- Danke. Wir wissen, die Konzeptionierung und Umsetzung des Berichts erfolgte in Ihrer Verantwortung. Sie und Ihre Mitarbeiter haben dabei teilweise Neuland betreten. In Anlehnung an den 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bezieht sich das Armutsverständnis im vorliegenden Bericht auf drei unterschiedliche Ansätze. Da, glaube ich, liegt der Unterschied zur Sichtweise der Fraktion DIE LINKE: Drei unterschiedliche Ansätze! - den Einkommensansatz, den Lebenslagenansatz sowie den Ansatz der Teilhabe und Verwirklichungschancen.
Wenn wir uns dem Phänomen Armut nähern wollen, um zielführende Maßnahmen zur Beseitigung von Armut zu entwickeln, müssen wir neben der Einkommenssituation verschiedene Lebenslagen wie Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und familiäre Situation betrachten, weil all diese Faktoren bei gleichem Einkommen einen jeweils unterschiedlichen Stellenwert besitzen können. Zudem entwickelt jeder Einzelne seine eigene Bewältigungsstrategie.
Der Ansatz der Teilhabe- und Verwirklichungschancen setzt bei den Fähigkeiten der Menschen an und unterstützt diese. Er wirkt insofern präventiv. Dieser Ansatz stützt den Paradigmenwechsel zu einem vorsorgenden Sozialstaat, der dem Einzelnen umfassende Teilhabe und Verwirklichungschancen bietet, um Bildungsmangel, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut von vornherein zu verhindern. Diese wechselseitige Betrachtung Einkommen, Lebenslage und Teilhabe - ermöglicht uns ein differenziertes Armutsverständnis und ist somit eine gute Orientierungshilfe für die Lebenssituation der Menschen in Brandenburg. Genau deshalb sprechen wir vom Lebenslagenbericht. Wir verharmlosen nichts. Schon gar nicht möchten wir etwas verheimlichen. Es ist schlicht eine logische Konsequenz.
Auch die Bundesregierung überschreibt ihren Armuts- und Reichtumsbericht mit „Lebenslagen in Deutschland“. Dass diese Sichtweise letztlich der Realität entspricht, macht der eigenständige Berichtsteil der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Brandenburg sehr deutlich und anschaulich. Ich begrüße an dieser Stelle die Vertreter der Liga. Nehmen Sie bitte den Dank der SPD-Fraktion für Ihr Mittun an diesem Bericht mit.
Ihre Beispiele berühren uns besonders emotional - für dieses Thema durchaus angemessen. In Ihren „Gesichtern der Armut“ zeigen Sie neben der finanziellen Situation die jeweilige Lebenslage und gleichzeitig Teilhabemöglichkeiten auf. In der Gesamtbetrachtung kann das im Grunde genommen auch gar nicht anders sein. Diese wechselseitige Betrachtung lässt unter anderem folgende Feststellung zu - ich darf aus diesem Bericht zitieren:
„Relative Armut bedeutet nicht automatisch eine prekäre Lebenssituation. Es gibt viele Familien, die in der Lage sind, öffentliche oder private Unterstützungssysteme zu nutzen. Kinder aus diesen Familien sind befähigt und haben die Chance, ein Leben ohne Armut zu führen. Manchen Familien gelingt dieser Umgang mit Armut nicht.“
Anfang Januar nächsten Jahres werden wir im Arbeitskreis der SPD-Fraktion mit den Vertretern der Kleinen Liga über den Lebenslagenbericht diskutieren. Kinderbetreuung, Übergang Schule - Wirtschaft in Verbindung mit der Jugendhilfe sowie Lebenslagen im Alter werden dabei maßgebliche Themen sein.
Natürlich ist uns nicht jede Aussage in diesem Bericht neu. Das hat Günter Baaske völlig richtig gesagt. Damit wird der Bericht keineswegs kleingeredet. Es kann auch gar nicht alles neu sein. Er stellt auf die Vergangenheit ab, die wir erlebt und politisch gestaltet haben.
In Bezug auf Erwerbstätigkeit und Arbeitsmarkt stellt er auf den Arbeitsmarktbericht ab, der uns allen vorliegt. In der gesundheitspolitischen Betrachtung bezieht er sich auf den 3. Gesundheitsbericht, der uns gleichermaßen vorliegt. In seiner wechselseitige Betrachtung all dieser Dinge - Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit usw. - ist er dann doch neu für uns.
Ich halte die Diskussion für fatal, dass man Lebenslagenbericht und Arbeitsmarktbericht zusammenlegen muss, weil eh alles eins sei. Das ist es eben nicht. Der Lebenslagenbericht geht in
seiner Betrachtung wesentlich weiter als der Arbeitsmarktbericht. Die Daten des Lebenslagenberichts belegen, dass 2005 bis 2007 in vielen Bereichen, auch hinsichtlich der Armutsgefährdung und der Verteilung der Einkommen, eine Trendwende eingetreten ist. Die Einkommensschere schließt sich wieder. Das Armutsrisiko in Brandenburg hat sich verringert und liegt deutlich unter dem bundesdeutschen Wert. Die Arbeitsquote sinkt, die Beschäftigung nimmt zu. Allein seit 2005 ist die Zahl der Arbeitslosen um 43 % gesunken.
Die Daten des Lebenslagenberichts belegen aber auch Aussagen wie: In 30 % aller Bedarfsgemeinschaften leben minderjährige Kinder. Haushalte mit jungen Kindern sind weit häufiger von Armut betroffen bzw. gefährdet. Knapp 16 % aller Bedarfsgemeinschaften waren Familien Alleinerziehender. Über 40 % aller Arbeitslosen sind langzeitarbeitslos. Hiervon sind vor allem alleinerziehende Frauen und ältere Menschen betroffen. 13,4 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnbereich. Diese Feststellungen nehmen wir sehr ernst.
In den Fokus unserer Politik werden wir weiterhin die Familien stellen. Kein Kind zurückzulassen ist sozialdemokratisches Anliegen. Da haben wir in der Vergangenheit bereits viel Gutes und Richtiges getan. Angefangen bei den Netzwerken „Gesunde Kinder“ bis zur „Initiative Oberschule“ geben wir in dieser Wahlperiode zusätzlich 44 Millionen Euro aus. Bei allem, was wir tun, verfolgen wir den Ansatz: Frühe Hilfen für alle! Jedes Kind muss die gleichen Chancen haben. Wir müssen die Elternkompetenz stärken, um gesellschaftliche Teilhabe der Familien auch in schwierigen Situationen zu ermöglichen. Unser Familien-Maßnahmenpaket mit seinen 70 Maßnahmen stellt genau darauf ab. Unser Sozialpaket, bestehend aus dem Schulsozialfonds, dem Mobilitätsticket sowie der Möglichkeit der kostenlosen Schülerbeförderung, ergänzt das Anliegen: gleiche Teilhabechancen für jeden.
Es ist nicht zu verstehen - Frau Kaiser hatte es gesagt -, dass die Anpassung der Regelsätze an die Bedarfe der Kinder von der Bundesregierung so unmotiviert verfolgt wird. Es ist gut, dass die Sozial- und Arbeitsminister hier noch einmal Druck gemacht haben. Das Schulstarter-Paket in Höhe von jährlich 100 Euro pro bedürftigen Schüler bis zur Jahrgangsstufe 10 ist zu begrüßen. Wir fordern jedoch, jeden Schüler der Klasse 11 und 12 gleichermaßen einzubeziehen; alles andere macht wenig Sinn.
Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit brennt uns nach wie vor auf der Seele, weil damit Menschenschicksale verbunden und davon eben vor allem Alleinerziehende und Ältere betroffen sind. Wir möchten den Kommunal-Kombi stärken, um der Langzeitarbeitslosigkeit Kontra zu bieten.
Ein Teilziel haben wir bereits erreicht. Wir haben heute Morgen schon darüber gesprochen, dass der Kommunal-Kombi nun auch auf Regionen ausgeweitet werden kann, in denen die Arbeitslosigkeit bei 12 % liegt. Damit können wir dieses Instrument außer in Potsdam und Potsdam-Mittelmark flächendeckend anwenden. Aber es ist eben nur ein Teilziel. Wichtig erscheint uns auch, die Zugangsvoraussetzungen zu ändern, insbesondere den 12-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld II
vor Beginn der Maßnahme. Landkreise, die den KommunalKombi bereits umsetzen, beklagen diese einjährige Frist sehr. Es macht die Umsetzung zusätzlich schwierig.
Drittens würden wir den Kommunal-Kombi gern entfristen, sodass er auch nach 2009 fortgesetzt werden kann. Guter Lohn für gute Arbeit - das ist ein zentrales Anliegen der SPD. Es kann und darf nicht sein, dass Vollzeitbeschäftigte auf Stütze vom Sozialamt angewiesen sind, um überhaupt die Grundsicherungsschwelle zu erreichen.
Das ist menschenunwürdig und hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Zu Recht heißt das Gesetz „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ und nicht „Einkommensaufstockung für Vollbeschäftigte“.
(Görke [DIE LINKE]: Ach, Sie haben schon so viele An- träge eingebracht; Sie müssen es mal umsetzen! - Minis- terin Ziegler: Wir sind aber nicht der Bundestag!)
Mit Erneuerung des Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes konnten bereits 1,8 Millionen Menschen durch Mindestlohn geschützt werden. Ziel der SPD bleibt eine bundesweite einheitliche Regelung, um Lohndumping und Ausbeutung von Arbeitnehmern flächendeckend zu verhindern. Mit Mindestlohn können wir zudem der drohenden Altersarmut entgegenwirken.
(Vereinzelt Beifall bei der SPD - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Den Beifall müsst Ihr aber noch üben! - Frau Alter [SPD]: Klatscht doch mit! - Krause [DIE LIN- KE]: So einfach ist das nicht!)
Der Lebenslagenbericht richtet sich nicht nur an die Politik. Die Wirtschaft, die Bundesagentur, kommunale Verwaltungen und die Wohlfahrtspflege stehen gleichermaßen in der Verantwortung. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam die Verantwortung annehmen, um aus diesem Bericht eine Chance für die Menschen in Brandenburg zu machen. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich liegt der Öffentlichkeit der Lebenslagenbericht vor, nachdem er vor zwei Jahren angekündigt wurde. Die Opposition spricht vom „Armutsbericht“, die Regierungsparteien vom „Lebenslagenbericht“, was vielleicht weniger dramatisch klingen soll, es am Ende aber nicht ist. Das Werk ist die bislang differenzierteste und tiefgründigste Untersuchung zu den sozialen Lebensverhältnissen in Brandenburg. Fast 400 Seiten umfasst der Bericht, und er ist voller Zahlenkolonnen, aus denen sich
Eine SPD-Genossin hat zum Beispiel der Ministerin vor geraumer Zeit vorgeworfen, Brandenburg arm zu rechnen, Frau Lehmann. Denn als Berechnungsgrundlage wurden 75 % des landesdurchschnittlichen Einkommens hergenommen. Das hatte zur Folge, dass jeder vierte Brandenburger als arm gilt. Danach wären also offiziell 25 % der Brandenburger arm. Doch einigen SPD-Genossen gefiel das gar nicht; dieser Armutsbericht wäre damit nämlich gleichzeitig ein Armutszeugnis für die SPD-Genossen; denn ihnen obliegt ja seit 1990 das Sozialressort. Aber Gott sei Dank fiel dann einer Genossin noch ein, dass man eine andere Berechnungsgrundlage heranziehen könnte. So einigte man sich darauf, 60 % des durchschnittlichen Einkommens zugrunde zu legen. Damit gelten lediglich 13,7 % der Brandenburger als arm.
Deshalb hat man noch einmal eine Abstufung vorgenommen. Es gibt nämlich neben den Armen auch noch die extrem Armen; das sind Menschen, die im Monat weniger als 468 Euro erhalten; ca. 2,8 % der Brandenburger. Ob 13,7 % oder 25 % der Brandenburger rein statistisch als arm gelten, sei nicht entscheidend, meinte daraufhin eine andere SPD-Genossin. Entscheidend bleibe, dass sich zu viele Brandenburger in prekären Lebenslagen befänden. Recht hat diese SPD-Genossin! 8 Stunden Arbeit und trotzdem zu wenig zum Leben - das ist die Realität für immer mehr Menschen. Es kann nicht sein, dass ein 52-jähriger Facharbeiter, der hier in Brandenburg als Auslieferungsfahrer tätig ist, eine 48-Stunde-Woche hat und lediglich 1 300 Euro brutto verdient. Frau Lehmann, das sind Tatsachen. Angesichts solcher Einkommen braucht man sich nicht zu wundern, dass es Leute gibt, die sagen: Okay, ich lasse mich lieber von Vater Staat bezahlen und gehe nicht arbeiten.
Meine Damen und Herren! Bereits vor zwei Jahren wurde der Bericht angekündigt. Viel Zeit und Mühe wurden investiert, doch welche neuen Erkenntnisse enthält dieser Bericht? Selbst der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Baaske, hat sich äußerst ungewöhnlich über den Bericht geäußert: Was er darüber bisher in den Zeitungen gelesen habe, seien keine neuen Erkenntnisse. Dass in Brandenburg jedes vierte Kind von Armut bedroht sei, wisse er schon seit 2005. Es ist ja schön, dass Herr
Baaske und seine SPD-Genossen seit 2005 die Erkenntnis haben, dass die Armut speziell von Kindern immer weiter fortschreitet. Doch nun frage ich mich allen Ernstes, meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD: Was haben Sie denn in der Zwischenzeit gemacht, wenn Ihnen die Probleme seit 2005 bekannt sind? Ich sage es Ihnen: Der Genosse Baaske ist mit einer großen Schar seiner SPD-Genossen durchs Land gezogen und hat Jagd auf seine vermeintlichen bzw. selbst geschaffenen imaginären Schreckgespenster gemacht.
Ich komme zum Schluss. Der vorliegende Bericht sollte die Grundlage für eine vorausschauende Politik der Regierung sein, doch so, wie ich diese Regierung kenne, wird auch diesem gut gemeinten Bericht das Schicksal vieler Papiere drohen: Er wird schlicht folgenlos bleiben. Aber schön, dass wir wieder einmal über dieses Thema gesprochen haben.