Protocol of the Session on January 24, 2008

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 62. Plenarsitzung und darf mit einigen Vorbemerkungen beginnen.

Als Erstes gratulieren wir Frau Dr. Esther Schröder, die leider krankheitsbedingt abwesend ist, ganz herzlich zum Geburtstag und wünschen ihr gute Besserung.

(Allgemeiner Beifall)

Unter unseren Gästen begrüße ich den Botschaftsrat der polnischen Botschaft, Herrn Leszek Rejniewicz. - Dzie´n dobry, Pan.

(Allgemeiner Beifall)

Dann begrüße ich die Schülerinnen und Schüler der Stadtschule Altlandsberg, 10. Klasse, wenn ich es richtig weiß. - Herzlich willkommen! Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Zur Tagesordnung gibt es zu bemerken, dass der Punkt 11, Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2009 ohne Sozialdumping, von den Antragstellern zurückgezogen wurde. Die so geänderte Tagesordnung liegt Ihnen vor. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um Zustimmung. - Gibt es Gegenstimmen? - Oder Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich habe heute - auch das sei bemerkt, weil es so positiv ist keine gemeldeten Abwesenheiten von Ministern zu verkünden.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Zuruf)

- Keine gemeldeten, habe ich gesagt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Oder-Partnerschaft in Gemeinsamkeit von Polen und Deutschland auf neuem Niveau gestalten

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Dazu spricht als Erste die Abgeordnete Kaiser. Bitte sehr.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Oderbruch gab es eine große Feier für ein großes Ereignis am letzten 20. Oktober: Die neue und bislang einzige Fährverbindung zwischen den Menschen diesseits und jenseits der Oder, zwischen polnischem und deutschem Ufer, zwischen Güstebieser Loose und Gozdowice war in der Region lange ersehnt. Auch Sie, Herr Ministerpräsident, haben mit den Tausenden gefeiert. Ganze 285 Jahre vorher wurde - übrigens an derselben Stelle - erstmals eine Fähre des Johanniterordens erwähnt.

Zweimal in Folge, gestern und heute, nutzen wir eine Aktuelle Stunde für europapolitische Themen. Gestern ging es um die Veränderungen nach der Erweiterung des Schengenraums.

Wir alle wissen: Wenn sich im Leben etwas ändert, reagieren Menschen oft mit Abwarten, Ablehnung und Zweifel. Da hat Politik nicht die Aufgabe, den Menschen ihre Ängste und Sorgen auszureden, sondern die, sie ihnen zu nehmen, vor allem dadurch, dass sie die Veränderungen - verantwortungsbewusst und transparent - so gestaltet, dass wir sie positiv erleben.

Heute nun soll es genau um diese Gestaltung gehen, um Chancen, Impulse und unsere Ideen für die Zukunft. Die Oder-Partnerschaft kann dafür der Rahmen sein, die Oder-Fähre Güstebieser Loose-Gozdowice das Symbol. Warum auch nicht?

Geboren wurde die Oder-Partnerschaft vor fast zwei Jahren auf einer gemeinsamen deutsch-polnischen Wirtschaftskonferenz. Warum betone ich das so? - Weil eine lange Geschichte zwischen der Fähre der Mönche und der modernen Fähre von heute liegt, weil wir heute, fast 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, nach dem Ende der Blockkonfrontation, noch immer damit beschäftigt sind, mit den Folgen dieser Zeit fertig zu werden und mit dem Schlimmen davor: dem Überfall HitlerDeutschlands auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg eröffnete, den preußischen Großmachtallüren gerade im Umgang mit Polen, der deutschen Überheblichkeit gegenüber dem polnischen Nachbarn und der gleichzeitigen Ausbeutung seiner Arbeitskräfte, ja, auch mit der Abschottung der DDR gegenüber den Umbrüchen und den Problemen im Nachbarland, wie Herr Petke gestern völlig zu Recht bemerkte.

Nur ein gemeinsamer Anlauf kann nach dieser Geschichte Deutsche und Polen zu einem Miteinander führen, das beide Seiten voran- und die Menschen einander näherbringt. Da gibt es Freiraum für alle demokratischen Kräfte - auf deutscher wie auf polnischer und perspektivisch wohl auch auf tschechischer Seite.

Politik kann das nicht anordnen, aber sehr wohl inspirieren, anreizen, fördern, organisieren, vermitteln. Sie muss dafür selbst entsprechend organisiert sein. Das heißt aus Sicht der Linken:

a) Ohne Parlamente geht es nicht. Eine funktionierende OderPartnerschaft ohne umfassende parlamentarische Begleitung ist kaum denkbar. Dazu sollte auch ein ständiges Diskussionsforum „Ziemia Odrza´nska“ gehören, das von den Parlamentariern der betroffenen Landtage und Woiwodschaften initiiert werden könnte.

b) Spontanität und Abwechslung sind immer gut. Eine funktionierende Oder-Partnerschaft aber braucht mehr Abstimmung, umfassende und stabile Arbeitsbeziehungen der Landesregierung vor allem zu den westpolnischen Woiwodschaften.

c) Eine funktionierende Oder-Partnerschaft braucht starke Regionen. Bringen Sie also den Mut auf, den Euro-Regionen eine größere Selbstständigkeit zu geben!

Meine Damen und Herren, natürlich geht es nicht einfach um Strukturen, sondern es geht vor allem darum, welche Aufgaben im Rahmen der Oder-Partnerschaft gelöst werden können - immer vorausgesetzt, deutsche und polnische Partner wollen dies. Dabei stehen wir ziemlich am Anfang. Noch immer geschieht

vieles in den Ländern und Woiwodschaften neben- statt miteinander.

Herr Ministerpräsident, ich vermute, genau das war es, was Sie nach Ihrem Niederösterreich-Besuch im vergangenen Jahr dazu bewogen hat, eine neue Qualität der Zusammenarbeit anzumahnen und das - von Ihnen so ungefähr bezeichnete - zentraleuropäische Fünfeck zwischen Berlin/Brandenburg, Dresden/Ostsachsen, Szczecin, Pozna´n und Wroclaw zu skizzieren.

Wir von der Fraktion DIE LINKE haben uns dazu Folgendes überlegt:

Erster Punkt: Für uns ist wichtig, über die Wirtschaftspolitik hinauszudenken, sie mit der Arbeitsmarkttechnologie und der Forschungspolitik zu verbinden. Das bringt uns auf dem gemeinsamen Weg zu einem gemeinsamen Wirtschaftsstandort einen Schritt näher. Brandenburg kann seine eigenen Potenziale nur nutzen, wenn es als innovationskräftiges, kreatives Land mit einem ausgeglichenen sozialen und kulturellen Klima erkennbar ist. Unternehmensverflechtungen jenseits von Billiglohnstrategien und ein tragfähiges Netzwerk von Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen wären zum Beispiel Schritte zur Überwindung unserer Arbeitsmarktprobleme und des Fachkräftemangels.

Zweiter Punkt: Wir brauchen eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur. Wo sich Grenzen öffnen, kann der Verkehr nicht abgeschafft werden. Er kann aber sehr wohl durch Regionalisierung von Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensprozessen klug vorausschauend vermieden und organisiert werden. Planung und Ausbau der Schienenwege haben für uns Priorität gegenüber Straßen. Das heißt, in der Verkehrspolitik ist ein Umsteuern nötig. Das betrifft zum Beispiel die Eisenbahnverbindung BerlinWroclaw ebenso wie die Bauarbeiten auf der Strecke BerlinFrankfurt (Oder) sowie den Ausbau der Eisenbahnstrecke Berlin-Kostrzyn. Darüber hinaus gehören auch die Stichworte Ostbahn und Strecke bis Moskau auf die Agenda.

Dritter Punkt: Zum Wirtschaftsraum gehört heute untrennbar der touristische Erlebnisraum Oder-Neiße. Es ist nicht nur das kleine Beispiel der Fähre. Die allgegenwärtige polnische und deutsche Geschichte, Kunst und Literatur zu erfahren, könnte in diesem so entstehenden Raum die Basis für eine regionale Identität werden. Es ist klar, dass wir spezielle, auf diesen Raum bezogene Bildungsangebote brauchen. Die Defizite in diesem Bereich sind leider offensichtlich: bei Lehrplänen, Schulbüchern, Polnischlehrern, der Anzahl der polnisch lernenden Schüler, im Bereich der Ausbildung von Fachlehrern sowie beim Schülerund Lehreraustausch. Es gibt viele andere Fragen, und es gibt viel zu tun. Wir sollten auch diese Defizite gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen und den Partnerwoiwodschaften überwinden.

Ich bin gespannt auf die Bilanz und die Ideen der Landesregierung. Der Ministerpräsident hat sich in dieser von der Opposition beantragten Aktuellen Stunde auf die Rednerliste setzen lassen. Ich bin also gespannt auf Ihre Ideen. Wir bleiben diesbezüglich gerne im Gespräch.

Meine Damen und Herren, siebzehn Jahre erfolgreiche deutschpolnische Zusammenarbeit haben die Möglichkeiten für die Oder-Neiße-Region längst nicht ausgeschöpft. Trotz unserer großen Freude über die kleine Fähre in Güstebiese sollten wir

nicht nur hin und her, sondern weiter, zu neuen Ufern fahren. Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion setzt der Abgeordnete Bochow die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU-Osterweiterung ist ein historisches Glück für den Kontinent Europa. Sie bietet uns die Chance, friedlich zusammenzuleben, uns gegenseitig besser kennenzulernen und zu erfahren, was Freiheit bedeutet, und zwar nicht nur die Freiheit zu reisen, sondern auch die Freiheit zu studieren, zu leben und zu arbeiten, wo immer man möchte. Auch für das Land Brandenburg ergeben sich neue Chancen. Brandenburg befindet sich seit einigen Jahren nicht mehr am Rand, sondern in einer zentralen Lage, mitten in einer größer gewordenen EU.

In dieser historischen Situation gewinnt selbstverständlich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit eine immer größere Bedeutung; denn wenn Grenzen den Horizont politischer und wirtschaftlicher Akteure bestimmen, dann ist die Gefahr groß, dass Chancen vertan werden. Gerade vor dem Hintergrund der historischen Belastung hat Brandenburg glücklicherweise schon frühzeitig erkannt, wie wichtig es ist, das Verhältnis zu unseren polnischen Nachbarn zu pflegen, Brücken zu bauen, und zwar nicht nur aus Stein, Frau Kaiser, sondern auch solche, die Menschen einander näherbringen. Das sind ganz wichtige Brücken.

Es wurde ebenfalls erkannt, welche Chancen sich für beide Seiten ergeben, an der Entstehung eines Wirtschaftsraums mitzuwirken, der sich entlang der Oder erstreckt. Wir werden es uns also kaum leisten können, auch im globaleren Maßstab gesehen, auf diese Chancen zu verzichten. Die Oder ist ein bedeutsamer Teil der deutsch-polnischen Grenze. Es gehört zu den Leistungen der europäischen Einigung, dass sie Grenzen durchlässig macht, aber ganz verschwinden lässt sie Grenzen nicht, zumal dann nicht, wenn sie durch eine geographische Gegebenheit so deutlich gemacht wird, und zwar über 285 Jahre lang, wie wir eben gehört haben.

Daraus folgt: Wenn wir die Potenziale des Wirtschaftsraums beiderseits der Oder nutzen wollen, so benötigen wir nicht nur mutiges und vorausschauendes unternehmerisches Handeln, wir benötigen auch einen politischen Abstimmungsprozess, der hierfür geeignete Rahmenbedingungen schafft. Mit der OderPartnerschaft gibt es nun einen neuen, vielversprechenden Ansatz, dessen Ziel darin besteht, die Region zu einem integrierten Wirtschaftsraum zu entwickeln. Den - wenn Sie so wollen offiziellen Auftakt hierfür bildete die schon mehrfach erwähnte Wirtschaftskonferenz im April 2006. Es gab natürlich eine Reihe von Vorarbeiten. Am 15. und 16. Januar hat in Genshagen ein Workshop stattgefunden. Sachsen hat sein Interesse an der aktiveren Mitarbeit erklärt. Ich denke, dass wir von der Landesregierung zu diesem Workshop heute einiges hören werden.

Es geht also darum, durch politisches Handeln, das heißt vor allem durch konkrete Kooperationsprojekte, einen geeigneten Rahmen für unternehmerisches Handeln zu schaffen. Die zen

tralen Themenfelder der Kooperation - Innovation, Technologietransfer, Tourismus und Infrastruktur - sind bekannt. Die Kooperation mit Polen erfolgt heute in vielen Politikbereichen und auf vielen Kanälen. Es gibt die deutsch-polnische Regierungskommission und den Ausschuss für grenznahe Zusammenarbeit. Es gibt bilaterale Beziehungen zu einzelnen Woiwodschaften. Es gibt die Euro-Region. Es gibt Städte- und Schulpartnerschaften und vielfältige Wirtschaftsbeziehungen. Nun kommt die Oder-Partnerschaft noch hinzu. Es stellt sich die Frage, wie man diese ausfüllt.

Wer regelmäßig die Berichterstattung der Landesregierung zur Kenntnis nimmt - beispielsweise die Antwort auf die Frage 1813 -, der weiß, wie umfangreich und vielfältig die Zusammenarbeit in der Grenzregion mittlerweile ist. Hier gilt es dann, Parallelstrukturen zu vermeiden, ein Gegeneinander von Strukturen zu verhindern und Transparenz zu schaffen. Insofern ist es auch plausibel, wenn die Landesregierung die Oder-Partnerschaft als Informations- und Gesprächsplattform sieht, unter deren Dach sich Initiativen und Projekte verwirklichen lassen, obwohl sie keine eigene Verwaltungsstruktur und Finanzmittel hat - ich glaube, das würde auch sehr vieles erschweren - und deren Koordinierung über Netzwerke erfolgt.

Es ist klar, dass es bei einzelnen Problemen immer zum Haken kommen kann. Das wissen wir von anderen, vielleicht viel einfacheren Projekten auch. Die Gesamtbilanz kann sich dennoch sehen lassen. Ich glaube, das wird auch von Ihrer Fraktion nicht infrage gestellt. Wenn doch, dann werden wir es vielleicht in der zweiten Runde hören. Wir sollten bei einer Bewertung des erreichten Standards auch berücksichtigen, dass sich die deutsch-polnischen Beziehungen in den vergangenen Jahren durch eine schwierige Phase gearbeitet haben.

Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE LINKE hat danach gefragt, was der Landtag tun könne, um die Oder-Partnerschaft zu befördern. Ich denke, wir sollten auf jeden Fall der Versuchung widerstehen, hier exekutives Handeln übernehmen zu wollen. Unsere Rolle im Rahmen der Oder-Partnerschaft sollte sich vielmehr auf unsere Funktion beschränken. Wir sollten die erprobten Handlungsinstrumentarien nutzen, indem wir Öffentlichkeit für dieses Thema herstellen, und zwar nicht nur einmal, sondern ständig. Wir sollten unser Fragerecht intensiv dazu nutzen, die entsprechenden Informationen zu erhalten. Und wenn wir Vorschläge haben, sollten wir hier über sie diskutieren und sie zur Abstimmung bringen. Wir sollten zu den Partnerwoiwodschaften direkte Kontakte pflegen - Frau Kaiser, Sie hatten das angesprochen. Wir wollen das jetzt beginnen und sind, wie ich glaube, auf einem guten Weg. Über die Schwierigkeiten, die wir in der Zeit davor hatten, wollen wir hier nicht mehr reden.

Es ist wichtig, den Bürgern in unserem eigenen Land aufzuzeigen, welche Chancen sich bieten, und ihnen Unterstützung anzubieten. Schließlich kommt es darauf an, eine aktive Informationspolitik zu betreiben, das heißt, aktiv zu sein und dabei insbesondere bestehende Vorurteile und kontraproduktive Haltungen aufzuarbeiten.Hierin sehe ich eines unserer wichtigen - eigentlich das wichtigste - Betätigungsfelder.

Der Ministerpräsident hat vor einiger Zeit anlässlich eines Vortrags in Polen völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wesentliche Teile der deutschen Gesellschaft immer noch ein wenig

mit dem Rücken zu Polen stehen, wenn auch nicht aus Bosheit, sondern aus Gedankenlosigkeit. Wenn wir als Parlamentarier mit unseren Möglichkeiten für einen Mentalitätswechsel werben, dann leisten wir einen wichtigen Beitrag für eine echte Oder-Partnerschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei der Fraktion DIE LINKE)