Was ist das zu schützende Rechtsgut? Es ist der innere Frieden. Was ist das Angriffsobjekt, den dieser Paragraf schützen soll? Das sind Teile der Bevölkerung, die Minderheiten darstellen, die zu den Schwächeren gehören, die den Schutz des Gesetzes brauchen, weil sie sich vielleicht selbst nicht wehren können.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es das so genannte Völkerstrafgesetzbuch. Es basiert auf der UN-Menschenrechtskonvention, auf der EU-Menschenrechtskonvention und auf den Ergebnissen der Nürnberger Prozesse.
Ich will das jetzt nicht weiter ausführen, denn die Angelegenheit spricht für sich, dass die DVU die Abschaffung dieser Bestimmungen fordert, um hier nationalsozialistischer Wiederbetätigung Tür und Tor zu öffnen, weil sie heute, wenn sie - oder ihre Anhänger und Sympathisanten - es denn tun, zu Recht verfolgt werden würden.
Meine Damen und Herren, ich will es an dieser Stelle mit einer literarischen Einlassung bewenden lassen, weil manche Dinge so gut formuliert sind - hier in einer Fabel eines großen deutschen Volksdichters -, dass es damit auf den Punkt gebracht ist. Herr Präsident, Sie gestatten, dass ich einen großen deutschen Volksdichter zitiere?
„Ganz unverhofft auf einem Hügel sind sich begegnet Fuchs und Igel. Halt! Rief der Fuchs, du Bösewicht! Kennst du des Königs Order nicht!
Ist nicht der Friede längst verkündigt, Und weißt du nicht, dass jeder sündigt, der immer noch gerüstet geht! Im Namen seiner Majestät, komm her und übergib dein Fell!
Der Igel sprach: Nur nicht so schnell, Lass dir erst deine Zähne brechen, dann wollen wir uns weiter sprechen. Und allsogleich macht er sich rund, schließt seinen dichten Stachelbund und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet, doch als Friedensheld.
Das stammt von Wilhelm Busch und bringt es auf den Punkt: Die Stacheln unserer Demokratie zur Abwehr solcher Füchse, die hier im Schafspelz daherkommen. Die Stacheln unserer Demokratie sind das Strafrecht. Diese werden wir nicht ablegen. Das werden wir uns auch von Ihnen nicht einreden lassen, sondern die Sache ist ganz klar: Sie wollen hier dem wehrhaften Rechtsstaat, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigt, der sich für Minderheiten einsetzt und dafür sorgt, dass nicht das Faustrecht - das Recht des Stärkeren herrscht, die Stacheln ziehen. Das werden wir nicht zulassen. Darauf sind wir auch stolz. Daher werden wir diesen Antrag ablehnen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es lohnt sich trotz aufkommender Übelkeit, die beantragte Bundesratsinitiative der DVU einmal im rechtspolitischen Zusammenhang zu betrachten. Ich denke an den Antrag der DVU zur strafrechtlichen Verfolgung von Grafitti-Sprayern, Drucksache 4/112. Wer eine Wand verschandelt, ist zu bestrafen. - Das kann man so sehen. Für die DVU ist dies jedoch eine echte Herzensangelegenheit. Hier glüht die Fraktion voller Tatendrang.
Nehmen Sie die Große Anfrage 4/3310, die zahlreichen Anfragen der DVU-Fraktion zur Verschärfung der Strafbarkeit für Grafitti-Sprayer in dieser Legislaturperiode.
Wer in der Parlamentsdokumentation unter den Stichworten DVU und Grafitti sucht, stellt fest, dass nur die DVU erkannt hat, dass alles schreiende Unrecht in diesem Land sich auf eine einzige zentrale Ursache zurückführen lässt: beschmierte Wände.
Vor dem Hintergrund des aktuellen Antrags auf Verstümmelung der Strafbarkeitsnorm der Volksverhetzung ergibt sich jedoch folgendes Bild: Wer eine Wand verschandelt, ist für die DVU ein Schwerstkrimineller und gehört ganz schwer bestraft. Wer jedoch die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens durch Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer NaziVölkermordhandlung zu verschandeln sucht, soll nach dem
Willen der DVU und ihrem aktuellen Antrag straflos bleiben. Wie passt das zusammen? Wer das Andenken der Opfer nazistischer Verbrechen beschmiert, soll straflos bleiben, wer die Erinnerung an die deutsche Geschichte verunstaltet, soll straflos gestellt gehören. Ich möchte in keinem Land leben, hinter dessen makellosen, blütenweißen Wänden Menschen verhetzt und bald darauf gequält oder getötet werden.
So wird das geschützte Rechtsgut des öffentlichen Friedens umschrieben. § 130 Absätze 3 und 4 Strafgesetzbuch will das Entstehen eines Meinungsklimas verhindern, in dem - auch zur Erlangung politischer Macht - bestimmte Menschen zunächst ausgegrenzt und letztlich physischer Gewalt ausgesetzt werden. Es überrascht nicht, dass die DVU-Fraktion diesen Antrag stellt und diesen Aspekt in ihrer Begründung vollständig ausblendet. Der Sachbeschädiger will im Zweifel auch nicht wegen Sachbeschädigung verurteilt werden, der Dieb nicht wegen Diebstahls, der Betrüger nicht wegen Betrugs und die DVU, ja die Abgeordneten von der DVU rufen zur Abschaffung der Volksverhetzungsstrafbarkeit im Falle der mündlichen und schriftlichen Negierung von Naziverbrechen auf. Zum Schutz der Meinungs- und Forschungsfreiheit, sagen sie. Aber § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch ist als allgemeines Gesetz im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtlich zulässige Schranke der nicht unbeschränkt gewährleisteten Meinungsfreiheit. Dieser Widerspruch, den Sie aufmachen, ist lösbar. Der Antrag dient gar nicht der Meinungsfreiheit. Faschismus ist nämlich keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Der Antrag nützt nur jenen, die zum Beispiel ungestraft die Auschwitz-Lüge propagieren wollen, die nach § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch strafbewährt ist. Mit dieser Initiative kommt die DVU als Wolf ohne Schafspelz daher. Sie halten es nicht einmal mehr für nötig, sich noch rechtsstaatlich-nationalkonservativ zu maskieren.
Wir sehen die strategischen rechtsextremistischen Wahlbündnisse zwischen DVU und NPD, die zur Regel werden. Wir sehen ganz deutlich, dass DVU und NPD inhaltlich ein und dieselbe braune Suppe kochen. Sie sind keine Biedermänner, sondern Nazis und auf diesen Vorwurf, wie wir von Herrn Schuldt leider wissen, sogar stolz.
Es ist immer besser, wenn die Zivilgesellschaft und nicht der Strafrichter reagiert. Angesichts der alten und neuen Nazis darf es aber an der Strafbarkeit wegen Volksverhetzung keine Abstriche geben. Ursache und Wirkung sind nicht zu vertauschen. Die Regelung des § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch war 1994 die Reaktion auf antisemitische und nazistische Vorfälle; sie dient der wirksameren Bekämpfung rechtsextremistischer und aus
länderfeindlicher Propaganda. Das passt Ihnen nicht. Das wissen wir jetzt. - Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Die Landesregierung verzichtet auf ihren Redebeitrag. Das Wort erhält noch einmal der Abgeordnete Schuldt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sind wir auf dem Weg zum Ausnahmerechtsstaat? Gelten die Grundrechte, wie sie in unserem Grundgesetz vorgegeben sind, nunmehr nach Ermessen? Wo die Wirklichkeit nur als Funktion doktrinärer Wahrheit in Erscheinung tritt, bildet sich ein totalitäres Meinungsklima. In diesem Klima herrschen Spannung und Kräfte, die gesetzestreue Bürger mit dem Zweifel plagen, ob ihr Tun noch verantwortbar sei oder ein Gefährdungsverbot verletze. Der verunsicherte Bürger, für den die Trennungslinie zwischen offiziellem „Mainstream“ und gesellschaftlich tabuisiertem „Verbotssprech“ nicht eindeutig erkennbar ist, zieht sich aus Furcht und zu seinem Schutz aus der totalitären Öffentlichkeit ins Private zurück.
Gegen den Kampf gegen Kriminalität ist grundsätzlich natürlich überhaupt nichts einzuwenden, wenn sich in den allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften nicht Sondertatbestände finden würden, die in der Sache weder mit dem Kampf gegen Kriminalität noch mit dem allgemeinen deutschen Strafrecht überhaupt in Zusammenhang stehen. Bei der auch in höchsten Juristenkreisen umstrittenen derzeit geltenden Neufassung des § 130 StGB handelt es sich aber eben nicht um eine allgemeine Strafvorschrift. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine Blankettnorm, die auf beinahe jede kritische Äußerung Anwendung finden kann und deren Anwendung im „Ermessen“ der jeweils regierenden Oberschicht steht, meine Damen und Herren. Die Vorschriften bezwecken in ihren Zielsetzungen genau dasselbe, was in der DDR die Vorschrift über Boykotthetze erreichte, nämlich die Verhinderung einer offenen Debatte und die Ausschaltung von Opposition.
Das hierdurch etablierte Grundrechtsverständnis lässt die Grundrechte zwar weiterhin formal in Kraft, beseitigt aber deren materiellen Sinn und Kernbereich. Im Bedarfsfall gewähren die Grundrechte keinen Schutz mehr, weil sie nicht mehr vollinhaltlich gelten und daher in einem rechtsstaatlichen Verfahren justiziabel sind. Faktisch läuft dieser Trend auf die Abschaffung der demokratiegestaltenden Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wie sie sich aus den Artikeln 5 und 8 des Grundgesetzes ergeben, hinaus. Diese Bestimmungen der Verfassung schützen nämlich gerade auch abstoßend, skurril oder abwegig erscheinende Meinungsäußerungen von Minderheiten. Um es namens unserer DVU-Fraktion klar und deutlich zu sagen: Wir wollen Meinungs-, Informations- und Forschungsfreiheit und lehnen den heute durch Polizeistaatsmaßnahmen- und Unrechtsparagrafen, wie § 130 Absätze 3 bis 5 StGB, vorgezeichneten Weg in eine „DDR-Light“ ab, Herr Sarrach.
Das Grundgesetz statuiert eben keine wertneutrale Ordnung, sondern will in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufrichten. Leitet sich diese alle Rechtsbereiche durchdringende Wertordnung nicht mehr aus dem vorgegebenen Inhalt der Verfassung her, sondern wird ihr Inhalt durch rechtschöpferische Interpretationen aus anderen Quellen, nämlich der „political correctness“, gewonnen, ändert sich der ganze Sinn der Verfassung. Da wir als DVU-Fraktion, wie sich aus der soeben geführten Debatte ergab, offensichtlich als Einzige auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Grundgesetzes stehen,
fordere ich hiermit noch einmal: Die Absätze 3 bis 5 des § 130 StGB, welche irreguläres Ausnahmestrafrecht darstellen, müssen weg! Wer sich von Ihnen, meine Damen und Herren der anderen Fraktionen, einen Rest an Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsbewusstsein bewahrt hat, den fordere ich nochmals auf: Stimmen Sie diesem für unser Land wichtigen Antrag zu! - Ich bedanke mich.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Es ist unerträglich, so etwas hören zu müssen. Eigentlich hätten wir alle heute wieder den Saal verlassen müssen.
Die Zeit von 1933 bis 1945 steht für die größte geschichtliche Katastrophe: 50 bis 60 Millionen Tote - so genau weiß man es nicht -, sechs Millionen tote Deutsche, halb Europa zerstört, in Schutt und Asche gelegt; ungeahnte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die bis dahin undenkbar gewesen sind; der Versuch, zwei Völker - die Juden sowie die Sinti und Roma - zu vernichten; der in die Tat umgesetzte Versuch, in einer unmenschlichen Art und Weise gegen Minderheiten - Homosexuelle und Andersdenkende - vorzugehen.
Es ist in diesem Land verboten, Kinder zu schlagen, Tiere zu quälen, fremdes Eigentum an sich zu bringen, ohne Führerschein Auto zu fahren, und es muss in diesem Land auch verboten bleiben, die nationalsozialistische Zeit zu glorifizieren oder auf eine andere Art und Weise in ein besseres Licht zu rücken.
Es ist empörend, dass Sie noch die Chuzpe haben, hier in diesem Raum derartige Dinge zu äußern. Diese Greueltaten des NS-Regimes sind unwiderlegbar und unbestritten, und zwar weltweit. Dies hier in Zusammenhang zu bringen und zu sagen, kritische Äußerungen zur Geschichte müssten doch erlaubt sein, ist eine derartige Blasphemie und ein Euphemismus,
Den Vergleich mit der DDR verbitte ich mir schlicht und einfach. Wir haben eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und ein frei gewähltes Parlament, über das das Volk alle vier bis fünf Jahre - je nachdem welches Bundesland - abstimmt.
Diese Vergleiche sind einfach unerträglich. Ich fordere Sie auf, diese unverschämten Forderungen zurückzunehmen; denn sie sind eine Beleidigung für Deutschland.