Protocol of the Session on May 19, 2011

Die Abgeordnete Wolff-Molorciuc spricht für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen vor dem Beginn der 18. Brandenburger Seniorenwoche, und das Thema der Aktuellen Stunde passt punktgenau und ist topaktuell. Dass Seniorenpolitik auch nach dieser Woche nicht ihr Ende findet, steht fest, und so wird der

Fachausschuss unmittelbar nach der Sommerpause das Gespräch mit dem Landesseniorenrat fortsetzen.

Seniorenpolitik ist keine Frage, die einmal mehr und einmal weniger hoch im Kurs steht oder einmal mehr und einmal weniger Konjunktur hat. Sie ist ein zentrales Handlungsfeld der Politik, und sie wird es in noch höherem Maße werden.

Die Seniorenpolitischen Leitlinien und das Seniorenpolitische Maßnahmenpaket sind das Ergebnis eines intensiven Dialogs mit Vereinen, Verbänden, Seniorenbeiräten, Seniorenorganisationen und mit Fachleuten außerhalb dieser Vereinigungen. Ich halte diesen Dialog für eine gute Tradition, was meine Partei übrigens auch schon zu Zeiten der Opposition anerkannt hat. Ich weiß, dass dieser Prozess weiter zu führen sein wird.

Ich werde darauf verzichten, die weitreichenden demografischen Veränderungen der nächsten Jahrzehnte in ganzer Breite darzulegen. Die grundlegenden Richtungen sind uns allen gegenwärtig. Dazu gehört auch das Wissen darüber, dass die Gruppe der älteren Menschen keine homogene Gruppe ist, sondern inzwischen bis zu drei Generationen umfasst, in denen jeder Mensch sehr individuell ist.

Wir haben es auch mit ganz unterschiedlichen Lebenssituationen der Älteren zu tun. Wir haben zum Beispiel Familien, in denen Enkel Großeltern pflegen, und sowohl die zu Pflegenden als auch die Pflegeleistenden können zur Gruppe der Senioren gehören. Wenn Sie seniorenpolitische Leitlinien verschiedener Bundesländer nebeneinanderlegen, werden Sie viel Übereinstimmendes finden. Ein Punkt, der sich als Handlungsfeld häufig wiederfindet, ist die Frage nach dem Bild vom Alter und vom Altern. Neu ist die Untersetzung der Leitlinien durch ein Maßnahmenpaket. Von den derzeit 40 Maßnahmen wird nicht jede und jeder alle gleich wichtig finden. Das ist völlig normal. Sicher fehlen dem einen oder anderen auch Maßnahmen. Trotzdem soll es abrechenbar und umsetzbar bleiben. Verbindlichkeit haben wir auch zu Oppositionszeiten gefordert, und wir sind froh darüber, dass diese anhand des Maßnahmenpakets jetzt weiter vorangeschritten ist. Dass daran weiter zu arbeiten ist, ist keine Frage. Es ist ein Prozess, der jetzt keinesfalls abgeschlossen ist.

Ich habe den Ausschuss angeführt. Frau Prof. Heppener hat ebenfalls gesagt: Es wird Gegenstand in der Parlamentssitzung und im Parlament überhaupt sein. Viele von uns - das betrifft nicht nur mich - haben über Vereine, Verbände und Organisationen die Möglichkeit gehabt und werden sie auch weiterhin haben, an diesem Maßnahmenpaket und an den Leitlinien weiter mitzuarbeiten.

Gestatten Sie mir, auf ein Problem etwas ausführlicher einzugehen, und zwar das der Altersarmut. Damit Sie mir nicht vorwerfen, ich würde hier unnötig dramatisieren, will ich - vielleicht zu Ihrer Verwunderung - für Sie aus den seniorenpolitischen Leitlinien in Sachsen-Anhalt zitieren:

„Einer derzeit guten Versorgungssituation vieler älterer Menschen steht eine - in Zukunft voraussichtlich wieder wachsende - Anzahl älterer Menschen mit sozialen Risiken gegenüber. Eine sozial gerechte Politik für Ältere muss diese Unterschiede berücksichtigen.“

Mit „berücksichtigen“ ist es sicher nicht getan. Aber da will ich die Kollegen in Sachsen-Anhalt nicht bevormunden; das steht

mir nicht zu. Wichtig ist mir: Das Problem wachsender Altersarmut ist kein eingebildetes oder herbeigeredetes, sondern vielmehr ein reales Problem. Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, wo Menschen mit sogenannten gebrochenen Erwerbsbiografien ins Rentenalter kommen, die aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit und Niedriglöhnen keine ausreichende Absicherung aus der Rente erreichen. Dieses Problem ist ein eher typisch ostdeutsches Problem. Ich finde es deshalb nicht nur richtig, sondern zwingend notwendig, dass sich die Landesregierung den Langzeitarbeitslosen jenseits der Fünfzig besonders zuwendet. Ziel ist Integration in den Arbeitsmarkt, aber das wird nicht in jedem Fall gelingen.

Trotzdem haben wir auch etwas erreicht, wenn wir es älteren Arbeitslosen ermöglichen, durch öffentlich geförderte Beschäftigung ebenfalls einen Beitrag zu ihrer eigenen Alterssicherung zu leisten. Sicherheiten für ein Altern in Würde und für Sozialaktivität im Alter werden weit vor dem Alter geschaffen und sind im Alter dann eine nicht unwesentliche Voraussetzung, um teilhaben zu können, um auch im Alter noch aktiv sein zu können.

In einer aktuellen Studie der Volkssolidarität heißt es: 2010 haben bei den ostdeutschen Neurentnern 41,5 % der Männer und 71,5 % der Frauen eine Rente unterhalb der Schwelle zur Armut von 801 Euro erhalten. Diese Zahlen werden im Leben vor der Rente produziert. Im Zusammenhang mit einer gerechten Alterssicherung bleiben für meine Fraktion zwei weitere Aspekte wichtig: Das ist zum einen die Rentenangleichung Ost an West, und zwar als eine reale Angleichung, nicht aber nur rein rechnerisch. Zudem bleibt die Forderung nach der Abschaffung der Rente mit 67.

Die Rente mit 69, wie sie nun von den „Wirtschaftsweisen“ gefordert wird, ist grober Unfug. Schon die Rente mit 67 verschärft nur die Altersarmut und bringt ökonomisch gar nichts.

(Beifall DIE LINKE)

Seit vielen Jahren steigt die Lebenserwartung. Das ist sehr erfreulich, und damit kommt man volkswirtschaftlich auch klar, weil und solange die Produktivität steigt und solange wir an der Umlagefinanzierung der Rente festhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Maßnahmenpaket findet sich unter dem Schwerpunkt „Engagieren“ unter anderem die Maßnahme 30: „Stärkung von Interessenvertretung“. Dort werden die Akteure wie der Seniorenrat und die Seniorenbeiräte als wichtig benannt - keinesfalls von mir unterschätzt. Auch die Unterstützung der Seniorenwoche mit jährlich 65 000 Euro ist wichtig.

Ich möchte aber - darüber hinausgehend - dafür werben, dass wir uns erneut darüber austauschen, ob wir verbindliche Mitwirkungsrechte in einem Seniorenmitwirkungsgesetz regeln sollten. Dabei können wir sicherlich auf gute - vielleicht auch auf weniger gute - Erfahrungen aus anderen Bundesländern zurückgreifen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, freuen wir uns gemeinsam auf die Seniorenwoche, auf viele Gespräche und Anregungen! - Danke.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Der Abgeordnete Büttner setzt für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich. Ich freue mich, dass wir heute, nur wenige Stunden vor Beginn der Brandenburgischen Seniorenwoche 2011, über die Seniorenpolitik sprechen. Die Zeiten, in denen Senioren automatisch zum „alten Eisen“ gezählt und aufs Altenteil geschoben wurden, sind glücklicherweise vorbei. Wir alle haben das Glück, in unserer Gesellschaft mit einer Seniorengeneration zusammenzuleben, die - wie noch keine vor ihr - fit, aktiv, mobil und flexibel ist. Wir erleben eine Generation älterer Menschen, die sich bis ins hohe Alter hinein guter Gesundheit erfreut, die quer durch die Welt reist, die sich gesellschaftlich engagiert und politisch einmischt und deren Wissensdurst auch im hohen Alter nicht versiegt.

Ich bin zum letzten Mal vor zwei Wochen - leider habe ich es zwischendurch nicht mehr geschafft - bei meiner Großmutter gewesen. Sie ist 97 Jahre alt und wohnt jetzt in einem Seniorenheim. Sie erzählte mir: „Du, ich bin jetzt in den Heimbeirat gewählt worden.“

(Beifall)

Aha! Mit 97 Jahren ist sie noch hochfit. Ich habe mich darüber gefreut, dass sie gesagt hat: „Ich bin hier seit sechs Monaten, aber ich möchte mich hier auch noch engagieren.“

(Zuruf von der SPD: Jetzt wissen wir, woher Ihre Gene kommen! - Heiterkeit)

Meine Damen und Herren! Den Lebensleistungen der heutigen Seniorengeneration gilt unser tiefster Dank und unser großer Respekt; denn den Grundstein für den Wohlstand, in dem wir heute leben, haben sie durch einen beispiellosen Kraftakt beim Aufbau dieses Landes gelegt. Ohne sie stünden wir nicht da, wo wir heute sind. Dafür sind wir ihnen dankbar.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren! Die Herausforderungen, die mit einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft auf uns zukommen, erfordern neue Ansätze im Zusammenleben der Generationen. Vor allen Dingen aber erfordern sie eine Anpassung der Infrastruktur im Land an die sich verändernden Möglichkeiten und Ansprüche der Senioren. Es ist Aufgabe der Politik, ressortübergreifend darauf zu reagieren. Wir begrüßen es daher, dass die Landesregierung ihr Seniorenpolitisches Maßnahmenpaket vorgelegt hat, in dem sie aufzuzeigen versucht, wie mit dem demografischen Wandel umzugehen ist bzw. wie er begleitet und gestaltet werden soll.

Was sind die großen Herausforderungen, vor denen wir in der Seniorenpolitik stehen? Welche Ansätze können wir im Land überhaupt verfolgen, und welche Lösungsvorschläge müssen von der Bundesseite unterbreitet werden? Lassen Sie mich bitte einige Dinge anskizzieren, bevor ich in der kurzen Redezeit,

die ich habe, wieder auf das Seniorenpolitische Maßnahmenpaket der Landesregierung zurückkomme; einige Punkte sind hier bereits angesprochen worden.

Erstens stellt sich die Frage nach der medizinischen Versorgung. Das ist eine der großen Herausforderungen, insbesondere für diejenigen, die im ländlichen Raum leben. Diese Frage stellt die Menschen auch deshalb vor große Herausforderungen, weil zu dem Ärztemangel ein eklatanter Mangel an einem funktionierenden ÖPNV kommt. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit dem neuen Versorgungsgesetz insoweit eine deutliche Verbesserung hinbekommen.

Ich bin auch der Überzeugung, dass wir an die Leistungskataloge in der Pflege heranmüssen. Pflegekräfte befinden sich sowieso in den Orten. Wieso können sie dann nicht auch bei den Nicht-Pflegebedürftigen vorbeischauen, um zum Beispiel den Blutdruck zu messen oder Blut abzunehmen? Dazu müssen die Leistungskataloge geändert werden. Ich glaube, damit hätten wir einen wirksamen Schritt hin zu einer vernünftigen Versorgung gemacht.

(Beifall FDP und des Abgeordneten Bischoff [SPD] - Bi- schoff [SPD]: Nur zu!)

Der zweite Punkt betrifft den Um- und Neubau altersgerechter und bezahlbarer Wohnungen. Wir wollen natürlich auch, dass ältere Menschen in den städtischen Gebieten altersgerechte und bezahlbare Wohnungen finden. Ich bin froh darüber, dass dieser Gedanke in den Kommunen angekommen ist und Neubauten im Wesentlichen alters- und behindertengerecht gebaut werden. Aber ich sehe es auch als Aufgabe der Landespolitik an, den Kommunen ihre Verantwortung an dieser Stelle deutlich zu machen. Die sozialräumliche Gestaltung einer Kommune ist Aufgabe aller Akteure, nicht nur der jeweiligen Stadtverwaltung. Ich glaube, hier muss oftmals noch ein neues Denken einsetzen.

Der dritte Punkt betrifft die Altersarmut; Frau Kollegin WolffMolorciuc, Sie haben das schon angesprochen. In Zukunft wird der Anteil derjenigen, deren Alterssicherung nicht über der Grundsicherung im Alter liegt, zunehmen. Die Standardrente derzeit noch etwa 1 075 Euro - wird auch in Zukunft deutlich über der Grundsicherung im Alter - etwa 660 Euro - liegen. Sie eignet sich jedoch nicht mehr als Orientierungshilfe für die Entwicklung des Alterssicherungsniveaus; denn sie dient als Maßstab für eine Rentenversicherung, die für vollzeiterwerbstätige Arbeitnehmer mit langjähriger Erwerbsbiografie konzipiert ist. Den Eckrentner gibt es jedoch zukünftig kaum noch. Vielmehr sehen sich in erster Linie Angehörige bestimmter Risikogruppen der Gefahr gegenüber, zukünftig von Altersarmut betroffen zu sein. Das sind Bürger, deren Erwerbsbiografien den Aufbau hinreichender Rentenanwartschaften verhindern oder jedenfalls erschweren. Zu den Risikogruppen zählen Geringverdiener, Solo-Selbstständige, Langzeitarbeitslose und Teilzeitarbeitende; darunter sind oft Frauen. Strategien zur Verhinderung von Altersarmut müssen deshalb speziell mit Blick auf bestimmte Risikogruppen festgelegt werden. Ich stelle hier für die FDP-Fraktion in diesem Landtag eindeutig fest: Wir brauchen endlich ein einheitliches Rentenrecht in Deutschland.

(Beifall FDP sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE - Günther [SPD]: Renten auf Ostniveau?)

Ich hoffe, dass das Bundesarbeitsministerium seine zögerliche Haltung endlich aufgibt, damit wir insoweit zügig voranschreiten können.

Das Maßnahmenpaket der Landesregierung versucht sich dieser Frage anzunehmen. Es bleibt aber oftmals zu vage, zu unbestimmt und enthält eine Vielzahl von Maßnahmen, deren Sinnhaftigkeit man manchmal durchaus infrage stellen kann. Viele Fragen werden gar nicht beantwortet. Leider kann ich Ihnen die Beispiele nicht mehr nennen, weil die rote Lampe auf dem Rednerpult schon blinkt - ich habe es gesehen, Herr Präsident.

Ich würde mich freuen, wenn wir über dieses Maßnahmenpaket nach Vorliegen der Ergebnisse der Brandenburgischen Seniorenwoche alle zusammen noch einmal beraten könnten - das ist natürlich auch im zuständigen Ausschuss für Arbeit und Soziales möglich -, um die Seniorenpolitik in unserem Land noch besser gestalten zu können. Ich vertraue da auf die Erfahrungen und die Anregungen der älteren Generation.

Ich wünsche allen Akteuren eine erfolgreiche Brandenburgische Seniorenwoche und signalisiere Ihnen schon jetzt die Unterstützung unserer Fraktion in dieser Frage. - Vielen Dank.

(Beifall FDP sowie vereinzelt SPD und CDU)

Die Abgeordnete Nonnemacher setzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich übrigens sehr, dass die FDP mit Herrn Büttner die Männerquote in der Sozialpolitik hochhält.

(Beifall GRÜNE/B90, SPD, FDP und vereinzelt CDU)

Verehrte Gäste! Letzte Woche unterhielt ich mich am Rande eines Benefizkonzertes mit einer Frau über ihre Arbeit in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, über Radfahren und regelmäßiges Schwimmen. Die Dame war 85 Jahre alt. Nach der Terminologie des Seniorenpolitischen Maßnahmenpaketes der Landesregierung auf Seite 4 sprach da eine „Mittfünfzigerin in der Spätphase ihrer Berufstätigkeit“ mit einer „Hochbetagten über 80“ über Aspekte der Frauenbewegung. Damit wären wir wieder beim Ärgernis der fehlenden Trennschärfe des Seniorenbegriffs. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, müssen diese Begrifflichkeiten endlich neu definiert werden.

Das Durchschnittsalter wird in Brandenburg 2030 bei 53 Jahren liegen, im äußeren Entwicklungsraum noch einige Jahre höher. Die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens lag 2009 in Deutschland bei 82,4 Jahren. Auf der Basis dieser Daten müssen wir aufhören, 50-Jährige als „Senioren“ und Menschen, die die durchschnittliche Lebenserwartung erreichen, als „Hochbetagte“ zu bezeichnen.

(Beifall GRÜNE/B90 und der Abgeordneten Prof. Dr. Heppener [SPD])

Neben der bekannten Problematik, dass wir uns älter rechnen, als wir sind, missfällt mir im Editorial des Maßnahmenpaketes die Aussage, dass Seniorenpolitik „unlösbar mit der Pflegepolitik des Landes verbunden“ sei. Die Aussage, etwa jeder siebte Brandenburger über 65 sei pflegebedürftig, heißt doch im Umkehrschluss: 86 % dieser Altersgruppe sind es eben nicht.