Protocol of the Session on June 23, 2011

Eine weitere Kurzintervention hat die Abgeordnete Theiss angemeldet. - Ich bitte Sie, dieses Instrument während der Aktuellen Stunde nicht zu missbrauchen, um zusätzliche Redezeiten zu bekommen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Herz schlägt ganz doll als ehemalige Schulleiterin, die schon lange Integration, Inklusion an ihrer Schule praktiziert hat. Ich finde es so traurig, heute hören zu müssen, dass Lehrer als unfähig beschimpft werden, dass Schule als unfähig hingestellt wird.

(Senftleben [CDU]: Wer hat das gesagt?)

- Ich habe es so empfunden durch das, was heute gesagt wurde.

(Lachen bei der CDU - Zuruf des Abgeordneten Büttner [FDP])

Gehen Sie mal in Schulen! Kommen Sie mit mir mit, ich zeige Ihnen, wie man Kinder mit Lernbehinderung, wie man Kinder mit geistiger Behinderung in Regelschulen beschulen kann. Herr Büttner, die Hauptvoraussetzung ist: Ich und wir müssen es wollen! Mehr bedarf es gar nicht. Wir müssen es wollen.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zustimmendes Klopfen des Ministerpräsidenten Platzeck)

Wenn wir an diesem Punkt angekommen sind, wir - die Lehrer, wir - die Gesellschaft -, dann, glauben Sie mir, ist Inklusion eine wundervolle und tolle Sache im Interesse der Menschen.

(Beifall SPD und DIE LINKE und zustimmendes Klopfen des Ministerpräsidenten Platzeck)

Herr Büttner, Sie haben, wie üblich, Gelegenheit, zu reagieren.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Maresch, ich wollte auf Ihren Redebeitrag gar nicht mehr reagieren, weil ich glaube, dass wir da eine übereinstimmende Auffassung haben. Sie wissen auch aus gemeinsamen Gesprä

chen, dass ich sehr hohen Respekt vor den Eltern habe, die die Aufgabe so liebevoll und mit so viel Herzblut übernehmen. Wir beide wissen auch, dass wir die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur auf die Bildungsgesellschaft verengen dürfen, sondern dass es eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft

(Frau Lehmann [SPD]: Genau!)

und eine gesellschaftsverändernde Aufgabe ist. Wir haben darüber in diesem Landtag schon diskutiert, auch in verschiedenen Veranstaltungen, Kollege Maresch.

Aber, Frau Theiss, ich weise ausdrücklich zurück, dass ich oder Teile der Opposition behauptet hätten, Lehrer seien unfähig.

(Beifall FDP und CDU)

Frau Theiss, ich würde Sie einfach bitten - auch im Interesse einer guten, fachlichen und vernünftigen Zusammenarbeit -, solche Unterstellungen nicht in den Raum, in die Öffentlichkeit des Plenums zu stellen.

(Zurufe der Abgeordneten Frau Dr. Ludwig und Senftle- ben [CDU] sowie des Ministerpräsidenten Platzeck)

Dass Sie das so empfinden - ich muss Ihnen sagen: Was Sie da empfinden, ist schlichtweg falsch. Ich glaube, dass an dieser Stelle eine Entschuldigung angebracht wäre.

(Beifall CDU und FDP)

Ja, wir wollen Kinder integrieren, und wir wollen eine inklusive Bildungsgesellschaft haben. Ich sage das jedenfalls für unsere Fraktion.

(Senftleben [CDU]: Sehr richtig!)

Aber dafür, das sage ich nochmals, brauchen Sie die Voraussetzungen. Nur das Wollen reicht nicht aus. Sie brauchen die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, und das wissen Sie auch.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Wenn Sie als Lehrerin - wie wir wissen - gearbeitet haben, dann wissen Sie, dass „ich und wir müssen nur wollen“ am Ende nicht genügt, wenn Sie die nötige Ausstattung und die nötigen Ressourcen nicht haben. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Für die Linksfraktion setzt die Abgeordnete Große die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist immer gut, ein bildungspolitisches Thema am Ende eines Schuljahres zu platzieren - eines Schuljahres, in dem Schülerinnen und Schüler zumindest versucht haben, das ihnen Mögliche zu leisten, Lehrkräfte, oft bis an ihre Grenzen gehend, um

Qualität gerungen haben und Eltern sich engagiert haben. Dafür zumindest Dank den Genannten

(Beifall DIE LINKE)

und zunächst auch dem Einbringer dieses Antrages. Aber dabei bleibt es schon, meine Damen und Herren von der CDU. Ihr Antrag lässt sich auf drei Worte reduzieren: platter Populismus pur.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das erste CDU-Zauberwort - es sollte hier eigentlich um Schulfrieden und Bildungsqualität gehen, dazu habe ich von Ihnen wenig gehört - heißt Schulfrieden. Diesen, meine Damen und Herren von der CDU, fordert ausgerechnet eine Fraktion ein, die in zehn Jahren ihrer Regierungszeit 14 Schulgesetznovellen

(Görke [DIE LINKE]: 14! Nur Unruhe!)

zu verantworten hat, in deren Regierungszeit ca. 400 Schulen geschlossen wurden, ca. 5 000 Lehrerstellen abgebaut wurden, Tausende von Lehrkräften ver- und umgesetzt wurden; eine Fraktion, in deren Regierungszeit die unsägliche Einführung der Kopfnoten, die niemand mehr braucht, fällt; eine Fraktion, in deren Regierungszeit die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen sowie die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss drastisch gestiegen ist, in der die Flucht der Eltern in ein freies Schulsystem, weil das staatliche zu schwach ausgestattet war, stattgefunden hat. Nein, Frau Kollegin Dr. Ludwig, Sie können sich hier nicht wie Pilatus die Hände in Unschuld waschen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Nun versuchen Sie mit einer ganz billigen Chaospolemik den Koalitionskrieg auszulösen. Dazu sage ich Ihnen: Ich muss Sie heftig enttäuschen. Die Linke will die inklusive Schule in einer inklusiven Gesellschaft.

(Zurufe des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Das entspricht unserem Gesellschaftsverständnis. Es entspricht unserer Bildungsphilosophie. Wir haben schon lange vor der Unterzeichnung der UN-Konvention in all unseren programmatischen Werken von dieser inklusiven Schule geschrieben und sie gewollt, und hinsichtlich des Zieles gibt es keine Differenz zu unserem Koalitionspartner.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir wollen die Inklusion im Wissen darum, dass es dafür eines Paradigmenwechsels in der gesamten Gesellschaft bedarf, und eigentlich müsste nach Roman Herzog wirklich noch einmal „ein Ruck durch diese Gesellschaft gehen“. Uns ist klar, dass es das größte, tiefgreifendste und umfassendste Reformprojekt wäre, und selbst wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, regieren würden: Sie müssten es anfassen. Sie aber sind im Moment die Verhinderer, es überhaupt anzufassen.

(Beifall DIE LINKE - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Genau!)

Ich sage auch ganz klar: Die Schule könnte ein Impulsgeber für diese Prozesse in der Gesellschaft werden. So ist auch das mit

den Regionalkonferenzen zu verstehen, und natürlich muss man kein fertiges Konzept haben, Herr Kollege Büttner. Man kann ein Konzept auch von unten mit den Akteuren und Betroffenen entwickeln und es dann im Prozess dieser Arbeit vorlegen. Genau dies tut diese Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Warum, bitte schön, soll in Schulen nicht möglich sein, was in Kitas schon längst alltäglich ist? Das frage ich Sie. Warum können Sie sich das nicht vorstellen? Zu Ihrem „schönen“ Flyer komme ich noch, auch zu dem, wozu die Linke immer deutlich wahrnehmbar war.

(Zuruf von der CDU: Mehr dazu!)

Im Übrigen ist Ihre Geschichte in diesem Prozess, Pilotschulen abschaffen zu wollen - Herr Kollege Hoffmann, das war Ihre Presse dazu -, aberwitzig. Schulen, die sich allein auf den Weg gemacht haben, genau dies zu tun, wollen Sie die Möglichkeit nehmen. Das kann nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall der Abgeordneten Wöllert [DIE LINKE])

Ich komme nun zu dem, wo die Linke immer deutlich wahrnehmbar war: zum Prozess und dessen Wegbeschreitung. Dazu sagen wir noch einmal ganz deutlich: Eine inklusive Schule ist natürlich mehr als gemeinsamer Unterricht. Darin sind wir uns auch mit dem Koalitionspartner einig. Inklusive Schule braucht mehr und andere Ressourcen. Sie braucht Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer im Tandem, und zwar der Sonderpädagogen und der Lehrer im Regelunterricht. Sie braucht natürlich entsprechend kleine Klassen und Unterstützungssysteme sowie räumliche Voraussetzungen. Dabei ist der Bund gefordert, denn er hat es unterschrieben, und er hat meines Erachtens ein Programm aufzulegen, ähnlich dem Ganztagsprogramm. Inklusive Schule braucht Zeit, sich selbst zu dieser zu entwickeln. Inklusive Schule braucht Offenheit im Prozess. Es gibt viele Wege. Förderschulen können sich öffnen. Es gibt die Möglichkeit, Kompetenzzentren zu bilden, Förderklassen an einer Schule zu haben, solange es in diesem Prozess notwendig ist. Wir begeben uns ja jetzt erst auf diesen Weg. Vielleicht wird es am Ende dieses Prozesses auch noch die eine oder andere Förderschule für Kinder mit solch schweren Verhaltensauffälligkeiten geben, denen besser geholfen wäre, wenn sie erst einmal extra beschult würden - immer aber mit dem Ziel, sie wieder einzugliedern.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)