Protocol of the Session on December 15, 2010

Vorneweg ein kleiner Exkurs zu Geld und Bildung. Letzte Woche ist der internationale PISA-Vergleich 2009 veröffentlicht worden, an dem sich mittlerweile weltweit 65 Staaten beteiligten, darunter alle OECD-Staaten. Wir haben deutlich aufgeholt, das ist die gute Nachricht. Die Schweden, die lange Zeit zu den bildungspolitischen Spitzenreitern gehörten, liegen nur noch im oberen Mittelfeld. Wissen Sie, unter welcher Überschrift das in Schweden diskutiert wird? „Dagens Nyheter“, eine der größten schwedischen Zeitungen, zitiert den Leiter des Unternehmerforums und Ökonomieprofessor an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm, Braunerkjelm:

„Wenn es nicht gelingt, diesen Trend zu wenden, wird sich das früher oder später in einem niedrigen Wirtschaftswachstum widerspiegeln, und unser Wohlstandsniveau wird, verglichen mit anderen Ländern, sinken.“

Daran könnte in Brandenburg auch ruhig öfter jemand denken, zumindest, wer den Anspruch erhebt, keine kurzsichtige Politik zu machen.

Wofür gibt die Landesregierung Geld aus? Der Einzelplan 05 beinhaltet Mehrausgaben. Der Großteil, 36 Millionen Euro, ist der Erhöhung des Betreuungsschlüssels geschuldet. Das ist gut und richtig.

(Beifall GRÜNE/B90)

Der einzige bildungspolitisch große Schritt, auf den die Regierung wirklich stolz sein kann. Wobei die Aussage, die wir schon so oft gehört haben, wir in Brandenburg seien spitze bei der Kinderbetreuung, ein gutes Beispiel für den Duktus der Landesregierung ist. Bei der Betreuungsquote sind nur zwei Bundesländer vor uns. Aber in puncto Qualität sieht das schon anders aus. Im Hinblick auf den Betreuungsschlüssel nehmen wir bundesweit den drittletzten Rang ein. Zu sagen, wir seien spitze, ist also keine Unwahrheit, aber es ist eine bewusst formulierte Halbwahrheit, die die eigentlich entscheidende Frage nach der Qualität der frühkindlichen Bildung ausklammert.

Dabei wäre so viel zu tun! Pädagogen sind sich einig, wie wichtig die frühkindliche Erziehung ist, wie viel es für die Chancen eines Kindes ausmacht, schon vor dem Schulbeginn gut gefördert worden zu sein. Und was machen wir? Wir stellen bei knapp 20 % aller Kinder Sprachförderbedarf fest, aber wir haben keine Mittel für eine ausreichende Förderung. Wir machen uns vernünftige Gedanken über Qualität in Kinderbetreuungseinrichtungen, Stichwort GOrBiKs, wir stellen aber die für die Umsetzung nötigen Ressourcen nicht zur Verfügung. Wenn es ein Fazit aus der Anhörung im Bildungsausschuss zum Thema Betreuungsschlüssel gegeben hat, dann war es Folgendes: Wir müssen dringend über weitere Verbesserungen nachdenken, insbesondere auch des Betreuungsschlüssels, und über verbesserte Freistellungen für pädagogische Leitungsaufgaben. Sich darüber im Rahmen eines Stufenplanes Gedanken zu machen fand in diesem Parlament leider keine Mehrheit.

Über den zweiten finanzwirksamen Schritt der Landesregierung im Bildungsbereich, die Einführung des Schüler-BAföGs, brauche ich an dieser Stelle keine weiteren Worte zu verlieren. Das haben wir heute früh schon abgefrühstückt.

Was ist mit den Lehrerinnen und Lehrern? Mit 1 250 neuen Lehrerinnen und Lehrern brüsten Sie sich öffentlich seit dem letzten Sommer. Dass es sich dabei mitnichten um neue Stellen handelt und die ausscheidenden Lehrer nicht ersetzt werden, die Landesregierung also weiterhin Stellen abbaut, darüber wischen Sie seit einem Jahr den großen weichen Schwamm der Volksverdummung. Auch das ist ein Beispiel für die Halbwahrheiten, für den Duktus der Landesregierung. Ich frage Sie: Ist es denn wirklich ein Erfolg, die Schüler-Lehrer-Relation von 15,4 bis zum Ende der Legislaturperiode aufrechtzuerhalten?

(Ja! bei SPD und DIE LINKE)

Gab es da nicht einmal den Anspruch, etwas besser zu machen?

(Senftleben [CDU]: Ja, das habe ich gehört!)

Sollen wir uns wirklich damit zufriedengeben, dass wir vielleicht bis zum Ende der Legislaturperiode den Status quo halten können? Haben wir den vielen Eltern, die in unserem Land Sturm laufen gegen die schlechte Ausstattung von Schulen, nichts anderes anzubieten als zu sagen: Im besten Falle bliebe alles so wie es ist?

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Es bleibt ja nicht, wie es ist!)

Das waren sie schon, die bildungspolitischen Großtaten dieser neuen Regierung. Wie geht es weiter? Was waren noch mal die Ansprüche, mit denen die Landesregierung angetreten ist? In der Präambel des Koalitionsvertrages ist zu lesen, gute Bildung

dürfe so wenig wie möglich von sozialer oder regionaler Herkunft abhängen, und die Regierung wolle Chancengleichheit für alle. Deshalb

„schlagen wir den Weg zu verstärkter individueller Förderung und zu längerem gemeinsamem Lernen ein.“

Wo das geschieht und woran wir das merken sollen, bleibt das Geheimnis der Beteiligten.

In der ersten Pressemitteilung dieses Jahres versprach der Bildungsminister noch, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss reduzieren zu wollen. Im letzten Bildungsausschuss gab es die Einschränkung, das werde wahrscheinlich nicht relevant gelingen. Wie auch?

Letzte Woche wurde das Qualitätspaket vorgestellt. Herr Minister Rupprecht, Sie wurden in der entsprechenden Pressemitteilung zitiert, es sei besonders erfreulich, dass das Maßnahmenpaket in enger Abstimmung mit Schulpraktikern und externen Bildungsexperten entstanden sei. Ist das wirklich der Anspruch, den wir stellen? Ist es wirklich „besonders erfreulich“, wenn Maßnahmen mit Schulpraktikern und externen Bildungsexperten abgestimmt sind? Wir bauen hier doch keine Sandburgen, sondern es geht um die wichtigste Ressource und engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Da muss es doch selbstverständlich sein, dass jedwede Maßnahme sowohl mit den Praktikern als auch mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen abgestimmt wird. Dass das besonders erwähnt wird, hat mich erschreckt.

Was ist neu? Das Beratungs- und Unterstützungssystem für Schulen wird ausgeweitet, unter anderem durch die aufsuchende Beratung und Erweiterung der Beratung auf die Grundschulen. Das klingt erst einmal vernünftig, aber bei genauem Hinsehen zeigt sich auch hier der Duktus der Schönrednerei. Solange die Ausweitung der Beratungstätigkeit nämlich nicht mit einer wahrnehmbaren Aufstockung von Personal einhergeht, kann sie nur zu einem Mangel an anderer Stelle führen. Eine solche Personalaufstockung ist dem Haushaltsplan jedoch nicht zu entnehmen.

Ähnlich ist es mit den neuen Aufgaben des Landesinstituts für Schule und Medien, LISUM. Auch hier ist geplant, Fachtagungen zu Lehr- und Lernmethoden durchzuführen und zum Beispiel die Ferienakademien für Englischlehrer einzurichten ganz wichtig. Auch das klingt erst einmal sehr positiv. Gleichzeitig erfuhren wir in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses, dass die Arbeitsanteile der Mitarbeiter des LISUM, die für die Erstellung von Prüfungs- und Vergleichsarbeiten aufgewandt werden müssen, ansteigend seien. Das bedeutet im Umkehrschluss, auch wenn das explizit so nicht erwähnt wurde, dass die Kapazitäten für Beratung und Fortbildung bei gleichbleibender Gesamtausstattung sinken müssen. Anders ist es schwer zu erklären. Auch hier zeigt sich wieder der gleiche Mechanismus: Die Suppe wird umgerührt, und mit Begeisterung verkündet Herr Minister Rupprecht das neue Fettauge, das jetzt oben schwimmt. Aber die Suppe wird davon nicht besser.

Diese Beispiele machen deutlich, wie wenig Visionen, wie wenig Ziele, wie wenig Gestaltungswillen spürbar sind. Nicht jedes Ministerium ist eine Kreativwerkstatt. Einiges mag in die richtige Richtung gehen, aber das zentrale Problem ist natür

lich, dass zu wenig zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es wird immer nur umgerührt.

Was wollen wir?

(Krause [DIE LINKE]: Suppe ohne Fett!)

Was haben wir im Ausschuss beantragt und erhalten wir heute aufrecht? Wir sind - das unterscheidet uns von der CDU - nicht der Meinung, dass das Thema Unterrichtsausfall das drängendste Thema in Brandenburg ist. Wir denken, dass in der Verbesserung des gehaltenen Unterrichts die größten Chancen liegen. Dann ist die Frage, ob ein paar Stunden mehr oder weniger ausfallen, eigentlich nur eine der Betreuung und nicht eine der Unterrichtsqualität insgesamt. Wir möchten Schulen eigene Fortbildungsbudgets zubilligen, mithilfe derer Kollegien selbst entscheiden können, wo aus ihrer Sicht für ihre Schule der größte Fortbildungsbedarf besteht. Wir wollen die Mittel für das LISUM aufstocken, um zusätzliche Maßnahmen zu kompetenzorientierter Unterrichtsentwicklung und individueller Förderung zu ermöglichen. Wir halten es für unsäglich, dass parallel zur laufenden Evaluierung der Arbeit der Schulämter die Zahl der Schulpsychologen weiter abgesenkt wird. Wir denken, dass es einerseits gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schulämter kein besonders guter Stil ist, und andererseits verkennt es auch die Tatsache, dass der Beratungsbedarf der Schulen durchaus größer ist, als die Schulämter das leisten können. Wir brauchen dringend mehr Schulpsychologen, um Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte und Eltern besser beraten zu können.

Wir wollen die Schulpools aufstocken. Wir halten es für unerlässlich, dass die Schulen mehr Anrechnungsstunden zur Verfügung haben, um pädagogische Konzepte besser entwickeln zu können und systematische Förderung von Kindern voranzutreiben. Wir wollen darüber hinaus die Mittel für den internationalen Austausch aufstocken. Fremdsprachenerwerb gehört mittlerweile zu den Schlüsselkompetenzen. Der Unterricht in Brandenburg ist mäßig, wie wir spätestens seit dem letzten Ländervergleich wissen. Wir wollen auch den Kindern die Teilnahme am internationalen Schüleraustausch ermöglichen, deren Eltern die entsprechende finanzielle Unterstützung nicht leisten können.

Jetzt fragen Sie uns: Woher nehmen Sie das Geld? Erstens: Wir streichen das Schüler-BAföG. Zweitens: Wir wollen unseren politischen Zielsetzungen Ausdruck verleihen und das Bildungssystem auch zulasten anderer Ressorts verbessern, das heißt bei Infrastruktur und Straßenbau, bei den Kreditnebenkosten und den Personalverstärkungsmitteln kürzen.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Frau Abgeordnete?

Ja.

Werte Kollegin, Sie hatten den glorreichen Vorschlag, eine globale Minderausgabe zu verhängen. Geben Sie mir Recht, dass Sie mit diesen Maßnahmen in verschiedenen Ministerien Anforderungen erwecken...

Sehr geehrter Herr Görke, ich glaube, Sie verwechseln uns mit einer anderen Partei.

Darf er seine Frage zu Ende stellen, Frau von Halem?

Sie haben vorgeschlagen, eine globale Minderausgabe zu verhängen, zum Beispiel zum BLB. In dem Zusammenhang würde das Auswirkungen auf den Haushalt haben. Insofern frage ich Sie, wie Sie die von Ihnen angesprochenen Mehrausgaben mit dem Vorschlag in Übereinstimmung bringen.

Ich hatte Ihnen eben schon mitzuteilen versucht, dass wir keine globalen Minderausgaben beantragt haben. Sie haben es in Ihrer Frage nicht korrigiert; die Chance dazu hatten Sie.

(Görke [DIE LINKE]: Ich habe es schwarz auf weiß!)

Dann müssen wir nachher noch einmal darüber reden und das klären.

Wenn wir wirklich mehr Investitionen für Bildung wollen, wenn Bildung wirklich das wichtigste Anliegen ist - für uns Grüne ist es das neben dem Klimaschutz -, dann brauchen wir auch eine ehrliche Debatte über die Schwerpunkte politischen Handelns und über die Frage, welche Aufgaben ein Staat leisten kann und was er in Zukunft leisten soll. Das bedeutet auch, dass wir nicht vormittags mehr Investitionen in Bildung fordern können, nachmittags alle Polizeiwachen erhalten wollen und uns abends dafür einsetzen, dass die Frostschäden an den Brandenburger Straßen spätestens im April repariert sind. Das funktioniert nicht.

(Beifall der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Es reicht nicht, im Wahlkampf landesweit Bildungsplakate zu verstreuen, wobei man sich übrigens fragen muss: Was treibt eigentlich die Parteien, die der Meinung sind, die Wahlkämpfe mit Bildungsthemen gewinnen zu können, zu dem Kleinmut, in Regierungsverantwortung zu fürchten, die Konsequenz aus dieser Wahlwerbung sei den Wählerinnen und Wählern nicht zuzumuten? Nein, wir brauchen eine ehrliche, offene und breit geführte Debatte in unserer Gesellschaft über politische und auch finanzielle Schwerpunktsetzungen, und zwar auch über Ressortgrenzen hinweg. Es hat keinen Sinn, den Leuten zu erzählen: Wir wollen das, wir wollen das, wir wollen das. Sondern es muss auch klar sein, auf wessen Kosten es geht.

Wenn wir in der Bildungspolitik wirklich etwas verbessern wollen, dürfen wir die Fettaugen nicht immer nur umrühren, sondern wir brauchen dringend ein paar frische Zutaten für die Suppe.

(Beifall GRÜNE/B90)

Der Abgeordnete Günther kocht die Suppe weiter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den kulinarischen Ausflügen meiner Vorrednerin möchte ich Ihnen einmal erklären, warum ich sehr froh bin, dass ich in Brandenburg Bildungspolitik machen darf. Das liegt nicht daran, dass ich eine masochistische Ader hätte oder gern darüber reden würde, was alles möglich werden könnte, sollte oder müsste, oder dass wir hier unbegrenzt aus dem Vollen schöpfen könnten, nein, so ist es in Brandenburg nicht. Wenn es so wäre, brauchten wir keine Politiker, sondern vielleicht gute Mathematiker. Die haben wir auch, aber wir brauchen Bildungspolitiker.

Bildung hat Priorität. Kollegin Große hat Ihnen, Frau von Halem, die Einzelpläne sowie die Aufwüchse bzw. Reduzierungen erläutert. Wenn Sie das nicht überzeugt hat, werde ich Ihnen auch noch einzelne Maßnahmen nennen, an denen Sie es ganz deutlich ablesen können. Bildung hat Priorität; darüber sind sich die Koalitionspartner in Brandenburg einig. Wir sind uns auch darin einig, wie Bildung grundsätzlich aussehen soll und worin die Herausforderungen liegen.

Völlig einig sind wir uns zum Beispiel darin, dass es auf den Anfang ankommt. Das beginnt mit einem ausreichenden Angebot an Kitaplätzen und einer qualitativ guten Betreuung in unseren Kindertagesstätten. Ich sage es noch einmal: Was die Quantität angeht, so sind wir nach wie vor spitze. Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen, denn eh ich überhaupt über Qualität reden kann, muss zunächst einmal ein Kitaplatz vorhanden sein. Das ist in Brandenburg mittlerweile fast eine Selbstverständlichkeit, aber in Deutschland eben noch lange nicht. Wir liegen das zeigt das Bundesländerranking - auf Platz 2 mit 42 % bei den unter Dreijährigen. Wir haben uns also in einem zweiten Schritt schon darangemacht, nachdem wir quantitativ sehr gut aufgestellt sind, zur Qualitätssteigerung den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Das wird im kommenden Jahr erstmals voll haushaltsrelevant und schlägt dann jährlich mit insgesamt - insgesamt, es gibt ja auch eine Dynamisierung der normalen Umlage, die wir an die Träger zahlen - 39 Millionen Euro zu Buche.

Besonders erwähnenswert finde ich neben dieser Schlüsselverbesserung die in Brandenburg mittlerweile gut etablierte systematische Sprachförderung in den Kitas. Aus den Einrichtungen kommt dazu sehr oft die Rückmeldung, dass die Erzieherinnen und Erzieher - leider sind es meist allein Erzieherinnen - diese Sprachförderung nicht nur für unverzichtbar halten, sondern auch sagen, dass durch diesen Test und die Förderung erstmalig überhaupt das Augenmerk auf die Bedeutung der Sprache für die kindliche Entwicklung gerichtet worden ist.

Wenn ich auf unsere Brandenburger Schullandschaft schaue, sehe ich vor allem viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die jeden Tag das Beste für gute Bildung in unserem Land geben. Für sie wünschte ich mir noch viel mehr Anerkennung vonseiten der Politiker und auch der Eltern übrigens.

(Beifall des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Wenn der Respekt vor der schwierigen Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer zur Selbstverständlichkeit wird, fällt es auch leichter, notwendige Kritik offen auszusprechen.