Protocol of the Session on November 9, 2011

Dass diese Prozesse aber auf kommunaler Ebene trotz viel guten Willens oft so holprig sind, hat vor allem zwei Gründe. Erstens: Kinder und Jugendliche leben schneller. Ein Freizeitgelände zu planen wird sie nicht begeistern, wenn es erst nach ihrem Berufsabschluss fertig ist. Zweitens wird es sie nicht begeistern, wenn ihr in anstrengenden Diskussionsrunden ausgehandeltes Ergebnis nur im Papierkorb der kommunalen Entscheidungsträger landet.

Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass dieser Antrag auf Änderung der Kommunalverfassung, den wir heute vorlegen, Wunder bewirkt. Keiner der hier angesprochenen Stolpersteine wird per se dadurch beseitigt, dass wir die Kommunalverfassung an dieser Stelle ändern; mit der Technik allein ist es nicht getan. Aber um einen langfristigen Bewusstseinswandel zu erreichen, sind oft technische Änderungen erforderlich, die wiederum geänderte Prozessabläufe nach sich ziehen.

Wenn wir heute die von uns vorgelegte Änderung bzw. deren

ernsthafte Weiterdiskussion beschließen, dann werden Kommunen künftig überlegen müssen, auf welchem Wege sie Kinder und Jugendliche in Planungsprozesse einbeziehen. Wie das passiert, ist damit noch nicht vorweggenommen, wir wollen den Kommunen nicht vorgreifen. Es gibt viele Methoden; Kinder- und Jugendparlamente sind nur ein Weg unter vielen denkbaren. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Kommunen die Freiheit haben, den für sie richtigen Weg vor Ort zu finden.

Warum machen wir das? Natürlich auch, um etwas gegen die Abwanderung zu tun, und auch, um den Jugendlichen in einer zunehmend von Älteren bestimmten Welt mehr Gewicht zu geben - aber vor allem deshalb, damit Hänschen und Gretchen von klein auf lernen, unterschiedliche Interessen kontrovers, aber doch friedlich gegeneinander abzuwägen, also eine Kultur der Vielfalt zu schätzen, in der jede Stimme zählt. Hans und Grete können dann auch noch davon lernen.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Halem. - Wir kommen zum Beitrag der SPD-Fraktion. Herr Abgeordneter Richter hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Grünen schlägt vor, § 13 der Kommunalverfassung durch einen zweiten Absatz zu ergänzen, der ausdrücklich die Rechte der Kinder und Jugendlichen hinsichtlich der Beteiligung an Entscheidungen in der Kommune regelt. Natürlich ist das ein gutes Ziel, das auch wir unterstützen - das kann man nur unterstützen.

Trotzdem sei mir erlaubt, hier ein paar Überlegungen einfließen zu lassen. Wie ist der gegenwärtige Stand? Es ist ja nicht so, dass es derzeit gar keine Regelungen zu dem Sachverhalt gäbe.

Es gibt in der Kommunalverfassung den § 13, in dem es heißt:

„Die Gemeinde beteiligt und unterrichtet die betroffenen Einwohner in wichtigen Gemeindeangelegenheiten.“

Das geht noch weiter, ich will nicht alles zitieren. Natürlich sind auch Kinder und Jugendliche Einwohner einer Gemeinde. Das heißt, eigentlich ist hier schon gesagt, dass Kinder und Jugendliche, wie alle übrigen Einwohner auch, an solchen Entscheidungen zu beteiligen sind. Das Nähere regele die Hauptsatzung, steht dort so schön.

Es gibt in der Kommunalverfassung den § 19, der überschrieben ist mit „Beiräte und weitere Beauftragte“. Darin geht es um die Möglichkeit, die sich die Kommunen in ihrer Hauptsatzung geben können, Beiräte zu gründen, unter anderem einen Jugend- oder Kinderbeirat und einen Seniorenbeirat. All das ist jetzt schon möglich und ist auch gängige Praxis. Eine Reihe von Kommunen macht von diesen Möglichkeiten der Kommunalverfassung sehr rege Gebrauch.

Darüber hinaus finden sich Regelungen in Spezialgesetzen. Ich verweise auf das Ausführungsgesetz zum SGB VIII - Kin

der- und Jugendhilfe - aus dem Jahre 2007, in dessen § 17a es heißt:

„Kinder und Jugendliche sollen in geeigneter Form ihrem Entwicklungsstand entsprechend an wichtigen sie betreffenden Entscheidungen... beteiligt werden.“

Das heißt, gesetzliche Regelungen gibt es eine ganze Menge.

In der Praxis, in Brandenburger Kommunen, gibt es auch eine ganze Menge, das habe ich auch schon gesagt: Jugendparlamente, Kinderbeteiligungen usw. Es gibt nicht genug - da stimme ich Ihnen zu, Frau von Halem.

Die Frage ist nun: Bringt eine solche zusätzliche Verankerung in § 13 wirklich Verbesserungen in dem möglichen Rahmen, den wir jetzt schon haben? Ich bin da skeptisch. Zum einen ist die Formulierung für mich unklar. In Ihrem Gesetzentwurf steht:

„Kinder und Jugendliche müssen bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligt werden.“

Welche Maßnahmen und Vorhaben berühren denn die Interessen von Jugendlichen nicht? Politik richtet sich ja in aller Regel in die Zukunft und berührt damit automatisch die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Wenn eine Kommune beispielsweise eine Straße bauen will, dann berührt es natürlich auch Interessen von Kindern und Jugendlichen, ob die Bürgersteige breit genug sind, ob genug Überwege vorhanden sind, ob vielleicht ein Radfahrweg dabei ist usw.

(Zuruf der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

All das sind berechtigte Interessen von Kindern und Jugendlichen - vollkommen in Ordnung.

Jetzt muss man fragen: Na gut, wenn das so ist - wie kann man sich das denn nun praktisch vorstellen? Bleiben wir bei dem Beispiel: Die Gemeinde baut eine Straße. Wie wird sie mit der Situation umgehen? - Wenn wir den Kommunen die verfassungsrechtliche Pflicht auferlegen, das zu tun, müssen wir ihr auch einige Handreichungen geben, wie sie das machen kann. Wenn die Gemeinde ein Kinder- und Jugendparlament hat prima, dann kann sie das beteiligen und kann sagen: Wir haben ein Straßenbauvorhaben, wir machen mal eine Runde mit Kindern und Jugendlichen. Wenn sie ein Kinder- und Jugendparlament nun nicht hat - was macht sie dann, wie beteiligt sie dann die Kinder und Jugendlichen? Ich frage immer: Wie macht das die kleine typische Brandenburger Kommune mit 5 000 Einwohnern? Es gibt auch praktisch Dinge, die zumindest noch zu überlegen sind.

Ich komme für mich zu dem Ergebnis, dass ich eine Änderung der Kommunalverfassung zu dem Sachverhalt nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand nicht für erforderlich halte. Ich glaube, wir haben keinen Mangel an gesetzlichen Regelungen, sondern einen Mangel an Umsetzung, einen Mangel an Willen, einen Mangel an Mut, es denn auch zu tun. Auch wenn wir noch eine Regelung hinzufügten, glaube ich nicht, dass sich deswegen die Situation grundsätzlich ändern würde. Wenn man es ändern will - es gibt eine Reihe Kommunen, die das schon längst machen -, dann kann man es auch jetzt schon tun.

Zum Schluss möchte ich noch ein kleines Zitat einfügen; Frau von Halem, Sie gestatten mir das. Ich glaube, Sie haben vorhin aus Ihrer am 28.09. gehaltenen Rede ein bisschen zitiert. Ich nehme eine andere Stelle Ihrer Rede; da ging es um das selbe Thema, Beteiligung von Kindern und Jugendlichen:

„Auf kommunaler Ebene gibt es wunderbare Beispiele, wie mit Jugendbeteiligung experimentiert wird. Dennoch ist sie insgesamt noch ziemlich holprig.“

Stimmt, gebe ich zu.

„Meines Erachtens ist es wichtig, dass in den verschiedenen Kommunen selbst versucht wird - je nachdem, wie die Kommunen gestrickt und wie die Interessenlagen sind -, mit diesem Instrument zu experimentieren und eigene Wege zu gehen. Ich denke, das muss nicht auf Landesebene vorgeschrieben werden.“

Das sagt Frau Halem. Dem stimme ich zu.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Richter - mit einer Punktlandung. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Wichmann hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich als junger Abgeordneter und neugewählter kommunalpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr gefreut. Zum einen haben wir die Möglichkeit, in diesem Haus heute mal darüber zu debattieren: Wie können wir unsere Kinder und Jugendlichen vor allem auf der Ebene, auf der sie tagtäglich unterwegs sind und leben, auf der kommunalen Ebene, stärker in die politische Meinungs- und Willensbildung und auch in die Gestaltung ihres Lebensumfelds einbeziehen?

Wenn ich den Gesetzentwurf richtig verstanden habe - Frau von Halem hat ihn sehr gut begründet -, geht es vor allem darum, die Rechte der Kinder und Jugendlichen bei der Planung von Vorhaben auf kommunaler Ebene gesetzlich verbindlich in der Kommunalverfassung zu regeln. Herr Richter, Sie haben es hier selbst gesagt: Es fehlt in den Kommunen oftmals der Wille, die Kinder und Jugendlichen zu beteiligen. Damit muss überlegt werden, es den Kommunen ein Stück weit vorzuschreiben. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, Herr Richter, ich würde nicht so weit gehen wollen - und bin sehr froh, dass die Grünen dies in ihrem Entwurf auch nicht getan haben -, den Kommunen auch noch das Wie der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen vorzuschreiben, sondern wir wollen, dass wenigstens das Ob erst einmal geregelt wird.

(Zuruf der Abgeordneten Alter [SPD])

Insofern gehen Sie weiter als die Grünen, lehnen aber trotzdem den Gesetzentwurf ab. Das erschließt sich mir nicht, muss ich

Ihnen ehrlich sagen. Diese Logik habe ich nicht verstanden, Herr Richter.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Ich möchte in meiner Rede fortfahren und zum Gesetzentwurf einige Anmerkungen machen und Gedanken äußern. Ich denke, wir alle sind uns einig - das kann man fraktionsübergreifend sagen -, dass wir eine stärkere Beteiligung der Kinder und Jugendlichen haben wollen und auch brauchen. Dass dies notwendig ist, ist allen völlig klar. Dass der gegenwärtige Zustand nicht befriedigend und nicht ausreichend ist, ist uns allen auch klar.

Ich nehme an, Sie kennen die Zahlen; ich möchte sie Ihnen trotzdem noch einmal vorlesen: Wir haben 418 Städte und Gemeinden in unserem Land, in denen es gewählte kommunale Vertretungen gibt: Gemeindevertretungen, Stadtverordnetenversammlungen, hauptamtliche Bürgermeister. In nur 37 dieser 418 Städte und Gemeinden haben wir gegenwärtig Kinder- und Jugendparlamente. Das heißt, in mageren, mickrigen 8,8 % unserer Kommunen werden junge Menschen durch Kinder- und Jugendparlamente beteiligt, dort können sie sich einbringen. Diese Zahl ist viel zu klein. Ich denke, wir alle sollten alle Anstrengungen unternehmen,

(Frau Alter [SPD]: Machen wir ja auch!)

um diese Zahl nach oben zu korrigieren. Der Gesetzentwurf der Grünen bietet aus unserer Sicht dazu eine hervorragende Gelegenheit. Damit sind die Bürgermeister und auch die Städte und Kommunen insgesamt in der Pflicht, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Kinder und Jugendlichen stärker in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes in den Städten und Gemeinden einbeziehen können,

(Frau Alter [SPD]: Das machen wir doch!)

ohne sie zu bevormunden, ohne ihnen vorzuschreiben, sie müssten ein Kinder- und Jugendparlament einrichten. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche frühzeitig in die politische Willens- und Meinungsbildung einzubeziehen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich verstehe Ihre ablehnende Haltung schon insofern nicht, als gerade heute Mittag eine Beratung mit Ihren Innenpolitikern, mit allen Innenpolitikern dieses Hauses stattfand. Sie setzen sich vehement für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auf der kommunalen Ebene und sogar auf der Landesebene ein. Sie wollen, dass 16-Jährige in diesem Land den Landtag wählen,

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

sind aber dagegen, dass in den Kommunen verbindlich geregelt wird, wie Kinder und Jugendliche in die politische Debatte einbezogen werden.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Das begreife ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90 - Zuruf der Abgeordne- ten Lehmann [SPD])

Insofern bin ich den Grünen dankbar dafür, dass sie diesen Vorschlag gemacht haben, weil er Ihr Eintreten für ein Wahlalter von 16 komplett entlarvt. In Wirklichkeit sind Sie gegen die Absenkung des Wahlalters auf 16!

(Lachen bei SPD und DIE LINKE)