Protocol of the Session on April 25, 2007

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Christoffers.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erstens: Nach den Beiträgen der CDUFraktion und der SPD-Fraktion bitte ich Sie, sich zu einigen, wer zuerst die Koalitionsfrage stellt. Das wäre vielleicht nicht schlecht, weil es bedeutende Unterschiede gegeben hat.

(Bischoff [SPD]: Die stellen wir eh nicht!)

Zweitens: Herr Minister, ich habe sehr wohl vernommen, wie zurückhaltend Sie die Steuerreform bewertet haben. Ich gehe davon aus, dass Sie die Begeisterung von Herrn Bischoff über das Reformziel nicht ganz teilen. Ich teile Ihre Skepsis.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Minister Speer: Beim Ziel sind wir uns einig!)

Meine Damen und Herren, Herr Bischoff hat die DIW-Studie erwähnt. In dieser DIW-Studie wird IKEA untersucht.

(Zuruf)

- Ja, aber ich sage Ihnen das, weil ich sie auch kenne. Ich sage Ihnen, dass Sie letztlich die falschen Schlussfolgerungen aus der DIW-Studie ziehen, denn Sie können aus ihr genau das nicht ablesen, was Sie jetzt sagen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich will das an drei Beispielen deutlich machen. Die Steuerreform, wie sie gegenwärtig vorliegt, zielt einseitig auf eine Senkung nominaler Steuersätze ab, die kein Mensch zahlt.

(Zuruf: Hören Sie zu, Herr Bischoff!)

- Ich wäre dankbar, wenn ich jetzt einmal in Ruhe sprechen dürfte. Ein Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2004, der die Struktur aller Steuerarten und -formen in Gesamteuropa untersucht hat, kommt zu folgendem Ergebnis: Im Bereich der EU 15 ist Deutschland das Land, das effektiv den zweitniedrigsten Steuersatz hat, und zwar nach Griechenland. Deutschland hat eine Effektivbesteuerung von 21,1 bis

21,7 %, Griechenland von 15 % und alle anderen 20 bis über 30 %.

(Bischoff [SPD]: Effektiv! Das ist der Punkt!)

Um es einmal deutlich zu sagen: Wenn wir über die Effektivbesteuerung reden, empfehle ich Ihnen, den Konzernanhang der DAX-Konzerne zu lesen. Dieser enthält eine Überleitungsrechnung. Nach den internationalen Finanzierungsregeln sind die Konzerne verpflichtet, den Unterschied zwischen der nominalen Steuerbelastung und der tatsächlichen Steuerbelastung aufzuzeigen.

Jetzt möchte ich einige Beispiele zitieren, die ich mir nicht ausgedacht habe, sondern die nachzulesen sind. Danach zahlt Siemens gegenwärtig bei einem nominalen Steuersatz von 39 % 24,7 % Steuern effektiv, Lufthansa bei einem realen Steuersatz von 35 % 22 % effektiv, die Deutsche Post bei einem realen Steuersatz von 28 % 19,7 % effektiv, DaimlerChrysler bei einem realen Steuersatz von 39 % 17,7 % effektiv. Abgeschossen wird der Vogel allerdings von E.ON: Bei einem Rekordgewinn von 5,4 Milliarden Euro hat das Unternehmen eine Steuererstattung von 358 Millionen Euro erhalten.

Vor diesem Hintergrund muss man jetzt fragen, ob diese Lücke durch die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Instrumente geschlossen wird, ob die angestrebte effektive Steuerbelastung von 29 % damit tatsächlich erreicht würde.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Bischoff [SPD]: Ja!)

- Herr Bischoff sagt dazu ja; ich sage nein. Ich werde Ihnen auch sagen, warum ich nein sage.

Finanzminister Steinbrück hatte eine gute Idee. Er wollte ein Halbeinkünfteverfahren für die Zinsbesteuerung einführen. Im Laufe der Beratungen ist das aufgeweicht worden. Es sind die sogenannte Zinsschranke und sogenannte Escape-Klauseln eingeführt worden. Letzteres sind nichts anderes als Ausnahmeklauseln, die dazu führen, dass die eigentliche Besteuerung von Fremdzinsen, die angestrebt werden sollte, um eine Kapitalflucht zu verhindern, umgangen werden kann. Ich sage Ihnen: Mit diesen Escape-Klauseln in dem vorliegenden Gesetzentwurf haben Sie Steuerberatern einen Arbeitsauftrag zur Umgehung der entsprechenden Bestimmungen des Gesetzentwurf erteilt. Genau die Unternehmen, die gemeint sind, werden davon nämlich nicht betroffen, weil sie davon ausgenommen sind. Lesen Sie es auf Seite 55 des Gesetzentwurfs nach: alle Unternehmen, die nachweisen können, dass internationale Fremdfinanzierung bei ihnen zur Normalität des Geschäftsbetriebs gehört.

(Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

- Lesen Sie es nach! Ich habe es mir ja nicht ausgedacht. - Das wiederum hat zur Folge, dass Sie diejenigen Fremdfinanzierer, Hedgefonds und andere Finanzierungsträger, die Sie eigentlich treffen wollen, genau nicht treffen werden.

Insofern ist das Instrument, das Sie einführen wollen, eben genau nicht dazu geeignet, die Kluft zwischen Effektiv- und Nominalsteuersatz zu schließen. Das ist eines der vielen Probleme hierbei. Deswegen wird sich der Ansatz, den Sie aus meiner

Sicht richtigerweise gewählt haben, nämlich der, die Effektivbesteuerung zu erhöhen,

(Bischoff [SPD]: Richtig!)

über den vorliegenden Gesetzentwurf gerade nicht realisieren. Sie werden diejenigen Unternehmen treffen, die entweder nicht in der Lage sind, einen Steuerberater zu bezahlen, oder die es mit anderen Konditionen zu tun haben und die vor allem im Binnenbereich produzieren. Genau Letzteres trifft auch für die Masse der KMU-Unternehmen in Brandenburg zu. Diese werden Sie hierdurch massiv belasten. Sie werden die Eigenkapitalbelastung dieser Unternehmen weiter erhöhen und werden damit die Bedingungen für die wirtschaftliche Existenz dieser Unternehmen im KMU-Bereich zumindest aus meiner Sicht weiter verschlechtern. Das kann nicht Ziel einer sozialdemokratischen Politik sein, auch nicht das einer Koalitionsregierung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte noch einen Irrtum ausräumen. Herr Finanzminister, das Land Berlin beantragt nicht, dass überhaupt keine Steuerreform gemacht wird. Das Land Berlin beantragt im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates, der Steuerreform in der vorgesehenen Form nicht zuzustimmen, und das ist etwas anderes.

Unser Antrag zielt genau in die gleiche Richtung. Aufgrund der Instrumente, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen sind, wird das Ziel nicht erreicht werden. Weil das Ziel nicht erreicht werden kann, muss der Gesetzentwurf überarbeitet werden. Damit der Gesetzentwurf überarbeitet werden kann, ist es schlicht und ergreifend notwendig, dem Gesetzentwurf im Bundesrat die Zustimmung zu verweigern, um eine Beratung zu erzwingen, um das gemeinsame Ziel der Erhöhung der Effektivbesteuerung, der Sicherung des Steuersubstrats in Deutschland für die Zukunft tatsächlich erreichen zu können. Das wird mit unserem Antrag bezweckt; nichts weiter. Es geht also nicht darum, eine Unternehmenssteuerreform zu verhindern.

Es gibt Beispiele wie das in Österreich. Aber schauen Sie sich die in Österreich geltenden steuerrechtlichen Regeln einmal an! Dort ist durch eine Absenkung von nominalen Steuersätzen sowie das gleichzeitige Stopfen von Steuerschlupflöchern und die Erhöhung der Bemessungsgrundlage das Steueraufkommen tatsächlich gestiegen. Das ist durch die Ausnahmetatbestände, die in dem hiesigen Gesetzentwurf definiert worden sind, aber genau nicht der Fall. Deswegen sage ich noch einmal, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf Ihr Ziel nicht erreichen werden und dass dieser Gesetzentwurf deshalb überarbeitet werden muss, um das Ziel, das Sie definiert haben, auch wirklich erreichen zu können.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf noch etwas Gravierendes hinweisen: In dem gesamten Gesetzentwurf fehlt eine Sanierungsklausel. Sie wissen selbst, dass es eine ganze Reihe von Unternehmen gibt, bei denen hier und heute ein erheblicher Sanierungsbedarf besteht. In der Vergangenheit wurden die betreffenden Unternehmen dabei steuerrechtlich unterstützt, die notwendige Sanierung durchzuführen, damit sie wirtschaftlich wieder leistungsfähig wurden. In dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlt das völlig. Wenn das so bleibt, dann, so sage ich Ihnen, wird das dazu führen, dass eine Reihe von Unternehmen über das Steuerrecht nicht mehr dabei unterstützt

werden kann, sich zu sanieren und Beschäftigung und Wertschöpfung sicherzustellen.

Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ich halte es für einen naiven Glauben, davon auszugehen, dass über das Steuerrecht soziale Gerechtigkeit geschaffen wird. Das Steuerrecht hat die Aufgabe, die öffentlichen Finanzen sicherzustellen und strukturpolitische Impulse zu geben. Der Ausdruck sozialer Balance im Steuerrecht ist die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Wird das Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verletzt, so wird natürlich auch die soziale Balance in dieser Gesellschaft zerstört. Deswegen werden in Debatten über das Steuerrecht natürlich auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Balance eine große Rolle spielen. Das ist normal.

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Bischoff, empfinde ich die Mehrwertsteuererhöhung nicht als Steuersenkung. Ich muss das so deutlich sagen. Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, war eigentlich nichts anderes als das höchste Steuererhöhungsprogramm und nicht das Absenken von Steuern auch für Bürgerinnen und Bürger. Deswegen glaube ich, dass Sie sich in dem Punkt tatsächlich irren. Genau weil das so ist, mit der Gesundheitsreform, mit der Mehrwertsteuertreform - wir werden auch noch die Debatte über die Pflegeversicherung führen -, ist auch die Unternehmenssteuerreform wegen der sozialen Balance der Steuersysteme insgesamt so umstritten. Auch sozialdemokratische Politik sollte das zur Kenntnis nehmen und zumindest in den Diskussionskreis einbeziehen. Ich weiß, dass sich mehrere Persönlichkeiten Ihrer Partei auf Bundesebene mehr als kritisch dazu geäußert haben, und zwar auch und gerade ausgehend von diesem Prinzip.

Meine Damen und Herren, ich sehe, dass die Lampe hier leuchtet. Ich fasse deshalb zusammen:

Zur Erhöhung der effektiven Steuerbelastung sage ich ja, zum Stopfen von Steuerschlupflöchern sage ich ebenfalls ja. Mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Instrumenten werden diese Ziele aber nicht erreicht. Damit taugt dieser Gesetzentwurf auch nicht dazu, die Kluft zwischen nominalen und effektiven Steuersätzen tatsächlich zu schließen. Deshalb verfehlt der Gesetzentwurf das Ziel und sollte abgelehnt werden, um zwingend und dringend überarbeitet zu werden, um die Zielstellungen, wie sie in dem Gesetzesvorhaben definiert sind, tatsächlich erreichen zu können. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Debatte zur Aktuellen Stunde.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 1 und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

Wir beginnen mit der Frage 1150, die der Abgeordnete Dr. Klocksin stellen wird. - Er ist nicht anwesend. Dann gehen

Berlin, Stettin, Breslau und Posen einerseits und die Einleitung konkreter Schritte im Verlauf der nächsten zwölf Monate zur Umsetzung dieser Ideen realer Politik andererseits. In Wirklichkeit sind wir - ich denke, das wissen Sie - sehr viel weiter. Tatsächlich findet die große Mehrheit der brandenburgischen Kontakte mit Polen - ob in den Euroregionen, in der kulturellen Zusammenarbeit oder in gesellschaftlichen Kontakten aller Art - in dem beschriebenen Raum bereits statt.

Auf dieser Basis entstand bereits im letzten Jahr eine gemeinsame brandenburgisch-berlinische Initiative, die Aktivitäten in diesem Raum - zunächst nur bezogen auf die Bereiche Wirtschaft und Infrastruktur - unter der Bezeichnung Oderpartnerschaft zu bündeln. Neben den Ländern und den Woiwodschaften sind daran selbstverständlich auch die städtischen Metropolen dieses Raumes beteiligt. Inzwischen gab es dazu auf vielen Ebenen Gespräche; man hat sich auf konkrete Maßnahmen geeinigt. Derzeit laufen Abstimmungen in den Schwerpunktbereichen Tourismus, Bahnverkehr, Innovation und KMU. Im Verkehrsbereich hat - Sie fragten nach konkreten Beispielen ein Runder Tisch Verkehrspolitik der Oderpartnerschaft unter Leitung des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg dazu beigetragen, eine bessere Fahrplanabstimmung mit der polnischen Seite zu erreichen. So ist ganz konkret Zielona Góra nun über einen direkten Anschluss an den Berlin-Warszawa-Express schneller zu erreichen.

Unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums fand im Februar dieses Jahres ein Treffen von Tourismusexperten der Oderpartnerschaft statt, die sich auf konkrete Projekte im Bereich Wasser-, Rad- und Wandertourismus verständigt haben.

Sie wissen auch, dass es auf der polnischen Seite noch einigen Klärungsbedarf gibt. Der Ausschuss für grenznahe Zusammenarbeit der deutsch-polnischen Regierungskommission hat sich am 19. April mit genau dieser Frage beschäftigt. Ich denke, dabei ist deutlich geworden, dass ursprüngliche Vorbehalte in den Woiwodschaften der Grenzregion, die eine Dominanz von Berlin befürchtet haben, inzwischen weitgehend ausgeräumt werden konnten. Im Spätsommer wird sich die Regierungskommission mit der Oderpartnerschaft beschäftigen. Wir hoffen, dadurch einen Beitrag zu leisten, damit die vorhandene Skepsis in der Warschauer Region ausgeräumt werden kann. Ich würde mich freuen, wenn auch die Parlamente das Projekt der Oderpartnerschaft tatkräftig unterstützten. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Die Fragestellerin hat weiteren Wissensdurst.

Herr Staatssekretär, könnten Sie die sinngemäße Formulierung, die künftige Präsenz Brandenburgs in Osteuropa werde im Mittelpunkt der Arbeit stehen, etwas konkreter definieren? Sie haben am Anfang davon gesprochen, dass es künftig eine Präsenz des Landes Brandenburg in den mittel- und osteuropäischen Ländern geben werde. In welcher Art und Weise wird das geschehen?

Ich habe es eben gesagt. Derzeit erfolgt eine Evaluation bezüglich der Büros, die wir bisher hatten. Darin fließt natürlich auch

wir über zu der Frage 1151 („Entdeckung des Ostens“: Was wird die Landesregierung konkret tun?), die die Abgeordnete Stobrawa stellen wird. Bitte, Frau Kollegin.

Der Ministerpräsident will sich konzentrieren, und zwar nicht im Allgemeinen, sondern auf die grenzüberschreitende Kooperation mit dem Nachbarn Polen und den anderen Ländern Ostund Mitteleuropas, und er will diese Kooperation auch ausbauen. Der Raum Berlin/Stettin/Breslau/Poznán könne „ein europäischer Zukunftsraum werden“, erklärte er. Es wäre sinnvoll, so seine Aussage, wenn Brandenburg, Berlin, Dresden und Schwerin an einem Strang ziehen könnten. In diesem Zusammenhang will der Ministerpräsident auch die - von der Landesregierung bisher abgelehnte - Eröffnung von Büros in Osteuropa prüfen lassen.