Diese Nachrichten sind mitnichten Ergebnisse des Koalitionsvertrages. Sie sind ein Ergebnis - und ich sage bewusst nicht „Erfolg“, weil es Erfolge gibt, auf die man lieber verzichtet hätte -,
das wesentlich der von meiner Fraktion initiierten Debatte zu einer obligatorischen Überprüfung aller Abgeordneten in diesem neuen Landtag zu verdanken ist. Sie sind aber darüber hinaus und in allererster Linie das Ergebnis eines investigativen Journalismus
und eines neu entfachten Aufklärungswillens und -interesses in der Medienlandschaft - und ich will hoffen auch der breiten Bevölkerung - an der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Sie sind Ergebnis einer funktionierenden vierten Gewalt, für deren Neubegründung die friedlichen Revolutionäre von 1989 auch auf die Straße gegangen sind,
einer vierten Gewalt, für deren Existenz wir Abgeordnete aller Fraktionen nicht dankbar genug sein können und die es nicht verdient hat, mit Treibjagden, Kampagnen und Hinrichtungen in Verbindung gebracht zu werden.
Genau wie wir bildet sie sich mitunter ihre Meinung auf der Basis von unvollständigen Informationen, Informationshäppchen, Halbwahrheiten. Nicht jedes Stück Papier ist echt. Und wenn - wie jüngst der Fall - davon die Rede ist, dass nicht das Vorhandensein, sondern das Fehlen von Unterlagen nicht näher spezifizierten Experten Vermutungen über ein fortdauerndes Zusammenwirken des Abgeordneten Dr. Luthardt mit der Stasi nach Ableistung des Wehrdienstes nahelegt, dann bewegen wir uns langsam im luftleeren Raum.
Ich warne nochmals eindringlich davor, hier jeden Maßstab zu verlieren. Gerade angesichts der aktuellen Stimmung, in der alle Abgeordneten mit DDR-Biografie in eine Rasterfahndung geraten zu sein scheinen, ist es zwingend erforderlich, zu einem geordneten Verfahren zu finden.
Deswegen kann ich auch nur dringend raten, den bereits nach der 1. Lesung in den Ausschuss überwiesenen Gesetzentwurf unserer Fraktion zur Grundlage einer 2. und 3. Lesung eines verbesserten Gesetzes zu nehmen und nicht erst mit einer neuen 1. Lesung weiterer Gesetzentwürfe in der dritten Dezemberwoche Zeit zu verlieren.
Als Fraktion haben wir uns mit Forderungen an die Abgeordneten - Dr. Luthardt ist klar -, ihr Mandat zurückzugeben, bewusst zurückgehalten, auch wenn es uns insbesondere im Fall von Frau Stobrawa schwerfällt, die Unschuldsvermutung aufrechtzuerhalten - angesichts der von der Birthler-Behörde aufgedeckten Aufstiegshistorie vom IM zum Sicherungs-IM und weiter zum Ermittlungs-IM. Da wir nicht so recht an Gedächtnislücken glauben können, fordern wir ein geordnetes Verfah
ren ein. Auch wir finden es inakzeptabel, dass betroffene Abgeordnete und ihre Fraktionskollegen zu Zeitungsredaktionen gehen müssen, um Einsicht in ihre Akten zu nehmen.
Die Salamischeiben-Kultur lehnen wir ab. Auch wir finden es nicht hinnehmbar, dass der Präsident des Landtages die bereits öffentlich zirkulierenden Unterlagen erst im Nachhinein bei der Stasiunterlagenbehörde anfordern muss und möglicherweise nicht bekommt. Falls hier das Stasiunterlagengesetz geändert werden muss, sollten wir dies auch gemeinsam einfordern.
Aber wir appellieren an alle Abgeordneten, das heißt auch an Frau Stobrawa, mit Offenbarungen nicht erst bis zum allerletzten Moment zu warten und darauf zu hoffen, dass belastende Materialien und Beweisstücke vernichtet wurden.
Der Weg von Frau Adolph, sich eine intensivere Durchleuchtung zu ersparen, ist natürlich eine gangbare Alternative, letztendlich aber auch unbefriedigend, wenn man ein Aufklärungsinteresse der breiten Öffentlichkeit zugrunde legt.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! „Mit unserer politischen Arbeit wollen wir dazu beitragen, unser Land zusammenzuhalten und noch mehr zusammenzuführen“, heißt es in Ihrer Regierungserklärung. In der Diktion Ihres erklärten Vorbildes Johannes Rau hieß das einst „Versöhnen statt Spalten“. Aber prüfen Sie selbst: Sind Sie diesem Anspruch gerecht geworden?
„Es ist nicht die Zeit, über Versöhnung zu sprechen, solange es bei den Linken keine ehrliche, abgeschlossene Aufarbeitung der Vergangenheit gibt, solange nicht die Ergebnisse der Stasiüberprüfung des Landtages vorliegen.“
Wir Bündnisgrünen haben eine klare Auffassung: Versöhnung setzt Aufklärung voraus. Ohne Aufklärung keine Versöhnung.
Mal abgesehen davon - das haben Sie sehr schön deutlich gemacht, Frau Kaiser -, dass Versöhnung nicht zwischen Organisationen und Institutionen, sondern nur zwischen Menschen erfolgen kann - das ist ein Gedanke, der übrigens allen Versöhnungskommissionen, sei es in Südafrika oder sonstwo, zugrunde liegt -, erfordert dies, dass die Täter zu ihrer Tat stehen und diese auch offenbaren. Nur in Kenntnis dessen, was sich wirklich zugetragen hat, kann man hoffen, dass frühere Opfer verzeihen. Einfordern kann man das nicht.
Der Staatssicherheitsdienst der DDR hatte 91 000 hauptamtliche Mitarbeiter. Jeder hundertste Erwachsene der DDR war hauptamtlich dort beschäftigt. Das ist ein Weltrekord, der nicht einmal von Albanien überboten wurde.
189 000 Menschen waren als IM in allen Schattierungen geführt. Das war ungefähr jeder fünfzigste Erwachsene.
Aber IM zu sein war nichts Normales. Es blieb etwas Besonderes im negativen Sinne. Es waren eben nicht 10 %, 15 % oder gar 30 % der Bevölkerung Stasi-IM, wie man beim Blick auf eine Fraktion dieses Hauses vermuten könnte.
IM hatten in der Bevölkerung kein hohes Ansehen. Man wollte mit ihnen nichts zu tun haben. Ein IM offenbarte sich nicht in seinem Freundeskreis, ja nicht einmal gegenüber seiner Lebensgefährtin, wie wir seit dem Fall Wollenberger wissen.
Das beste Mittel der Stasi, um einen politischen Gegner von seinen Freunden zu isolieren, war daher, das Gerücht in die Welt zu setzen, bei XY handele es sich um einen Stasispitzel.
Wer Versöhnung will, muss daher als Allererstes klarstellen, dass Spitzelei nichts Normales ist. Wer Aufklärung und Versöhnung will, muss aber auch deutlich machen, dass die DDR nicht von IMs, diesem Heer von Befehlsempfängern der niedrigsten Stasikategorie, deren Entlohnung häufig genug aus Taschengeld und Ruhla-Uhren bestand, geführt wurde. Über dem IM stand der hauptamtliche Führungsunteroffizier, über diesem der Offizier. Aber alle unterstanden der Partei. Das MfS verstand sich als „Schutz und Schild der Partei“, nicht als eine dem Gemeinwohl der DDR-Bürger verpflichtete Wohlfahrtseinrichtung.
Es ist eine völlige Verharmlosung des DDR-Systems, es ist letztendlich geschichtliche Verklärung, wenn seit einiger Zeit nur noch auf die untersten Befehlsempfänger mit dem Finger gezeigt wird, die gesamte SED-Nomenklatura und deren Freunde in der Nationalen Front aber außen vor bleiben.
Versöhnung setzt Erinnerung voraus. Das haben Sie auch gesagt, Herr Ministerpräsident. Dies bedeutet den politischen Auftrag an uns alle, bei den nachrückenden Generationen in Erinnerung zu halten, wie die SED-Diktatur funktionierte und welche menschlichen Kosten sie verursachte, um so unseren Beitrag zu leisten, dass ein nochmaliges Aufleben des damaligen real existierenden Sozialismus in welcher Farbgebung auch immer nicht mehr möglich wird. Deswegen ist uns auch die Bildung einer Enquetekommission zur Aufarbeitung dieser Zeitenwende ein Anliegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen geisterte die Forderung nach Neuwahlen durch den Raum. Wir halten dies für einen Irrweg.
Die vergangenen Tage und Wochen zeigen erstmals ein riesiges Interesse an einer politischen Aufarbeitung des Themenkomplexes Staatssicherheitsdienst. Wir haben eine geradezu extreme Aufklärungssituation, die wir positiv zur Stärkung unserer politischen Kultur verwenden können. Dazu gehört aber grundlegend die Bereitschaft, Differenzierungen auch zuzulassen und auf Holzhammerrhetorik zu verzichten. Mit Neuwahlen würde dieser Prozess abrupt gestoppt. Wir würden in einen Wahlkampf schlittern, der nur von einem Thema beherrscht wird: Stasi, Stasi, Stasi.
Alle Zukunftsthemen, die der Landtag in den nächsten fünf Jahren in Angriff nehmen müsste, würden im Wahlkampf unter den Tisch fallen. Bis zur Neuwahl würde eine Regierung, die sich gerade mühsam erst einmal ihre Regierungsfähigkeit erarbeiten muss, in lähmende Agonie verfallen. Dies wollen wir dem Land nicht zumuten.
Die Wähler haben diesen Landtag gewählt. Rot-rot hat diese Regierung gebildet. Jetzt trägt rot-rot, jetzt tragen Sie auch die Hauptverantwortung dafür, dass die versprochene politische Neuausrichtung in diesem Land stattfindet. Sie haben Ihren Beitrag dafür zu leisten, dass das Land und die politische Kultur in Brandenburg in der lange überfälligen und jetzt endlich angestoßenen Debatte keinen Schaden nehmen, sondern gestärkt daraus hervorgehen.
Wir werden nicht dazu beitragen, dass Sie sich mit Neuwahlen dieser Verantwortung entledigen können.
Wir Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Oppositionsaufgabe angenommen. Wir können nicht auch noch für Sie die Regierung übernehmen.