau Poppe und ihren engagierten Mitarbeitern im Namen der FDP-Fraktion nochmals danken und weiter die volle Unterstützung versichern. Sie können unserer Unterstützung sicher sein. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und des Abgeordneten Jungclaus [GRÜNE/B90])

Der Abgeordnete Ludwig setzt für die Fraktion DIE LINKE fort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Poppe! Mit dem vorgelegten Bericht Ihrer bisherigen Tätigkeit zeichnen Sie ein sehr ausführliches und sehr detailliertes Bild Ihrer bisher wichtigen Tätigkeit in unserem Bundesland. Auch die Fraktion DIE LINKE spricht Ihnen dafür heute ihren Dank aus.

(Beifall DIE LINKE)

Namentlich auch mit Ihrem heutigen Zeitungsinterview machen Sie deutlich, dass wir in den vergangenen zwei Jahren alle alle in diesem Haus, aber auch alle in der Zivilgesellschaft in Brandenburg - ein differenziertes Bild der Vergangenheit der früheren 40 Jahre, aber auch der vergangenen 20 Jahre vor Augen haben. Auch dieses Interview halte ich für ein sehr wichtiges Ergebnis Ihrer bisherigen Tätigkeit.

Wir haben Sie gemeinsam in diesem Haus einstimmig eingesetzt und beauftragt, Ihrer wichtigen Tätigkeit nachzugehen, und ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass wir es gemeinsam waren, es gab nicht die da und die da, sondern der Wille zum Beginn dieser Tätigkeit einte und eint uns in diesem Haus.

(Beifall DIE LINKE)

Seit Beginn Ihrer Tätigkeit, die natürlich am Anfang die Rahmenbedingungen hatte, die richtig im Bericht beschrieben werden, ergänzen Sie damit ein sehr reichhaltiges Angebot an Hilfe und Unterstützung für diejenigen, die bis 1990 Opfer von Repression oder anderen Maßnahmen waren.

Es ist nicht so, dass bis 2009 keine Angebote im Land Brandenburg bestanden. Waren es die, über die der Innenminister Herr Schönbohm, Landesvorsitzender der CDU, hier im Landtag auch in der vergangenen Legislatur umfangreich berichtet hat, so waren es auch viele Maßnahmen der rechtlichen Rehabilitierung oder - ich will das Bild von Kollegen Kuhnert von gestern gern aufgreifen - auch eines finanziellen Lastenausgleichs innerhalb unseres Landes.

Es gab aber auch zahlreiche kommunale Aktivitäten, nicht nur von Bürgerinitiativen, sondern auch von Zuständigen. Ich will

Ihnen nur das Beispiel nennen, das ich am besten kenne. In meiner Amtszeit in der Stadt Königs Wusterhausen gab es selbstverständlich Beratungsleistungen des Berliner Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Diese Beratungsleistungen waren auch mir ein Bedürfnis. Sie wurden auch rege und zu Recht, wie sich herausstellte, nachgefragt.

Dieser Lastenausgleich hat bis 2009 dafür gesorgt, dass denjenigen, die am härtesten betroffen waren und dies auch sehr einfach vor den Behörden nachweisen konnten - es wurden dazu nicht starke Anstrengungen abverlangt -, ein Ausgleich zuteil wurde. Mit Ihrer Tätigkeit, Frau Poppe, haben Sie nun weitere Möglichkeiten geschaffen, vor allen Dingen zu informieren und Gesellschaft im besten Sinne aufzuklären, und das in dem von mir eingangs genannten differenzierten Bild. Sie zeigen in Ihrem Bericht einige interessante, sehr bedrückende Beispiele derjenigen, die Hilfe brauchen, die Hilfe suchen, deren Weg zum Teil noch nicht zu Ende ist und die unser aller Unterstützung und nicht nur die Ihrer Behörde brauchen.

Mit diesem Angebot werden auch Zusagen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Einige stehen zu Recht am Beginn des Berichts. Ja, das gehörte mit zu den Startbedingungen der Tätigkeit, und die Koalition bleibt dabei: Wir werden die Vergangenheit in Brandenburg nicht verklären, und wir werden diejenigen, die Hilfe brauchen, zu Recht unterstützen, mannigfaltig und auch mit der Tätigkeit Ihrer Dienststelle. Ich will noch ergänzen: Dass Sie unabhängig von jeweiligen politischen Mehrheiten Ihrem Amt nachgehen können, halte ich für eine positive Voraussetzung Ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit. Insofern sehen auch wir keinen Bedarf für den Antrag der CDU-Fraktion.

Wir werden uns dem Votum des Hauptausschusses anschließen und werden Sie, sehr geehrte Frau Poppe, weiter aktiv in Ihrer Tätigkeit unterstützen. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Vogel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ulrike Poppe und liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesbeauftragten! Mit dem Brandenburger Sonderweg zur DDR-Aufarbeitung befand sich die Brandenburger Landespolitik lange Zeit nicht nur auf dem Holzweg, sondern regelrecht in einer unbeleuchteten Sackgasse.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Mit der Einsetzung der Aufarbeitungsbeauftragten am 17. Dezember 2009 aber hatte der Landtag endlich einen Ausweg gefunden, und wie sich heute mit dem vorliegenden Bericht zeigt, hat er regelrecht einen Königsweg gefunden. Die Arbeit von Frau Poppe und ihren Mitarbeitern braucht sich auch im Vergleich zu anderen Ländern nicht zu verstecken. Angesichts der schwierigen Ausgangslage hat die Landesbeauftragte Außerordentliches geleistet und leisten müssen, und sie hat es

auch mit Bravour getan. Deswegen auch von unserer Fraktion recht herzlichen Dank dafür.

(Beifall GRÜNE/B90)

Der Bericht zeigt - und das darf wohl niemanden verwundern -, dass die größten Baustellen im Land Brandenburg im Bereich der Opferberatung lagen; das haben bereits mehrere Vorredner angesprochen. Der Bericht zeigt aber mehr, zum Beispiel wie wichtig es war, endlich die vorhandenen Initiativen und Verbände zusammenzuführen, sie zu vernetzen, um Synergieeffekte zu nutzen. Über Jahrzehnte hat es in Brandenburg kleinere und größere Projekte und Vereine gegeben, oftmals kleine Graswurzelinitiativen, die die Erinnerung an das Unrecht wachgehalten haben. Mit der Landesbeauftragten haben sie nun endlich eine verlässliche Stimme, die ihnen und den vielen, die bisher nicht gehört wurden, Gewicht verschaffen kann, und es gibt endlich jemanden, der ihnen zuhört, denn nicht wenige haben über das fatale Desinteresse geklagt, das ihnen von offizieller Seite immer wieder entgegengebracht wurde.

Der Bericht räumt auch mit der These auf, die Befassung mit unserer Geschichte sei so etwas wie „Schnee von vorgestern“ und das Thema interessiere niemanden. Wer jemals auf einer der vielen Veranstaltungen der Landesbeauftragten war, der weiß es ohnehin besser, der hat ein ganz neues Verständnis davon, was es heißt, wenn ein Raum überfüllt ist. Das gilt übrigens nicht nur für Potsdam. Ulrike Poppe hat sich auf die Fahne geschrieben, Bildung, Aufklärung und Beratung auch in die Regionen zu tragen. In Jüterbog fand vor kurzem eine Veranstaltung statt, in der die Entwicklung unserer Landwirtschaft vor und nach 1989 diskutiert wurde. Sogar hier, bei einem für manchen so abwegigen Thema ist am Ende kein Stuhl leer geblieben.

Es ist gut - der Kollege Bischoff hat es angesprochen -, dass die Angebote der Landesbeauftragten nicht auf Potsdam beschränkt bleiben. Mit der mobilen Beratung ist der persönliche Kontakt auch dort möglich, wo Menschen sich oft abgeschnitten fühlen. Im Tätigkeitsbericht steht es: Viele ehemals politisch Verfolgte sind aus gesundheitlichen oder auch aus finanziellen Gründen häufig kaum mehr in der Lage, in die Potsdamer Dienststelle zu kommen. Es ist gut, wenn dem mit aufsuchender Beratung entgegengewirkt werden kann.

Der erste Tätigkeitsbericht ist auch deswegen so wertvoll, weil er nicht nur schematisch Rapport erstattet und Zahlenfolgen auflistet. Er enthält gerade in seiner Einführung wichtige und sehr grundsätzliche Ausführungen zum Thema Aufarbeitung, die meine Fraktion ausdrücklich teilt. Das betrifft nicht zuletzt den Anspruch - Frau Teuteberg hat es dargestellt -, das Blickfeld zu weiten und die Auseinandersetzung mit den Strukturen der DDR nicht auf die Stasi zu verengen.

Der Bericht ist auch deswegen so wichtig, weil er mit der bösartigen Unterstellung aufräumt, dass es den Opfern der Diktatur allein um materiellen Ausgleich für erfahrenes Unrecht gehe. Ich darf hier einmal zitieren:

Die Betroffenen

„leiden unter einem gesellschaftlichen Klima, in welchem die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR ver

klärt und die Diktatur verharmlost wird. Viele von ihnen vermissen eine angemessene Würdigung ihres Widerstands und des Leids, das ihnen durch das SED-Regime zugefügt wurde.“

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Insofern stünde uns eine Entschuldigung gegenüber den Opfern sehr gut zu Gesicht. Deswegen unterstützen wir auch ausdrücklich den Entschließungsantrag der CDU. Man mag über das Wort „Opfer“ streiten, doch dahinter stehen Schicksale, dahinter stehen Menschen, die hierzulande viel zu lange alleingelassen wurden. Die Verletzungen sind noch immer groß. Wir merken das auch in der Enquetekommission, die so viele Betroffene mit großen Erwartungen begleiten. „Demut“ ist ein großes Wort, aber wir sollten es uns leisten können, wenn es nötig ist, und ich denke, es ist nötig.

Von daher hoffe ich, dass der Antrag der CDU eine Mehrheit findet. Wir hoffen aber auch, dass ein ganz breiter Konsens für die weitere Unterstützung der Arbeit der Landesbeauftragten sich auch in einer Zustimmung zum Antrag des Hauptausschusses wiederfindet. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90, FDP sowie vereinzelt CDU)

Damit erhält die Landesregierung das Wort. Frau Ministerin Dr. Münch spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Poppe! Die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur hat eine Aufgabe übernommen, die weit über das Stasi-Unterlagen-Gesetz hinausgeht: Die Aufgabe, Menschen zu beraten, die zur Zeit der sowjetischen Besatzungszone von Verfolgung betroffen waren, und die Aufgabe, über die Wirkungsweisen der Staatssicherheit und staatliche Repression zu informieren. So steht es im Gesetz, das wir am 1. Juli 2009 hier im Landtag verabschiedet haben.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die kontroverse Debatte, die wir in den Monaten zuvor geführt haben, an die vielen Gespräche, die wir auch mit den unterschiedlichen Opferverbänden geführt haben. Ich finde es sehr ermutigend zu lesen, was daraus entstanden ist. Deswegen möchte auch ich mich im Namen der Landesregierung bei Ulrike Poppe und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern ganz herzlich für die Arbeit bedanken, die sie in den ersten zwei Jahren geleistet haben.