Protocol of the Session on December 4, 2009

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen 5. Sitzung des Landtages Brandenburg, zu einer Sondersitzung.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Sie über Folgendes zu informieren: Frau Renate Adolph hat mit Ablauf des 30. November 2009 auf ihr Mandat im Landtag Brandenburg verzichtet. Der Landeswahlleiter hat mitgeteilt, dass Frau Irene Wolff-Molorciuc mit Wirkung vom 3. Dezember 2009 Mitglied des Landtages Brandenburg geworden ist. Sie gehört der Linksfraktion an.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Es ist ihr ja nichts Neues. Ich wünsche erfolgreiche Arbeit.

Ich teile Ihnen weiterhin mit, dass die Abgeordnete Gerlinde Stobrawa mit Wirkung vom 30. November 2009 von ihrem Amt als Vizepräsidentin des Landtages Brandenburg zurückgetreten ist.

Die Fraktion DIE LINKE hat mitgeteilt, dass sie am 25. November 2009 Herrn Stefan Ludwig und Frau Kornelia Wehlan als stellvertretende Vorsitzende sowie die Abgeordneten Thomas Domres, Peer Jürgens, Margitta Mächtig und Birgit Wöllert als Mitglieder des Fraktionsvorstandes gewählt hat.

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Das Präsidium hat soeben noch einmal bestätigt, die Rede des Ministerpräsidenten als Regierungserklärung im Sinne der Geschäftsordnung zu behandeln.

Gibt es Bemerkungen zur vorliegenden Tagesordnung? - Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wollten wir nur inhaltlich debattieren, aber aus gegebenem Anlass möchte ich am Anfang noch ein paar Punkte zur Tagesordnung klären.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 hat Herr Platzeck uns erklärt, dass er im Rahmen des § 31 der Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg für die Regierung das Wort ergreifen und eine Erklärung abgeben will. Dies ist aufgrund der Aktualität des Themas für die Sitzung am heutigen Tag ein ganz normaler Vorgang. Gemäß § 31 der Geschäftsordnung sind für den Ablauf der Tagesordnung gewisse Voraussetzungen geschaffen, wie die Fraktionen Einfluss nehmen können, dass zum Beispiel auf Zwischenfragen reagiert werden kann und Ähnliches.

Das Ganze ist gestern in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer auch so besprochen worden. Es wurde verabredet, am heutigen Tag so zu verfahren.

In der Einladung, die im Präsidium mit der Mehrheit von RotRot beschlossen worden ist, heißt es plötzlich: Es handelt sich um eine Regierungserklärung.

Eine Regierungserklärung wiederum hat ganz andere Abläufe in der Sitzung zur Folge als die Abgabe einer Erklärung durch den Ministerpräsidenten. Daneben geht es aber auch um die Frage der demokratischen Grundregeln im Landtag Brandenburg, die - wie man so schön sagt - bisher gute Gepflogenheit waren.

Zu den Gepflogenheiten zählte unter anderem, dass die Regierungserklärung allen Fraktionen rechtzeitig im Vorfeld der Sitzung zugegangen ist. Das ist dieses Mal nicht der Fall, denn bis gestern hieß es ja noch, es werde keine Regierungserklärung abgegeben.

(Holzschuher [SPD]: Vertagen wir die Sitzung!)

Heute steht nun plötzlich doch eine Regierungserklärung auf der Tagesordnung. Deswegen ist die Frage: Worauf hat sich Herr Platzeck vorbereitet: auf eine Regierungserklärung oder auf eine Erklärung?

Auf meine Frage, ob es jetzt Standard sei, dass den Fraktionen die Regierungserklärung nicht mehr im Vorfeld zur Kenntnis gelange, antwortete der Chef der Staatskanzlei: Nein, das ist nicht üblicher Standard, es wird sich in Zukunft wieder anders darstellen. Herr Platzeck hat bis eben an seiner Regierungserklärung gearbeitet. - Daraufhin erwiderte ich: Das heißt, sie ist nun fertiggestellt und kann uns also noch rechtzeitig vor der Sitzung zugestellt werden. - Herr Gerber gab mir zu verstehen, er wisse nicht, wo sich Herr Platzeck aufhalte.

Meine Damen und Herren! Ich will nur sagen, das sind keine demokratischen Spielregeln und keine Geschäftsordnungsgrundlagen im Landtag Brandenburg, und das ist der Diskussion im Landtag nicht angemessen. Deswegen möchte ich im Namen der Fraktion der CDU auf das heftigste protestieren. Diese Vorgehensweise ist nicht akzeptabel! - Danke schön.

(Beifall CDU, FDP sowie vereinzelt GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Senftleben, für Ihre Bemerkungen. Das Präsidium hat - wie erwähnt - in guter, demokratischer Tradition mehrheitlich beschlossen, dem Wunsch der Oppositionsparteien nach einer Regierungserklärung nachzukommen. Das Plenum stimmt über die Tagesordnung ab, und ich stelle die Tagesordnung jetzt zur Abstimmung. Wer ihr Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen.

(Homeyer [CDU]: Denken Sie an Ihre Neutralität!)

Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei einer Anzahl von Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist die Tagesordnung angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung und Aussprache

Der Ministerpräsident hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hat die neue Brandenburger Landesregierung ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist angetreten, um dringende Probleme der Menschen bei uns im Lande zu lösen. Sie ist angetreten, um die wichtigen Zukunftsaufgaben, vor denen wir stehen, anzupacken. Sie ist angetreten, um Brandenburg Schritt für Schritt zu einem besseren Land für alle seine Bürgerinnen und Bürger zu machen.

Ihnen, den Bürgern Brandenburgs, und ihrer Zukunft will, muss und wird diese Regierungskoalition dienen. „Erneuerung und Gemeinsinn - ein Brandenburg für alle“, dieses programmatische Leitmotiv der neuen Regierungskoalition ist in all seinen Bestandteilen ernst gemeint.

Wir brauchen in Brandenburg Erneuerung, und wir brauchen gerade deshalb Gemeinsinn, Zusammenhalt und Miteinander. Vor allem, meine Damen und Herren, brauchen wir ein Brandenburg, in dem niemand zu dem Eindruck gelangt, er werde dauerhaft ausgegrenzt, abgehängt oder vergessen. Dazu gehören für mich ausdrücklich und zuallererst die Opfer der SEDDiktatur.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie vereinzelt GRÜNE/ B90)

Ein Brandenburg, das zupackt, das zusammenhält - dieses Ziel ist in den schwierigen Zeiten der weltweiten Krise dringlicher und aktueller denn je.

„Erneuerung und Gemeinsinn - ein Brandenburg für alle“, in diesen Zielen weiß sich die neue Landesregierung einig mit der großen Mehrheit der Menschen hier bei uns im Land.

Aber, meine Damen und Herren, ich räume ein: Es ist der von mir geführten Landesregierung in den ersten Wochen unserer gemeinsamen Arbeit noch nicht gelungen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das ist ein schmerzhaftes Eingeständnis.

Gleichwohl, meine Damen und Herren, die Unruhe der vergangenen Wochen ist keine politische Krise dieser Landesregierung, auch keine Krise der Parteien, die diese Koalition tragen. Es ist vor allem eine Krise der moralischen und auch der politischen Integrität einiger Mitglieder dieses Landtages. Ich nenne hier ausdrücklich Herrn Hoffmann und Frau Adolph.

Meine Damen und Herren! Die beiden haben sich mit ihrem schlimmen Vertrauensbruch nicht nur selbst diskreditiert, sie haben auch ihrer Partei schweren Schaden zugefügt, und sie haben der neuen Koalitionsregierung Knüppel zwischen die Speichen geworfen. Aber was noch viel schlimmer ist: Indem sie ihre wie auch immer im Einzelnen gearteten Stasiverstrickungen hartnäckig verschwiegen haben, haben die betroffenen Abgeordneten einen offenen Prozess der reinigenden, historischen Aufarbeitung belastet und erschwert. Dieses unser Land braucht diesen Prozess dringend.

Vor allem das dramatische Versagen der Genannten angesichts der Anforderungen individueller und politischer Wahrhaftigkeit ist es, das uns nun gemeinsam zurückwirft und eine allzu

vereinfachende, polarisierende und auch rückwärtsgewandte Konfrontation zulässt: eine Konfrontation, die aufheizt, wo historische Aufklärung notwendig wäre, eine Konfrontation, die spaltet, wo wir Verständigung brauchen, eine Konfrontation, die Menschen abstößt, statt sie anzuziehen. Denn, meine Damen und Herren, es ist ganz sicher auch die teilweise denunziatorische Art der Diskussion, die der politischen Kultur in unserem Lande nicht guttut.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem eklatanten moralischen und politischen Versagen müssen die Abgeordneten selber klarkommen. Sie haben aber einen Schaden angerichtet, der uns alle betrifft. Dieser Schaden hätte nicht eintreten dürfen. Ich bedaure ihn ganz außerordentlich.

Der eklatante Vertrauensbruch wirft schwierige Fragen auf: Wie war es möglich, dass Herr Hoffmann und Frau Adolph meinten, sich über die ohne Wenn und Aber gültigen Prinzipien der Offenheit, der Klarheit und der Transparenz in Bezug auf Stasiverstrickungen hinwegsetzen zu können? Wie, meine Damen und Herren, war es möglich, dass sie offenkundig annahmen, es mit der Aufarbeitung ihrer persönlichen Stasiverstrickung nicht allzu ernst nehmen zu müssen?

Jedenfalls in formaler Hinsicht liegt die Antwort aus heutiger Sicht auf der Hand: Herr Hoffmann und Frau Adolph sind seit 2004 Mitglieder dieses Hohen Hauses. Es hat aber seit 1990 im Brandenburger Landtag keine systematische Stasiüberprüfung aller Abgeordneten mehr gegeben. Wir müssen uns eingestehen auch ich ganz persönlich -: Das war ein Fehler, ein Fehler, der sich heute rächt, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Deshalb plädiere ich dafür, dass der Landtag noch in diesem Jahr das Abgeordnetengesetz so novelliert, dass die Überprüfung aller Abgeordneten in einem geordneten Verfahren stattfinden kann.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Partei, die Brandenburger Sozialdemokratie, und die Führungsgremien der Brandenburger Linkspartei haben die neue Regierungskoalition nicht im Zustand der Vergangenheitsvergessenheit, nicht im Zustand der Geschichtsvergessenheit ausgehandelt. Ganz im Gegenteil: Dimension und Problematik dieser Koalition war uns in hohem Maße bewusst.

Gerade meine Partei, die ostdeutsche Sozialdemokratie, wurde im Herbst 1989 mit dem zentralen Ziel neu gegründet, das illegitime Machtmonopol der damaligen Staatspartei SED zu brechen und zu beenden. Genau das war der sozialdemokratische Gründungsimpuls. Diese stolze, antidiktatorische und antitotalitäre Traditionslinie ist in meiner Partei in höchstem Maße lebendig.

Aus dieser Tradition kommend haben wir Sozialdemokraten darauf bestanden, dass in der Präambel des Vertrages die folgenden Sätze in aller nur möglichen Klarheit festgehalten worden sind. Ich zitiere aus der Präambel des Koalitionsvertrages:

„Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben. Der offene und kritische Umgang

mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Leid in Missachtung von Freiheit und Demokratie.“

(Hört, Hört! bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Diese Sätze gelten, und sie gelten uneingeschränkt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Sie gelten nicht bloß für die SPD. Ich erkenne ausdrücklich an, dass den Vertretern der Brandenburger Linkspartei diese Passage im Koalitionsvertrag nicht etwa mühsam abgerungen werden musste. Nein, über diese Sätze bestand von Anfang an Konsens.