Inklusion ist als Ziel sicher gut und plausibel zu beschreiben. Wenn wir sie denn von einem Tag auf den anderen verwirklicht hätten, würde sie niemand mehr hinterfragen; das ist meine feste Überzeugung. Die Schwierigkeit liegt in dem Weg, der zu diesem Ziel führt. Abgesehen vom logischen Widerspruch, der in einer Koexistenz von Inklusion und Aussonderung liegt, können Sie auch nicht ernsthaft und dauerhaft zwei Bildungssysteme und Schulsysteme nebeneinander finanzieren. Wenn wir von Separierung wegwollen, dann können wir irgendwann die separaten und separierenden Strukturen nicht mehr anbieten. Mit anderen Worten: Sie können nicht einfach mit der allergrößten Selbstverständlichkeit der Welt das Wunsch- und Wahlrecht über alles stellen, ohne diesen Widerspruch wenigstens ehrlich angesprochen zu haben.
In Ihrem Antrag wird das alles glatt und frei von Problemen dargeboten nach dem Prinzip: Der Fortschritt kommt auch ohne Veränderungen. - Richtig ist - da stimme ich sicherlich voll
und ganz mit allen hier überein - : Über die Köpfe behinderter Menschen und ihrer Angehörigen hinweg wäre die Umsetzung der UN-Konvention von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wir haben Besorgnisse, wie ich sie eben beschrieben habe, die wir gemeinsam abbauen müssen. Wir müssen sie im besten Sinne dafür gewinnen, sich überhaupt auf den Weg zu begeben. Wir müssen ihnen glaubhaft versichern können, dass wir ihnen nichts wegnehmen werden, schon gar nicht die Förderung ihrer Fähigkeiten.
Wir haben die Pflicht, den Weg plausibel zu machen, dabei auch ehrlich zu sagen, dass er lang sein wird und dass er auch nicht mehr umkehrbar ist, auch dann nicht, wenn da mal größere Steine im Weg liegen. Mir ist es deswegen allemal lieber, ein paar Wochen, Monate länger miteinander zu reden, als im Hauruckverfahren Konzepte und Berichte zu schreiben.
Ein Weg, der vielleicht 15 oder 20 Jahre braucht, wird nicht deswegen scheitern, weil wir am Anfang mehr Sorgfalt verwandt haben. Ich halte dies sogar für schlicht geboten. Die vom zuständigen Minister bereits angekündigten Regionalkonferenzen sind meiner Meinung nach ein - ein! - wirklicher Schritt. Selbstverständlich müssen die dort gewonnenen Erkenntnisse konstruktiv umgesetzt werden.
Teilhabe am Arbeitsleben ist und bleibt ein Anspruch, der besondere Anstrengungen verlangt. Wir hatten in den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs die Tendenz, dass behinderte Menschen von der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt weit weniger profitiert haben als andere Gruppen. Eine spürbare Senkung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter ist in der Vergangenheit im Grunde nur über besondere Förderprogramme erreicht worden.
Wichtigster Aspekt für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist die gleichberechtigte Teilhabe am alltäglichen Leben. Begreifen wir den Satz als das, was er ist, nämlich als Verpflichtung. Wir alle müssen weg von der defizitorientierten Betrachtung hin zur fähigkeitsunterstützenden Sicht auf die Menschen. Es geht im Rahmen der gleichberechtigten Teilhabe um Menschenrechte, nicht um Almosen. Nicht der Mensch mit Behinderung muss sich der Umwelt anpassen, sondern umgekehrt.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Maresch. Das war zeitlich eine Punktlandung. - Für die Fraktion GRÜNE/B90 wird die Abgeordnete Niels sprechen.
Im März 2009, vor fast einem Jahr, trat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland in Kraft. 2007 und 2008 hat man sich schon mit der Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes befasst. Deswegen wundere ich mich über den Entschließungsantrag von SPD und Linke, mit dem die Landesregierung aufgefordert werden soll, dem Landtag bis zum 30. Juni 2011 einen Gesetzentwurf vorzulegen. Für mich ist das einfach ein zu langer Zeitraum.
Ich habe mir das noch einmal angesehen, denn ich war etwas irritiert. Ich fand, dass die Reden nicht genau zum Antrag der FDP passten, denn darin heißt es - Punkt 1 -:
„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die Auswirkungen und den gesetzgeberischen Handlungsbedarf der Landesregierung bei der Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu prüfen und dem Landtag über die Ergebnisse bis zum 31. Juni 2010 einen Bericht zur Beratung zuzuleiten.“
Bei diesem Zeitrahmen sind wir dann ein Jahr und drei Monate nach dem Inkrafttreten der UN-Konvention angelangt. Das, finde ich, kann zu schaffen sein.
Die Kritik am FDP-Antrag, dass es also nicht geht - dazu gab es von Frau Heinrich einmal eine Anfrage: ob man eben die Strukturen der Förderschulen so aufrechterhalten könnte; das wurde deutlich beantwortet -, teile ich. Was ich hier überhaupt nicht verstehe, ist Folgendes: Für mich ist doch der Gewinn vonseiten der UN darin zu sehen, dass ein Paradigmenwechsel in der Hinsicht stattfindet, dass Behinderung eben nicht auf das Subjekt zugeschrieben ist, sondern im Interaktionsprozess stattfindet. Da kann ich mich - ich habe dazu eine Ausbildung; ich habe auch eine Biografie dazu, eine Schwester mit Behinderung - jetzt nicht einfach hinstellen und sagen, wir müssten mit allen Angehörigen und mit Verbänden reden. Hier gibt es ganz klare gewachsene Strukturen der Selektion, und damit muss jetzt einmal Schluss sein - jetzt endlich und zügig! Also wird doch erst bitte geguckt: Wie kann man denn Integration in ganz normalen Schulen schaffen?
Auch in Kindergärten kann man Integration schaffen; es gibt auch Integrationskindergärten, aber da zeichnet sich immer noch folgendes Bild: Dort ist der Behinderte - dort sind die Gesunden; dort ist der Sozialpädagoge dran, und hier stelle ich euch das behinderte Kind vor. - Wir haben dort einen erheblichen Bedarf an Fortentwicklung, Fortbildung.
Aus diesen gewachsenen Strukturen können jetzt die Angehörigen nicht aufstehen und können auch nicht alle Verbände mit einer starken Stimme aufstehen und sagen: Ja, wir wollen sofort die Integration, wir wollen sofort das System umschmeißen.
Um jetzt - ich habe einen sehr langen Zwischensatz eingeschoben - noch einmal zurückzukommen: Wir müssen mit den Strukturen beginnen, und dann gewöhnen sich die Menschen überhaupt an den Anblick von Menschen mit sogenannter Behinderung. So herum wird ein Schuh daraus.
Der Erfolg der Inklusion in der Schule setzt gemeinsame Anstrengungen aller voraus. Integrationsfähigkeit hängt eben gerade nicht von dem Kind mit zugeschriebener Behinderung ab. Das Umfeld Schule muss schleunigst so umgestaltet werden, dass kein Kind mehr ausgesondert wird - einfach das Recht auf Beschulung in einer normalen Schule und nicht die Pflicht. Es kann auch Förderschulen geben - wir haben Zeit zum Umgewöhnen; das ist total klar, die wollen wir gar nicht sofort abschaffen.
Eine Veränderung des Bildungssystems in Richtung Vielfalt und individuelle Förderung ist der wesentliche Schritt zu einer Gesellschaft - bei der mir der letzte Zettel vorliegt; Entschuldigung.
Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Im Wesentlichen ist alles gesagt - logisch, es trifft mich jetzt hier wieder -, und ich begrüße vor allen Dingen das, was Kollegin Lehmann und auch Herr Maresch gesagt haben.
Frau Niels, Sie waren in wesentlichen Dingen vollkommen richtig, nur: Wenn Sie einmal die Leute auf der Straße fragen, was Inklusion ist, dann sagen die Ihnen: Atomkraftwerke wollen wir nicht!
Genau das ist das Problem. Genau deshalb ist in dieser ganzen Debatte irgendwo der Weg ein Stück weit das Ziel. Wir brauchen in dieser Republik - und wir brauchen auch in Brandenburg - eine Debatte über das Thema Inklusion. Weil: Sie selbst, Frau Niels, haben des Öfteren die Worte Integration und Inklusion durcheinandergewürfelt. Das ist uns hier aufgefallen.
Genau deshalb müssten wir die Debatte darüber führen: Was meinen wir eigentlich? Inklusion meint nämlich, dass der Mensch mit Behinderung in dieser Gesellschaft eben so behandelt wird, als sei er nicht behindert. Ein Kind, das in einer Integrationsschule ist, ist eben noch lange nicht inklusiv beschult. Aber das Kind, das in einer inklusiven Schule ist, ist noch lange nicht deshalb inklusiv beschult, weil es da sitzt, sondern erst dann inklusiv beschult, wenn es den sonderpädagogischen Förderbedarf bekommt, den es braucht.
Das alles braucht einen ganz langen Weg. Es wäre natürlich ein Leichtes, jetzt ein Gesetz zu schreiben, Herr Büttner, und zu sagen: Wunderbar, jetzt haben wir es fertig! - Nein, genau das will ich nicht, sondern ich will den schweren Weg gehen. Ich möchte in diesem Jahr in fünf Regionalkonferenzen überall in diesem Lande mit den behinderten Menschen des Landes reden. Ich will mit ihnen darüber diskutieren, wie sie sich das vorstellen können.
Unser ehemaliger, leider viel zu früh verstorbener Landesbehindertenbeauftragter hat immer wieder gesagt: Leute, man ist nicht behindert, sondern man wird behindert. - Immer wieder, wenn ich mit den Verbänden rede, sagen sie uns: Leute, macht nichts über uns ohne uns, sondern lasst uns mitwirken. - Und genau das ist die Zielstellung dabei.
Ich bitte nur noch einmal die FDP - es war ja im Wesentlichen richtig, was Herr Büttner dazu gesagt hat -, darüber nachzudenken. Die Fristen könnte man kurz fassen. Aber ich möchte, dass der Weg ein Ziel ist. Ich möchte, dass wir uns die Zeit nehmen, das zu diskutieren. Das ist Mehrarbeit für uns, es ist nicht weniger Arbeit. Das bitte ich Sie auch mitzunehmen. Wir drücken uns nicht davor, das zu machen. Aber, wie gesagt, die Regionalkonferenzen sollten wir abhalten und bis Mitte nächsten Jahres ein ordentliches Gesetz mit einer ordentlichen, breiten Debatte in diesem Land beraten und in diesem Hause verabschieden. - Schönen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister. - Am Ende der Rednerliste wird Herr Büttner von der FDP-Fraktion noch einmal sprechen.
Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Maresch, ich weiß nicht, ob Sie meiner Rede hundertprozentig gefolgt sind, denn vieles von dem, was Sie gesagt haben, hätte ich auch unterschreiben können. Insofern trennt uns auch gar nicht so viel.
Das wirklich Trennende ist die Frage, wie man die Inklusion angeht. Da gebe ich Ihnen Recht. Das ist das, was uns hier unterscheidet. Ich finde das auch in Ordnung, und genau darüber sollen wir ja die Debatte führen. Deswegen habe ich vorhin auch gesagt, dass wir die Fristen durchaus noch einmal im Ausschuss erörtern sollen.
Herr Baaske, ich habe vorhin gesagt, dass es einer sorgfältigen und öffentlichen Diskussion bedarf. Wir stimmen ja nicht oft überein, aber in dieser Frage stimmen wir überein. Insofern sehe ich keine wirklich großen Diskrepanzen zwischen uns. Ich verstehe nicht wirklich, warum Sie unseren Antrag nicht einfach an den Ausschuss überweisen können. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Rednerliste, und wir kommen zur Abstimmung. Die FDP-Fraktion beantragt die Überweisung des Antrags in der Drucksache 5/453 - UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen umsetzen - an
den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie - federführend - und an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Wer dem Antrag folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag auf Überweisung mit einer deutlichen Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/453 in der Sache. Wer dem Antrag Folge leisten kann, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag deutlich abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag, Drucksache 5/493, eingebracht durch die Fraktionen SPD und DIE LINKE. Wer diesem Antrag folgen kann, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag angenommen worden.