Protocol of the Session on November 24, 2004

„Ich bin für eine Begrenzung und genau definierte Stärkung der plebiszitären Elemente“,

sagt Wolfgang Böhmer von der CDU in der „heute“- Sendung des ZDF am 31.07. Recht hat er!

Dietrich Austermann von der CDU sagt:

„Es wäre richtig, eine solche Abstimmung durchzuführen.“

Hartmut Koschyk von der CDU sagt:

„Wenn die großen EU- Mitgliedsländer, Frankreich, Spanien, Polen, Großbritannien, Plebiszite über den Verfassungsvertrag durchführen, dann stellt sich wirklich die Frage, ob ein Referendum nicht in allen EU- Staaten durchgeführt werden sollte.“

Ich finde, man sollte ihm nicht widersprechen.

„Ich bin dafür, die Bürger in allen 25 EU- Staaten über die Europäische Verfassung abstimmen zu lassen“,

sagt Dieter Althaus ausdrücklich im Themenheft der „EUNachrichten“.

Man sollte ihm nicht widersprechen.

Günter Beckstein stimmt Edmund Stoiber zu und sagt:

„Ich halte eine Volksabstimmung über die EUVerfassung für notwendig, zumal ich selbst anders als viele in der Union ein überzeugter Verfechter plebiszitärer Elemente bin. Wir haben in Bayern viele Volksentscheide mit bestem Ergebnis.“

Wo er Recht hat, sollte man ihm Recht geben.

Die SPD ist, weil es für die europäische Gesellschaft und insbesondere für die bundsrepublikanische Bevölkerung einen großen Zugewinn an Glaubwürdigkeit bedeuten würde, für ein Referendum in Deutschland zur EU- Verfassung. Sie ist - der Partei- und Fraktionsvorsitzende Müntefering hat das deutlich gemacht - bereit, die dafür notwendige Verfassungsänderung auf den Weg zu bringen und in Bundestag und Bundesrat zuzustimmen.

Insofern ist der von der PDS eingebrachte Antrag im Kern für uns zustimmungswürdig. Aber ehe man zustimmt, muss man sich ansehen, was der Antragsteller eigentlich will. Das sagt die PDS in ihrem Ende Oktober auf der 1. Tagung des 9. Parteitages beschlossenen Antrag sehr klar. Punkt 3:

„Der geschlossene Verfassungsvertrag darf nicht in Kraft treten.“

Die PDS erkennt allerdings selbst, „dass die Verfassung die weitreichendste Reform in der Geschichte der Euorpäischen Union darstellt“.

Die dann folgende Kritik wird an einigen Stellen, zum Beispiel was die Bedeutung des Europaparlaments betrifft, von der SPD geteilt. Aber die PDS hat kein Verständnis - und das kritisiere ich - für das Wesen der Abstimmung unter 25 völlig unterschiedlich regierten Nationalstaaten. Der Kompromiss ist ein Fortschritt, aber die PDS legt in ihrer inkonsistenten und widersprüchlichen Europapolitik keine Rechenschaft darüber ab, was passieren würde, wenn der größte europäische Staat die Verfassung auf ihren Rat hin ablehnen würde. Ganz oppositionell meint sie: Uns doch egal, was bei Ablehnung passiert. - Oder man unterstellt sogar die Naivität, dass man sich in einem zweiten Anlauf nach einem Scheitern auf mehr verständigen könnte. Mitnichten!

Ein kleiner Staat könnte, wie auch schon geschehen, die Verfassung noch einmal zur Abstimmung stellen. Aber im Grunde ist aus der Union heraus, wer der Verfassung nicht zustimmt. Was das bedeutet, kann man sich mit einem Blick auf die Karte vor Augen führen. Was würden Frankreich und Polen dazu sagen, wenn das sie verbindende Land die Verfassung nicht ratifiziert?

Genau das will die PDS. Mit gysischer Eloquenz wird dann über einen Scherbenhaufen geredet: Wir wollten, wir hätten, an uns hat es nicht gelegen. - Die PDS will im Grunde, dass das Volk erledigt, was sie allein nicht kann, nämlich die Verfassung ablehnen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Wir wollen, dass das Volk entscheidet!)

Spiegelverkehrt die CDU. Sie will die Verfassung. Sie will dieses Europa. Sie trägt den Verfassungskompromiss mit, weil sie ihn durch die ihr nahe stehenden europäischen Regierungschefs auch mit geprägt hat. Aber solange die Berliner Regierungskoalition in der Tradition der deutschen Regierung klar sagte, dass darüber nur im Bundestag entschieden werden könne - und zwar erst dann, wenn die Verfassung geändert worden sei - , haben Sie fröhlich darüber geredet und glaubten, dass Sie die deutsche Öffentlichkeit dann so in Erinnerung behalten und die SPD Ihren Vorschlag nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit aufnehmen würde.

Aber wir haben Ihren Vorschlag nicht, wie es häufig mit Oppositionsvorschlägen passiert, einfach nur weggestimmt,

sondern er ist angenommen worden. Wir sind bereit, diesen Weg zu öffnen, aber - und das gilt - : Ohne die Union wird es keine Grundgesetzänderung geben.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme gerne zum Schluss. - Über die DVU muss man in diesem Zusammenhang nicht lange reden. Sie wollen Europa nicht, Sie wollen einen ausländerfreien Nationalstaat Deutschland mit einer starken Führung. Dabei könnte man doch wissen, dass man Deutschland nur dort stark macht, wo es weltoffen, ausländerfreundlich und europaorientiert ist.

(Beifall bei der PDS)

Damit Europa ein Europa der Bürger wird, sollte sich auch Deutschland bereit machen, den Weg für eine Volksabstimmung über die europäische Verfassung zu öffnen. Es lebe das Europa der Bürger. Die CDU hat dafür den Schlüssel in der Hand.

Dem PDS- Antrag können wir nicht zustimmen, hoffen aber, dass die CDU den Auffassungen der CDU- Ministerpräsidenten sowie den Vorstößen von Stoiber, Beckstein und Glos endlich folgt. Wo sie Recht haben, sollten sie Recht bekommen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der DVU spricht der Abgeordnete Nonninger. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der deutsche Schriftsteller Helmut Walters sagte einmal:

„In der Demokratie geht die Macht vom Volk aus, doch häufig kehrt sie nicht mehr zu ihm zurück.“

Das hat die Fraktion der DVU schon lange erkannt. Deswegen haben wir schon des Öfteren die Aufnahme von Volksentscheiden in die Verfassung gefordert, damit das Volk seine demokratische Verantwortung behält.

In Zeiten der Intoleranz, der Gleichgültigkeit und des Extremismus ist die Demokratie ein zu hohes Gut, als dass sie nicht täglich neu erkämpft werden müsste. Gerade die schwachen Wahlbeteiligungen in den vergangenen Jahren werden oftmals als Indiz für zunehmendes politisches Desinteresse der Bevölkerung gewertet. Das Volk jedoch interessiert sich sehr wohl für die Politik im Land. Was den Menschen jedoch fehlt, sind Politiker, denen sie vertrauen können. Dazu gehört vor allem, nicht wortbrüchig zu werden und nach der Wahl nicht das Gegenteil von dem zu tun, was man vor der Wahl versprochen hat. Dazu gehört auch, während der Legislaturperiode stets ein offenes Ohr für die Belange der Bürgerinnen und Bürger zu haben. Genau das vermissen die Menschen aber zunehmend. Deswegen sagen viele: Ich gehe nicht mehr zur Wahl, es ändert sich sowieso nichts.

Wie können wir als Landtag das verlorene Vertrauen der Bürger in unsere Arbeit zurückgewinnen? Ein erster Schritt wäre durchaus die Einführung einer Volksabstimmung zum europäischen Verfassungsvertrag; denn dieser soll schließlich das Zusammenleben aller Europäer konstitutiv bestimmen. Indem wir Parlamentarier dem Volk die Möglichkeit eines Volksentscheides einräumen und damit einen Teil unserer Macht denen zurückgeben, denen sie nach dem Grundgesetz originär gehört, wäre ein erster Schritt dazu getan, erfolgreich um das Vertrauen der Bürger in unser demokratisches System zu werben.

Was spricht eigentlich gegen die Einführung von Volksentscheiden? Die Bundesregierung verweist auf das Grundgesetz, welches einen Volksentscheid nicht vorsieht. Doch das Grundgesetz kann zumindest in diesem Punkt mit ein wenig gutem Willen von einer Zweidrittelmehrheit geändert werden.

Manche Kritiker meinen, Volksentscheide dürften in Deutschland nicht eingeführt werden, weil die Bevölkerung oftmals die komplizierten politischen Zusammenhänge nicht verstehen könne. Sprich: Die Bevölkerung sei zu dumm, um zu verstehen, was für ihr Wohl gut ist und was nicht. Wir als DVU- Fraktion halten die Bürger jedoch durchaus für gebildet und mündig genug, um sich auch über komplexe politische Themen eine Meinung bilden zu können. Deswegen vertreten wir die Auffassung, dass das Recht auf Volksentscheide ins Grundgesetz gehört. Insoweit könnten wir dem Antrag der PDS- Fraktion durchaus zustimmen.

Es ist erfreulich zu sehen, dass die PDS- Fraktion unsere DVU- Bundesratsinitiative vom August 2003 zum Anlass nahm, um dem hohen Hause einen inhaltlich ähnlichen Antrag vorzulegen. Sie hat eingesehen, dass sie unsere Bundesratsinitiative damals offensichtlich nicht verstanden hatte, als sie gegen einen Volksentscheid über den EUVerfassungsvertrag stimmte. Doch nach über einem Jahr, in dem Sie, meine Damen und Herren von der PDS- Fraktion, unsere damalige Bundesratsinitiative studiert haben, sind Sie offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass Sie damals besser zugestimmt hätten. Wahrscheinlich haben Ihnen Ihre Genossen aus Thüringen die Sachlage noch einmal erklärt. Aber leider haben Sie den Antrag Ihrer Thüringer Genossen nicht 1 : 1 übernommen; denn so, wie der PDS- Antrag Mitte November in den Thüringer Landtag eingebracht wurde, hätte die DVU zustimmen können.

(Zuruf von der PDS)

Ihr Antrag ist leider, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, nur ein billiger und unausgereifter Abklatsch von dem Ihrer Kollegen aus Thüringen, weil Sie weder die Begründung unseres Antrags noch den Ihrer Thüringer Genossen verstanden haben. Deswegen können wir Ihnen heute leider nicht den Gefallen tun und Ihrem Antrag in der Sache zustimmen. Einer Überweisung in den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu; denn wir fordern seit eh und je Volksentscheide. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Einer Überweisung in den Ausschuss stimmen wir aber selbstverständlich zu, denn wir haben seit eh und je Volksentscheide gefordert.

(Beifall bei der DVU)

Für die Fraktion der CDU spricht die Abgeordnete Richstein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns die Frage stellen, worüber wir eigentlich sprechen. Reden wir a) über eine Erweiterung von Mitbestimmungsrechten der Bürger oder b) über den Europäischen Verfassungsvertrag an sich? Sprechen wir über die Mitbestimmungsrechte für Bürger, dann sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass es gute historische Gründe, die ich hier wahrscheinlich nicht näher erläutern muss, gibt, weshalb wir in Deutschland eine repräsentative Demokratie haben; diese hat sich in den letzten Jahrzehnten durchaus bewährt.

Wenn wir wollen, dass die Mitbestimmungsrechte der Bürger erweitert werden, müssen wir in eine grundsätzliche Debatte hierüber eintreten. Ich kann der Forderung Ihres Antrags eigentlich nicht folgen und unserer Landesverfassung weder einen Verfassungsauftrag noch eine Verpflichtung entnehmen, sich für die Erweiterung der Möglichkeiten einer Teilnahme an bundesweiten Volksentscheidungen und Referenden einzusetzen. Wenn wir ein Mitbestimmungsrecht für Bürger wollen, dann können wir die Politik aber nicht der Beliebigkeit aussetzen, das heißt, wir können die Frage, ob wir ein Referendum haben wollen, nicht an dem Gegenstand festmachen und sagen: Ein Referendum über den Verfassungsvertrag - ja, ein Referendum über den Beitritt der Türkei - nein, weil viele Leute denken, hier könnten wir scheitern.

Wie sähe es erst mit der Abstimmung über die Einführung der Todesstrafe aus? Wenn Sie es an der Beliebigkeit der Gegenstände festmachen, kann ich Ihnen auf jeden Fall schon jetzt versichern, dass Sie politischen, finanzstarken Randerscheinungen durchaus Raum für politische Einflussnahme bieten.

Wenn wir aber heute anhand Ihres Antrags auch über den Verfassungsvertrag sprechen, dann müssen wir feststellen, dass die Debatte über das Abhalten eines Referendums durchaus an Dynamik gewonnen hat. Teilweise ist dieses Instrument aber auch instrumentalisiert worden. Polen hatte, um seine Meinung in der Frage der Mehrheitsverhältnisse durchzusetzen schon damit gedroht, ein Referendum abzuhalten. Belgien hat zwar ein Referendum - es ist aber Makulatur, da die Volksabstimmung in der Verfassung nicht festgeschrieben ist. Es handelt sich also lediglich um eine Volksbefragung, die überhaupt keinen bindenden Charakter hat. Frankreich möchte ein Referendum über den Verfassungsvertrag, aber letztlich nur, damit es auch ein Referendum über den Türkei- Beitritt abhalten kann. In Großbritannien, wo ein Referendum durchgeführt wird, haben die Konservativen und die britischen Grünen ganz klar gesagt, dass sie ein Referendum möchten, um den Verfassungsvertrag explizit scheitern zu lassen. Bundeskanzler Schröder, der sich ja gegen ein Referendum ausspricht, weil unsere Verfassung es nicht vorsieht, geht einen anderen Weg und meint, wir sollten eine breitere Diskussion führen - in der Hoffnung, dass die Debatte letztendlich an der CDU scheitern würde.

Was möchte eigentlich der Antragsteller? Kollege Reiche hatte bereits gesagt, man wäre geneigt zu glauben, dass die PDS den Bürgern mehr Mitbestimmungsrechte geben wolle. Dann wäre es sinnvoll gewesen, diesen Punkt im Rahmen der

Föderalismusdebatte einzubringen. In dem Antrag, den Sie heute vorgestellt haben, habe ich darüber nichts gelesen. Die Mitbestimmungsrechte sind darin mit keinem Wort erwähnt.