Die Ostdeutschen haben allen Grund, stolz zu sein: nicht nur auf die friedliche Revolution, sondern und vor allem auch auf die vergangenen 20 Jahre. Denn es war in den vergangenen zwei Jahrzenten wahrlich nicht einfach in Brandenburg oder in Ostdeutschland. Und wenn wir beim Thema Zukunft sind: Meine Fraktion hat in den vergangenen Tagen sehr intensiv darüber debattiert, wie es in Brandenburg weitergeht. Wir haben darüber diskutiert, wie wir die dritte Etappe des Aufbaus Ost gestalten können, wie es uns gelingen kann, mit weniger Geld und größerem regionalem Wettbewerb auch in Zukunft ein lebenswertes Brandenburg zu gestalten, ein Land mit Lebenschancen für alle.
Von den Kollegen der Opposition habe ich zu diesem Thema außer Destruktivem so gut wie gar nichts gehört. Eine Oppositionspartei will die effektiv arbeitenden Strukturen in der Landwirtschaft rückabwickeln, eine andere Oppositionspartei ist vor allem mit sich selbst und ihrem Vorsitzenden beschäftigt, und die dritte Oppositionspartei beschäftigt sich hauptsächlich mit wilden Unterstellungen und versucht, das Ehrenamt im Land zu diskreditieren. Liebe Kollegen von der Opposition, so etwas nenne ich Arbeitsverweigerung. Beschäftigen Sie sich bitte mit den Dingen, die unser Land voranbringen! Opposition hat etwas mit Wettbewerb der Ideen zu tun. Nur, man muss dazu auch Ideen haben. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Woidke, die Opposition ist dazu da, Fehler der Regierung aufzuzeigen. Dass Ihnen das nicht passt und Sie das jedes Mal verunglimpfen, statt konstruktiv damit umzugehen - ich glaube, das ist ein Fakt, an den wir uns hier leider gewöhnen müssen.
„Der Runde Tisch plante ein stufenweises Zusammenwachsen beider deutscher Staaten. Allerdings ließen die anhaltenden Demonstrationen keinen Zweifel am Wunsch der Bevölkerung nach einer schnellen deutschen Einheit. Die Frage nach Tempo und Form der Wiedervereinigung bestimmte die Auseinandersetzung im Vorfeld der ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990. Mit dem Sieg der von dem damaligen westdeutschen Bundeskanzler Helmut Kohl unterstützten Allianz für Deutschland entschieden sich die DDR-Bürger für die schnelle Vereinigung. Ihr Land sollte dem Geltungsbereich des Grundgesetzes, also der Bundesrepublik Deutschland beitreten.“
Ich glaube, schöner kann man Realität, schöner kann man Geschichte gerade jungen Menschen nicht beibringen. Das steht
im diesjährigen Schülerkalender, herausgegeben vom Landtag Brandenburg, versehen mit den wunderbaren Bildern „damals“ und „heute“. Da zeigt man wunderbar die Aufbauleistung.
(Frau Dr. Ludwig [CDU] überreicht Ministerpräsident Platzeck ein Exemplar des Schülerkalenders - Beifall CDU und FDP - Dr. Woidke [SPD]: Haben Sie das Thema der Aktuellen Stunde gelesen?)
Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Woidke! Biografien und eigene Erlebnisse sind immer unterschiedlich. Perspektiven ändern sich im Laufe der Zeit; das ist völlig normal. Aber es gab vor gut zwei Jahrzehnten Realitäten, die eben nicht vergessen werden dürfen.
Dennoch wird komischerweise gerade in Brandenburg verdrängt, relativiert und instrumentalisiert. Da fragen wir uns natürlich: Warum ist das so? Warum werden - Herr Woidke, Sie haben es angesprochen - gerade in Brandenburg die Befindlichkeiten so gepflegt? Gehen Sie mal in andere neue Bundesländer! Dort ist es komischerweise nicht so, und dort wird das auch nicht so gepflegt wie hier.
Es ist eben keine Herabsetzung der persönlichen Lebensleistung oder eine persönliche Verunglimpfung, wenn die DDR als politisches System so beschrieben wird, wie es tatsächlich war, nämlich eine Diktatur mit Bespitzelung, Bevormundung, tiefen Einschnitten in die Menschenrechte und Angst.
Tägliche Angst, die in Fleisch und Blut übergegangen ist und die Sie, Herr Ness, sich nicht vorstellen können, weil Sie das nicht erlebt haben. All dessen wurde man sich erst bewusst, nachdem die Mauer gefallen war und nachdem man wusste, dass man Dinge sagen kann. Erst dann hat man gespürt, unter welchem Druck man in so einer Diktatur gelebt hatte.
Mir ist absolut nicht bekannt, dass ernsthaft der Versuch unternommen wurde, Lebensleistungen der Ostdeutschen auch nur ansatzweise geringzuschätzen, weil sie einen Teil ihres Lebens in der DDR verbringen mussten. Ich bin sehr stolz auf meine Eltern, die mir eine wunderbare Kindheit bereitet haben in einer Diktatur, wo es nicht so einfach war wie im Westen. Und ich bin sehr stolz auf meine Großeltern, auch wenn ein Teil meiner Großeltern auch heute noch eine unterschiedliche Meinung zum politischen System hat. Das ist heute, in einer Demokratie, Gott sei Dank möglich. Ich bin trotzdem stolz darauf, dass sie die Nachkriegszeit in der DDR geschafft haben und mitgeholfen haben, das, woran sie glaubten, aufzubauen. Dass es das Falsche war, ist heute für viele, viele schwer zu akzeptieren.
Aber es gibt politische Parteien, die eben Interesse daran haben, solch eine Stimmung zu erzeugen, um dann auf dieser selbstgemachten Welle zu reiten. Es ist Aufgabe der Politik, aufzuklären und persönliche Erinnerungen und Lebensläufe nicht mit den Mechanismen der DDR-Diktatur in Verbindung
zu bringen. Aber genau das wird leider in Brandenburg immer wieder getan, und es wird eine Debatte angeheizt, die persönliche Erfahrungen und Erlebnisse zur Relativierung eines totalitären Systems missbraucht.
Richtig ist, dass jeder in der DDR für sich oder mit seiner Familie bestimmte Dinge erlebt hat. Es gab aber keine gemeinsame Öffentlichkeit, sondern Kommunikationsverbote, Überwachung und Restriktion. Dabei gab es selbstverständlich schöne Momente, Momente des Glücks, und viele wunderbare Erinnerungen - wie übrigens in jeder Diktatur. Trotz Mangelwirtschaft und Verboten wurde in den Familien und Berufen viel geleistet. Das steht völlig außer Frage und wird auch anerkannt. Dies darf aber nicht zur Verdrängung dessen führen, dass gerade 1989 Hunderttausende Ostdeutsche die Flucht ergriffen und genauso viele zum Protest aufriefen. Sie taten dies trotz Ängsten, dass das eigene Leben gefährdet sein könnte. Die Lebensbedingungen waren nämlich unerträglich geworden. Die Menschen sehnten sich nach Freiheit. Und sie wollten die deutsche Einheit!
- Herr Jürgens, ich sehe Ihnen das nach, weil Sie die Situation einfach nicht nachempfinden können. Die Leute wollten die deutsche Einheit.
(Jürgens [Die LINKE]: Man kann nachlesen, dass die er- sten Losungen „Wir sind das Volk!“ waren, nicht „Wir sind ein Volk!“!)
- Und Sie wissen, wie sich das gewandelt hat? Dass aus „Wir sind das Volk!“ „Wir sind ein Volk!“ geworden ist?
Die deutsche Einheit war ein Herzenswunsch, nicht von allen da haben Sie recht -, aber von einer deutlichen Mehrheit der damaligen DDR-Bürger. Sie war ein Herzenswunsch! Willy Brandt - das klingt uns heute noch in den Ohren - sagte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!“
Aber mit dem, was Herr Platzeck in dem „Spiegel“-Interview gesagt hat, wird - leider Gottes! - wieder einmal ein Keil in die Gesellschaft getrieben, mit einem Ossi-Wessi-Klischee, das langsam verschwindet und auch verschwinden muss. Es ist nicht verwunderlich; denn Sie, Herr Platzeck, haben bereits als Abgeordneter der Volkskammer weder für die Wirtschafts- und Währungsunion noch für die Vereinigung gestimmt. Zum Glück stehen Sie damals wie heute mit Ihrer Auffassung relativ einsam da.
Herr de Maizière hat heute in einer aktuellen Tageszeitung noch einmal dargestellt, wie Bündnis 90 beziehungsweise die
Bürgerbewegten es sich damals vorstellten mit einer reformierten DDR, aber hinzugefügt, dass man nicht wusste, wie man das finanzieren sollte. Manchmal fühle ich mich auch heute in so eine Situation hineinversetzt; da weiß man auch nicht, wie man es finanzieren kann.
(Beifall CDU und FDP - Dr. Woidke [SPD]: Ohne diese Leute hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben! - Zuruf des Abgeordneten Ness [SPD])
- Wissen Sie, Herr Ness, Belehrungen von Leuten, die das nicht miterlebt haben, brauchen wir weiß Gott nicht, weiß Gott nicht!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Anschluss“ und „gnadenlose Deindustrialisierung“ - dass ein Ministerpräsident eines Landes, das allein durch den Solidarpakt 30 Milliarden Euro erhält, solche Vokabeln gebraucht, ist das eigentliche Problem. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass man über Dinge reden können muss, selbstverständlich. Nach zwanzig Jahren hat man immer den Vorteil, mit Rückblick zu kritisieren und zu sagen, was gut und was schlecht gelaufen ist.
Mein Lebenslauf ist für jeden einsehbar, Herr Woidke. Aber wie haben Sie es vorhin so schön gesagt: Das können wir unter uns klären.
Der Solidarpakt ist eine unglaubliche Leistung, ohne Wenn und Aber. Was mich wirklich stört, ist die Diskussion „Anschluss“ und vor allen Dingen „gnadenlose Deindustrialisierung“, weil das nämlich die Tatsachen verwischt.
Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus - auch nach Ihren Aussagen -, dass Sie das Schürer-Gutachten kennen. Zur Analyse der ökonomischen Lage der DDR war es im Oktober 1989 im Auftrag des Zentralkomitees der DDR geschrieben worden, um einmal ungeschönt in den Worten, wie es damals überhaupt möglich war, die ökonomische Lage des Landes darzulegen. Dort steht beispielsweise:
„Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 % erfordern und die DDR damit unregierbar machen. Die vernichtenden Feststellungen und Analysen legen die Missstände in allen Bereichen der Wirtschaft, der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Sachgü
tern, dem Verkehrs- und Straßenwesen, der Energieversorgung, ja praktisch der gesamten Infrastruktur und nicht zu vergessen der enormen Umweltbelastung dar.“
So viel zur gnadenlosen Deindustrialisierung. - Warum Sie, Herr Platzeck, in den letzten Monaten so einem gnadenlosen Populismus verfallen sind, habe ich mich wirklich des Öfteren gefragt, aber im Prinzip ist es klar: Die politischen Fehlentscheidungen, die in den letzten Monaten getroffen wurden, müssen schöngeredet oder gerechtfertigt werden. Das finde ich schade.
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Die Aktuelle Stunde hätte ein besseres Thema verdient, weil wir ganz andere Probleme in diesem Land haben, die mit diesen Fehlentscheidungen zusammenhängen.