Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau von Halem, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Diskussion auf ein sachliches Niveau zurückgeführt haben. Sie haben sich zu den Anträgen der Opposition so qualifiziert geäußert, dass ich nichts mehr dazu zu sagen brauche.
Ich möchte gern einen Hinweis voranstellen: „Schließung der Förderschulen im Jahr 2019“ - wenn man es so formuliert, zeigt das, wie man durch Skandalisierung einer aus dem Zusammenhang herausgerissenen Zahl Menschen auf die Palme treiben kann. Das halte ich für in höchstem Maße unverantwortlich, meine Damen und Herren von der CDU.
Lassen Sie mich ausholen, um zu verdeutlichen, worum es eigentlich geht. Wir haben ein zentrales bildungspolitisches Ziel, dem sich alles unterordnet: Wir wollen kein Kind zurücklassen. Wir wollen jedes Kind optimal fördern. Das ist unsere Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen, und dieser Verantwortung werden wir gerecht.
Es geht um Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildung und beim Zugang zu Bildungsqualität. Letztlich geht es um die Lebensperspektive und die Zukunft unseres Landes. Das wissen wir.
Ziel ist ferner die weitere Entwicklung der Wirtschaftlichkeit. Auch ist der Fachkräftebedarf zu sichern - ein wichtiges Thema, das auch Sie von der CDU sich immer auf die Fahnen schreiben. Wir müssen angesichts der demografischen Entwicklung alles dafür tun, dass die Kinder, die heute in die Schule kommen, in zehn oder zwölf Jahren optimal ausgebildet in Berufsausbildung oder Studium starten.
Dagegen steht, dass im vergangenen Schuljahr ungefähr 10 % der Schülerinnen und Schüler in Brandenburg die Schule ohne anerkannten Abschluss verlassen haben. Diese Zahl müssen wird deutlich reduzieren, auch im Interesse der Zukunft unseres Landes.
Das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Genau darum begrüße ich die Diskussion zum Thema Bildungsqualität;
diese wird uns helfen, unser Vorhaben zu realisieren. Warum ist das so? Erinnern wir uns: Zwei Drittel der Jugendlichen ohne Abschluss sind Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Das ist nicht Schicksal und nicht Fügung. Ganz im Gegenteil: Das kann man ändern, und das werden wir auch ändern. Wir könnten dazu natürlich die curricularen Voraussetzungen für den Erwerb von Abschlüssen mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf Lernen schaffen. Aber: Veränderte, höhere Anforderungen allein garantieren noch keinen Lernerfolg.
Was die Kinder - vor allen Dingen die Kinder in den Sonderschulen mit Förderbedarf, mit LES - brauchen, ist eine anregungsreiche Lernumgebung. Es geht darum, dass Kinder, denen das Lernen schwerer fällt, von denen lernen können, denen es leichter fällt. Wir wissen heute: Davon profitieren alle Kinder und Jugendlichen, auch die hochbegabten. Das fördert kognitive, soziale und auch persönliche Entwicklungen aller Schülerinnen und Schüler. Und wir wissen von Ländern, die uns da schon weit voraus sind, dass die Unterrichtsqualität dadurch nicht sinkt, sondern - im Gegenteil -, dass die Schulabschlüsse tendenziell besser werden. Wir müssen lernen, individuell auf die Kinder einzugehen. Darum wollen wir - wie im Koalitionsvertrag vereinbart - den gemeinsamen Unterricht ausbauen. Ich sage ganz offen: Da ist die UN-Behindertenrechtskonvention ein sehr wichtiger Zielstein, denn er bestärkt uns in unserem Vorhaben.
Eine inklusive Schule - auf diesen Weg wollen wir uns verstärkt machen - ist eine gute Schule für alle Kinder.
Wir sind - auch darauf haben die Vorredner schon hingewiesen im Vergleich mit anderen Bundesländern schon recht gut aufgestellt, nur hat es offensichtlich niemand seitens der Oppositionsfraktionen bemerkt. Fast 40 % der Kinder mit Förderbedarfen - doppelt so viele wie im Durchschnitt in Deutschland lernen bereits im gemeinsamen Unterricht. Es gibt schon seit 20 Jahren den Vorrang der gemeinsamen Beschulung. Es gibt die Flexible Eingangsphase, individuelle Lernstandsdiagnosen und die förderdiagnostische Lernbeobachtung. All diese Instrumente sind ein sehr gutes Fundament für diese Schule der Zukunft, die wir anstreben. Wir müssen individualisierten Qualitätsansprüchen mehr genügen, und genau auf diesen Weg begeben wir uns.
Personell sind wir ebenfalls nicht schlecht aufgestellt. Es gibt 427 Sonderpädagogen, die bereits an 417 öffentlichen Grundschulen unterrichten. Sie gehen flexibel vor Ort auf die Förderbedürfnisse von Kindern ein. Wir werden die hervorragende Arbeit der Sonderpädagogen bei der Entwicklung der Qualität von gemeinsamem Unterricht weiter brauchen. Wir werden sie aufwerten, weil wir sie beim gemeinsamen Unterricht brauchen. Darum geht es. Es geht nicht darum, die Arbeit in den Förderschulen zu disqualifizieren, sondern wir brauchen diese qualifizierte Arbeit.
Dass die Voraussetzungen in unserem Land vergleichsweise gut sind, zeigt sich auch daran, dass sich die Pilotschulen selbstständig auf diesen Weg machen, und ich begrüße diesen Schritt sehr. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie fordern doch immer mehr Selbstständigkeit der Schulen. Genau diese Pilotschule zeigt, wie selbstständig unsere Schulen sind, dass sie in der Lage sind - auch im bestehenden System mit den bestehenden Ressourcen inklusive Bildung - vorzuleben, sich auf den Weg zu machen. Weil wir solche Voraussetzungen haben, ist es mein Ziel - ich sage jetzt etwas zur Zahl 2019 -, dass ein Jahrzehnt nach Ratifizierung der UN-Konvention durch die Bundesrepublik kein Kind mehr wegen eines besonderen Förderbedarfs im Lernen, in der sprachlichen Entwicklung oder im Verhalten von seiner Schule verwiesen werden muss und aus der Gemeinschaft von Gleichaltrigen, von Kindern, die mit ihm gemeinsam in diese Schule gehen, ausgeschlossen wird.
Der Begriff „Inklusion“ ist sperrig, da haben Sie vollkommen Recht. Es ist noch niemandem gelungen, einen besseren Begriff zu finden. Insofern müssen wir beschreiben, worum es uns bei der Inklusion geht, die - selbstverständlich, Herr Maresch - einen gesellschaftlichen Prozess voraussetzt; wir arbeiten ja auch in unterschiedlichsten Bereichen daran. Mit „Inklusion“ ist genau das gemeint, was uns Brandenburgerinnen und Brandenburgern wichtig ist: Es geht um Chancengerechtigkeit und Teilhabe für alle, und es geht um mehr Gemeinsamkeit und Solidarität - nicht weniger meint „Inklusion“. Deshalb ist bei der Diskussion zum Thema „Inklusion“ die ganze Gesellschaft beteiligt. In allen politischen Entscheidungsprozessen kommt es deshalb darauf an, einen breiten Konsens zu schmieden und mit allen Beteiligten gemeinsam zu entscheiden. Deswegen war es niemals Sinn und Zweck der Regionalkonferenzen, einen Plan überzustülpen, sondern es ist der Beginn einer breit angelegten Diskussion. Wir werden diese gewichtigen Schritte auch gemeinsam gehen, und selbstverständlich müssen wir die Menschen auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit mitnehmen.
In den Regionalkonferenzen - Sie haben das angesprochen haben wir ein sehr unterschiedliches Spektrum an Meinungen gehört. Es war mir sehr wichtig, bei diesen Regionalkonferenzen persönlich im ganzen Land dabei zu sein. Es gibt Zustimmung zum Ziel; das ist der Tenor, den es überall gab. Niemand möchte Menschen mit Behinderungen wegen ihrer Behinderung aussondern. Es gibt aber selbstverständlich auch Sorgen und Probleme. Es gibt Bedenken, die wir alle sehr ernst nehmen. Es geht um die künftige personelle Ausstattung des gemeinsamen Unterrichts, es geht um die Qualifikation der Lehrkräfte. Es geht natürlich auch um das Wohlergehen der förderbedürftigen Kinder, aber auch um die Schulqualität für alle anderen. All diese Fragen werden wir beantworten; wir bearbeiten sie intensiv. Wir werden Ihnen beispielsweise zur Lehrerbildung schon sehr bald ein Konzept vorlegen, das genau diese ganzen Punkte beinhaltet. Der Maßnahmenplan ist bereits verabschiedet; auch er wird dem Parlament in den nächsten Monaten zugehen.
Es gibt für den gemeinsamen Unterricht in Brandenburg großartige Beispiele, und wir wollen weitere Schulen motivieren, sich ab dem nächsten - und verstärkt ab dem übernächsten Schuljahr auf diesen Weg zu machen. Wir werden die Eltern
intensiv beraten und ihnen die Vorteile des Lernens an solchen Schulen aufzeigen. Wenn es nicht die tapferen Eltern gäbe, die trotz des schwierigen Lebens mit einem Kind mit Behinderungen und Problemen - Herr Maresch hat das vorhin noch einmal sehr ergreifend geschildert - durchgekämpft hätten, dass ihr Kind nicht ausgesondert wird, wären wir heute im Land noch nicht so weit, und ich bin diesen Eltern wirklich dankbar.
Letzten Endes geht es darum, dass wir es den Eltern, die diese Kraft nicht haben, ermöglichen, dass es künftig selbstverständlich ist, dass ihr Kind nicht abgetrennt wird. Auch das heißt Inklusion. Wir werden diesen Weg gemeinsam gehen, und wir werden ihn in kleinen Schritten und behutsam gehen.
Wir haben für die Einführung einen Maßnahmenplan erstellt, der auch grundlegende Aussagen zu den Ressourcen enthält. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Lehrerstellen, ist die Personalfrage. Und - Sie haben es gehört - es ist uns gelungen, gemeinsam mit den beiden Koalitionsfraktionen und dem Finanzminister - dafür bin ich sehr dankbar - trotz der angespannten Haushaltslage im kommenden Schuljahr 250 Lehrerinnen und Lehrer einzustellen.
Da können Sie wirklich einmal applaudieren. Das sind nahezu doppelt so viele, wie wir ursprünglich geplant hatten, und auch mehr, als wir bräuchten, um die vereinbarte Schüler-LehrerRelation zu halten. Wir verbessern dadurch die Rahmenbedingungen schon im nächsten Jahr, auch für den Ausbau des weiteren gemeinsamen Unterrichts.
Wir werden auch künftig die Mitarbeit und Expertise aller Partner benötigen. Deshalb werden wir einen politischen Runden Tisch einrichten, um alle Aspekte einer Schule auf den Weg zur inklusiven Bildung mit allen Beteiligten und vor allen Dingen auch mit den Betroffenen zu beraten. Wir werden einen Beirat aus Wissenschaftlern und Praktikern bilden, um für alle Handlungsfelder gemeinsame Lösungsvorschläge zu entwickeln. Und ich lade Sie alle ein, meine Damen und Herren, Verantwortung zu übernehmen, damit es uns gelingt, kein Kind zurückzulassen, alle Kinder und Jugendlichen optimal in ihrer Entwicklung zu fördern - sowohl das Kind mit Behinderungen als auch das Kind mit Hochbegabung - und allen den bestmöglichen Schulabschluss zu ermöglichen. Dafür brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Alle, die mit Pädagogik zu tun haben, sind im Grunde optimistische Menschen. Wir gehen davon aus, dass Menschen bis an ihr Lebensende lernfähig bleiben. In diesem Sinne, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie herzlich eingeladen, sich an diesem Prozess zu beteiligen. - Vielen Dank.
Während der Abgeordnete Wichmann zur Kurzintervention ans Rednerpult tritt, begrüße ich unsere Gäste, Schülerinnen und Schüler der Bildungseinrichtung Buckow aus der Schorfheide.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin Münch, wenn man Sie hier vorne so reden hört, und wenn man dann die Realität als dreifacher Familienvater - meine älteste Tochter besucht die Grundschule bei uns in der Klasse 2, in der FLEX-Schule - sieht,
und wenn man dann die vielen Petitionen sieht, Frau Kaiser, die ich für uns aus dem Bildungsbereich im Petitionsausschuss bearbeite, die sich genau damit befassen, wie wenig Förderung Kinder mit Förderbedarf jetzt schon in Grundschulen erhalten, und wenn Sie dann als Familienvater erleben, dass Kinder, die eine Rechenschwäche haben, in der Klasse 2 im FLEXBereich nur dann eine Förderstunde bekommen, wenn der Sonderpädagoge gerade nicht gebraucht wird, um andere Lehrer zu vertreten, weil Unterrichtsausfall an dieser Schule vorherrscht,
und Sie uns dann hier sagen, Sie wollen die Förderschule bis 2019 abschaffen, dann muss ich Ihnen ehrlich sagen - ich habe das Frau Münch auch im Bildungsausschuss gesagt -: Sie haben für ein Projekt die Baugenehmigung erteilt, ohne vorher den Bauplan gesehen zu haben und ohne das Geld dafür in der Tasche zu haben. Ich kann Ihnen nur dringend raten: Stoppen Sie dieses Projekt! Stellen Sie dieses Projekt zurück. Ich kann der SPD nur empfehlen - ich habe am Samstag gerade wieder lange mit ihm in Templin gesprochen -: Laden Sie Herrn Steinert aus Templin ein. Er ist der Leiter der Waldhofschule gewesen. Er ist deutschlandweit unterwegs, um die SPD zu beraten, wie man Inklusion richtig praktiziert. Er hat mir gerade am Samstag gesagt: „Der Prophet gilt leider nicht viel im eigenen Land.“ Es wäre schön, wenn Sie ihn einmal einladen, ihn hören und seine Ratschläge ernst nehmen würden. Diesen Rat möchte ich Ihnen jedenfalls heute erteilen. - Herzlichen Dank.
Herr Wichmann, ich empfehle Ihnen § 29 unserer Geschäftsordnung, der regelt, dass sich eine Kurzintervention auf den Beitrag des Vorredners bezieht.
Frau Ministerin Dr. Münch, Sie haben beschrieben, wie gut wir ausgestattet sind, was wir schon alles haben, wie weit wir bereits auf diesem Weg sind. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum wir trotzdem bei den PISA-Ergebnissen immer weit hinter Sachsen landen?
Sie haben behauptet, Sie wollen erreichen, dass Kinder wegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht mehr von der Schule verwiesen werden. Wissen Sie, dass die Kinder, die an den Schulen mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt Lernen unterrichtet werden, auf Wunsch der Eltern und nicht gegen den Willen der Eltern dort sind? Wissen Sie, dass Kinder mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen schon heute in eine Regelschule gehen können, wenn sie das wollen?