Protocol of the Session on September 12, 2007

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, als Peer Steinbrück und Ursula von der Leyen die Ergebnisse des Krippengipfels verkündeten, sagte Frau von der Leyen: Das ist ein guter Tag für Deutschland. Wir sollten uns für alle Familien und Kinder freuen. - Ich finde, sie hat Recht. Nur: Die guten Tage für Deutschland haben so gesehen schon viel früher begonnen. Wir haben es der Vorgängerin von Frau von der Leyen, nämlich Renate Schmidt, zu verdanken,

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

dass das Thema Familie und Kinder wieder in den politischen und damit auch in den öffentlichen Fokus gerückt ist. Das gefällt Ihnen nicht, stimmt aber.

(Widerspruch bei der Fraktion DIE LINKE - Vietze [DIE LINKE]: Jetzt sind Sie ja bei der Vergangenheit!)

Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, das zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, sowie mit dem Gesetz zur Weiterent

wicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Oktober des gleichen Jahres hat sie landesweite Rahmenbedingungen für einen bedarfsgerechten und qualitativen Ausbau von Kindertagesbetreuung insbesondere für Kinder unter drei Jahren geschaffen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Es ist somit das Verdienst von Renate Schmidt und damit der rot-grünen Koalition, dass seitdem Kinderbetreuung als ein zentrales familienpolitisches Thema gesehen wird. Dass Frau von der Leyen diesen Weg so konsequent und beherzt weiterführt, freut uns Sozialdemokraten. Es bleibt nur zu hoffen, dass ihr dabei die Puste nicht ausgeht und sie sich in ihrem eigenen politischen Lager durchsetzen kann. Weite Teile der CDU und vor allem der CSU sind von einer modernen Familienpolitik noch Meilen entfernt.

Kaum tut sich in Deutschland etwas für den dringend nötigen Ausbau der Kinderbetreuung, wird in der Union geradezu reflexartig der Ruf nach weiteren finanziellen Hilfen für diejenigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen, laut.

(Schippel [SPD]: Aber nur im Süden!)

Die Fortsetzung solcher traditionellen Familienpolitik ist nicht zeitgemäß. Sie entspricht nicht den Vorstellungen der jungen Menschen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter ist das Gebot der Stunde. In der Definition zum Familienbild trennen uns von der Union Welten. In der zielgenauen Unterstützung junger Menschen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, sind wir uns in der Koalition jedoch uneingeschränkt einig.

In Sachen Kinderbetreuung ist die SPD ein verlässlicher Partner für die Bürgerinnen und Bürger.

(Gelächter bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir Sozialdemokraten stehen seit langem für gleiche und bessere Bildungschancen für Kinder und echte Wahlfreiheit für Eltern.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Und für den Rotstift, Frau Lehmann!)

Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Familienpolitik, dem Brandenburger Programm „Familien und Kinder haben Vorrang!“

(Beifall bei der SPD)

Diese Investitionen in Bildung, Lebenschancen und die soziale Infrastruktur erleichtern vielen jungen Menschen die Entscheidung für ein Kind. Sie bieten die Chance, die Erwerbstätigkeit vor allem von Frauen und Alleinerziehenden zu steigern. Sie sind somit eine geeignete Strategie zur Armutsbekämpfung.

Der nunmehr vorliegende Gesundheitsbericht Nr. 5 bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Den Schuleingangsuntersuchungen mit Stand 2005 lassen sich unter anderem folgende Fakten entnehmen:

Erstens: Das Nettoeinkommen von Familien mit Kindern unter 18 Jahren ist in den letzten fünf Jahren um knapp 13 % von durchschnittlich 1 810 Euro auf 2 042 Euro gestiegen.

Zweitens: Mütter und Väter in jungen Familien haben - Stand 2005 - eine bessere Schulbildung als in den 90er Jahren.

Drittens: Orientiert an den Merkmalen Schulausbildung und Erwerbsstatus ist der Anteil von Familien mit hohem Sozialstatus im Zeitraum von 1994 bis 2005 von 16 % auf 25 % gestiegen. Parallel dazu sank der Anteil der Familien mit mittlerem Sozialstatus. Der Anteil der Familien mit niedrigem Sozialstatus ist in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zwar angestiegen, hat sich aber im Jahre 2005 auf den Ausgangswert von 1994 eingependelt.

Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es noch viel zu tun. Dreh- und Angelpunkt bleibt die Erwerbstätigkeit unserer Menschen; denn ein hoher beruflicher Status und gesicherte Erwerbstätigkeit sind günstige Faktoren für das gesunde und soziale Klima unserer Kinder.

Auch die Alleinerziehenden dürfen wir nicht aus unserem Blick verlieren; denn Alleinerziehende haben durchschnittlich nur die Hälfte des Haushaltsnettoeinkommens von Ehepaaren oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften zur Verfügung. Das macht deutlich, dass Alleinerziehende speziell mit kleineren Kindern den geringsten wirtschaftlichen Spielraum haben.

Die Reihenuntersuchungen in Kitas und die Frühförderung können uns überhaupt nicht befriedigen. Hier sage ich nur: Das ist ein völlig falsches Verständnis von Selbstverwaltung. Meine Kritik richtet sich an dieser Stelle an alle Beteiligten, an Krankenkassen, Wohlfahrtsverbände und Kommunen.

Aber auch die modernen Leiden unserer Kinder - zum Beispiel in Bezug auf Bewegung und Ernährung -, die in enger Beziehung zu den sozialen Verhältnissen der Familie stehen, müssen wir als Politiker im Blick haben.

Die Lösung dieser Probleme liegt nicht in der bloßen Verteilung unseres Wohlstandes von links nach rechts, wie es uns die Partei DIE LINKE immer wieder in all ihren Anträgen vorschlägt. Die Lösung dieser Probleme liegt in zielgerichteten Investitionen, die unsere Menschen aktivieren, damit sie ihr Leben in eigener Verantwortung und aus eigener Kraft gestalten können. Nur so gelingt es uns, die Vererbung sozialer Nachteile von Generation zu Generation zu verhindern.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Aktivierende, gestaltende Politik ist sozialdemokratische Politik des 21. Jahrhunderts. Genau da bleiben wir dran. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Wir setzen mit dem Beitrag der Abgeordneten Große fort. Sie spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Debatte hat zumindest gezeigt, dass sich alle demokratischen Parteien ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Familien bewusst sind. Nur: Die Zugänge zur Lösung der Problemkno

Ein anderes Problem: Gerade im Bereich der Null- bis Dreijährigen brauchen wir gut qualifizierte und gut bezahlte Fachkräfte, die zunehmend an Fachhochschulen ausgebildet werden sollten, bundesweit etwa 100 000. Auch im Land Brandenburg wird aufgrund der Altersstruktur eine erhebliche Zahl von Erzieherinnen und Erziehern gebraucht. Welche Vorstellungen haben die Landesregierung und die Koalition dazu? Ich habe nichts darüber gehört. Es sind im Übrigen zu 97 % Frauen, die in diesem Bereich, meistens in niedrigen Vergütungsgruppen, fast immer in Teilzeitanstellung mit wechselnden Beschäftigungsumfängen, arbeiten, aber mit sich immer mehr erweiternden Aufgabenfeldern. Bei Tagesmüttern müssen wir von prekären Verhältnissen sprechen; das ist angesprochen worden. Das betrifft immerhin ein Drittel der Betreuungsplätze bundesweit. Auch in Brandenburg gibt es inzwischen Kommunen, die den gesamten Bedarf für die Null- bis Dreijährigen nur über Tagesmütter abdecken. Das halten wir für eine sehr problematische Entwicklung.

Europäisches Niveau sind im Übrigen fünf Kinder pro Erzieherin. Davon sind wir meilenweit entfernt. Dazu ist der Anteil der Eigenfinanzierung durch die Eltern in Höhe von 22 % durch Gebühren im Vergleich mit anderen europäischen Ländern extrem hoch. Auf diversen Flyern zu Projekten für Netzwerke gesunder Kinder findet sich oft das afrikanische Sprichwort „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ Viele Dörfer haben sich auf den Weg gemacht. Das ist heute besprochen worden. Die Dörfer im engeren Sinn dürfen aber nicht alleingelassen werden. Die Hauptlast der Finanzierung aller wichtigen Entwicklungen im Bereich Kindertagesbetreuung liegt bei den Kommunen. Wir brauchen also starke Kommunen, um bei den Qualitätsstandards weiterzukommen.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, zögern Sie nicht, begeben Sie sich in die Spur, Ihren häufig geäußerten Aussprüchen und Ansprüchen „auf den Anfang kommt es an“, „wir dürfen kein Kind zurücklassen“ zum Durchbruch zu verhelfen! Nehmen Sie zumindest den Teil der Demografieexpertise ernst, der uns auffordert, alles Menschenmögliche für die Bildung der Kinder zu tun! Herr Minister, es ist in Ordnung, dass Sie für die 58 Millionen Euro für dieses Land gekämpft haben. Aber dieser Anspruch muss jetzt auch untersetzt werden. Ihre heutigen Vorschläge waren Luftballons, wie meine Fraktionsvorsitzende schon gesagt hat.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir erwarten schon beim Doppelhaushalt ein deutliches Zeichen bezüglich der Ausweitung des Rechtsanspruchs. Sie haben dann wieder einmal die Chance, unseren dahin gehenden Anträgen zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, weiterer Redebedarf ist mir nicht signalisiert worden. Deshalb beende ich die Debatte an dieser Stelle und schließe Tagesordnungspunkt 1.

Ich begrüße unsere Gäste vom Bildungswerk FUTURA in Wünsdorf. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

ten, wie sie in dieser Demografieexpertise benannt werden, sind schon sehr unterschiedlich. Die heutige Debatte hat auch gezeigt, dass es zumindest bei CDU und SPD unterschiedliche Ziele gibt. Chancengleichheit als Ziel habe ich heute von Ihnen, Frau Kollegin Hartfelder, nicht vernehmen können. Wir haben also doch unterschiedliche Zugänge.

Frau Kollegin Lehmann, ich hätte mir gewünscht, dass Sie aus dem Sommerloch auftauchen, denn die Saarland-SPD hat sich inzwischen ganz deutlich entschieden. Es gibt in unserer Partei übrigens keine First Ladys. Ich weiß nicht, aus welchem Familienbild Ihre diesbezügliche Bezeichnung stammt.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

DIE LINKE jedenfalls hält es für ein verpflichtendes Gebot und sieht sich in Übereinstimmung mit dem Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvetion und auch mit dem Artikel 1 des KJHG, dass alle Kinder ein Recht auf umfassende Förderung haben und an Bildung und Erziehung in Gemeinschaft mit anderen Kindern auf freiwilliger Grundlage - freiwilliger Grundlage! - teilhaben können müssen. Es geht also um schon geregeltes Recht von Kindern. So betrachtet sind die Ergebnisse des Gipfels, Frau Kollegin Geywitz, noch nicht einmal für den Westen revolutionär, weil es um schon geregeltes Recht geht, das bisher in diesem Land nicht eingefordert und nicht ermöglicht wurde. Bezüglich der Standards in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Förderung hinkt Deutschland nach wie vor hinter vielen europäischen Ländern her.

So spannend wie ungelöst bleibt die Frage, wie diese nun vorgesehenen 35 % den Rechtsanspruch eigentlich decken sollen. Dem müssen die Länder bis Dezember noch zustimmen. Herr Ministerpräsident Platzeck, ich gehe davon aus, wir stimmen dem zu und wackeln an dieser Stelle nicht auch noch. Brandenburg liegt jetzt schon darüber. Wenn der Rechtsanspruch aber uneingeschränkt ist, was wir ja wollen, was Sie eigentlich auch wollen, dann haben zumindest alle neuen Bundesländer ein Finanzierungsproblem.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Auch die alten Bundesländer sind noch lernfähig, wie wir erfahren haben, eben auch Linke im Saarland. Wir waren da übrigens optimistischer als Sie. Heute hat Frau Merkel sich auch dazu bekannt, dass sie dem Rechtsanspruch der Null- bis Dreijährigen Priorität einräumt. Das lesen wir heute in allen Zeitungen. Betreuungsgeld ist zumindest für Frau Merkel erst einmal vom Tisch. Sie ist ja auch eine Ostfrau und offensichtlich hat sie doch noch rudimentäre Erinnerungen an vernünftige Lösungen.

Ich habe im Übrigen heute nichts dazu vernommen, wie Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Prozess des rückläufigen Versorgungsgrades aufhalten wollen. Der Minister hat ihn angesprochen. Wir waren 1989 bei 56 %, sind jetzt eigentlich nur noch bei 37 % der Versorgung der Null- bis Dreijährigen mit Krippenplätzen.

(Baaske [SPD]: 42 % hat er gesagt!)