Protocol of the Session on October 26, 2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Gesundheitsversorgung wird dadurch qualitativ nicht bes

ser. Seit 2001 wird über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich geredet. Ich erinnere Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, an die Aktuelle Stunde im Jahr 2005 zur ärztlichen Versorgung: Übereinstimmend forderten alle Fraktionen, vorzeitig den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich nicht erst 2007, sondern bereits 2006 einzuführen. Aus unerfindlichen Gründen ist das nicht einmal bis zum Beginn des Jahres 2007 geschafft worden. Nun ist das Nonplusultra der Gesundheitsfonds, in dem dann der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich - es ist halt ein Elefantenwort alles richten soll. Wer das glaubt und wer da sicher ist, der schafft sich, ähnlich wie bei Hartz IV, anschließende Nachbesserungen und Proteste en gros.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Bis dahin gibt es noch entscheidende Wahlkämpfe, so in Hessen und Bayern, also denjenigen Ländern, die dort einzahlen sollen. Alles, was dazu heute vorgeschlagen und noch lange nicht beschlossen ist, bedeutet noch nicht das Ende und kann sich in jedem Jahr bis 2009 wieder ändern.

Deshalb lautet die Bewertung vonseiten der gesetzlichen Krankenkassen: „Teurer, schlechter, bürokratischer“. Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg geht davon aus, dass der bestehende Ärztemangel in den ostdeutschen Flächenländern forciert wird. „Die ambulante medizinische Versorgung im Osten blutet aus“, schrieben die Vorsitzenden der fünf Kassenärztlichen Vereinigungen in einem offenen Brief an Angela Merkel. Die Liste ablehnender und kritischer Stimmen ließe sich beliebig verlängern; Sie kennen das.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Gesetzentwurf jemals so durchgängig schlechte Noten von denen bekommen hat, die er unmittelbar betrifft oder die ihn umsetzen müssen, wie dieser. Diese breite Kritik muss doch einmal zum Umdenken führen!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Leider werden die Ursachen für die Einnahmeprobleme der GKV durch die geänderte Finanzstruktur eben nicht beseitigt. Deshalb wird es keine nachhaltige Wirkung geben. Diese Ursachen liegen in hoher Erwerbslosigkeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen und sinkenden Reallöhnen. Auch die Einkommensstrukturen haben sich seit Beginn der 70er Jahre drastisch verändert: Nur noch 60 % des Einkommens sind Arbeitseinkommen gegenüber 90 % in den 60er Jahren. Auch das heißt weniger Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung. Dazu kommen die politischen Fehlentscheidungen, die bis 2009 weitere Finanzierungslücken erwarten lassen. Das sind ca. 5 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen, ca. 7,5 Milliarden Euro aus den Folgen der Senkung der Beiträge für Arbeitslose, der Verkürzung des Bezugs von ALG I, der Erweiterung der Familienversicherung beim ALG II, was allein im Land Brandenburg Verluste in Höhe von 16 Millionen Euro ausmachen wird. Durch die steigende Mehrwertsteuer im Jahr 2007 wird bei Medikamenten mit einer Kostenerhöhung von 900 Millionen Euro gerechnet.

Wir als Linkspartei.PDS sagen ganz deutlich: Wir brauchen eine andere Finanzierungsgrundlage - nach den Wahlprogrammen sind wir uns darin völlig einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD -, die stabiler, gerechter und nachhaltig ist. Diese Grundlage heißt solidarische Bürgerversicherung, eine

Bürgerversicherung, in die alle nach ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft einzahlen, wozu auch Zins- und Kapitaleinkünfte gehören,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

eine Bürgerversicherung, in der alle Bürger Mitglied sind, auch Beamte und Selbstständige sowie gut verdienende Angestellte.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Albert Schweitzer enden, das sich die Politik hinter den Spiegel stecken sollte:

„Vertrauen ist für alle Unternehmungen das Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann. Es schafft auf allen Gebieten die Bedingungen gedeihlichen Geschehens.“

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Dr. Münch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Wöllert, bei allem Respekt, ich staune darüber, dass Sie sich vor den Karren der Lobbyisten spannen lassen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ulla Schmidt hat es gestern bereits gesagt. Seit 20 Jahren wird jegliche Gesundheitsreform, wer auch immer sie macht - welche Partei, welche Koalition -, von heftigster Kritik der Lobbyisten begleitet. Man hat fast den Eindruck, wenn keine Kritik kommt, stimmt etwas mit der Gesundheitsreform nicht.

Wenn Sie sagen, wenn so viel Kritik kommt, müsse daran doch etwas falsch sein, sollten Sie sich die Kritik der einzelnen Gruppen einmal genau anschauen. Sie werden merken, dass sie genau diametral ist. Im Grunde genommen ist es in allen Bereichen zu einer relativ gerechten Verteilung der anstehenden Probleme gekommen.

Meine Damen und Herren, in einer Koalition können nicht alle Blütenträume reifen. Wir als SPD können auch nur die Politik zu dem Prozentsatz umsetzen, zu dem wir gewählt worden sind.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

- Sie sind herzlich eingeladen, uns dabei zu unterstützen. Ich hätte mir auch gewünscht, eine Grundsatzentscheidung zu treffen, die langfristig wirkt und die Finanzierung nachhaltig auf sicherere Beine stellt. Mehr ist in dieser Konstellation nicht möglich gewesen.

Wir werden den Gesundheitsfonds bekommen. Der Gesundheitsfonds ist eine gute Grundlage dafür, die Gesundheitsfinanzierung - in welcher Form auch immer - in Richtung Bürger

versicherung umzustellen. Inhaltlich sind wir nicht weit voneinander entfernt.

(Jürgens [Die Linkspartei.PDS]: Aber Sie sind so unzu- frieden damit!)

- Ich hätte mir auch mehr gewünscht. Ich denke, das wäre auch realistisch gewesen, aber Politik ist die Kunst des Machbaren. Nur von Träumen zu erzählen kann ich mir vielleicht als Opposition leisten, nicht aber als Regierung.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich hätte mir gewünscht, die private Krankenversicherung verstärkt in das Solidarprinzip einzubinden. In keinem anderen Land Europas existieren zwei separate Krankenversicherungssysteme nebeneinander. Aber auch hier ist der erste Schritt gemacht. Es gibt die Möglichkeit, die Kassen zu wechseln. Die privaten Krankenkassen müssen einen Basistarif anbieten, der dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sehr nahe kommt. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Lassen Sie mich nun auf Brandenburg zu sprechen kommen. Wenn man Ihnen zuhört, Frau Wöllert, glaubt man, alles wird im Grunde genommen sehr viel schlechter und die gesundheitliche Situation ist sehr viel schlimmer als vor einigen Jahren.

Im Gegensatz dazu mussten wir aber nach dem Gesundheitsbericht zur Kenntnis nehmen, dass nach der Wende die Lebenserwartung der Frauen in Ostdeutschland um 4,6 und die der Männer um 5,3 Jahre gestiegen ist und sich die Lebenserwartung in Ost und West mittlerweile angeglichen hat. Dass die Männer ein bisschen hinterherhinken, sollte uns zu denken geben, aber wir arbeiten daran.

Was bringt die Gesundheitsreform für Brandenburg? Die Reform ist gut für Brandenburg. Es wird sehr viel mehr Geld in die gesetzliche Krankenversicherung fließen. Das haben wir dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich zu verdanken, der der Grund war, weshalb die CSU- und CDU-regierten Länder bis zum Schluss versucht haben, ihre Zustimmung zu verweigern. In Zukunft werden 100 % der Einkommensunterschiede ausgeglichen werden. 50 bis 80 chronische Erkrankungen, die hier bei uns besonders zu Buche schlagen und die für die besonders hohen Belastungen unserer gesetzlichen Krankenkassen ausschlaggebend sind, werden in die Berechnung einfließen. Das heißt, dass wir künftig mehr Geld in den Kassen haben werden.

Die Situation im Bereich der ambulanten Medizin wird entlastet. Es wird künftig in Euro abgerechnet werden. Es gibt Anpassungsmöglichkeiten an unterversorgte Regionen. Die Versorgung chronisch Kranker und Pflegebedürftiger wird in der Strukturierung vereinfacht und verbessert. Die Kassenleistungen werden ausgeweitet. Das ist wichtig zu betonen, weil Sie etwas anderes angedeutet haben. Es werden Kuren, Vater-/Mutter-Kind-Kuren, in den Pflichtkatalog aufgenommen. Impfungen werden bezahlt werden, und es wird zum ersten Mal zu keiner Erhöhung der Zuzahlung kommen, im Gegensatz zur letzten Reform, bei der die Praxisgebühr eingeführt wurde und die versteckte Beiträge zur Medikamentenversorgung enthielt. Die Transparenz im Verfahren wird erhöht.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Die Kopfpauschale soll doch am Ende kommen!)

- Über die Kopfpauschale spreche ich im Moment noch nicht.

Die Bürokratie wird reduziert, und eine kontinuierliche Betreuung von Patienten an der Schnittstelle der ambulanten und stationären Versorgung wird gefördert. Gerade wenn wir uns darum bemühen, die sozial Schwachen verstärkt einzubinden, ist ein wichtiger Punkt, dass künftig niemand mehr ohne Krankenversicherung sein wird. Die Dunkelziffer ist sehr hoch und liegt zwischen 200 000 bis 500 000 Personen, die durch die Raster gefallen sind. Sie werden in ihre bisherige Krankenkasse zu einem moderaten Tarif wieder aufgenommen werden. Insofern ist diese Reform sehr gut für Brandenburg.

Was hat Brandenburg weiter davon? Die Krankheitsrisiken der Versicherten werden sehr viel zielgenauer berücksichtigt, als dies bisher der Fall war. Dadurch werden die meisten Kassen in Brandenburg, vor allem aber diejenigen mit vielen sozial schwachen und chronisch kranken Mitgliedern, aus dem Gesundheitsfonds bei dessen Start ausgabendeckende Zuweisungen erhalten und keinen Zusatzbeitrag erheben müssen. Das Problem des Zusatzbeitrages wird eher ein Problem in den westlichen Ländern sein, nicht aber primär in unseren Ländern, zumal wir mit dem Schuldenabbau gut vorangekommen sind.

Das ärztliche Vergütungssystem wird auf nachdrücklichen Wunsch auch der ambulant tätigen Ärzte auf ein System fester Preise für definierte Behandlungsfälle umgestellt. Hausärzte bekommen eine nach Alter und Geschlecht der Patienten differenzierte Fallpauschale. Fachärzte erhalten eine Grund- und eine festgelegte Zusatzpauschale.

Es wird möglich sein, spezielle Vertragsbedingungen zwischen den Kassen und einzelnen Vertragspartnern zu vereinbaren. Dadurch wird mehr Flexibilität erreicht. Beispielsweise wird es möglich sein, in Pflegeheimen differenzierte Verträge mit einzelnen Ärzten abzuschließen. Dann wird nicht mehr das Problem bestehen, dass in Pflegeheimen händeringend nach Ärzten gesucht wird und alle sagen: Ich habe keine Möglichkeiten mehr, jemanden aufzunehmen. Künftig wird das möglich sein.

Für unterversorgte Gebiete - auch davon werden wir hier in Brandenburg profitieren - können Zuschläge und für überversorgte Gebiete Abschläge vereinbart werden. Das liegt im Interesse der Sicherstellung der Versorgung eines Flächenlandes wie Brandenburg.

Ein weiterer Pluspunkt für Brandenburg: Zur Sicherung der Versorgung auf dem Land können nichtärztliche Heilberufe zur Entlastung der Hausärzte in die medizinische Versorgung eingebunden werden. Das stützt insbesondere unser Modellprojekt „Gemeindeschwester“.

Künftig müssen alle Kassen ihren Versicherten Hausarzttarife zu ermäßigten Bedingungen anbieten. Krankenhäuser werden zu einem verbesserten Entlassungsmanagement verpflichtet. Die Palliativversorgung - auch das, meine Damen und Herren, ein bisher schlecht gelöstes Problem - wird im Hinblick auf die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung verbessert. Pflegeleistungen können in die integrierte Versorgung eingebunden werden. Ich könnte endlos fortfahren.

Unter dem Strich muss man sagen, dass die Gesundheitsreform für Brandenburg sehr viel mehr bringt, als ursprünglich zu erhoffen war. Es wird sich zeigen, inwieweit Zuzahlungen erfor

derlich sein werden, die Sie, Frau Kaiser, angesprochen haben. Der Risikostrukturausgleich wird dazu führen, dass wir wahrscheinlich zunächst gar nicht auf das Instrument des Zusatzbeitrages zurückgreifen müssen, weil die Finanzierung eine fundamental bessere werden wird.

Zum Thema Prävention: Ich sehe auch den Einstieg in die Eigenverantwortlichkeit etwas kritisch. Frau Wöllert, Sie haben darauf hingewiesen, dass man künftig mehr Verantwortung für selbstverursachte Gesundheitsschäden übernimmt. Das ist ein schwieriges Einfallstor; dem sollten wir einen Riegel vorschieben. Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, dass Gesundheitsbewusstsein künftig verstärkt belohnt wird. Das heißt, wenn man präventive Leistungen, Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nimmt, erhält man dafür eine finanzielle Entschädigung.

Dann zu dem, was die Zuzahlung zu Medikamenten betrifft: Bereits im Mai wurde das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz in Kraft gesetzt. Dadurch stehen mittlerweile knapp 2 700 preisgünstige Präparate zur Verfügung, für die keine Zuzahlung fällig wird.

Die kostenlose Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung wird künftig verstärkt über Steuermittel finanziert. Ich stimme Ihnen zu, dass die Mittel möglicherweise derzeit nicht ausreichen. Es ist ein steigendes Modell angedacht, es werden gegenwärtig 1,3 Milliarden Euro zusätzlich eingebracht; der Betrag steigt auf 3 Milliarden Euro und wird sich weiter erhöhen. Auch hier sind die Weichen in die richtige Richtung gestellt.

Kassenfusionen werden erleichtert. Es wird künftig nur noch einen Bundesverband der Krankenkassen auf Bundesebene geben. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der für Zulassungen von Medikamenten und Therapien zuständig ist, wird gestrafft und vereinfacht. Wir finden überall den Ansatz, dass das zu mehr Transparenz bei Entscheidungswegen führen wird, dass Bürokratie abgebaut und damit das Gesundheitssystem für Patienten und alle Beteiligten besser durchschaubar und besser steuerbar wird.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf Ihren Vergleich eingehen, dass arme Patienten früher sterben. Wir wissen, dass das so ist. Da sind wir in der Analyse auch gar nicht so weit voneinander entfernt. Das aber in Verbindung mit der Gesundheitsreform zu bringen ist zynisch, Frau Wöllert. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.