Dass es bei den angeführten Maßnahmen wild durcheinandergeht zwischen Maßnahmen, Feststellungen und Zielsetzungen, sei nur am Rande erwähnt. Da steht zum Beispiel auf Seite 51 unter 5.9:
„In Brandenburg existieren allgemein anerkannte Standards guter psychiatrischer Versorgung, die jeder Leistungserbringer selbstverpflichtend anerkennen kann.“
Was sagt uns das? Was haben die Betroffenen davon? Selbstverständlich entstehen natürlich auch dabei laut Maßnahmenpaket keine zusätzlichen Kosten.
Meine Damen und Herren, meine knappe Redezeit erlaubt mir nicht, weiterführende Ausführungen zu machen.
Auch wenn wir die Zielstellung des Maßnahmenpaketes, möglichst gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu schaffen, unterstützen, befürchten wir, dass die konkrete Umsetzung zu vielen Enttäuschungen führen wird. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Blechinger. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion SPD und der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Maresch hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Blechinger, ich nehme Ihre Bedenken, die Sie völlig zu Recht hier darstellen, natürlich sehr ernst; das können Sie sich vorstellen. Ich will aber auf einen Punkt ganz deutlich hinaus, und ich möchte das ganz kurz an einem praktischen Beispiel darstellen; ich werde nachher in meinem Redebeitrag auch noch darauf eingehen. Sie wissen ja, ich komme aus Cottbus, und es gibt auch mal Momente - die werden immer häufiger -, in denen ich sehr stolz darauf bin, aus Cottbus zu kommen. Ich kann Ihnen das erklären. Zum Beispiel hatten wir vor kurzem einen Neujahrsempfang. Bei diesem Neujahrsempfang war erstmalig ganz selbstverständlich eine Gebärdendolmetscherin dabei. Ich kenne keine Kommune, die das bis jetzt auch bei einem Neujahrsempfang gemacht hat. In Cottbus ist es möglich, dass eine behinderte Sportlerin, Jana Majunke, Sportlerin des Jahres wird, sich ganz selbstverständlich in einer Reihe mit ganz bekannten Sportlern tummelt und gewinnt.
Es gibt auch ganz negative Beispiele; diese möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Ich bin am Montag mit meinem großen
Sohn über den zentralen Platz in Cottbus gegangen und mir kam ein gutsituierter Herr entgegen. Dann höre ich, wie er in aller Deutlichkeit zu mir sagt: „Was Besseres hast du wohl nicht hingekriegt?“ Das höre ich öfter, das war nicht einmalig. Ich könnte Ihnen auch noch andere Geschichten erzählen. Also insoweit sind wir - das merken Sie, das werden Sie auch gleich hören - noch auf einem weiten Weg.
Seit der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, kurz: UN-Behindertenrechtskonvention, war das Land Brandenburg nicht untätig. Auf fünf Regionalkonferenzen des Arbeits- und Sozialministeriums und weiteren sechs Regionalkonferenzen des Bildungsministeriums haben sich viele Teilnehmer mit und ohne Behinderung zu Wort gemeldet und ihre Wünsche und Vorstellungen eingebracht. Der Gedanke „Nichts über uns ohne uns“ wurde hier mit Leben erfüllt. Ein guter Anfang, ein Anfang also, an dessen Ende nun das Ergebnis in Form des Maßnahmenpaketes steht. Damit haben wir uns alle hier auf den Weg gemacht.
Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt deutlich: Setzt euch endlich ein für Chancengleichheit, Inklusion und die volle und vor allem wirksame Teilhabe! Das sagt sie nicht umsonst; denn noch immer verhindern nicht nur Barrieren in den Köpfen jede Form der Teilhabe, sondern auch ganz real existierende, wie fehlende barrierefreie Arztpraxen, Schulen, Behörden, Kultureinrichtungen und auch fehlende Assistenz zum Überwinden weiterer Barrieren.
Wie sieht die Realität aus? Noch immer wohnen Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen in Einrichtungen, weil sie weder eine barrierefreie bezahlbare Wohnung finden noch die Kosten für die erforderliche Assistenz erstattet bekommen. Noch immer werden Kinder mit Behinderungen gegen ihren Willen und den Willen ihrer Eltern in Förderschulen unterrichtet und müssen dazu täglich viele Kilometer fahren, statt mit ihren gleichaltrigen Nachbarskindern in der Schule an ihrem Wohnort lernen zu können.
Herr Maresch, ist Ihnen bekannt, dass es in Brandenburg zumindest, wenn die Landesregierung auf eine Anfrage von mir wahrheitsgemäß geantwortet hat, wovon ich ausgehe - keine Kinder gibt, die gegen ihren Willen bzw. gegen den Willen ihrer Eltern eine Förderschule besuchen? Nach Aussage der Landesregierung gibt es in Brandenburg keine Kinder, die gegen ihren Willen bzw. gegen den Willen ihrer Eltern eine Förderschule besuchen. Ich kann Ihnen die Antwort der Landesregierung zur Verfügung stellen.
Da gebe ich Ihnen ein ganz praktisches Beispiel. Mich hat eine Mutter aus Groß Köris angerufen, die ihr Kind gern in die dor
tige Schule hineinbekommen möchte, es aber nicht hineinbekommt, weil sich die Eltern der nichtbehinderten Kinder dagegen wehren. Das ist ein ganz aktuelles Beispiel, ich habe es gestern gerade bekommen. Also das gibt es.
Noch immer arbeiten Menschen mit Behinderung gegen ihren Willen in einer Werkstatt für behinderte Menschen statt auf dem ersten Arbeitsmarkt. Ihr Werkstattlohn entspricht nicht im Ansatz einem vorgeschriebenen Mindestlohn, was ihnen ein halbwegs normales Leben völlig unmöglich macht. Ein Rollstuhlfahrer muss sich bereits morgens bei seiner Tagesgestaltung überlegen, wann er wo eine Toilette benutzen kann; denn mobilitätseingeschränkte Personen dürfen nicht einfach, wo sie müssen. Sie dürfen nur dort müssen, wo man sie lässt. Läge die Chancengleichheit in diesem Falle etwa in der Abschaffung aller öffentlichen Toiletten, auch der für Menschen ohne Behinderung? Dieser Gedanke ist so absurd, dass ihn glücklicherweise niemand in der Praxis umsetzen wird, aber er zeigt die immer noch bestehende Benachteiligung ausdrücklich.
Den Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft haben wir zu gehen begonnen, aber wie die Praxis zeigt, haben wir noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. Noch immer unterliegen viele Leistungen, die ein behinderter Mensch braucht, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, den Grundsätzen der Sozialhilfe. Das heißt, zur Behinderung muss auch noch geringes Einkommen und fehlendes Vermögen kommen, und die persönliche Situation muss offengelegt werden.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Spätestens ab einem gewissen Alter sind wir vermutlich alle entweder sehbehindert, hörbehindert, in unserer Mobilität oder unserem Denkvermögen eingeschränkt und zählen zum Kreis der Menschen mit Unterstützungsbedarf. Wenn wir erst begreifen, wie schön und wichtig eine inklusive Gesellschaft ist, wenn wir sie selbst brauchen, werden wir sie nie bekommen. Der Landtag hat die Verantwortung für die Verteilung der Gelder und damit auch die Prioritätensetzung. Die UN-Konvention verlangt nichts Unmögliches, aber die Ausschöpfung aller verfügbaren Mittel. Die Lösung vieler Probleme liegt in der Umstrukturierung und einer Umverteilung der Ressourcen, was nicht in jedem Falle einen finanziellen Mehraufwand zur Folge hat, sondern ein Umdenken erfordert. Das gilt es zu erkennen, auch in den Kommunen.
Es sind die Kommunen, die darauf aufmerksam machen, dass Inklusion kein Modell ist, um zu sparen. Das wissen wir doch wohl alle. Deshalb ist die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes noch nicht auf dem Weg. Die Kommunen machen mit Recht auf die Finanzen aufmerksam, aber diese Ausschließlichkeit ärgert mich sehr. Denn Inklusion kostet eben nicht immer sofort und viel Geld. Um Inklusion auf den Weg zu bringen, gibt es auch viele Maßnahmen und Möglichkeiten, die eben nicht gleich Geld kosten.
Ein Kind, das wohnortnah in einer inklusiven Schule lernen darf, muss nicht täglich Hunderte Kilometer mit einem Fahrdienst gefahren werden. Die eingesparten Fahrtkosten können die Schaffung eines inklusiven Schulsystems unterstützen, indem zusätzliches Personal oder der barrierefreie Schulumbau finanziert wird. Dennoch sind wir uns darüber im Klaren, dass die inklusive Schule kein Sparmodell ist. Dem hat die Koalition insoweit Rechnung getragen, als für 2012 für 90 Pilotschulen
zusätzlich 2 Millionen Euro und 1 Million Euro für die Fortbildung der Lehrkräfte bereitgestellt wurden.
Auch künftig wird es darum gehen, die entsprechenden Rahmenbedingungen für den gemeinsamen Unterricht aller Kinder zu schaffen. Bei manch aufgeregter Diskussion und bei allen vorhandenen Vorbehalten ist der erste Schritt - ich hoffe, da haben wir Übereinstimmung -, dass Kinder nicht mehr gegen ihren oder den Willen ihrer Eltern in Sonderschulen gehen müssen. Aber selbstverständlich haben wir die gut begründeten Ängste, Nöte und Erfahrungen der Betroffenen, aller Betroffenen, zur Kenntnis zu nehmen und uns danach zu richten. Ich als Vater eines schwerstbehinderten Jungen kann mir bei meiner Kenntnis der Schulen in Brandenburg derzeit nicht vorstellen, dass der Junge in eine inklusive Schule gehen soll.
Die Schulen sind nämlich noch gar nicht darauf vorbereitet. Wir sind auf dem Weg und müssen es auch sein.
Auf unserem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft haben nicht wir sie, sondern sie uns mitzunehmen. Von den sinnvollen Lösungen, die es zu entwickeln gilt, von einer inklusiven Gesellschaft profitieren nicht nur die Menschen mit Behinderung, sondern alle Menschen. Barrierefreiheit ist zwar nur für 10 % der Bevölkerung zwingend erforderlich und für 30 % bis 40 % notwendig, aber für alle Menschen komfortabel. Die größten Barrieren, die es als Erstes aus dem Weg zu räumen gilt, sind allerdings die in den Köpfen; ich hatte Ihnen ein Beispiel genannt.
Das Maßnahmenpaket ist ein erster Schritt auf unserem Weg. Es ist ein guter und wichtiger Schritt. Nicht alles, was von den Betroffenen gefordert wurde, findet sich in dem Maßnahmenpaket wieder, dafür aber in den zahlreichen Stellungnahmen und Kritiken. Ich bin der Auffassung, dass ein solcher Plan in einem so hochkomplexen Veränderungsprozess stetig angepasst und fortgeschrieben werden muss. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn der Ausgangspunkt der richtige war und die Grundlage stimmt. Unser aller Wille zur Veränderung ist der richtige Ausgangspunkt, und das Maßnahmenpaket ist eine gute Grundlage, um all die Dinge, die den Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache wichtig sind, auch jetzt noch einzuarbeiten. Lassen Sie uns den mühevollen Einsatz, den die Regionalkonferenzen und das Maßnahmenpaket vor allem den engagierten Betroffenen, aber auch den Ministerien abverlangt hat, nicht mit Füßen treten, indem wir jetzt ein Vorankommen bremsen oder gar verhindern. Hier sollte sich ein jeder von uns stets die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention vergegenwärtigen, sich vor diesem Hintergrund der Tragweite seiner eigenen Entscheidungen und seines eigenen Einsatzes bewusst werden und sich mit aller Kraft für die Umsetzung im Land Brandenburg einsetzen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Maresch. - Bevor wir mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fortsetzen, begrüße ich besonders herzlich sehr große Menschen in unserem Raum. Es sind Sportlerinnen und Sportler der Volleyball-Bundesliga-Mannschaft Netzhoppers Königs Wusterhausen und Bestensee. Seien Sie herzlich willkommen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört, das Behindertenpolitische Maßnahmenpaket ist in einer Vielzahl von Veranstaltungen, unter anderem in fünf Regionalkonferenzen, entstanden. Selbstverständlich sind mir auch die unterschiedlichen Kritiken bekannt. Ich will, bevor ich zum eigentlichen Punkt und zu zwei, drei weiteren Punkten, auf die ich eingehen möchte, komme, gleich vorweg sagen, dass ich es nicht als sinnvoll ansehen würde, das Maßnahmenpaket, bevor es überhaupt eine Wirkung entfalten konnte, zu bewerten. Ich glaube, das Maßnahmenpaket muss erst einmal umgesetzt werden, und dann müssen wir - Herr Minister Baaske, Sie haben es angesprochen - in einer Evaluierung bewerten, welche Maßnahmen gegriffen haben und welche nicht.
Politik für Menschen mit Behinderung ist Bürgerrechtspolitik, meine Damen und Herren. Die erfolgreichste Politik für Menschen mit Behinderung ist die, die drohende Behinderung zu vermeiden oder eben durch geeignete therapeutische und pädagogische Maßnahmen die Einschränkungen durch Behinderungen zu minimieren. Deshalb ist es insbesondere wichtig, dass wir uns um die Optimierung der Frühförderung Behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher kümmern.
Die Möglichkeit, dass behinderte Menschen vollständig an allen Bereichen des Lebens teilnehmen, ist eines der Hauptziele liberaler Politik für Menschen mit Behinderung. Deshalb setzen wir uns für eine barrierefreie Infrastruktur in allen öffentlichen und privaten Bereichen genauso wie für uneingeschränkte Integration behinderter Bürgerinnen und Bürger in den Arbeitsmarkt und in die Zivilgesellschaft ein.
Das Erreichen einer barrierefreien Gesellschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe - Herr Minister Baaske, Sie haben es vorhin angesprochen -, die nicht nur finanzielle Solidarität zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erfordert, sondern auch einen Bewusstseinswandel voraussetzt. Durch den demografischen Wandel und den medizinischen Fortschritt wird der Anteil behinderter Menschen an der Gesamtbevölkerung weiter zunehmen und in naher Zukunft immer mehr Menschen sowie deren Familie und Freunde betreffen.
Allzu oft haben wir in diesem Parlament bei der Debatte um das Thema Inklusion lediglich die schulische Inklusion im Blickfeld gehabt und die gesamtgesellschaftliche Diskussion um gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion in der Gemeinschaft insgesamt zu wenig thematisiert. Das vorliegende behindertenpolitische Maßnahmenpaket der Landesregierung ist
wichtig und notwendig, um das Thema Inklusion insgesamt ins Blickfeld zu rücken. Insofern begrüßen wir die Vorlage des Maßnahmenpakets, wenngleich wir im Maßnahmenpaket selbst auch Schwächen sehen, die es nicht zu verschweigen gilt.
Minister Baaske, Sie haben es angesprochen und Sie haben natürlich einen Punkt herausgegriffen, von dem Sie wussten, dass wir als Opposition ihn aufgreifen werden. Die allermeisten Maßnahmen des Maßnahmenpakets stehen unter einem Finanzierungsvorbehalt, und deswegen ist es nicht hinreichend klar und verlässlich für die Partner in diesem Bereich. Aber es ist ein Auftrag für uns alle in diesem Parlament, notwendige und richtige Maßnahmen, die es in dem Paket gibt, auch finanziell zu untersetzen. In erster Linie ist es die Aufgabe der Landesregierung, die uns die Eckwerte für den Haushalt 2013/2014 vorlegen und diese dann inhaltlich unterfüttern muss, damit wir als Haushaltsgesetzgeber für notwendige Projekte Mittel zur Verfügung stellen können.
Meine Damen und Herren, wir gestehen zu, dass die Landesregierung nicht für jedes Projekt konkrete Finanzierungszusagen geben kann. Wir hätten jedoch erwartet, dass sie ein solch wichtiges gesellschaftspolitisches Thema, dem sie wie wir Priorität beimisst, wenn schon nicht im Detail ausfinanziert, so doch wenigstens mit prioritären Maßnahmen versieht, für die sie eine mittelfristige Finanzierung zusagt. Das ist nicht geschehen, was - das kann ich Ihnen nicht ersparen - Ihrem selbst auferlegten Anspruch, das Thema Inklusion voranzutreiben, nur bedingt gerecht wird.
Ich will auf noch einen Punkt eingehen, meine Damen und Herren. Der Wettlauf um die besten Köpfe hat längst begonnen. Dabei gilt es eben nicht nur, Arbeitskräfte aus dem Ausland, sondern auch den Teil der deutschen Bevölkerung, der oft völlig zu Unrecht unterschätzt wird, nämlich Menschen mit Behinderung, zu integrieren.
Sie sind ein stilles Potenzial, und mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel müssen wir ihnen mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist eine barrierefreie Infrastruktur.
Zudem sollten wir an den Schulen bereits frühzeitig inklusiv arbeiten. Wenn es beruflich eine Inklusion geben soll, müssen wir damit schon in der Schule beginnen, meine Damen und Herren.