Protocol of the Session on September 8, 2010

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Hat sie auch!)

Tatsächlich ist aber das Bildungsministerium gezwungen, im nächsten Haushaltsjahr 1,3 Millionen Euro einzusparen. Das klingt erst einmal nicht viel. Wenn man dann aber bedenkt, dass Sie trotzdem auf teure Prestigeobjekte, die genauso teuer wie unnötig sind, wie das Schüler-BAföG setzen, die die ohnehin geringen Spielräume auffressen, ist das nichts, was dem brandenburgischen Bildungssystem in Gänze zugute kommt.

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

Meine Damen und Herren! Nach einem Regierungsjahr wird deutlich, dass die Koalitionen die falschen Parameter ansetzt, um mehr Qualität in unser Bildungssystem zu bringen. Es muss endlich mit der Behauptung aufgeräumt werden, dass Brandenburg den höchsten Anteil an jungen Menschen habe, die keinen Schulabschluss besitzen, und dass das Augenmerk nur darauf liegen solle.

Schaut man einmal in den heute veröffentlichten Ländervergleich der OECD-Bildungsstudie, wird man feststellen, dass Brandenburg wesentlich besser dasteht als der Bundesschnitt. Dieser liegt in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen - also noch junge Menschen, denn ich bezeichne mich ja selbst als solcher - bei 14 %. In der OECD insgesamt sieht es sogar noch schlechter aus; da sind es 20 %. Wir in Brandenburg liegen in dieser Altergruppe deutlich darunter.

Man muss nichts schönreden. Der Anteil der Schüler ohne Schulabschluss in Brandenburg, nämlich 10 %, ist zu hoch - das wissen wir -, liegt aber deutlich unter dem Bundesschnitt. Nur Sachsen, Mecklenburg und Thüringen sind insoweit besser.

Ähnliches gilt auch für die Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen. Auch da liegt Brandenburg deutlich unter dem Bundesschnitt. Es stimmt übrigens auch nicht, dass wir in Brandenburg den höchsten Anteil an Förderschülern hätten. Mecklenburg, Sachsen und Thüringen haben einen höheren Anteil. Bremen, werte Kollegen von der Linken, das Land, das Sie wegen der weit vorangeschrittenen Bemühungen um die Verwirklichung des inklusiven Ansatzes im Bildungssystem scheinbar lieben, hat eine fast so hohe Förderschülerquote wie Brandenburg. Wie gesagt: Hier legen Sie die falschen Parameter zugrunde, um diese Studien zu bewerten.

In der Tat zeigen diese Studien, dass in Brandenburg hinsichtlich der Durchlässigkeit der Bildungsgänge die Chancen für Kinder aus einkommensschwachen Familien gut sind. Diese Studien zeigen aber auch, dass diese Parameter nicht diejenigen sind, die für gute Bildungsergebnisse sorgen.

Meine Damen und Herren! Unser brandenburgisches Bildungssystem braucht mehr Leistungsanreize. Wir brauchen mehr und bessere individuelle Förderung, größere Eigenverantwortung der Schulen und mehr Verbindlichkeit in den Rahmenlehrplänen.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen uns auch einmal anschauen, wie wir im curricularen Bereich und in der Unterrichtsorganisation die Anreize so setzen, dass wir eine höhere Qualität im Unterricht erzielen, damit Schülerinnen und Schüler in Brandenburg bessere Ergebnisse erreichen können. Wenn Sie aber versuchen sollten, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss dadurch zu halbieren, wie Sie es angekündigt haben, nämlich durch weiteres Absenken der Leistungsanforderungen, dann machen wir das nicht mit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben in den vergangenen Wochen vom Bildungsminister zahlreiche Vorschläge gehört, wie das Bildungsministerium gedenkt, für dieses Schuljahr Maßnahmen zu ergreifen. So sollen die Grundschulen künftig die Möglichkeit erhalten, Unter

richtsstunden umzuschichten, um das Lesen und Schreiben verstärkt üben zu können. Das geht dann natürlich auf Kosten anderer Unterrichtsfächer. Das Schreiben von Diktaten soll wieder verbindlich eingeführt werden; das begrüßen wir. Aber dazu muss man auch sagen: Wenn der Ländervergleich deutlich macht, dass 30 % der Schüler in der 9. Klasse die Redestandards nicht erreichen, dann muss man kein Prophet sein, um zu wissen: Allein mit dem Einführen verbindlicher Diktate wird das nicht zu beheben sein.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Aber es kann ein Baustein sein.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Genau!)

Es kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass man die Ergebnisse in diesen Fächern zulasten anderer Fächer verbessert, sich also in anderen Bereichen verschlechtern würde. Schule ist ein Ort des Lernens und kein Verschiebebahnhof, auf dem Sie immer versuchen, den neuesten Ergebnissen hinterherzuhecheln. Wir brauchen eine deutliche Aufstockung, denn wir haben es hierbei mit einem strukturellen Problem zu tun.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Wieso wir?)

Die brandenburgischen Grundschulen haben mit Abstand die geringste Wochenstundenzahl von Klasse 1 bis 4, nämlich nur 91. Die Länder aber, die in den Vergleichsstudien Spitzenreiter sind, wie Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg, haben alle deutlich mehr Wochenstunden vorgegeben, die meisten über 100. Das führt zum Beispiel dazu, dass die Grundschüler in Baden-Württemberg von Klasse 1 bis 4 insgesamt knapp 600 Schulstunden mehr Zeit zum Lernen haben als die Schüler in Brandenburg, davon allein 70 Stunden für das Fach Deutsch. Wenn Sie, Herr Rupprecht, tatsächlich Interesse daran haben, die Bildungserfolge der brandenburgischen Schülerinnen und Schüler - und damit einhergehend auch die Ergebnisse Brandenburgs - zu verbessern, dann müssen wir über eine Erhöhung der Wochenstundenzahl in den Grundschulen und damit auch über eine Erhöhung der Wochenstundenzahl im Fach Deutsch nachdenken.

(Beifall CDU - Görke [DIE LINKE]: Schön, dass Sie das jetzt merken! - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Da haben Sie aber nicht zugehört!)

- Frau Kaiser, wer wem zehn Jahre lang nicht zugehört hat, das ist doch nun wirklich nicht mein Problem.

Wir müssen einfach feststellen: Was die Lehrer-Schüler-Relation angeht, auf die Sie ja so stolz sind und die so eine tolle, wichtige Größe ist, Frau Kaiser, stellt die heute veröffentlichte OECD-Studie Brandenburg im Grundschulbereich kein gutes Zeugnis aus.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Daran haben Sie aber zehn Jahre mitgewirkt! - Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

Da beträgt die Relation nämlich nicht 1 : 15,4, sondern 1 : 18,4 und liegt damit über dem Bundesdurchschnitt. Wenn Bildung und damit auch deren Qualität - in diesem Land tatsächlich Priorität haben soll, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regie

rungskoalition, dann ergehen Sie sich jetzt nicht mehr ewig in Ankündigungen, und hören Sie damit auf, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen, sondern tun Sie das, wofür Sie bezahlt werden: Verbessern Sie endlich substanziell die Rahmenbedingungen! Werden Sie hier aktiv! - Danke schön.

(Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90)

Der Abgeordnete Günther spricht für die SPD-Fraktion.

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nahtlos an meinen Vorredner anknüpfen. Das Thema der Aktuellen Stunde heißt „Priorität für Bildung!“. Dahinter steht ein Ausrufezeichen. Das ist richtig, wichtig und auch gut so, denn es fängt gut an, das neue Schuljahr. Es ist noch keine drei Wochen alt, und es gab, wie meistens, einiges Neues.

(Senftleben [CDU]: Nur Unterrichtsausfall!)

In diesem Jahr sind allerdings nur positive Veränderungen zu verzeichnen, neue Bürokratie ist nicht erkennbar. Das ist ein idealer Ausgangspunkt für eine Aktuelle Stunde am Beginn dieses neuen Schuljahres.

Dass Bildung in Brandenburg Priorität hat, lässt sich an den Neuerungen zum neuen Schuljahr ablesen, und das wie selten zuvor. Es gibt gegenwärtig keinen anderen Bereich der Landespolitik, der so viele Veränderungen aufweist und in dem ganz konkrete, deutlich spürbare Verbesserungen zu verzeichnen sind.

Verbesserungen nimmt man gemeinhin gern entgegen. Sie werden aber schnell so selbstverständlich, dass man sie bald vergisst oder dass man rasch noch mehr von diesen schönen Dingen haben möchte. Deshalb noch einmal zur Erinnerung, was der Koalition, der Regierung in Brandenburg gute Bildung und mehr Chancengerechtigkeit wert sind: 36 Millionen Euro für bessere Kita-Betreuung, ab dem nächsten Jahr drei Millionen Euro für das Schüler-BAföG, 30 Schulen, die neu in das Ganztagsprogramm aufgenommen werden, und außerdem ganz nebenbei - rund 400 neue Lehrerinnen und Lehrer.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Was den letztgenannten Punkt angeht, so haben wir zur großen Freude vieler und zur Überraschung einiger - die neuen Lehrerinnen und Lehrer nicht nur gefunden - daran hatten ja viele gezweifelt -, sondern es stimmt auch die regionale Verteilung, und der Fächerzuschnitt ist auch ganz gut. Es passt also, und das darf auch in den kommenden Jahren bitte so bleiben, wenn bereits die nächsten Einstellungsrunden anstehen. Ganz nebenbei haben wir - auch wenn Herr Hoffmann heute ganz neue Statistiken aufgelegt hat; die KMK und die Institute sehen das komplett anders - unsere ohnehin schon unbestritten gute Schüler-Lehrer-Relation in Brandenburg noch einmal um ein Zehntel verbessert. Das blieb fast unbemerkt.

Um das einmal in die Gesamtpriorität von Politik in Brandenburg einzuordnen: Während wir bei Förstern oder Polizisten im Hinblick auf unsere Perspektive, das Jahr 2020, den Umfang

der Landesverwaltung so gestalten, dass wir in etwa auf die Ausstattung vergleichbarer westdeutscher Flächenländer kommen, sind und bleiben wir schon jetzt bei Lehrern besser. Das zeigt ganz eindeutig: In diesem Land hat die Bildung Priorität.

Die Koalition kümmert sich um die Rahmenbedingungen für gute Bildung und mehr Chancengleichheit. Wir bekommen aber immer wieder bescheinigt - darauf sind auch meine Vorredner eingegangen -: Es reicht nicht, sich nur um den Rahmen zu kümmern. Ein schickes Schulgebäude, junge Lehrer, viele FLEX- und Ganztagsschulen bewirken noch nicht automatisch einen Unterricht, der Schülern Wissen, Fähigkeiten und soziale Kompetenzen vermittelt, mit denen sie gut ins Leben starten können; das ist ja auch Aufgabe von Schule.

Deshalb muss sich Bildungspolitik zukünftig mehr als in der Vergangenheit um Bildungsinhalte kümmern. Das ist für mich die tiefere Botschaft des ohne Zweifel schlechten Abschneidens beim letzten Ländervergleich in Deutsch und Englisch.

Ich finde, man muss Tests wie den Ländervergleich in der Tat sehr ernst nehmen, um, wenn nötig, klug und schnell reagieren zu können, sich aber vor jeglichem Aktionismus hüten. Deshalb finde ich es ausdrücklich gut, dass das Bildungsministerium Herrn Prof. Köller, den Projektleiter des Ländervergleichs, also einen der Kritiker, samt Arbeitsgruppe von Experten an den Tisch geholt hat, um bis zum Herbst Vorschläge zu erarbeiten. Ich bin schon sehr auf ihre Empfehlungen gespannt.

Neben dem von mir mit Spannung erwarteten längerfristigen Konzept wurden zum neuen Schuljahr in Auswertung des Ländervergleichs aber auch schon erste Maßnahmen auf den Weg gebracht. Lektüreempfehlungen und Lesematerialien wurden erarbeitet. Das LISUM wird ein Aufgabenportal entwickeln. Schulen mit besonders herausragenden Problemen sollen aufgesucht werden - nicht um den Schulleitungen den Kopf zu waschen, sondern um gemeinsam mit dem Schulamt beispielsweise Konzepte für deren spezielle Problemlagen zu erarbeiten. Das ist also wesentlich mehr als die Frage: Wie viele Diktate schreibe ich pro Halbjahr?

Die Ziele, die hinter all dem stecken, halte ich, egal ob man rot, schwarz, gelb oder grün ist, für mit gesundem Menschenverstand kaum bestreitbar. Es soll nämlich Mindeststandards für die einzelnen Jahrgangsstufen geben. Nach Klasse 4 soll jedes Kind einen Grundwortschatz beherrschen. Eigentlich müsste man selbstkritisch fragen, warum es so etwas in Brandenburg bislang nicht gab.

Wenn man das will, bleibt die Frage offen, wie diese Mindeststandards regelmäßig überprüft werden sollen. Der bisherige Zustand hat jedenfalls ganz offensichtlich nicht dazu geführt, dass sich Grundwissen ohne Ausnahmen in unseren Schulen etabliert hat. Was spricht also dagegen, frage ich, die Standards zu überprüfen, um vor allem Lehrern, aber auch auch Schülerinnen und Schülern Hinweise darauf zu geben, wo noch Defizite sind? Nur wer Schwächen genauso kennt wie Stärken, kann, behaupte ich, besser lernen und wird dadurch auch selbstbewusster.

Auch hier soll es schulorganisatorisch Neues geben. Wir wollen ja dem Ziel der Selbstständigkeit von Schule näherkommen. Wenn es nicht nur um einzelne, individuelle Probleme von Schülerinnen und Schüler geht, sollen Grundschulen die

Möglichkeit erhalten, flexibler mit ihrer Stundentafel umzugehen - auch ein wichtiger Schritt hin zur Selbstständigkeit. Wenn alles nichts hilft, stehen von LISUM bis Schulamt Hilfsund Beratungsangebote bereit.

Fast unbemerkt, weil überschattet von den erwähnten Diskussionen, wird es noch drei, wie ich finde, ebenfalls sehr wichtige Neuerungen im neuen Schuljahr geben:

Erstens: Es wird jeder Schule die Möglichkeit eingeräumt, mit der Kapitalisierung von 1 % der Vertretungsreserve auf drohenden Unterrichtsausfall zu reagieren, in dem sie zum Beispiel pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, von denen wir zukünftig, wie wir wissen, sehr viele haben werden, für Vertretungsunterricht einsetzen kann. Die Gründe - und das ist auch wichtig, damit man nicht einfach nur die Zahl in der Statistik nachvollziehen kann -, für Vertretung und Ausfall sollen zukünftig in den Schulporträts detaillierter dargestellt werden, um noch mehr Transparenz zu schaffen. Schön wäre es übrigens - das zeigt sich, wenn man sich die Schulporträts im Internet anschaut -, wenn dabei die privaten Schulen mehr mitziehen würden als jetzt.

(Senftleben [CDU]: Alle Schulen, nicht nur private!)

- Für öffentliche Schulen ist das bereits selbstverständlich.

Zweite wichtige Neuerung im laufenden Schuljahr: Berlin und Brandenburg rücken in der Bildung wieder einen kleinen Schritt zusammen, indem erstmals die zentralen Prüfungen in Mathematik für die 10. Klasse einheitlich erstellt werden. Wir haben ja schon seit dem vergangenen Jahr in vier Fächern gemeinsame Abiturprüfungen mit Berlin.

Drittens, aber nicht letztens: Es gibt in Geschichte und Politischer Bildung neue Rahmenlehrpläne und neue Unterrichtsmaterialien zum Thema DDR. Ab Klasse 7 sollen Schülerinnen und Schüler auf verschiedenen Themenfeldern etwas über die DDR lernen. Der Besuch mindestens eines „außerschulischen Lernorts“, wie es so schön heißt, ist verbindlich vorgeschrieben.