Protocol of the Session on October 11, 2007

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 56. Sitzung des Landtages Brandenburg.

Ich habe die große Freude, als Gäste eine Gruppe deutscher Honorarkonsuln aus England zu begrüßen, die sich nicht nur vom Ablauf einer Landtagssitzung, sondern auch von der Wirtschaft in Brandenburg ein Bild machen wollen. Herzlich willkommen, und ich wünsche weiter gute Kontakte!

(Allgemeiner Beifall)

Gibt es zur vorliegenden Tagesordnung Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, dann bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Tagesordnung und rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Zwischen Versorgungssicherheit, Arbeitsplätzen und Klimaschutz - die Zukunft der Braunkohlenutzung in Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD

Wir beginnen die Debatte mit dem Redebeitrag der Abgeordneten Frau Gregor-Ness; sie spricht für die SPD-Fraktion.

Einen wunderschönen guten Morgen in diesem Hohen Haus! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Brandenburg ist ein armes Land - ich möchte das präzisieren: ein rohstoffarmes Land. Außer Sand und Kies haben wir noch die Braunkohle. Eigentlich müssten wir in Zeiten der weltweiten Ressourcenknappheit froh darüber sein, aber in Brandenburg wird die Braunkohle - sowohl das Vorkommen als auch die großen Lagerstätten - eher als Last denn als Chance begriffen. Um Rohstoffvorkommen wird in der Welt Krieg geführt. Was also wollen wir in Brandenburg tun? Wollen wir uns bekriegen, oder wollen wir Lösungen suchen? Wir sollten sachlich und ohne Emotionen analysieren, welche Chancen wir haben, und benennen, welche Probleme und Risiken es gibt. Wir sollten innerhalb des Zielkonflikts, den es zwischen Energieversorgungssicherheit, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit gibt, nach Lösungen suchen.

Als umweltpolitische Sprecherin sage ich: Wir befinden uns unbestritten mitten im Klimawandel. Er hat begonnen und verläuft dynamischer, als wir alle es vermutet hatten. Schuld daran - auch das ist unbestritten - sind die Emissionen, vor allem die industriellen Emissionen, im CO2-Bereich. Sie haben einen bedeutenden Anteil am anthropogenen Treibhauseffekt. Es ist unbestritten, dass die CO2-Emissionen in Brandenburg mit 22,8 t weit über dem Bundesdurchschnitt von „nur“ 9,8 t je Einwohner liegen, jedoch kann man nur Gleiches mit Gleichem ver

gleichen. Den Bundesdurchschnitt mit dem USA-Durchschnitt zu vergleichen ist fair, den USA-Durchschnitt mit dem Brandenburger Durchschnitt zu vergleichen ist unseriös.

Es ist unbestritten: Der Einsatz von Braunkohle in Brandenburg führt zu 38,2 Millionen t CO2-Ausstoß und macht damit 65 % der gesamten Emissionen im Land aus. Damit kann die Braunkohleverstromung in der jetzigen Art und Weise nicht zu unseren zukunftsträchtigen Technologien zählen. Unbestritten hat der Braunkohleabbau Auswirkungen. Er hat einen hohen Landschaftsverbrauch, er beeinflusst unser Wasser und verändert die landwirtschaftliche Nutzfläche. Gerade deshalb brauchen wir Antworten, Alternativen und Lösungen. Wir brauchen diese für die umwelt- und energiepolitische Zukunft, die Zukunft unserer Kinder und Enkel, die Zukunft unseres Planeten. Im Grunde müssen wir zwei Fragen beantworten. Erstens: Kann die Braunkohleverstromung umweltfreundlicher gestaltet werden? Zweitens: Können wir auf die Braunkohleverstromung zur sicheren Energieversorgung verzichten?

Wenn Brandenburg heute und sofort auf Tagebaue und Kraftwerke verzichten würde und den Energiebedarf aus anderen Quellen decken könnte, wäre es uns dann egal, ob der Strom Atomstrom aus Frankreich oder Kohlestrom aus Polen oder Tschechien wäre? Dürfen uns als umweltbewusste Menschen die Rahmenbedingungen für die Förderung von Rohstoffen und die Art der Bereitstellung von Energie in den Regionen der Welt kaltlassen? Wollen wir Brandenburg zum Selbstzweck und um vor uns selbst zu glänzen zu einem ökologischen Musterland entwickeln, oder wollen wir global einen Beitrag leisten? Als umweltpolitische Sprecherin meiner Fraktion sage ich klipp und klar: Wir wollen uns den globalen Herausforderungen stellen.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Wir in Brandenburg brauchen uns nicht zu verstecken; denn wir sind bereits ein ökologisches Musterland. Was den regenerativen Bereich angeht, so wird in Brandenburg - gemessen am Bundesdurchschnitt - pro Kopf mehr alternativer Strom erzeugt als in jedem anderen Bundesland.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wir müssen die Braunkohleverstromung umweltfreundlicher gestalten und damit einen Beitrag zum technologischen und technischen Fortschritt im Bereich des Klimaschutzes leisten; denn beim Klimaschutz darf man nicht nur lokal, sondern muss man global handeln.

China - derzeit der nach den USA größte CO2-Emittent - deckt seinen Energiebedarf zu 60 % aus der Kohlenutzung. Die Bedeutung der Kohle für die weltweite Energieversorgung wird in den nächsten Jahren sogar dramatisch ansteigen. Insbesondere die Schwellenländer China und Indien verfügen über dezentral gut verfügbare Kohlevorräte und werden die Förderung in den nächsten Jahren auf über 60 % steigern. Diese Länder können in absehbarer Zeit nicht auf die Kohlenutzung verzichten. Deshalb ist die einzige Chance, die globalen Klimaziele zu erreichen, die CO2-Abscheidung bei der Kohleverbrennung. Sie muss für den Großtechnik-Einsatz entwickelt und dann weltweit verbreitet werden. Dazu können wir einen Beitrag leisten. Wir sind zum Erfolg verdammt, meine Damen und Herren!

Ob es dem Energieversorger Vattenfall ernst ist, daran wird er sich messen lassen müssen. Er wird in den nächsten Jahren eine 30-MW-Pilotanlage - ein CO2-freies Kraftwerk - in Schwarze Pumpe in Betrieb nehmen, wobei ich einräumen muss, dass „CO2-frei“ ein falscher Begriff ist; es ist eine CO2-arme Technologie. Ich bin mir bewusst, dass wie bei jedem Verbrennungsprozess CO2 entsteht. Allerdings wird es verflüssigt, abgeschieden und unterirdisch verbracht, sodass insgesamt 90 % der CO2-Emissionen abgetrennt werden können. 70 Millionen Euro will Vattenfall in dieses Pilotprojekt - das sogenannte Oxyfuel-Verfahren - investieren. Wir sollten unterstützen, dass diese technische Neuerung in Brandenburg entwickelt wird. Denn, wenn das Verfahren erfolgreich zur Anwendung kommt, würde bei der Kohleverbrennung künftig weniger CO2 freigesetzt als beispielsweise bei der Erdgasverbrennung.

Zweiflern an dieser Technologie möchte ich entgegenhalten, dass für die Ablösung fossiler Energieträger durch regenerative Energien der Einsatz von Technologien erforderlich ist, die wir heute so noch nicht haben. Ich denke an die Speicherung regenerativer Energie aus Wind und Solar, damit wir auch in Zukunft die Energieversorgung im Dunkeln und bei Windstille sichern können. Wir sollten an diesen technologischen Entwicklungen partizipieren; denn wir haben die einmalige Chance, einen wirtschaftlichen Partner zu haben, der sich dieser Aufgabe stellt.

Damit bin ich bei der zweiten Frage: Können wir auf die Braunkohleverstromung für eine sichere Energieversorgung verzichten? Meine Antwort am heutigen Tage lautet: Nein. Auch wenn Minister Dr. Woidke in dieser Frage kürzlich für Verwirrung gesorgt hat, so bin ich der Meinung, dass wir die Energieversorgung in Brandenburg im Jahr 2020 noch nicht aus regenerativen Energien sichern können. Ich verweise diesbezüglich auf die Broschüre „Umweltdaten aus Brandenburg Bericht 2007“; darin ist als Zwischenbericht die „Potenzialstudie Erneuerbare Energien“ enthalten. Demzufolge könnten bei gleich bleibendem Energieverbrauch im Jahr 2020 ca. 27 % des Energiebedarfs Brandenburgs aus regenerativen Energien gedeckt werden. Beim elektrischen Strom würde das im Äquivalent 70 % ausmachen. Aber - wie gesagt - Versorgungssicherheit ist damit nicht gewährleistet.

„Wer den Energiemarkt umbaut und Alternativen wie die Windkraft propagiert, um das Klima zu schützen, gefährdet die Energieversorgungssicherheit, auf der der Wohlstand in Deutschland beruht.“

Dies stammt nicht von mir, sondern diesen Satz hat Herr Dr. Schellnhuber, der Leiter des PIK, vor wenigen Stunden vor den Nobelpreisträgern gesprochen. Herr Schellnhuber ist ein seriöser Vertreter im Bereich des Klimaschutzes; auf sein Wort sollte man - auch in den Nebentönen - hören.

Klimaschutz ist keine Monstranz, die wir vor uns hertragen. Wir müssen ihn ernsthaft und nachhaltig betreiben. Das Kriterium Versorgungssicherheit darf niemals vernachlässigt werden.

Wir wissen, dass die Braunkohle mit einem Anteil von 26 % eine wesentliche Rolle bei der Grundlastsicherung im Energiebereich spielt. 60 % des Lausitzer Stroms - das muss man bekennen - werden exportiert. Versorgungssicherheit im Bundesgebiet lässt sich nur durch einen bundesweiten Energiemix und

durch das Versorgungssystem eines nationalen Austauschs von Energien erzielen.

Was müssen wir tun? Wir müssen die Energieeffizienz steigern. Wir müssen alle Einsparpotenziale im Energiebereich heben. Wir müssen Forschung auf dem Gebiet der Energieerzeugung und -technologie unterstützen. Wir müssen selbstverständlich weiterhin die regenerativen Energien fördern. Wir müssen die Auswirkungen des Braunkohlebergbaus minimieren, und wir müssen einen modernen Energiemix anstreben. Wir dürfen nur so viele fossile Energieträger wie nötig verbrennen und müssen so viele regenerative Energien wie möglich einsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Politisch - ich beziehe mich auf den Antrag, den wir heute Nachmittag behandeln - fordere ich hier und heute, dass wir bei den Bestimmungen zum Genehmigungsverfahren als Nebenbestimmung einfügen, dass Kraftwerke - bzw. die Tagebaufelder für deren Versorgung - de facto nur noch genehmigt werden dürfen, wenn es die Technologie der CO2-Abscheidung gibt. Ich weise die Behörden darauf hin, dass dies die eindeutige Forderung dieses Hauses ist.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Fraktion DIE LINKE)

Ebenso wichtig ist uns, dass wir, noch bevor das Kabinett die Energiestrategie für dieses Land verabschiedet, in einen öffentlichen Diskussionsprozess eintreten. Ich bitte die Regierung, das Konzept bzw. die Strategie für unsere Energieversorgung zu erarbeiten und sich dem öffentlichen Diskussionsprozess zu stellen. Nur so können wir für Klarheit und Wahrheit im Land sorgen. Dafür stehe ich hier und heute. In diesem Sinne wünsche ich uns allen Glück auf!

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Es spricht der Abgeordnete Thiel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist weder DIE LINKE noch eine Volksinitiative, die einer weiteren Braunkohleverstromung enge Grenzen setzt, es ist der Klimaschutz. Meine ehemalige Studentin Martina Gregor-Ness hat gerade darüber gesprochen. Brandenburg muss bei seinen strategischen Überlegungen über zukünftige Energiepolitik die gestern von 15 Nobelpreisträgern und der Bundeskanzlerin aufgemachte Forderung nach „Kohlenstoff-Gerechtigkeit“ äußerst ernst nehmen. Sollte diese verwirklicht werden, hätte Brandenburg äußerst schlechte Karten, denn derzeit beträgt der Pro-Kopf-CO2Ausstoß nach Abzug des Stromexports jährlich 14 t. Angestrebt ist nach dem Willen der Bundeskanzlerin eine CO2Emission von 2 t pro Kopf und Jahr.

Im Gegensatz zu den nebulösen Vorstellungen der Koalitionsfraktionen und der von ihr getragenen Regierung zur Zukunft der Kohleverstromung bekennt sich meine Fraktion klar zu einer sozial gerechten, ökologisch verträglichen und somit nach

haltigen Energiepolitik, die auf dem Einsatz von erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung begründet ist.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir setzen dabei auf Technologien, die den Praxistest bereits bestanden haben, während die Koalition mit der CCS-Strategie auf eine Technologie hofft, die es noch nicht gibt und die nach derzeitiger Faktenlage - das sagen alle Expertinnen, Experten und Wissenschaftler - mit Sicherheit nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen wird. Auf der politischen Tagesordnung im Land Brandenburg steht deshalb der mittelfristige und sozialverträgliche Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle. Eine Brücke ins Solarzeitalter in Form einer Vielzahl neuer fossiler Kraftwerke ist nicht nötig. Die derzeit Vorhandenen könnten die notwendigen Übergänge mittels intelligenten Managements durchaus realisieren. Unsere Partei setzt dabei einen sehr großen Zeitrahmen.

Zudem fordert DIE LINKE eine breite gesellschaftliche Diskussion über die zukünftige Energiestrategie. Es wäre scheinheilig, eine öffentliche Debatte erst nach Verabschiedung der neuen Energiestrategie zu führen, wie es der vorliegende Koalitionsantrag vorsieht.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Weiterführende Vorstellungen aus dieser Diskussion müssen in die Energiestrategie einfließen können. Dazu kann durchaus auch das Ergebnis einer Volksinitiative gehören. Energiepolitik muss vor allem vorausschauend sein. Das Festhalten an einer überholten Option darf nicht zu ihrem Anliegen werden.

Für Kraftwerksbetreiber wie Vattenfall gibt es viele Möglichkeiten des Ausbaus eines durchaus profitablen Geschäfts mit Energien aus erneuerbaren Quellen. Der Konzern, der immer wieder seine Liebe zur Lausitzregion beteuert, kann dieser damit als Wirtschaftskraft erhalten bleiben und zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern. Niemand will ihn von hier vertreiben.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Nur eine Strategie auf der Basis von erneuerbaren Energien verspricht eine langfristig gesicherte, umweltfreundliche und kostengünstige Energieversorgung

Gestatten Sie mir ein Zitat von Sigmund Jähn, der im Gegensatz zu uns die zerbrechliche Welt aus dem All als Ganzes gesehen hat:

„Ich bin kein Freund von Spekulationen. Allerdings ist mein Optimismus nicht sonderlich groß, dass sich die Staaten zu einer gemeinschaftlichen Lösung der Zukunftsfragen durchringen werden. Wenn sich die Menschheit wirklich zerstören will, dann schafft sie es auch. Die Evolution wird das verkraften.“

Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit zu handeln. Wir brauchen heute mutige Entscheidungen in der Politik. Bereits beschlossene Ausstiegsszenarien aus der Atomenergienutzung, wie sie nun auch verstärkt für die Kohleverstromung gefordert werden, sind dabei ein wirksames politisches Instrument. Es fordert geradezu Innovation und Kreativität heraus und erzeugt

den erforderlichen Druck sowohl auf die Energieunternehmen als auch auf die Politik selbst.

Dafür sind in Deutschland durch den in den letzten Jahren - unter anderem mit dem Erneuerbare Energien-Gesetz, EEG - erfolgreich eingeleiteten Aufbruch zu erneuerbaren Energien die besten technologischen und industriellen Grundlagen entstanden, um die notwendige Umstrukturierung der Energiewirtschaft schneller als bisher gedacht und geplant zu realisieren. Menschen könnten dadurch in ihren angestammten Siedlungsgebieten bleiben, notwendige Eingriffe in Natur, Umwelt und Wasserhaushalt auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

Übrigens ist die von Herrn Minister Woidke auf seiner gestrigen „Rückruderpressekonferenz“ für November angekündigte Potenzialanalyse „Erneuerbare Energien in Brandenburg“ in ihren Eckpunkten längst bekannt. Ich darf daraus zitieren: