Protocol of the Session on June 6, 2007

Deutschfeindliche Positionen der polnischen Regierung? Ich glaube, Sie stellen nicht nur mit dieser Äußerung die Geschichte und die gegenwärtigen Aktionen und Reaktionen auf den

Kopf. Was den Raubzug an Eigentum - auch ein Wort aus Ihrer Rede - betrifft, so sollte man sich doch einmal anschauen, was der polnischen und der jüdischen Bevölkerung geraubt wurde, die nicht nur ihr Eigentum, sondern sehr häufig auch ihr Leben verloren hat.

Das alles muss man in diesen Geschichtskontext mit einordnen. Aber mir war, als ich das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde las, eigentlich schon klar, dass es hier nur um europafeindliche, gegen Polen gerichtete Positionen von Ihnen gehen kann. Hinter dem Titel der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde hat die DVU das verborgen, was sie eigentlich thematisieren will. Da ist von den „östlich der Oder gelegenen, zur Republik Polen gehörenden Regionen“ die Rede. Wenn Sie im Erdkundeunterricht etwas besser aufgepasst hätten und auf diesem Gebiet sicherer wären, dann wüssten Sie, dass auch etliche Städte und Dörfer westlich der Oder seit 1945 zu Polen gehören. Dies sind große Teile der Woiewodschaft Niederschlesien, mit der die Brandenburger nicht erst seit gestern freundschaftlich verbunden sind.

Es sind aber nicht nur die fehlenden geografischen Kenntnisse; Sie wollen auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Oder-Neiße-Linie seit rund fünfeinhalb Jahrzehnten die Grenze zwischen der DDR und heute der Bundesrepublik Deutschland und Polen bildet. Wie Ihre Gesinnungsgenossen aus anderen rechtsradikalen und rechtsextremistischen Parteien stellen Sie diese Grenze immer wieder infrage. Ihr Antrag strotzt zudem nur so von Worten wie „historisch“ oder Wortverbindungen wie „durch die Geschichte belastet“. Für historische Sichten, wie sie die DVU in der Überschrift einfordert, sind Aktuelle Stunden in diesem Landtag eigentlich nicht geeignet. Das sagt ja schon der Name: Aktuelle Stunde.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dennoch hat sich die DVU dazu entschlossen, und sie tut das, ohne Ross und Reiter zu nennen, nein, ganz im Gegenteil, sie tut es, indem sie eindeutig Geschichtsverfälschung betreibt. Sie blendet bewusst die Hauptbelastung aus, unter der diese zwischenstaatlichen Beziehungen bis heute leiden.

Zur Historie der deutsch-polnischen Beziehungen - das muss man eindeutig sagen können - gehört nicht nur die Mitwirkung Preußens an den polnischen Teilungen, die letztlich Polen für 120 Jahre von der Landkarte Europas tilgten. Die gravierendste historische Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen ist bis heute, was Deutschland ab dem 1. September 1939, seit dem Überfall Deutschlands auf das freie Polen, Millionen Polen, Juden, Roma, Kaschuben und anderen polnischen Staatsbürgern angetan hat. Von der fast völligen Zerstörung Warschaus und der unzähligen Städte und Dörfer sowie von zerstörten Industrieanlagen und verwüsteten Feldern rede ich angesichts der Menschenopfer hier nicht. All das verschweigen Sie. Genau dies aber gehört dazu, wenn Sie über historisch belastete Beziehungen zwischen Polen und Deutschland reden wollen.

Die Polen mögen manches über die jetzige Regierung in Warschau denken und zum Teil auch unterschiedliche Positionen zu ihr haben; in einem sind sie sich aber mehrheitlich einig. Das ist die Ablehnung und die strikte Zurückweisung jedweder revanchistischer bzw. polenfeindlicher Forderungen oder Gebaren, seien sie nun von der Preußischen Treuhand oder auch von einer Bundestagsabgeordneten. Diese einheitliche Ablehnung, diese

Zurückweisung hat eine Ursache: Die Mehrheit der Polen kann und will nicht vergessen, dass unter deutscher Besatzung Millionen Juden, Millionen Polen ihr Leben verloren haben. Es wurde ihnen genommen. Das, glaube ich, ist etwas, was man hier immer wieder deutlich darstellen muss. Sie von der DVU sind hier der Brunnenvergifter in den deutsch-polnischen Beziehungen. Genau darauf zielen Sie heute ab.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD und CDU)

Uns allen liegt ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Brandenburg und Polen am Herzen. Sie wollen die gegenwärtig nicht gerade unkomplizierten zwischenstaatlichen Beziehungen für Ihre politischen Zwecke nutzen. Ich hoffe, dass Ihnen diese Schwarzmalerei, diese Geschichtsfälschung nicht gelingen wird und dass jeder, der offenen Auges sehen kann, die tatsächlichen Hintergründe besser beleuchtet, als Sie das hier getan haben.

Ich gehe davon aus, dass der Ministerpräsident, als er sich - aus unserer Sicht endlich - dafür ausgesprochen hat, die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten in der Bundesrepublik zu prüfen, dies genauso ernst gemeint hat, wie er es gesagt hat.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD und CDU)

Er tat dies unter Verweis auf die Notwendigkeit der Einführung von Mindestlöhnen, was auch im Interesse der Brandenburger Menschen liegt. Ich bitte Sie, sich das endlich hinter die Ohren zu schreiben. - Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke der Abgeordneten Stobrawa. - Die Landesregierung verzichtet auf einen Redebeitrag. Das Wort erhält noch einmal der Abgeordnete Nonninger.

(Schulze [SPD]: Wollen Sie diesen unsäglichen Ausfüh- rungen ein weiteres Kapitel hinzufügen, oder wollen Sie sich entschuldigen?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

(Lebhafter Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Was die Damen und Herren Koalitionäre und SED-Nachfolger hier geäußert haben, ist nichts als Blech. Ach, hätten Sie doch geschwiegen!

(Vereinzelt Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS - Zurufe von SPD und der Linkspartei.PDS: Ja!)

Frau Richstein, Sie sagten mit Ihren Worten nichts anderes als das, was ich gesagt habe, haben aber Ihre Rede letztlich dazu benutzt, die DVU zu diffamieren.

(Dr. Klocksin [SPD]: Das machen Sie doch selber!)

Die Genossin Stobrawa von der PDS hat Geschichte und Erdkunde durcheinandergebracht und die Stimmung, die in der dortigen deutschfeindlichen Regierung herrscht, auf die Gesamtbevölkerung übertragen. Dabei ist die Mehrheit der polnischen Bevölkerung deutschfreundlich.

(Beifall bei der DVU – Baaske [SPD]: Aber nicht zu Ih- nen!)

Mit Ihren unqualifizierten Bemerkungen gegenüber unserer DVU-Fraktion haben Sie sich wieder einmal, wie so oft, völlig intellektuell disqualifiziert.

(Lachen bei der SPD und der Linkspartei.PDS)

Es ist eben nicht so, wie Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, es darstellen, dass zwischen Brandenburg und Polen eitel Freude herrscht.

(Bischoff [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Im Gegenteil, aus Warschau kommen ganz andere, unversöhnliche Töne - nicht nur gegen das geplante Zentrum gegen Vertreibung, den Bund der Vertriebenen und dessen Präsidentin; nein, selbst Bundespräsident Köhler musste sich von Polens Präsidenten Kaczynski wegen seiner letztjährigen Rede beim Tag der Heimat in Berlin in übelster Weise attackieren lassen. Dies, Herr Ministerpräsident - ach, er ist verschwunden -

(Bischoff [SPD]: Er hat‘s gut!)

ist die Realität. Dabei wurde Polen nicht zuletzt unter kräftiger deutscher Mithilfe nicht nur EU-Mitglied, sondern ist auch zum größten Empfänger von EU-Strukturfondsmitteln in der jetzt anlaufenden Förderperiode geworden, und das mit nahezu 60 Milliarden Euro aus den Brüsseler Fördertöpfen. Dass Deutschland mit jährlich über 10 Milliarden Euro netto Überzahlungen größter Finanzier der EU ist, ist Ihnen, meine Damen und Herren, aber vermutlich auch bekannt.

Man könnte also schlussfolgern, dass wir mit deutschen Steuergeldern bereits heute die Verlagerung deutscher Unternehmen und damit Arbeitsplätze zulasten der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Polen und in andere Niedriglohn-Neu-EU-Länder mit jährlich 10 Milliarden Euro fördern.

Wenn Sie, Herr Ministerpräsident Platzeck, dann gegenüber der „Märkischen Oderzeitung“ erklären - ich zitiere wörtlich -: „Wenn ein kleiner Betrieb im Oderbruch vor der Wahl steht, entweder den Standort aufzugeben, weil ihm zehn Leute fehlen, oder die zehn Fachkräfte aus Polen einzustellen”, dann wäre das in Ordnung -, so ist das geradezu eine bodenlose Unverschämtheit gegenüber den 200 000 Arbeitslosen in Brandenburg.

(Beifall bei der DVU - Zuruf von der Regierungsbank: Wir wollen unsere Mauer wiederhaben!)

Es ist auch eine Unverschämtheit gegenüber den teilweise seit Jahren in der Warteschleife befindlichen Brandenburger Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die vergeblich auf eine Lehrstelle warten, in der sie zu eben diesen Fachkräften vielleicht hätten ausgebildet werden können.

(Beifall bei der DVU)

Herr Ministerpräsident Platzeck, Ihr ganzes Gerede vom Bildungsstandort Brandenburg führen Sie damit ebenfalls ad absurdum. In demselben Interview, Herr Ministerpräsident, forderten Sie unter anderem die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für polnische und andere Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten bereits im Jahr 2009 statt, wie vereinbart, 2011. Wie schizophren das ist, ergibt sich allein aus der Tatsache, dass Sie gleichzeitig - zu Recht! - die Einführung von Mindestlohn fordern. Gleichzeitig befürworten Sie die EU-Dienstleistungsrichtlinie, die Ihre eigene Mindestlohnforderung durch den Umgehungstatbestand der Scheinselbstständigkeit für bereits heute Zehntausende von Polen, welche beispielsweise im Schlachter- oder Gebäudereinigergewerbe längst deutschen Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze weggenommen haben, ad absurdum führt.

(Dr. Klocksin [SPD]: Sie sind ein Volksverhetzer!)

Über die polnische EU-Wirtschaftspolitik schrieb kürzlich die bekannte polnische EU-Korrespondentin Anna Slojewska in der größten polnischen Tageszeitung:

„Einerseits fordert Warschau die Arbeitnehmerfreizügigkeit, andererseits setzt es auf Protektionismus und blockiert beispielsweise die Fusion der polnischen Töchter der italienischen UniCredit und der deutschen HypoVereinsbank, wogegen die EU-Kommission Klage erhebt.“

Zitat Ende. Wie Sie, Herr Ministerpräsident Platzeck...

Und Redezeitende.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Gut, dann komme ich zum Schluss und sage nur noch: Die Warschauer Zentralregierung befindet sich zurzeit politisch und historisch eindeutig auf antideutschem Kurs. Zuerst müssen die Wogen mit Warschau geglättet werden. Zuerst muss den Vertriebenen das Recht auf Heimat zuerkannt werden.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren! Ich schließe mit dankbarer Erleichterung Tagesordnungspunkt 1.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und vereinzelt bei der SPD)

im Rahmen dieser lebhaften Debatte und mit der Bitte, zur nötigen Ernsthaftigkeit zurückzukehren, rufe ich Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

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