Protocol of the Session on April 5, 2006

Es kann mir heute auch niemand erzählen, man hätte damals noch nicht gewusst, wie stark die Schülerzahlen absinken würden. Es ist aber schön, dass sich die Verantwortlichen ihre Unfähigkeit eingestehen und jetzt versuchen, endlich ernsthaft die Probleme, die sie in den vergangenen Jahren verursacht haben, anzupacken. Wenn sie wirklich daran interessiert sind, Schulstandorte zu erhalten, und zwar nicht nur solche mit gymnasialer Oberstufe, wäre es doch wirklich das Einfachste, sie schlössen sich den bereits vor geraumer Zeit eingereichten Forderungen meiner DVU-Fraktion an.

(Beifall bei der DVU)

Erinnern möchte ich an den Antrag 3/7632, in dem wir die Sicherung eines regional ausgewogenen Angebots schulischer Bildungsgänge forderten, welches ermöglicht, dass zum Beispiel Klassen auch abweichend von den gegenwärtigen Frequenzrichtwerten und Bandbreiten gebildet werden können. Wir forderten bereits damals, was heute die PDS in ihrem Entschließungsantrag fordert. Nur hat die PDS unseren Antrag damals noch abgelehnt.

Erinnern möchte ich auch an den Antrag 3/7471. Mit diesem Antrag forderten wir die Flexibilisierung des Schulgesetzes. Wir wollten erreichen, dass die Mindestzügigkeit zur Errichtung von 7. Klassen von einer Muss- in eine Sollbestimmung geändert wird. Doch all die Anträge wurden im Plenum abgelehnt, auch mit den Stimmen der PDS. Eigentlich müssten Sie sich schämen, Sie als PDS-Genossen, weil Sie aus rein parteipolitischen Gründen unsere Anträge abgelehnt haben, und Sie von der Koalition -, weil Sie aus parteipolitischem und rein fiskalischen Gründen unsere Anträge abgelehnt haben und somit Schuld daran tragen, dass etliche Schulstandorte geschlossen werden mussten, obwohl es oftmals gar nicht notwendig war. Wir werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der DVU)

Nun spricht die Landesregierung zu uns. Herr Minister Rupprecht, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mit einigen Daten zu den gymnasialen Oberstufen in öffentlicher Trägerschaft im Land Brandenburg aufwarten. Ich hoffe, dass alle noch in der Lage sind, jetzt einige Zahlen zu verkraften. Diese Zahlen werden eindeutig belegen, dass der

Antrag, der heute gestellt worden ist, berechtigt ist und wir damit einen Arbeitsauftrag entgegennehmen, den ich für absolut berechtigt halte.

Im Schuljahr 2005/06 besuchen rund 40 000 Schülerinnen und Schüler die gymnasiale Oberstufe. Von diesen befinden sich derzeit 14 389 Schülerinnen und Schüler in der Jahrgangsstufe 11; ich komme auf diese Zahl noch einmal zurück. Sie besuchen 145 Schulen in öffentlicher Trägerschaft, und zwar 89 Gymnasien, 37 Gesamtschulen und 19 Oberstufenzentren. Die Übergangsquote von der Jahrgangsstufe 10 zur Jahrgangsstufe 11 betrug ca. 43 %. Damit ist sie nach einer zehnjährigen Stagnation bei etwa 40 % zum zweiten Mal etwas angestiegen. Im Schuljahr 2007/08 wird der deutliche Schülerzahlenrückgang die gymnasiale Oberstufe erreichen. Nach einer Modellrechnung meines Hauses vom Februar 2006, also ziemlich aktuell, wird die Schülerzahl dann in der Jahrgangsstufe 11 - das ist von 2009/10 bis 2012/13 etwa der gleiche Wert - auf nur noch 6 000 sinken. Ich nenne noch einmal die Ausgangszahl: 14 389. Danach folgt ein allmählicher Wiederanstieg. Wir erreichen ein Niveau von etwa 7 500. Das ist eine Zahl, die über Jahre etwa stabil bleiben wird.

Diese Zahlen machen, denke ich, eines ganz klar deutlich. Die bisherige Struktur des Nebeneinanders von gymnasialen Oberstufen an Gymnasien, Gesamtschulen und Oberstufenzentren, die sich in etwa 15 Jahren stabil entwickelt hat, kann so nicht aufrechterhalten werden, auch wenn Sie, Frau Wöllert, anscheinend anderer Meinung sind.

Der Rückgang der Schülerzahlen in der gymnasialen Oberstufe wird alle Schulformen treffen. Das steht fest. Betrachtet man einmal als Frühindikator die Zahlen aus den 7. und 8. Klassen, so kann man die Situation etwa wie folgt skizzieren: Im laufenden Schuljahr haben wir noch 74 Gymnasien, die 7. Klassen eingerichtet haben. Das wird - Herr Senftleben hat darauf hingewiesen - ungefähr die Zahl sein, die bei den Gymnasien stabil bleiben wird. Circa 70 Gymnasien werden ein stabiles Gymnasialnetz bilden.

Ein erheblicher Teil der Gesamtschulen wird die gymnasiale Oberstufe verlieren. Wir haben derzeit noch etwa 40 mit GOST. Es ist jetzt spekulativ zu glauben, dass 10 oder 15 übrig bleiben werden, wir werden es sehen. Das liegt nicht etwa daran - das klang so ein bisschen an, Frau Wöllert -, dass mir oder uns die Gesamtschulen nicht am Herzen lägen, sondern liegt an der speziellen Struktur dieser Schulform, die einen breiten Unterbau braucht, um eine gymnasiale Oberstufe realisieren zu können.

Schließlich werden auch die gymnasialen Oberstufen an den Oberstufenzentren in einen kritischen Bereich kommen. Ich begrüße es deshalb außerordentlich, dass der Landtag dieses Thema schon heute auf die Agenda setzt, denn wir können nicht warten, bis die Schülerzahlen - wie beschrieben - einbrechen. Deshalb kommt der Auftrag, ein Konzept zur Sicherung von Schulstandorten mit gymnasialer Oberstufe unter Berücksichtigung inhaltlicher Qualitätsstandards vorzulegen, auch aus eigener schulpolitischer Einsicht meines Hauses genau richtig. Wir kommen dem Auftrag sehr gern nach. Inhaltlich hat die Arbeit natürlich längst begonnen, denn das Problem ist bekannt.

Ich möchte einige Kernpunkte darlegen, die zu einem solchen Konzept gehören würden.

Erstens: Die künftige Struktur der gymnasialen Oberstufen muss sich an langfristig stabilen Schülerzahlen ausrichten. Zur Überbrückung der extrem dünnen Jahrgänge - von 2009/10 bis 2012/13 gehen wir von solchen aus - sind deshalb Sonderregelungen notwendig.

Zweitens: Die schulentwicklungsplanerische Perspektive der gymnasialen Oberstufe muss in den Zusammenhang der geplanten Verkürzung der Schulzeit zum Abitur mit den Regelungen zur Begabungsförderung gestellt werden. Neben dem zwölfjährigem Abitur muss es auch weiterhin den Weg über 13 Jahre Schule zum Abitur geben.

Drittens liegt mir sehr am Herzen: Die Oberschule darf nicht zur Sackgasse in unserer Bildungslandschaft werden. Die Schülerinnen und Schüler, die diese Schulform besuchen, müssen die Chance haben, ein Abitur abzulegen. Es muss selbstverständlich sowohl horizontal als auch vertikal eine Durchlässigkeit erhalten bleiben.

Viertens: Neben dem Gymnasium soll es in allen Landkreisen, natürlich auch in allen kreisfreien Städten - dort ist es nicht sonderlich problematisch -, ein alternatives Angebot geben, um zum Abitur zu gelangen. Das kann eine gymnasiale Oberstufe an einem Oberstufenzentrum, aber auch an einer Gesamtschule sein.

Fünftens: Die Qualität - das ist sehr wichtig - der gymnasialen Oberstufe in Brandenburg muss gesichert und weiterentwickelt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass die sinkenden Schülerzahlen eine sinkende Qualität in unseren Oberstufen zur Folge haben.

Die Koalition hat sich vorgenommen, den Anteil der Abiturienten bei Sicherung der Bildungsstandards zu erhöhen. Ich spreche in diesem Zusammenhang allerdings lieber von Studienberechtigten, weil ansonsten die Schulabsolventen mit Fachhochschulreife und die Fachhochschüler allzu leicht vergessen werden. Auf diesem Feld, meine Damen und Herren, hat das Land Brandenburg gerade vor dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel noch ein erhebliches Ausbaupotenzial. Während Brandenburg bei der Abiturientenquote im Bundesdurchschnitt liegt, ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Fachhochschulreife erwerben und später an Fachhochschulen studieren sollten, nur etwa halb so groß wie der Bundesdurchschnitt. Auf diesen Punkt werden wir in der nächsten Zeit ein besonderes Augenmerk richten. Hier liegt mir die besondere Schulform des Oberstufenzentrums als ein Weg zum Abitur sehr am Herzen, der am Ende qualitativ nicht etwa ein minderwertiges Abitur vermittelt, sondern ein gleichwertiges Abitur, das für den einen und anderen vielleicht noch interessanter ist, weil es mehr berufsorientiert ist als die klassische Gymnasialausbildung. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Recht herzlichen Dank, Herr Minister. - Wir haben damit die Redeliste abgearbeitet. Bevor ich zur Abstimmung komme, begrüße ich die Damen und Herren, die jetzt schon seit längerer Zeit bei uns im Plenarsaal sitzen. Sie kommen von der Landesakademie für öffentliche Verwaltung Neu Fahrland. - Seien auch Sie herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Entsprechend der Beantragung stelle ich zunächst den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/2764 zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 4/2729. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist diesem Antrag bei einer Stimmenthaltung zugestimmt worden.

Ich schließe damit den Tagesordnungspunkt 11.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, komme ich zum Tagesordnungspunkt 7, Abgeordnetengesetz, zurück. Ich hatte zugesagt, im stenografischen Protokoll prüfen zu lassen, was während der Aussprache passiert ist. Ich stelle fest, dass der Abgeordnete Dr. Klocksin die parlamentarische Ordnung mit einem Zwischenruf verletzt hat. Ich rüge dies und erteile ihm einen Ordnungsruf. Dies ist zwischen uns im Präsidium abgestimmt, nachdem wir uns das Protokoll angesehen hatten.

(Dr. Klocksin [SPD]: Frau Präsidentin, es ist mir eine Eh- re!)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Brandenburg gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU

Drucksache 4/2730

Zur Einbringung des Antrags erteile ich Frau Richstein von der CDU das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In 65 Tagen wird „die Welt zu Gast bei Freunden“ hier in Deutschland sein - ein Ereignis, das uns freut. Nach Erkenntnissen des Organisationskomitees dürfen wir bis zu 3 Millionen Gäste erwarten. Hier geht es aber nicht nur um ein sportliches Ereignis und nicht nur um Kommerz, sondern auch darum, welches Bild wir Deutsche in die Welt hinaus senden.

(Beifall bei der CDU)

Leider ist dort, wo Licht ist, immer auch Schatten. Wir wissen, dass gerade mit solchen Großveranstaltungen stets Kriminalität einhergeht. Oftmals sind es nur Eigentumsdelikte wie Taschendiebstahl;

(Bochow [SPD]: Was heißt „nur“?)

aber leider sind auch Verbrechen wie Menschenhandel und Zwangsprostitution bei diesem Großereignis zu erwarten. Dieses Thema wird oft tabuisiert. Mit unserem Antrag wollen wir

es aufnehmen; denn Menschenhandel und Zwangsprostitution sind die abscheulichsten Straftaten gegen Frauen. Wir verurteilen diese Straftaten.

(Beifall bei CDU, SPD und der Linkspartei.PDS)

Nicht umsonst definiert das Online-Lexikon „Wikipedia“ Zwangsprostitution als etwas, das nicht der Prostitution zuzurechnen ist, sondern eine moderne Art der Sklaverei darstellt. Es ist zu erwarten, dass gerade die organisierte Kriminalität die Weltmeisterschaft ausnutzt, um viele Mädchen und Frauen nach Deutschland zu verschleppen und hier zur Prostitution zu zwingen.

Im Rahmen der Weltmeisterschaft werden ungefähr 400 000 Prostituierte in Deutschland erwartet, von denen 30 000 bis 40 000 gezwungen werden, sexuelle Dienste anzubieten. Diese Frauen kommen vornehmlich aus dem mittel- und osteuropäischen Raum. Brandenburg ist aufgrund seiner langen Grenze zu Polen leider ein besonderes Einfallstor.

Meine Damen und Herren, Kriminalität im Bereich des Rotlichtmilieus bedeutet für die betroffenen Frauen Gewalt und Erniedrigung. Für die Zuhälter und Schleuser bedeutet sie im Rahmen der Weltmeisterschaft einen Gewinn von bis zu 100 Millionen Euro. Weltweit bringt der Handel mit Frauen Milliardengewinne, mehr Geld, als mit Drogen- und Waffenhandel erwirtschaftet wird. Dieser Zustand ist unhaltbar.

Im Zentrum unseres Fokus sollte die Situation der Zwangsprostituierten stehen. Erniedrigung, Körperverletzung, Verschleppung, Verstümmelung, Vergewaltigungen - das ist der Alltag von Zwangsprostituierten. Erst wird ihr Wille gebrochen, danach vielleicht auch noch ihr Genick. Hier wird in gröbster Weise gegen Menschenrechte verstoßen. Unsere Parole sollte sein: hinsehen, einmischen, Position beziehen.

Meine Damen und Herren, mit diesem Antrag wenden wir uns gegen Zwangsprostitution. Wir werden sie nicht verhindern können. Aber wir machen Zwangsprostitution öffentlich und rufen auch die Freier auf, auf Anzeichen von Gewalt gegen Frauen zu achten. Männer, die diese Dienstleistung kaufen, bereiten durch ihre Nachfrage erst den Boden für Menschenhandel; diese Nachfrage schafft erst den Markt. Folglich sind diese Männer auch nicht frei von der Verantwortung gegenüber dem Leid verschleppter Frauen.

(Beifall bei der CDU)

Es darf den Männern nicht egal sein, ob eine Frau ihre Dienste freiwillig anbietet oder ob sie dazu gezwungen wird. Wer Frauen benutzt, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in unser Land verschleppt wurden, macht sich genauso schuldig wie diejenigen, die sie in Gefangenschaft halten und ausbeuten.

(Beifall bei CDU, SPD und der Linkspartei.PDS)

Bundesweit und auch hier in Brandenburg engagieren sich zahlreiche Initiativen, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und aufzuklären und den betroffenen Frauen Hilfe zu leisten. Dafür sage ich diesen Organisationen von dieser Stelle aus ganz ausdrücklich Dank. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Aber ebenso wichtig ist die Arbeit der Polizei und der Jus

tiz. In Brandenburg wird viel zur Unterstützung der Opfer getan. Darüber hinaus gibt es aber noch Prüf- und vielleicht auch Anpassungsbedarf, beispielsweise bei den Strafvorschriften gegen die sexuelle Ausbeutung von Menschenhandelsopfern, wenn es um das Verhalten jener Männer geht, die solche Dienste in Anspruch nehmen.