Protocol of the Session on November 25, 2004

Arbeitsmarktpolitische Aktivitäten der Landesregierung

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 4/126

Der Abgeordnete Otto von der PDS-Fraktion eröffnet die Debatte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich wird die Koalition sagen: Wir haben gestern unseren Antrag bestätigt bekommen; die PDS hätte gut daran getan, ihren Antrag zurückzuziehen. Das tun wir natürlich nicht, sondern unternehmen den Versuch zu prüfen, ob Sie die im Koalitionsvertrag genannte Absicht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und an die erste Stelle Ihrer Regierungsverantwortung zu stellen, auch mit Ernsthaftigkeit verfolgen.

Mit dem Erhalt der ersten Bescheide über das Arbeitslosengeld II wird das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt für viele Betroffene erlebbare Realität. Hoffnung, Wut, Verzagen und zum Teil auch Verzweiflung - ein Riesengemisch an Gefühlen befällt gegenwärtig die Betroffenen.

Die PDS hat mit ihrer Feststellung Recht, dass damit eine neue Stufe im Sozialabbau der Bundesrepublik eingeleitet wird.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Hat sie nicht!)

Die in den letzten Tagen veröffentlichten wirtschaftlichen Daten für die Bundesrepublik lassen kaum die Erwartung zu, dass in den nächsten Jahren die Anzahl der abhängig Beschäftigten, die erforderlich sind, um Lösungsvarianten zu finden, in Größenordnungen steigen wird. Selbst die Bundesanstalt für Arbeit rechnet damit, dass 2005 die Arbeitslosenzahl die 5-MillionenGrenze erreichen kann.

Ein Gespenst geht um in Deutschland, nicht das Gespenst des Kommunismus, wie Heiner Geisler kürzlich feststellte, sondern das Gespenst des sozialen Abstiegs und der Armut. Die Gefahr, direkt von Hartz IV betroffen zu sein, wird immer mehr im gesellschaftlichen Bewusstsein reflektiert. Zurzeit kommt im Land Brandenburg auf 48 Arbeitsuchende eine freie Stelle.

Meine Damen und Herren, inzwischen sind auch im Entwurf des Bundeshaushalts für 2005 Eingliederungsleistungen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II mit rund 9,65 Milliarden Euro vorgesehen. Danach sollen aber die neuen Länder 41,9 % und die alten Länder den Rest erhalten. Vergleicht man die Eingliederungstitel des vergangenen bzw. dieses Jahres, die durch die Bundesanstalt für Arbeit ausgereicht wurden - sie sind natürlich nicht 100%ig deckungsgleich -, stellt man fest, dass die neuen Länder 46 % bekommen haben. Das heißt, das Signal ist gesetzt, dass möglicherweise weniger Mittel zur Verfügung stehen, die demzufolge effektiver eingesetzt werden müssen.

Es besteht die Gefahr, dass die Arbeitsgelegenheiten letztendlich als Hauptlösung genutzt werden, um das Problem der Beschäftigung zu lösen. 1-Euro-Jobs sind keine Jobs, sondern Arbeitsgelegenheiten, für die eben nur ein Mehraufwand und kein Lohn gezahlt wird. Vorrang haben deshalb - das sieht die Bundesanstalt für Arbeit genauso - die sozialversicherungspflichtigen existenzsichernden Beschäftigungen.

Genau diesen Grundsatz verfolgen wir mit unserem Vorschlag für arbeitsmarktpolitische Aktivitäten der Landesregierung.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Das steht bereits im Gesetz!)

Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre regionalen Agenturen gestärkt und die Landesregierung soll nun die Regionen und Kommunen stärken. Eine Rahmenvereinbarung zwischen Landesregierung und Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit Berlin-Brandenburg soll Teil I unseres Vorschlages sichern.

Selbst wenn Sie darauf hinweisen, dass es im Gesetz steht, muss es geregelt werden. Es darf auch nicht geschehen, dass sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten letzten Endes infrage gestellt werden.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Es ist alles im SGB II gere- gelt!)

Deshalb fordern wir, erstens, dass die Verhandlungen in den kreisfreien Städten und den Landkreisen wirklich auf gleicher Augenhöhe erfolgen können.

Zweitens: Überall im Land soll gewährleistet werden, dass die Arbeitsgelegenheiten wirklich nachrangig gegenüber der Eingliederung in sozialversicherungspflichtige, auch öffentlich geförderte Beschäftigung eingeordnet werden.

Drittens fordern wir, dass die Arbeitsgelegenheiten durch die Einbeziehung der örtlichen Akteure nach ihrer Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit ausgesucht und bewertet werden und dass in der Folge nicht reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Auch das ist geregelt!)

Die Arbeitsgelegenheiten sollten immer mit ergänzenden Maßnahmen als Brücke in den ersten und den zweiten Arbeitsmarkt verbunden werden. Die gemeinsame Initiative zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung für Langzeitarbeitslose zwischen der Landesregierung Brandenburg und der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit entspricht den von uns genannten inhaltlichen Zielstellungen in keiner Weise. Wir erwarten ein verbindliches Rahmenprogramm, während die Landesregierungen bisher lediglich Empfehlungen vorgelegt haben, die angewandt werden können oder auch nicht. Die dort genannten Prämissen von Zusätzlichkeit, Gemeinnützigkeit, öffentlichem Interesse und vor allem die Verhinderung der Verdrängung vorhandener oder neu entstehender Arbeitsplätze sind nicht eindeutig ausgestaltet und verbindlich geregelt.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Das SGB II ist verbindlich!)

Der Handreichung ist zu entnehmen, dass die beschriebenen Tätigkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit vorhandene reguläre und zukünftig entstehende Arbeitsverhältnisse verdrängen werden. Einige Beispiele: Fahrdienste für Senioren werden zurzeit von Taxi-Unternehmen und DRK vorgenommen, die Alltagsbegleitung bei Einkäufen gegenwärtig von Pflegediensten, Arbeit im Grünanlagenbereich von privaten Unternehmen und Bauhöfen. Die Gebäudereinigung möchte ich hier gar nicht erwähnen, sondern nur dieses Stichwort nennen. Archivarische Arbeiten in den Museumsbereichen erfordern natürlich fundierte Fachkenntnisse. Erhebliche Bedenken bestehen auch im gesamten Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie bei der Eingliederung von Zuwanderern, wo pädagogische, soziale und interkulturelle Kompetenz vorausgesetzt wird.

Herr Minister Rupprecht hat gestern noch ein neues Kriterium eingeführt, nämlich dass kein Schaden angerichtet wird. Auch dieses Kriterium müsste ausgestaltet werden. Deshalb ist es eine zentrale Forderung der PDS, verbindlich zu regeln, dass die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung von unabhängigen Stellen unter Beteiligung von Gewerkschaften, Kammern und Arbeitgebern zertifiziert werden,

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Damit sind sie nicht mehr un- abhängig!)

und das nicht nur als eine Möglichkeit, bei der den Kommunen die Ausgestaltung allein überlassen wird. Wir wollen damit in keiner Weise den Bewegungsspielraum der Kommunen einschränken, sondern den ersten Arbeitsmarkt schützen.

Dem Vorschlag der Koalition entnehmen wir - wir haben es gestern diskutiert -, dass sie mit der Ausgestaltung des Sozialgesetzbuchs II, was das Verhältnis von Fordern und Fördern betrifft, auch nicht so recht einverstanden sind. Der Grundsatz des Forderns ist deutlich erkennbar, es fehlen aber wirtschaftlich klare Konzepte, durch welche Maßnahmen mehr reguläre Jobs und auch mehr Angebote für Arbeitslose geschaffen wer

den sollen. Arbeitsmarktpolitik - das haben wir gestern schon festgestellt - kann Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Entscheidend ist aber, dass durch eine zielgerichtete Wirtschaftsförderung Arbeitsplätze entstehen. Die PDS hat dazu in der Vergangenheit schon mehrere Lösungsansätze gebracht und Vorschläge unterbreitet. Ich möchte sie noch einmal stichwortartig nennen:

- Abbau der Überstunden. 2003 wurden 1,5 Milliarden Überstunden geleistet. Wenn wir davon nur 20 % durch mögliche Fördermaßnahmen aktivieren könnten, wäre das ein Volumen von rund 200 000 Arbeitsplätzen;

- Zurückdrängung von Schwarzarbeit

- Ausbau von Teilzeitarbeit

- Verkürzung statt Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeiten und

- Einstieg in gemeinwohlorientierte, öffentlich geförderte Beschäftigung.

Der zweite Teil unseres Vorschlags ist eng mit dem ersten verbunden. Das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ entspricht in wichtigen Bestandteilen nicht den zukünftigen Erfordernissen. Ich möchte nur einige nennen.

Erstens: Die Änderung der Bezugszeiten für Arbeitslosengeld-IEmpfänger wird dazu führen, dass der Anteil der Arbeitslosengeld-II-Empfänger in der nächsten Zeit drastisch steigen wird. Auch darauf muss dieses Programm reagieren.

Zweitens: Die wirtschaftlichen Rahmendaten lassen vermuten, dass der erste Arbeitsmarkt zukünftig nur mit einem geringen Zuwachs von Arbeitsplätzen rechnet. Deshalb ist die Ausgestaltung des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors eine dringende Notwendigkeit.

Die Haushaltslage lässt weiterhin erkennen, dass den Betroffenen weitaus weniger Mittel zur Verfügung stehen als geplant. Die Frau Ministerin nannte gestern die Qualifizierung der Fallmanager, die durch das Land gefördert werde. Diesbezüglich sollte man auch inhaltlich klären, ob nicht die Förderung über die Bundesagentur besser wäre. Der ländliche Raum ist ziemlich hart mit den Maßnahmen des Sozialgesetzbuchs II konfrontiert. Die vorgesehenen Landesentwicklungsplanungen für zentrale Orte, womit möglicherweise auch noch ein Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist, sollte angesichts der Komplexität der Programme auch in die Klärung einbezogen werden.

Schließlich fehlt die Verbindung des Landesprogramms zum Sozialgesetzbuch II, insbesondere für Frauen, für Jugendliche, für Nichtleistungsbezieher, und es fehlt die Verbindung der Beschäftigungsgelegenheiten mit Qualifizierung und Einstiegsmöglichkeiten in existenzsichernde Beschäftigung. Das heißt, die Brückenfunktion des Landesprogramms in den ersten und zweiten Arbeitsmarkt ist neu auszugestalten.

Die Landesregierung betrachtet den sozialen Frieden als hohes Gut, genauso wie die PDS. Deshalb erwarten wir von der Landesregierung, dass sie die Möglichkeiten, die auch mit dem Europäischen Sozialfonds vorhanden sind, nutzt, das Programm neu fasst und den Kommunen somit eine Möglichkeit gibt, ihre

kommunalpolitischen Beschäftigungsprogramme auszugestalten, und das sehr schnell, weil die Betroffenen auf Lösungen hoffen. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD hat Frau Dr. Schröder das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, Ihr Antrag ist nicht nur eine Zumutung, sondern vor allem auch ein Beleg fachlicher Inkompetenz. Er ist nicht von dieser Welt, weil er in Sachen Hartz IV die bestehende Bundesgesetzgebung, die geregelten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, die laufenden Entwicklungen vor Ort und das derzeitige Engagement von Akteuren der Arbeitsmarktpolitik vollkommen ignoriert. Paradoxer geht es nicht. Einerseits erklärt die PDS das SGB II für verfassungswidrig und verteilt Musterwidersprüche gegen ALG-IIBescheide. Andererseits verlangen Sie heute eine bessere Umsetzung des SGB II. Hier reden Sie mit zwei Zungen. Wie viele Pirouetten wollen Sie hier eigentlich noch drehen?!

(Widerspruch bei der PDS)

Sie verlangen in I. eine inhaltliche Änderung der Bundesgesetzgebung durch einen Beschluss des Landtages Brandenburg. Sie wollen per Rahmenvereinbarung auf Landesebene beschäftigungspolitische Ziele von Eingliederungsmaßnahmen beschließen. Nun, diese sind durch die Bundesgesetzgebung im SGB II klar definiert.

Meine Damen und Herren von der PDS, Sie fordern Vereinbarungen zwischen Landesregierung und Bundesagentur für Arbeit, die verbindlichen Charakter für die Umsetzung des SGB II auf kommunaler Ebene haben sollen. Das kommt einem Affront gegenüber den Kreisen und kreisfreien Städten gleich, die neben der Bundesagentur für Arbeit nach § 6 SGB II gleichberechtigte Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind.

Noch immer sind Sie nicht mit dem Gesetzestext des SGB II vertraut. Ich empfehle Ihnen daher das Studium des Kompendiums „Aktive Arbeitsmarktpolitik nach dem SGB II“ der Bundesagentur für Arbeit. Die erste Auflage erschien im September 2004.

Auch sind Sie offensichtlich nicht informiert über die laufenden Anstrengungen zur Ausgestaltung von Eingliederungsleistungen in Brandenburg. Hierzu empfehle ich Ihnen dringend die Lektüre der gemeinsamen Initiative zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen für Langzeitarbeitslose, beschlossen zwischen Landesregierung und Bundesagentur, vom 14. September 2004. Sie haben sie hier zwar benannt, aber gelesen haben Sie sie nicht.

Ich empfehle Ihnen auch dringend die Lektüre der gemeinsamen Erklärung von Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Spitzenverbänden zur Gestaltung öffentlich geförderter Beschäftigung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 13. Oktober 2004.

Wenn Sie dies gelesen haben, werden Sie sehen, dass sich gemäß § 18 SGB II Akteure und Träger vor Ort längst in Kooperation befinden und sich die einzelnen Punkte Ihres Antrages zum Nachrang, zur Brückenfunktion, zur Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit, zur Dauer, zur Qualifikationsanforderung und Zertifizierung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung - in Luft auslösen.