Protocol of the Session on November 25, 2004

Was war das für ein Staat, was war das für eine Gesellschaft in der DDR? Was war das für ein Staat, der den Menschen ihr Eigentum weggenommen hat, um es zu verstaatlichen? Was war

das für ein Staat, der die Menschen daran gehindert hat, frei zu denken und frei zu reisen? Was war das für ein Staat, in dem Menschen von Maschinenpistolen, Minen und Selbstschussautomaten getötet, verletzt und verstümmelt wurden? Was war das für ein Staat, in dem über 40 000 politische Gefangene gegen D-Mark und Südfrüchte in den Westen verkauft wurden?

Was war das für ein Staat, in dem ein Gefangener, der am ganzen Körper von einem Selbstschussgerät verstümmelt ist, aus Verzweiflung und in dem Wissen darum, dass er niemals die Chance haben wird, in den Westen zu kommen, ein Glas zerkleinert und verschluckt, um lieber innerlich zu verbluten, als sich dieser von ihm empfundenen Perspektivlosigkeit auszusetzen? Was war das für ein Staat, in dem ein 62-Jähriger wegen Fluchtversuchs inhaftierter Spitzenfabrikant aus Plauen in der Zelle 317 des Gefängnisses Cottbus Qualen an einem Magendurchbruch litt und ihm nach wütenden Protesten der Mitgefangenen ein Gefängniswärter eine Spalt-Tablette bringt, um ihn „medizinisch angemessen“ zu versorgen und ihn nach weiteren Tumulten vor Schmerzen gekrümmt von der Zelle in die Krankenstation laufen zu lassen, um dort zu sterben?

Was war das für ein Staat, der im Auftrag der Partei- und Staatsführung durch das Ministerium für Staatssicherheit missliebige Menschen im In- und Ausland gezielt töten ließ? Was hat der ehemalige DDR-Bürger und spätere Westberliner Bernd Moldenhauer, der am 18. August 1980 im Auftrag der Stasi getötet wurde, denn Schlimmes getan, als er mit einem anderen Mitstreiter „staatsgefährdende Aktionen“, wie das Zumauern der Eingangstür des Aeroflot-Büros am Bahnhof Zoo in Westberlin, durchführte? Der Auftragsmörder des MfS hat nach zehn Jahren seine Haftstrafe gesühnt. Ist damit das Thema erledigt?

Ja, meine Damen und Herren, ungeheuerlich, was in der DDR so alles passiert ist, werden viele von Ihnen denken. Ist aber dieses Denken und Nachdenken über Licht- und Schattenseiten unserer gemeinsamen 40 Jahre DDR halbwegs ausgewogen in unserer Brandenburger Gesellschaft und auch hier im Landtag? Ich fürchte, nein.

(Zuruf von der PDS: Ihre Rede zeigt das! - Jürgens [PDS]: Sie bringen genug Schatten hinein!)

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass unser kollektives Unwohlsein in Brandenburg vor allem daher rührt, dass wir uns untereinander noch nicht das gesagt haben, was zu sagen ist, wenn man Konflikte nicht einfach überdecken, sondern bereinigen will.

Es waren nicht nur 40 Jahre mit Frank Schöbel und „Ihr Heinz, der Quermann“, es waren auch 40 Jahre ungeheuerlicher Menschenverachtung, der Gleichgültigkeit, des Drucks und des Terrors.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Bis heute ist aus meiner Sicht unbeantwortet, wer die politische und moralische Verantwortung für 40 Jahre DDR eigentlich trägt. Wie kommt es, dass immer mehr Menschen - auch insbesondere die, die 1989 die ersten Kerzen angezündet haben sich immer mehr wie Fremde im eigenen Land fühlen? Wie ist es möglich, dass DDR-Geschichte an Schulen vielfach auf Sparflamme behandelt wird?

Meine Damen und Herren, einerseits Fremde im eigenen Land, andererseits ein Klima, in dem viele unserer Mitbürger keine Bedenken haben, die politischen und materiellen Erben der SED in unser Landesparlament zu wählen. Es ist ein Irrweg, wenn wir eine Diskussion hinnehmen, in der die Westdeutschen bzw. das westdeutsche System für alles verantwortlich gemacht werden.

(Zurufe von der PDS)

Die Westdeutschen haben nicht meinen Freund Bernd Moldenhauer ermordet. Die Westdeutschen haben nicht den Plauener Spitzenfabrikanten verbluten lassen. Die Westdeutschen haben nicht Zehntausende von Unrechtsurteilen gefällt. Die Westdeutschen haben nicht fast 2 000 Menschen an der innerdeutschen Grenze getötet und die Westdeutschen sind auch nicht schuld an unseren wirtschaftlichen Problemen in Brandenburg.

Natürlich haben einige ihr Schäfchen ins Trockene gebracht, aber das sind nicht nur die Westdeutschen gewesen. Oder ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer hat eigentlich die ehemaligen Wirtschaftsräte der Bezirke zur Treuhandanstalt umwandeln lassen? War das Herr Kohl oder war das Herr Modrow? Ist jemandem aufgefallen, wie viele ehemalige Direktoren von VEB und Kombinaten mit einem Mal kurz nach der Wende Geschäftsführer von Unternehmen waren?

(Zuruf von der PDS: Bei der CDU!)

Die DDR, meine Damen und Herren, war keine Laune der Natur, sondern sie wurde von Menschen geschaffen und am Leben erhalten.

Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren. Wir haben heute zur Kenntnis nehmen müssen, dass ein Privileg freiheitlicher Demokratie, das nur ein Drittel der Menschen auf der Erde mit uns teilt, von vielen unserer Mitbürger offenbar nicht so gewürdigt wird, wie wir uns das aus den Erfahrungen der DDR wünschen. Unser Problem sind nicht andere, unser Problem sind wir selbst - diejenigen, die aneinander vorbeigehen, vorbeigehen und vorbeireden, statt offen aufeinander zu zugehen und miteinander zu sprechen.

(Zurufe von der PDS)

Wer hat die Verantwortung für 40 Jahre DDR? Wer ist bereit, wirklich Verantwortung zu übernehmen und damit Charakter zu zeigen? Wer ist bereit, auch die Verantwortung zu übernehmen und Stärke zu zeigen, die Verunsicherung vieler Mitbürger über Hartz IV und Ähnliches nicht einfach nur als gnadenlosen Sozialabbau aus dem Westen zu postulieren und daraus politisches Kapital zu schlagen?

Letzte Bemerkung: Wer von denen und deren Erben, die 40 Jahre die Geschicke der Menschen in der DDR bestimmt haben, ist bereit, sich zum gesamten Handeln zu bekennen und endlich den Mantel abzulegen, auf dem steht: „Ja, es war nicht alles so, wie es sein sollte, aber wir konnten ja nicht anders“? Selbstgefälligkeit und Selbstmitleid, meine Damen und Herren, hindern uns mehr am Aufbruch in Brandenburg als alle Risiken der Globalisierung.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Enkelmann [PDS])

Meine Damen und Herren, es ist noch nicht zu spät! - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht noch einmal an die Landesregierung. Herr Ministerpräsident, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prof. Bisky, ich kann dem, was Sie eben gesagt haben, nicht folgen. Ich kann Ihnen nicht folgen, beginne aber zu ahnen, warum Ihre Fraktion gerade solch eine junge Abgeordnete benannt hat, um zu diesem Thema zu reden.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das macht es für Sie alle natürlich auch unbeschwerter, da zuzustimmen. Ich denke aber, Frau Steinmetzer hat hier keine persönliche Erklärung abgegeben, sondern sie hat für die Fraktion der PDS die geschichtliche Sicht auf diesen historischen Zeitabschnitt geschildert.

(Beifall der Abgeordneten Hartfelder [CDU])

Ich erinnere nur daran, dass gerade gestern Frau Blechinger von diesem Pult aus sehr nüchtern und sehr sachlich geschildert hat, dass die DDR vor 15 Jahren dabei war, Internierungslager für 90 000 Menschen dieses Landes einzurichten. Wenn man das von diesem Pult aus gesagt bekommt, dann passt es für mich eben nicht - und dabei bleibe ich -, dass Sie einfach eine junge Abgeordnete nehmen und sagen, damit kann sie eine ganz unbeschwerte, rosige Sicht auf diesen Zeitabschnitt verkünden und die Welt ist für uns in Ordnung. Damit bin ich nicht einverstanden. - Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde angekommen, aber mit Sicherheit nicht am Ende dieses Themas, das wird uns weiter begleiten.

Ich darf Sie darauf aufmerksam machen bzw. daran erinnern, dass wir heute anlässlich des Internationalen Tages „Nein zu Gewalt an Frauen“ am Fahnenmast vor der Kantine eine Aktion durchführen und die Fahne „Frei leben ohne Gewalt“ hissen wollen. Ich bitte Sie, gleich im Anschluss an die jetzige Sitzung daran sehr rege teilzunehmen.

Um 13 Uhr setzen wir die Sitzung hier fort. - Danke.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.05 Uhr) (Fortsetzung der Sitzung: 13.03 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir fahren mit den Beratungen fort, damit nicht die bestraft werden, die hier sind.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Kompensation künftig wegfallender Einnahmen aus Jagdsteuer

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 4/122

Die Debatte wird mit dem Beitrag von Frau Wehlan eröffnet. Bitte, Frau Wehlan.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag behandelt ein aktuelles Thema, das mit den jüngsten Äußerungen des Landkreistages und der Landräte mit aller Deutlichkeit auf die Tagesordnung gebracht wurde. Wir haben dieses Thema der künftig wegfallenden Einnahmen aus der Jagdsteuer aufgegriffen, und das aus mindestens zwei Gründen.

Erstens ist das fiskalische Ringen um jeden Euro Einnahme bei den chronisch klammen Kommunalhaushalten durchaus verständlich. Die Kreise befinden sich gegenwärtig in den Haushaltsdiskussionen und wollen Antwort auf ihre Frage zu den Einnahmeverlusten.

Zweitens sind wir der Meinung, dass Ihre Koalitionsvereinbarung zur Abschaffung der Jagdsteuer umgesetzt werden muss. Alles, verehrte Kolleginnen und Kollegen, was diesem Anliegen dient, sollte in die Diskussion einbezogen werden.

Sie wissen, dass wir zur Abschaffung der Jagdsteuer in der letzten Legislaturperiode mehrmals parlamentarisch aktiv waren. Ich habe in den Debatten aber auch festgestellt, dass es zwischen den Fachpolitikern und den Innenpolitikern der Regierungsparteien eine doch recht große Differenz zu diesem Thema gab. Die war eben auch darin begründet, dass mit der Abschaffung der Jagdsteuer Einnahmeverluste für die Kreise verbunden sind. Es ist also auch unser Anliegen, mit dem Antrag Differenzen Ihrerseits abbauen zu helfen.

Nun können Sie sagen, dass es bei Ihnen keine Differenzen mehr gibt. Nun gut, dann bleibt aber immer noch der Fakt, dass wir das Konnexitätsprinzip der Landesverfassung nicht nur auf die Ausfinanzierung von Landesgesetzen reduziert wissen wollen, sondern auch auf die Kompensierung von Einnahmeverlusten der Kommunen durch Landesgesetze.

(Petke [CDU]: Abenteuerlich!)

- Herr Petke, Sie haben nachher noch die Möglichkeit zu reden.

(Petke [CDU]: Das ist trotzdem abenteuerlich!)

- Schönen guten Tag!

Entgegen auch oftmals hier vorgebrachter Meinungen ist meine Fraktion darin geübt, keine Finanzanträge ohne Deckungsquelle zu stellen. Gut 400 000 Euro, rechnet der Landkreistag vor, würden an Einnahmen verloren gehen. Eine solche Summe ist natürlich nicht zu kompensieren, auch nicht aus den