Alle Familien, die von diesem Modell abweichen, haben insbesondere auch finanzielle Nachteile: Familien mit mehr als drei Kindern, Alleinerziehende und Doppelverdiener mit Kindern. Aber das Betreuungsgeld vermittelt das Bild der traditionellen bürgerlichen Familie und hat auch nicht im Entferntesten etwas mit der Realität gerade in den ostdeutschen Ländern und damit auch in Brandenburg zu tun.
Zweitens: Das Betreuungsgeld konterkariert das Ziel der Politik, jedem Kind ab August 2013 einen Betreuungsanspruch in einer Kindertagesstätte zu garantieren. Während das Ziel in den neuen Bundesländern aller Voraussicht nach erreicht werden wird, ist jedoch absehbar, dass keines der alten Bundesländer die Zusage, das Betreuungsangebot deutlich auszubauen, einhalten wird. Um allen Eltern einen Betreuungsanspruch für ihre Kinder zu garantieren, bedarf es weiterer finanzieller Mittel, um die Zahl der Kita-Plätze und die Betreuungsqualität über einen besseren Personalschlüssel zu erhöhen und die Betreuungszeiten darüber hinaus flexibel zu gestalten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass gegenwärtig Tausende von Erziehern fehlen. Selbstverständlich ist hier auch die Landesregierung in der Pflicht, aber es hilft nicht weiter, wenn wir dann bundespolitisch eine aus unserer Sicht hier im Landtag falsche Entscheidung treffen. In dieser Situation für den Kita-Ausbau und die Erzieherausbildung dringend benötigte Mittel für ein Betreuungsgeld auszugeben bricht mit dem Anliegen der Politik, die institutionelle Kinderbetreuung zu stärken und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.
Drittens: Deutschland kann es sich mit Blick auf den zunehmenden Fachkräftemangel nicht leisten, über Jahre hinweg auf Arbeitskräfte zu verzichten, welche durch staatliche Anreize zum Daheimbleiben animiert werden. Jeder arbeitsfähige, dem Arbeitsmarkt jedoch nicht zur Verfügung stehende Bürger bedeutet geringere Einnahmen für die Sozialkassen und den Staatshaushalt bei in den meisten Fällen gleichzeitig steigenden Ausgaben. Familienpolitik darf die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht künstlich verschärfen. Darüber sollte eigentlich Einigkeit herrschen.
Viertens entspricht der vom Familienministerium vorgelegte Entwurf nicht der Abmachung, wonach die Einführung des Betreuungsgeldes zeitlich an das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz gekoppelt werden sollte. Demnach dürfte das Betreuungsgeld nicht, wie vom Familienministerium geplant, zum 1. Januar 2013, sondern erst zum 1. Juli 2013 eingeführt werden. Sollte das Familienministerium beabsichtigen - das Bundeskabinett hat es ja vor wenigen Minuten beschlossen -, die Einführung des Betreuungsgeldes grundlos vorzuziehen, ist das für meine Fraktion hier in Brandenburg ein Grund, dieses Projekt zu stoppen.
Wir haben es mit einem Projekt zu tun, an dem niemand außer ein Teil der CDU und der CSU hängt, ein Projekt, dessen positive Wirkung auf die Qualität und den Umfang der Kinderbetreuung nicht nachgewiesen ist und anhand dessen man im Freistaat Thüringen exemplarisch sehen kann, wie Menschen durch diese neuen Subventionen systematisch vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Überzeugung meiner Fraktion ist das Betreuungsgeld verzichtbar. Und wenn man es einführen will, dann soll man es bitte im Freistaat Bayern einführen.
Millionen Familien und Steuerzahler für eine krude Familienpolitik der CSU in Haftung zu nehmen ist das Letzte, was unser gesamtes Land und was auch Brandenburg benötigt. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Die EU-Kommission hat letzte Woche ihren Bericht über den einwohnerstärksten Mitgliedsstaat, Deutschland, vorgelegt. Der Bundesrepublik wird darin mangelnder Reformeifer attestiert. Neben dem gemessen an der Produktivität zu geringen Lohnniveau nimmt die Kommission mal wieder die unzurei
chenden Investitionen in Bildung und Forschung, die Defizite des Bildungssystems gerade im Hinblick auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die zu geringe Erwerbsquote von Frauen aufs Korn. Der Deutschlandbericht benennt klar die unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die unbefriedigenden Fortschritte bei den Kita-Plätzen und bezeichnet das geplante Betreuungsgeld als „nicht hilfreich“. So nennt man das diplomatisch.
Der Befund der EU-Kommission ist nicht überraschend, die Probleme sind seit Jahren bekannt. Es geht um Bildungsdefizite und vertane Chancen für unsere Kinder, es geht um die immer noch mangelnde Gleichstellung von Frauen und Männern, die schlechte Vereinbarkeit von Kindern und Beruf und um das krampfhafte Festhalten an überlebten Familien- und Rollenklischees. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt seit Jahren der Familienbericht der Bundesregierung. Der letzte Bericht stellt dem Elterngeld gute Noten aus und belegt erneut die negativen Wirkungen des Ehegattensplittings. Von der OECD schließlich haben wir vorgerechnet bekommen, dass Investitionen in kindliche Betreuung und Bildung Kinderarmut wirksam bekämpfen.
Die Mahnungen aus Brüssel treffen in Deutschland auf die Hochphase der Betreuungsgelddebatte. Mitte letzter Woche hat Kristina Schröder nach unaufhörlichem Trommelfeuer aus Bayern ihren Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld und parallel ein Zehn-Punkte-Programm zum forcierten Ausbau der U3-Betreuung vorgelegt. Damit sind zwei Projekte wieder zusammen, die eine gemeinsame Wurzel haben. Die CSU hatte sich 2007 beim sogenannten Krippengipfel ihre Zustimmung für einen Rechtsanspruch auf Betreuung für Ein- bis Dreijährige und den Ausbau der Plätze für 35 % der Altersgruppe nur durch das Versprechen auf ein Betreuungsgeld für die zu Hause betreuten Kinder abtrotzen lassen. Beide Vorhaben drohen für die Bundesregierung zu einem Waterloo zu werden. Das Betreuungsgeld stößt in der Bundesrepublik - vom Sozialdienst katholischer Frauen bis zu Unternehmerverbänden, von den Gewerkschaften bis zum Deutschen Kinderschutzbund - auf eine derart breite Front an Ablehnung, dass die Hoffnung von Seehofer, damit politisch punkten zu können, sehr zweifelhaft erscheint. Auch in Bayern stehen die Uhren nicht still, und ob sich mit dem unversöhnlichen Kampf für die „Herdprämie“ 2013 Landtagswahlen gewinnen lassen, ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen.
Richtig schlimm ist, dass wider besseres Wissen politischer Trotz ausagiert wird. Das Betreuungsgeld, schon 2006 in Thüringen eingeführt, wurde nämlich schon von der Professorin Frau Gathmann für das Institut zur Zukunft der Arbeit wissenschaftlich evaluiert. Das zu erwartende niederschmetternde Ergebnis ihrer Evaluation lautet: „Es wirkt nachteilig auf die frühkindliche Entwicklung und senkt die Frauenerwerbsquote.“
Das nächste Desaster droht beim Ausbau der Betreuungsplätze. Von dem avisierten Versorgungsgrad sind wir noch meilenweit entfernt - nicht in Brandenburg, aber bundesweit. Die Zahl der bis zum 01.08.2013 noch zu schaffenden Plätze wird mit 130 000 bis 200 000 angegeben. Außerdem befürchten Experten, dass die Nachfrage nach Plätzen eher unterschätzt wurde. Metropolen wie München oder Stuttgart rechnen mit Bedarfen von 50 bis 60 % aller Kinder dieser Altersgruppe. Von den schätzungsweise fehlenden 15 000 Erzieherinnen will ich gar
nicht reden. Wenn man bedenkt, dass im Jahr 2011 bundesweit nur 45 000 neue Plätze geschaffen wurden, dann ist klar, dass diese Ziele mit Sicherheit nicht erreicht werden, erst recht nicht mit Frau Schröders mickrigem Progrämmchen. Durch Pusten lässt sich kein Containerschiff bewegen.
In dieser desolaten Situation soll das Betreuungsgeld nun schon zum 01.01.2013, also sieben Monate vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs, eingeführt werden. Die Mitte 2013 pünktlich zur Bundestagswahl zu erwartende Klagewelle soll damit abgepuffert werden. Dadurch wird es ganz eindeutig zur KitaFernhalteprämie, zum Trostpflaster für die nicht vorhandenen Kita-Plätze. Dass wir ein Programm auflegen und ein bis zwei Milliarden verpulvern, um Kinder von Bildung fernzuhalten und Frauen eine eigenständige Existenzsicherung zu erschweren, das ist nicht nur ein Armutszeugnis, das ist ein sozial- und bildungspolitisches Schadstoffprogramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen! Das Gute ist: Ich hatte noch etwas Zeit, ich habe die Kommentare von der CDU-Bank verfolgen können und habe mir noch einige Zettel herausgesucht, sodass ich in der Tat, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer, vorlesen kann, was bei dem einen oder anderen nur erwähnt wurde. Ich habe mir also die Originalzitate genommen, dann brauchen Sie nicht herumzudeuteln, ob es so stimmt und das auch so drinsteht.
Frau Blechinger, Ihnen kann ich sagen: Mein Stresspegel ist gestiegen, als Sie gesprochen haben, obwohl ich nicht in der Krippe bin. Manchmal habe ich mich aber bei Ihrer Rede so gefühlt. Wie dem auch sei, niemand, liebe Frau Schulz-Höpfner, will Eltern dafür verurteilen, wenn sie das Betreuungsgeld annehmen. Was wir aber sagen wollen, ist, dass Ihre Bundesregierung falsche Akzente in der Familienpolitik setzt. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
Das wollen wir noch einmal ausführen. Ich arbeite jetzt seit 22 Jahren mit dem SGB VIII. Das SGB VIII hat auch den schönen Namen Kinder- und Jugendhilfegesetz. Mit der Einführung des § 16 Absatz 4 - er wird nachher Betreuungsgeldparagraf heißen - wird aus diesem Kinder- und Jugendhilfegesetz ein Jugendhilfeverweigerungsgesetz. Das muss man einmal sehen.
Die Belege aus Thüringen haben wir. Frau Blechinger, wenn Sie sagen, es habe etwas mit modern oder nicht modern zu tun, kann ich Ihnen nur sagen: So ein Gesetz passt in die Zeit von 1840 bis 1860, aber nicht mehr in das Jahr 2012,
weil es in der Tat ein antiquiertes Familienbild widerspiegelt, es ist frauenfeindlich, und es ist vor allem auch wirtschaftlicher Unsinn. Ich will jetzt nicht Hundt zitieren, das muss ich gar nicht. Man kann tatsächlich - da nehme ich Frau Nonnemacher bzw. die Pressemitteilung der EU-Kommission, die ich gerade herausgesucht habe - zitieren: Eine Großbaustelle sieht die Kommission im deutschen Arbeitsmarkt, der zunehmend unter dem Rückgang der Erwerbsbevölkerung leide. Zu diesen Barrieren am deutschen Arbeitsmarkt zählen die Kommissionsexperten das geplante Betreuungsgeld. Das Betreuungsgeld setze keinen Anreiz für Mütter, wieder arbeiten zu gehen, und stehe der Integration von Frauen am Arbeitsmarkt entgegen. - Soweit die Kommission.
Nicht nur die SPD-Fraktion, die FDP-Fraktion, die Grünen und die Linken im Landtag Brandenburg, nein, die Kommission der EU sagt das.
- Herr Senftleben, jetzt komme ich zu Ihnen. Zu dem offiziellen Ziel der Bundesregierung im Koalitionsvertrag haben Sie vorhin ganz laut gesagt: Vorlesen! - Das mache ich jetzt einmal. Im Koalitionsvertrag der CDU heißt es:
„Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro, gegebenenfalls als Gutschein,“
Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung selbst sagt, es fehlten 160 000 Plätze. Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung selbst sagt, dass die Zahlen, die man 2007 vereinbart hat, heute wahrscheinlich gar nicht mehr greifen. Da kann ich doch nur fragen: Worin besteht denn hier die Wahlfreiheit für die Leute, die in Bayern oder Hessen leben? - Das ist die Wahlfreiheit zwischen Betreuungsgeld nehmen oder nicht nehmen, aber nichts anderes, und nicht die Wahlfreiheit zwischen Kinderkrippe oder Betreuungsgeld. Das ist die Realität in dieser Republik momentan.
In Thüringen - auch das wurde schon angesprochen - gibt es das Betreuungsgeld als Landeserziehungsgeld schon seit einer ganzen Weile. Die Universitäten Mannheim und Heidelberg haben sich das Betreuungsgeld in Thüringen angeschaut. Fünf zentrale Erkenntnisse, die ich jetzt einmal vortragen will, sind das Ergebnis dieser Studie aus Thüringen. Da gibt es das Betreuungsgeld jetzt seit vier oder fünf Jahren.
Erstens. Wesentlich weniger Zweijährige nutzen eine Kita. Zweitens. Die Erwerbstätigkeit von Müttern geht deutlich zurück. Drittens. Kinder profitieren nicht von der Betreuung zu Hause. Viertens. Die Effekte sind stärker bei gering qualifizierten Eltern, Alleinerziehenden oder Familien mit niedrigem Einkommen. Fünftens. Auch ältere Geschwister gehen weniger in die Kita.
Herr Büttner, ich finde es gut, dass Sie sich auf die brandenburgische Seite geschlagen haben und nicht länger die Linie von Herrn Bahr und Rösler verfolgen. Ich verstehe, dass Sie das tun, weil es richtig ist. Aber sagen Sie bitte, wenn Sie das nächste Mal im Parteivorstand in Berlin sind, dass ich auch verstehe, dass sich die FDP jetzt mehr erkaufen muss als nur die Mövenpick-Prämie. Das können Sie Herrn Rösler ausrichten. Wir werden ganz genau verfolgen, ob bei der nächsten Bundestagswahl die großen privaten Versicherer, die die Pflegeversicherung verkaufen, zu Ihren Sponsoren gehören, das heißt, ob die Münchener Rück und die Allianz zu Ihren Hauptsponsoren im Wahlkampf gehören. Dann wissen wir nämlich auch, warum: wegen dieses Deals von vorgestern.