Protocol of the Session on February 24, 2011

Aber nicht nur das Volk stand in einiger Entfernung von den Bauzäunen. Trotz Ehrengaststatus für eine alte Dame - auch Frauen standen am Alten Markt, wie üblich, nicht in der ersten oder zweiten Reihe.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das war bei Schlössern im- mer so!)

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE und SPD)

- Nicht nur bei Schlössern, Frau Kollegin Kaiser.

(Jürgens [DIE LINKE]: Wer ist Oberbürgermeister von Tübingen?)

Am 8. März 2011 wird das 100-jährige Jubiläum des Internationalen Frauentages begangen. Die Brandenburgische Frauenwoche wird dadurch einen besonderen Höhepunkt erhalten. Das im Koalitionsvertrag angekündigte frauenpolitische Rahmenprogramm wird pünktlich am 8. März vom Ministerpräsidenten präsentiert werden.

Das Datum wirkt in der ganzen Republik ungeahnt stimulierend auf die Debatte. Nach über 100 Jahren Kampf für Frauenrechte - Zugang zu Bildung und Universitäten, Frauenwahlrecht, Recht auf Erwerbstätigkeit, 8-Stunden-Tag, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, formale Verankerung der Gleichberechtigung, Pille, Neue Frauenbewegung - schien es ruhig um das Thema geworden zu sein. Vielfach herrschte der Tenor vor: „Ihr habt doch bereits alles erreicht!“ Im Gegenteil, wir hörten von der Benachteiligung von Jungen und den überlegenen Bildungsabschlüssen junger Frauen.

Seit einigen Wochen aber diskutiert die Republik wieder über die Frauenfrage. Im Zuge der intensivierten Debatte breitet sich zunehmend Ernüchterung aus. Trotz des Bildes der selbstbewussten, gut ausgebildeten und tüchtigen Frau in den Medien sind wir in vielem nicht richtig vorangekommen. Trotz juristischer Gleichberechtigung ist die strukturelle Benachteiligung von Frauen weiterhin groß. Wir haben nicht den gleichen Zugang zu Ressourcen und partizipieren nicht annähernd gleich an Entscheidungsprozessen. Unsere Bedürfnisse, Interessen und Verhaltensweisen erfahren bei weitem nicht die gleiche Wertschätzung. Die Bremswirkung tradierter Geschlechterrollen erweist sich als überraschend zäh.

Überraschend wenig Veränderungen hat es in den letzten Jahrzehnten bei der Hausarbeit gegeben. Der Anteil der Männer an

der Erziehungsarbeit sieht etwas besser aus, erreicht aber noch nicht einmal die Hälfte desjenigen der Frauen. Private Pflegearbeit wird zu 80 % von Frauen geleistet.

Bekannt ist der anhaltend große Unterschied von 23 % zwischen Männern und Frauen beim Bruttoeinkommen in Deutschland. Bereinigt um die Teilzeitquote ist der Gender Pay Gap immer noch sehr erheblich.

Nach dem Gender-Ranking deutscher Großstädte von 2010 sinkt der Frauenanteil in kommunalen Spitzenpositionen sogar wieder ab. Bei den Ratsmitgliedern liegt er um 33 %, bei den Bürgermeistern bei 12,7 %. Je wichtiger das Amt, desto stärker die Unterrepräsentanz von Frauen. Im Ranking belegen Frankfurt am Main und Stuttgart die Spitzenplätze. Potsdam belegt Platz 9, Cottbus Platz 48 von 79 Großstädten.

Je kleiner die Kommune, desto geringer der Frauenanteil. Im bundesdeutschen Durchschnitt werden 25 % erreicht. Für Brandenburg wurde nach den Kommunalwahlen 2003 ein Frauenanteil von deprimierenden 22,3 % angegeben. Der Deutsche Städtetag weist für Brandenburg 2011 knapp 28 % aus, allerdings nur bei Kommunen über 10 000 Einwohner.

Damit kommen wir zu einem entscheidenden Problem in der Frage: Wo stehen wir in Brandenburg bei der Gleichberechtigung? - Es ist nämlich gar nicht so einfach, statistisches Material konzentriert zu finden. Einen sehr guten und umfassenden Überblick vermittelte die Studie zur Lebenssituation von Frauen in Brandenburg im Auftrag des MASGF, auf der der Bericht der Landesregierung zur Weiterentwicklung der Gleichstellungspolitik des Landes vom Juni 2008 basiert. Darin sind alle Daten - von der ökonomischen Situation bis hin zur politischen Partizipation - erfasst. Die Bewertung ist differenziert, kommt aber zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf ihre wirtschaftliche Situation Frauen auch in Brandenburg erheblich schlechter gestellt sind als Männer. Bei der politischen Partizipation werden erhebliche Reserven gesehen. Die Parteipolitik auf kommunaler Ebene wird als reine Männerdomäne angesehen.

Die Fülle an Daten zur Situation der Frauen müsste zentral jährlich fortgeschrieben werden, um die Vergleichbarkeit, den Verlauf und damit die Effektivität ergriffener Maßnahmen zu überprüfen. Die Senatsverwaltung Berlin hat 2009 beispielsweise einen komprimierten „Gender Datenreport“ herausgegeben. Wir hoffen, dass mit dem gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm auch die Fortschreibung der Daten geliefert wird.

Was kann getan werden? Schon die Studie von 2008 enthielt viele Handlungsempfehlungen:

„Gesetzliche Regelungen zur Repräsentanz von Frauen in Gremien und politischen Funktionen sollten konsequent umgesetzt und erweitert werden. Es wird empfohlen, gesetzlich eine Quote zur Repräsentanz von Frauen in Kommunalparlamenten einzuführen.“

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Studie zur Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik und zum GenderRanking der Großstädte. Notwendig sind demnach die Einführung eines Paritätsgesetzes nach französischem Vorbild und das Ansetzen bei den Parteien, die ihre internen Rekrutierungsund Nominierungsverfahren anpassen müssen - also: die Quo

te. Verordnete Parteienquoten müssen konsequenter umgesetzt werden. Ein starker Anteil von Quotenparteien in Parlamenten erhöht über den Parteienwettbewerb hinaus auch den Frauenanteil in anderen Parteien. Gefordert werden ferner Mentoringprogramme, das Stärken frauenpolitischer Netzwerke und die Stärkung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter.

Natürlich müssen wir uns auch in Brandenburg für eine Quote in den Führungspositinen der Wirtschaft einsetzen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Zehn Jahre Selbstverpflichtung sind gescheitert.

(Beifall des Abgeordneten Jürgens [DIE LINKE])

Wir müssen endlich mit dem Märchen aufräumen, Quote sei das Gegenteil von Qualifikation. Erst durch den Druck der Quote werden die sogar besser qualifizierten Frauen nicht mehr künstlich ferngehalten. Quote und Diversity verbessern die Qualität.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Zum Abschluss möchte ich noch ganz kurz auf die aktuell abgefragten Frauenanteile und die Mitgliederzahlen der Brandenburger Parteien eingehen. Da gilt ein großes Lob der Partei DIE LINKE, die mit einem Frauenanteil von 43,6 % eine wirklich herausgehobene Spitzenposition ausweist.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Aber hart erkämpft, Frau Kollegin!)

- Ja. - Es folgen die Grünen mit 33,05 %, die SPD mit 28,7 %, die CDU mit 27 % und die FDP mit 21 %.

(Zuruf von der FDP: Aber das ist Qualität!)

Wir sehen: Parteien scheinen immer noch eine Männerdomäne zu sein. Es gilt nicht nur die Quotenregelung weiterhin zu diskutieren, sondern wir müssen uns auch überlegen, warum Parteien für Frauen offensichtlich immer noch so unattraktiv sind. Vielen Dank.

(Frau Melior [SPD]: Das liegt am System! - Beifall GRÜ- NE/B90, DIE LINKE und SPD)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Holzschuher für die SPD-Fraktion fort.

(Zuruf von der CDU: Frauenbeauftragter! - Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich höre jetzt ein bisschen Gelächter bei einigen,

(Zuruf von der CDU: Nein! Nein!)

weil man sich zu wundern scheint, dass ich als Mann zum Thema „100 Jahre Internationaler Frauentag“ spreche. Das ist ein

Teil des Problems, warum der Frauentag immer noch ein ganz aktuelles Thema ist.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Denn es ist weiß Gott kein Thema, das nur Frauen angeht, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, ein Thema, das sowohl Männer als auch Frauen berühren sollte und mit dem sie sich auseinandersetzen müssen.

Ich bin Frau Nonnemacher sehr dankbar, dass sie das zum Thema einer Aktuellen Stunde gemacht hat, auch wenn es jetzt erst einmal Gelegenheit gibt, in die Vergangenheit zu schauen - als Sozialdemokrat zumal. Ich blicke jetzt nicht 100 Jahre zurück, sondern 137 Jahre: Da war es nämlich August Bebel, einer der großen Väter - in dem Zusammenhang gab es damals im 19. Jahrhundert leider nur Väter - der Sozialdemokratie, der ein Buch herausbrachte mit dem damals nicht so ungewöhnlichen Titel er klingt heute vielleicht merkwürdig -: „Die Frau und der Sozialismus“.

In diesem Buch hat er schon 1879 gesagt, es gebe keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter. 1879!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das ist eine Forderung von August Bebel und der Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts, die heute so aktuell ist wie damals:

„Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“

Es waren einige Jahrzehnte später auch wieder deutsche Sozialdemokratinnen, die das Thema Frauentag auf die Agenda setzten, eine Idee, die zwar aus den USA kam, aber in Europa erst richtig zur Geltung gebracht wurde. Zwei Namen sind damit verbunden: Clara Zetkin und Käte Duncker, beide damals Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Auch darauf kann ich heute einmal ein bisschen stolz sein: Sie haben es durchgesetzt, dass der erste Frauentag in Deutschland im Jahre 1911 ein großer Erfolg war.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Damals war das zentrale Thema übrigens

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das Wahlrecht!)

- genau - das Wahlrecht. Es war damals in Deutschland leider noch nicht akzeptiert, dass Frauen wählen dürfen. Das änderte sich dann relativ schnell durch eine große Katastrophe, in die Deutschland geriet. Auch die Sozialdemokratie wurde da in eine Krise gestürzt. Zetkin und Duncker haben andere Wege eingeschlagen; das wissen wir heute. Aber immerhin, 1918 war eine zentrale Forderung der Sozialdemokratie erfüllt: ein gleiches Wahlrecht für Frauen und Männer. Aber sämtliche anderen Themen, um die es ging, waren und bleiben aktuell.

Damals ging es um einige Themen, die heute zum Glück natürlich umgesetzt sind. Es ging um Arbeitsschutz. Es ging um Mutterschutz und um eine vernünftige Absicherung bei Krankheit. Es ging um einen 8-Stunden-Tag, der es Frauen erst ermöglicht, Arbeit und Familie in Einklang zu bringen. Das