Protocol of the Session on March 24, 2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie im Frühling und zur 12. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg.

Ich habe Sie zu Beginn der Sitzung darüber zu informieren, dass uns in Zukunft hier vorn ein Gesicht fehlen wird. Herr Hans-Jochen Allrutz, langjähriger Mitarbeiter unseres Stenografischen Dienstes, ist verstorben. Er war einer unser zuverlässigsten Mitarbeiter, Vorbild für seine Kollegen und für Sie immer ein verlässlicher Partner.

Vor Eintritt in die Tagesordnung teile ich Ihnen gemäß § 20 Abs. 2 der vorläufigen Geschäftsordnung mit, dass die Parlamentarische Kontrollkommission in ihrer konstituierenden Sitzung am 24. Februar die Abgeordnete Britta Stark als Vorsitzende und den Abgeordneten Hans-Peter Goetz als stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hat.

Einladung und Tagesordnung sind Ihnen zugegangen. Gibt es dazu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich Sie um Zustimmung, dass wir nach dieser Tagesordnung verfahren. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Wir haben heute ganztägig auf den Ministerpräsidenten wegen seiner Erkrankung zu verzichten. Er wird von Minister Dr. Markov vertreten. Ab 14 Uhr muss uns Frau Dr. Münch verlassen. Sie wird von Minister Baaske vertreten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Nein zur Kopfpauschale - für ein solidarisches Gesundheitssystem

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/618

Die Fraktion DIE LINKE eröffnet die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Wöllert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Nein zur Kopfpauschale - für ein solidarisches Gesundheitssystem“ haben wir unsere heutige Aktuelle Stunde überschrieben. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass es mir so ging wie vielleicht vielen von Ihnen: Ich wurde in diesen Tagen nämlich, wenn das Gespräch auf politische Themen kam, in 90 % der Fälle von Bürgerinnen und Bürgern auf den geplanten Umbau der gesetzlichen Krankenversicherung angesprochen. Es ist keineswegs Hoffnung, was die Menschen bewegt, sondern Angst

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

ist eine Erwartung, die sich in der Aussage „Stoppt diesen Irrsinn mit der Kopfpauschale!“ manifestiert.

(Beifall DIE LINKE)

- Vielleicht strengen Sie Ihren Kopf einfach einmal an, Herr Senftleben.

Zumindest einem der Koalitionspartner der Bundesregierung, nämlich der FDP, ist die Sache so wichtig, dass ihr zuständiger Minister seine politische Zukunft an die Kopfpauschale knüpft. Es ist also ernst gemeint. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass ich mich als Mitglied der Linken faktisch in einer Einheitsfront mit Herrn Söder von der CSU befinde, der die Kopfpauschale - vielleicht aus anderen Gründen als wir, aber wenigstens auch aus dem Grund, das solidarische Prinzip zu erhalten ablehnt.

(Beifall DIE LINKE - Görke [DIE LINKE]: Da kann man mal sehen! Wir sind eine Volkspartei!)

Ich hoffe, die CSU bleibt dabei.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wie immer, wenn durch sogenannte Gesundheitsreformen neue Zusatzbelastungen für Kranke und Versicherte eingeführt werden sollen, wird der Zustand des Gesundheitssystems in den schwärzesten Farben gemalt: „Nicht mehr finanzierbar!“, „die demokratische Entwicklung!“ - Sie kennen das.

Man kann sich sicherlich darüber streiten, welche Probleme unser Gesundheitssystem hat und wo die Ursachen dafür liegen, allerdings ist sonnenklar: Nicht eines der Probleme wird durch die Einführung einer Kopfpauschale gelöst. Stattdessen wird mit der Kopfpauschale ein neues Problem geschaffen, nämlich das der Ungerechtigkeit. Seit Bismarck gilt in der Sozialversicherung der Grundsatz: Starke Schultern tragen mehr als schwache. - Man nennt das auch Solidarprinzip, Herr Senftleben; ich an Ihrer Stelle würde zuhören - sonst fragen Sie nachher wieder!

Dass Sozialstaat und Solidarität in den Augen der FDP alte Zöpfe sind, muss man nach den Diskussionsbeiträgen von Herrn Westerwelle wohl niemandem mehr erklären. Klar ist, dass mit der Kopfpauschale, für die etwa 150 Euro in der Diskussion sind, insbesondere Geringverdiener deutlich höhere Beiträge würden zahlen müssen als bisher. Dafür will die FDP einen Sozialausgleich aus Steuermitteln einführen - ausgerechnet die FDP aus Steuermitteln! Unbürokratisch möchten es die Kollegen der Freien Demokraten auch noch haben. Sie meinen, um das zu untersetzen, unbedingt das Kindergeld bemühen zu müssen, indem sie sagen, der Antrag auf Kindergeld sei ja auch völlig unbürokratisch, dabei jedoch vergessen, dass der Anspruch auf Kindergeld für alle besteht und keiner Bedürftigkeitsüberprüfung bedarf. Es wird nämlich unabhängig vom Einkommen gezahlt.

Der Sozialausgleich allerdings wird nun gerade für zu geringe Einkommen gezahlt, und das geht natürlich nur über Einkommensnachweise und Überprüfung, wofür es das bekannte Wort „Bedürftigkeitsprüfung“ gibt. Das hat wohl auch das Vorstandsmitglied des DGB, Frau Annelie Buntenbach, so gesehen, als sie deshalb die Kopfpauschale als „Hartz IV der gesetzlichen

Krankenversicherung“ bezeichnete. Ich denke, das trifft es, und das ist es wohl auch, was die Ängste der Menschen hervorruft. Schaut man in die Schweiz und in die Niederlande, wo das bereits eingeführt worden ist, dann ist deutlich erkennbar: Bei steigenden Festbeträgen der sogenannten Kopfpauschale gibt es steigende Bedürftigkeiten und Steuerzuschüsse für die Krankenversicherungssysteme bei sinkenden Leistungen.

Das heutige System der Beitragsfinanzierung ist ein System mit einem sozialen Ausgleich, und es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, diesen im Prinzip funktionierenden internen sozialen Ausgleich aus diesem System auszulagern, ihn damit Jahr für Jahr von politischen Entscheidungen abhängig und noch dazu bürokratischer zu machen. Es gibt genug Möglichkeiten, den internen Ausgleich weiter auszugestalten, zum Beispiel: Lassen Sie den Gutverdienenden nicht mehr die Möglichkeit, sich aus dem Solidarsystem in die private Krankenversicherung zu verabschieden! Erhöhen Sie die Beitragsbemessungsgrenze, oder schaffen Sie sie ganz ab! Beziehen Sie Einkommen aus Vermögen in die Beitragspflicht ein! Machen Sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung im besten Sinne eine Bürgerversicherung, die jede und jeden Einzelnen einbezieht!

(Beifall DIE LINKE)

Schaffen Sie die private Krankenversicherung als Regelversicherung ab bzw. lassen Sie sie nur noch für zusätzliche private Leistungen bestehen! Sie können das Einzelzimmer und den Chefarztvertrag übernehmen. Aber insgesamt sollte sich dieses System solidarisch versichern.

Wer einen starken sozialen Ausgleich will, der kann ihn innerhalb des beitragsfinanzierten Systems ausgestalten. Wer den sozialen Ausgleich und die Solidarität abschaffen will, der führt die Kopfpauschale ein. Wenn jemand meint, das Gesundheitssystem müsse neben den Beitragsmitteln noch ergänzend über Steuermittel finanziert werden, dann hat er auch dazu alle Möglichkeiten. Das war zum Beispiel vor einigen Jahren mit der Tabaksteuer in bescheidenem Maße der Fall. Nur sind die Mittel irgendwann zur haushaltspolitischen Manövriermasse geworden.

Das muss man im Blick haben, wenn man ein Gesundheitswesen in Gänze oder in großen Teilen durch Steuermittel finanzieren will. Im Landeshaushalt haben wir übrigens auch eine relativ große Summe, nämlich 104 Millionen Euro Steuermittel für die Finanzierung der Krankenhäuser veranschlagt.

Aber der FDP - zumindest im Bund - geht es gar nicht darum, ein beitagsfinanziertes System durch ein steuerfinanziertes zu ersetzen. Es geht ihr darum, die Arbeitgeber aus der Finanzierung zu entlassen. Dafür werden Steuermittel eingesetzt. Damit wird nichts gerechter. Das ist nichts anderes als Umverteilungspolitik von unten nach oben. Sie nehmen die Arbeitgeber von der Mitverantwortung für das solidarische System und die gesundheitliche Versorgung der gesamten Bevölkerung aus.

Nun soll, meine Damen und Herren, zunächst einmal - so ist es im Gespräch - eine kleine Kopfpauschale in Höhe von 29 Euro kommen; die für viele alles andere als klein ist. Sie wird uns mit der Ankündigung schmackhaft gemacht, dafür würde dann der Sonderbeitrag von 0,9 % entfallen, den die Arbeitnehmer heute schon allein zahlen müssen.

Ich will nicht allzu viele Zahlen vortragen. Aber an dieser Stelle möchte ich ein Beispiel aus einem Papier des Deutschen Gewerkschaftsbundes anführen. Ein Geringverdiener mit 1 000 Euro Einkommen zahlt heute 7,9 % Beitrag, also 79 Euro. Wenn die 0,9 % Arbeitnehmersonderbeitrag wegfielen, blieben 7 %, also 70 Euro. Plus die angekündigten 29 Euro kleine Kopfpauschale sind das dann 99 Euro. Das sind 20 Euro mehr als jetzt.

Bei höheren Einkommen tritt - wen wundert das bei dieser Politik - der umgekehrte Effekt ein. Bei einem Einkommen von 3 200 Euro zahlt ein Versicherter dann 4,74 Euro weniger als heute. Genau das ist die Abschaffung des Solidaritätsprinzips.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Die kleine Kopfpauschale ist nach den Zusatzbeiträgen, die seit Februar von den ersten gezahlt werden, der zweite Eingriff. Herr Rösler hat sehr dagegen geschrien. Statt der Zusatzbeiträge will er die Kopfpauschale zur Regel machen. Das ist der zweite entscheidende Schritt zum Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung.

Mit der gewollten Unterfinanzierung des unter Schwarz-Rot eingeführten Gesundheitsfonds und mit der gewollten Deckung über Zusatzbeiträge ist dafür leider schon erste Vorarbeit geleistet worden. Trotzdem ist es jetzt noch möglich, den Weg der Entsolidarisierung gesundheitlicher Risiken zu verhindern. Dafür plädiert meine Fraktion. Das erwarten wir auch von der Landesregierung.

An die Kolleginnen und Kollegen der CDU und vor allem der FDP appelliere ich: Helfen Sie mit, diesen Unsinn zu stoppen. Dabei geht es wirklich um existenzielle Fragen, und zwar auch für die Menschen, die hier bei uns in Brandenburg leben. Danke.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Prof. Dr. Schierack, der für die CDU-Fraktion spricht, fort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Wöllert, da erwarten wir von der Landesregierung ein Aktionsprogramm zum Erhalt der flächendeckenden Grundversorgung im ländlichen Raum, und stattdessen führen wir heute wieder eine Phantomdiskussion über irgendetwas, was wir noch gar nicht so recht wissen.

(Beifall CDU und FDP)

Wir beschäftigen uns wieder in einer Aktuellen Stunde mit bundespolitischen Themen, als ob es keine landespolitischen gäbe. Das ist, meine ich, nicht seriös.

(Beifall CDU und FDP)

Erstens gehört diese Debatte absolut nicht in dieses Haus. Zweitens zum Thema „Nein zur Kopfpauschale!“: Ich weiß nicht, woher Sie diesen Begriff und woher Sie dieses Thema nehmen. Ich höre dieses Wort von der Regierungskoalition in

Berlin nicht. Ich weiß nur, dass die Linke das immer diskutiert. Ich habe das wirklich nicht von der Bundesregierung vernommen. Drittens, meine Damen und Herren, wird das solidarische Gesundheitssystem erhalten bleiben. Es wird besser werden und vor allem demografiesicherer werden.

(Beifall CDU)

Es wird einen Ausgleich geben zwischen Arm und Reich, zwischen Gesund und Krank.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Ich zitiere für Sie noch einmal aus dem Koalitionsvertrag:

„Die Koalitionspartner haben vereinbart, das bestehende Ausgleichssystem der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig zu überführen in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen,“

- und jetzt kommt es -