Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Plenarsitzung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, begrüße ich unsere Gäste: Schüler der Käthe-Kollwitz-Oberschule aus Potsdam. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag und anschließend eine spannende Auswertung.
Mein zweiter Punkt vor Eintritt in die Tagesordnung: Ich gratuliere Kollegin Helga Böhnisch im Namen des hohen Hauses zu ihrem heutigen Geburtstag.
Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass man einen solchen Tag nicht schöner feiern kann als im Plenum des Landtages Brandenburg. - Ich sehe einige misstrauische Gesichter.
Drittens habe ich Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung mitzuteilen, dass verabredet worden ist, Tagesordnungspunkt 10 „Reduzierung von Normen und Standards im Land Brandenburg“ vorzuziehen und als Tagesordnungspunkt 7 zu behandeln, wobei die Redezeiten beibehalten werden. Die übrigen Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.
Wenn Sie mit der so geänderten Tagesordnung einverstanden sind, bitte ich Sie um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall, sodass wir nach dieser Tagesordnung verfahren.
Die Abwesenheit einiger Kollegen ist identisch mit der gestrigen - bis auf eine Ausnahme: Innenminister Schönbohm wird ab Mittag wieder bei uns sein.
Thema: Nach dem EU-Finanzkompromiss von Brüssel: Die Weichen für Brandenburgs Entwicklung in den Jahren 2007 bis 2013 müssen jetzt gestellt werden!
Dieser Tagesordnungspunkt wurde von der Linkspartei.PDSFraktion beantragt. Ich erteile Frau Stobrawa das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 3,1 Milliarden Euro an EU-Strukturfondsmitteln bekommt Brandenburg in den Jahren 2000 bis 2006 - Geld, das für die politische Gestaltung eines Landes eingesetzt werden kann oder auch nicht. Circa 2,4 Milliarden Euro, so die Landesregierung im Haushaltsausschuss in der vergangenen Woche, werden es bis 2013 sein; genau weiß man es sicherlich noch nicht.
Diese gewaltige Menge freut den Finanzminister, sollte jedoch auch für Landtag und Landesregierung Verpflichtung sein, das Geld mit dem größtmöglichen Effekt für die Entwicklung Brandenburgs einzusetzen. Genau darüber wollen wir in der heutigen Aktuellen Stunde öffentlich reden.
Die Bestimmungen des Programms für den effektiven und zweckmäßigen Einsatz der EU-Strukturfondsmittel bis 2013 sind keine Fragen des Kernbereichs der Exekutive, wie uns der Wirtschaftsminister unlängst weismachen wollte. In dieser wichtigen strukturpolitischen Frage ist der Haushaltsgesetzgeber gefragt.
Sie spielen verkehrte Welt, werte Kollegen von der Landesregierung. Fakten und konkrete Zahlen erfährt dieses Parlament nur auf Nachfrage oder überhaupt nicht. Es geht nicht darum, Herr Dr. Harms, dass Sie berichten, wenn Sie gefragt werden. Die Landesregierung hat von sich aus zu unterrichten. Dass Sie zum Beispiel im Unterschied zur Landesregierung SachsenAnhalts oder Berlins den Landtag überhaupt nicht in die Diskussion der Operationellen Programme einbeziehen wollen, ist nicht nur in meinen Augen ein Skandal, sondern verstößt gegen Artikel 94 der Landesverfassung.
Die Zustimmung Brandenburgs zu Bundesprogrammen - so sagt man hinter geschlossenen Türen - ist mehr als fragwürdig. Gestern fand zum Beispiel eine Beratung statt, auf der es darum ging, ob Bundesprogramme auch weiterhin durch EU-Gelder finanziert werden oder nicht. Zu welcher Reduzierung der 2,4 Milliarden Euro haben Sie gestern Ihre Zustimmung gegeben, Herr Ministerpräsident? Das werden Sie uns, dem Landtag, heute sicherlich mitteilen.
Gewöhnlich gut unterrichtete Kreise hatten vorab schon berichtet, dass es fast - aber auch nur fast - eine Erklärung gegeben hätte, in der sich alle Ostländer gegen den Einsatz eines Teils der für die neuen Länder bestimmten Strukturfondsmittel für Bundesprogramme aussprechen; wenn nicht der Brandenburger Ministerpräsident und SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck für die Bundesprogramme gewesen wäre.
Bei der Neuauflage der Bundesprogramme geht es nicht um Peanuts, sondern um richtig viel Geld, sogar prozentual mehr Geld als in der laufenden Förderperiode. Während der Bund für die Jahre 2000 bis 2006 3,3 oder 3,4 Milliarden Euro der insgesamt 20 Milliarden Euro für Bundesprogramme beansprucht - das waren immerhin rund 15 % aller Mittel -, sollen es in der kommenden Förderperiode sogar 19 % und mehr sein: 2,53 Milliarden Euro von nur noch 13,3 Milliarden Euro, die die EU für die strukturschwachen neuen Bundesländer vorgesehen hat.
Wie ist Brandenburg denn einzuordnen, wenn nicht als strukturschwach? Schließlich gilt die Ziel-1-Förderung nach wie vor für unser Land. Was haben denn die bisherigen Bundespro
gramme in ihrer Größenordnung für Brandenburg in den Jahren 2000 bis 2006 zum Beispiel aus dem Europäischen Sozialfonds gebracht? Hat Franz Müntefering Ihnen diese Frage einmal beantwortet oder haben Sie sie ihm gar nicht gestellt, Frau Ziegler?
Die Evaluierung des ESF-Programms zeigt doch, dass diese Programme nur bedingt erfolgreich waren. Ein größerer Effekt für den strukturellen Umbau in Brandenburg wäre möglich, wenn die Mittel nicht über das Bundesarbeitsministerium bzw. die Bundesagentur verteilt würden.
Wir brauchen keine Umverteilung mittels einer monströsen Bundesagentur. Brandenburg braucht einen auf unsere Bedingungen zugeschnittenen Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik und deshalb braucht Brandenburg die freie Verfügung über möglichst viele ESF-Gelder.
Wie oft wollen Sie solche gravierenden Entscheidungen noch am Landtag vorbei treffen? Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Folgen ihrer Nacht- und Nebelaktion namens Zweiteilung Brandenburgs. Erreichte Übergangsregelung hin oder her - im Endeffekt wird der Südwesten Brandenburgs das muss man hier klipp und klar aussprechen - trotz gleicher Beihilfesätze bis 2010 weniger Geld bekommen, weil er eine Phasing-Out-Region und keine Ziel-1-Region ist. Beginnend bei 80 % wird die Förderung allmählich bis 2013 auf die Höhe vergleichbarer Regionen abgeschmolzen. Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich möchte einige Anmerkungen zu der Bewertung des Brüsseler Kompromisses machen, für den die Bundeskanzlerin so gelobt worden ist. Es stimmt: Manche Einzelentscheidung ist besser, als auch wir ursprünglich gedacht hatten. Wie bei der Abstimmung über die Europäische Verfassung wurden aber die wesentlichen Probleme erneut vertagt: Nicht nur der Britenrabatt, sondern auch die Zukunft einer gemeinsamen Agrarpolitik und die angemessene Finanzierung solcher Bereiche wie Entwicklungspolitik oder Menschenrechte, vor allem aber Bildung, Wissenschaft und Kultur wurden ausgespart. 2008 oder 2009 will man diese Diskussion erneut aufnehmen. Das ist nicht gerade „erhebend“.
Zu Recht hat das Europäische Parlament am 12. Januar deshalb nicht nur Mitsprache bei künftigen Reformvorhaben eingefordert, sondern auch kritisiert, dass sich der Europäische Rat auf die traditionellen Politikbereiche konzentriert und jene Bereiche ausblendet, die eine Zukunft für Europa darstellen. Wir teilen diese Auffassung. Sie finden diese Position in verschiedenen Anträgen der Linkspartei.PDS, unter anderem auch in dem heute zu beratenden Antrag.
Unser Ansatz ist: Die Etablierung eines öffentlichen Beschäftigungssektors mit Tätigkeitsfeldern - auch wenn sie sich heute vielleicht noch nicht rechnen - vor allem in den Bereichen Soziales, Bildung, Betreuung, Umwelt und Kultur muss in Zukunft mehr in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken.
Wegen der Art der hier zu Verfügung gestellten Güter stellen sich die Probleme der Verdrängung regulärer Beschäftigung
Ich möchte einen zweiten Ansatz nennen. Es muss auch über die Einrichtung von Regionalfonds gesprochen werden. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, was unter dem Logo des Wirtschaftsministeriums zum Thema Dezentralisierung der EU-Förderung mitgeteilt wurde, insbesondere zur stärkeren Rolle der Regionen und zur Teilung der Verwaltung der Strukturfonds zwischen der europäischen, der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene.
Der Wirtschaftsminister meint allerdings, Regionalisierung sei nach den europäischen Regeln nicht zulässig. Ich frage Sie: Warum? Es ist in anderen ostdeutschen Bundesländern bereits Praxis, so zu verfahren. Auch das, was wir an Widerstand gegenüber einem europäischen Verbund der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit erleben, stärkt nicht gerade die Zuversicht. Dabei könnte doch die Berlin-Brandenburger Zusammenarbeit mit den westpolnischen Woiwodschaften - und damit komme ich zu einem dritten Ansatz der Linkspartei.PDS - unsere Zukunft hier im Lande mit unterstützen.
Eine letzte Bemerkung: Es ist höchste Zeit, dass die widerstreitenden Interessen in der Landesregierung endlich politisch gebündelt werden. Das heißt: Es muss bestimmt werden, wer die Vorbereitung der neuen Förderperiode wie führt. Herr Ministerpräsident, es geht nicht so sehr um Ihre körperliche Anwesenheit in Brandenburg oder darum, ob es eine BrandenburgWoche gibt oder nicht, sondern es geht um mehr. Es ist ein Unding, dass Experten eine Analyse der sozio-ökonomischen Entwicklung des Landes für Zehntausende von Euro erarbeiten, ohne dass sich das Kabinett damit auch nur ein einziges Mal beschäftigt. Nicht nur diese Auskunft haben wir von Ihrem Beauftragten erhalten. Es kommt noch toller: Das Kabinett werde sich nach Vorlage des 3. Entwurfs der Operationellen Programme mit der Analyse und den Handlungsempfehlungen beschäftigen.
Wir wissen natürlich, dass wir eine „sehr kluge Regierung“ haben. Ist sie aber wirklich so klug, dass sie nicht einmal die Papiere lesen und diskutieren muss, die sie in Auftrag gibt? Diese Frage möchte ich gern von Ihnen beantwortet haben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie heißt es so schön im Titel: „Nach dem EU-Finanzkompromiss von Brüssel:“ Nach dem Kompromiss ist vor dem Kompromiss. Meine Damen und Herren, in den Jahren 2000 bis 2006 haben wir rund 3,1 Milliarden Euro erhalten, wie Frau Abgeordnete Stobrawa sagte. In den Jahren 1994 bis 1999 waren es ca. 5 Milliarden Euro. Insgesamt haben wir damit ungefähr 8 Milliarden Euro erhalten. Für die Förderperiode 2007 bis 2013 ist
mit einer Zahlung in Höhe von rund 2,4 Milliarden Euro zu rechnen. Angesichts dieser Zahlen sollte über etwas Einigkeit bestehen: Die Europäische Union stellt enorme Finanzmittel zur Verfügung, damit sich Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen in einem möglichen Maße angleichen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass es in den letzten Jahren ein lautstarkes Lamento über die statistische Zweiteilung des Landes gab. Der unausgesprochene, mitunter auch ausgesprochene dahinter stehende Gedanke lautete stets: Brandenburg muss aus der EU-Mitgliedschaft Deutschlands in finanzieller Hinsicht das Maximale herausholen. Das ist durchaus legitim, solange man darüber nicht die berechtigten Interessen der europäischen Nachbarn und Partner vergisst. Ich warne davor, dieses Denken zu verabsolutieren und in einen Tunnelblick zu verfallen.
Ist es wirklich eine Katastrophe, wenn die Zahlungen aus Brüssel geringer ausfallen als vorher? Man kann das aus zwei Blickwinkeln betrachten. Auf der einen Seite schmerzen sinkende Einnahmen natürlich immer. Das ist angesichts unserer Haushaltslage keine Frage. Auf der anderen Seite muss man das Wesen strukturpolitischer Maßnahmen begreifen und begreifen wollen. Bei der EU-Strukturfondsförderung geht es darum, Regionen mit Nachholbedarf ein Aufholen zu ermöglichen. Die finanzielle Unterstützung einer bestimmten Region zielt dementsprechend darauf, dass diese finanzielle Unterstützung überflüssig wird. Diesen Gedanken muss man im Hinterkopf behalten und sich von Zeit zu Zeit die Frage stellen, ob man nicht einmal den Punkt erreichen möchte, an dem weniger Hilfe nötig ist, allerdings ohne statistische Trickserei. Es lohnt sich zumindest, einmal darüber nachzudenken.
Meine Damen und Herren, die EU-Struktur- und Kohäsionspolitik steht vor neuen Aufgaben, die große Anstrengungen erfordern. Die Erweiterung der Europäischen Union hat dazu geführt, dass sich das Gefälle des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf zwischen den wohlhabendsten und den ärmsten Regionen verdoppelt hat und dass 123 Millionen EU-Bürger in Regionen leben, in denen das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt weniger als 75 % des EU-Durchschnitts beträgt. Das sind Fakten. Die politischen Schlussfolgerungen, die man daraus zieht, sind etwas anderes.
Aus meiner Sicht resultiert daraus eine große Verantwortung für alle - das heißt, auch und gerade für die neuen Mitgliedsstaaten und deren Regionen. In Europa gibt es heute politische Diskussionen über die Verteilung finanzieller Mittel. Das mag bisweilen etwas lästig erscheinen, doch in Wahrheit ist es ein unbeschreibliches historisches Glück.
Wir sollten uns gemeinsam daran erinnern, dass es in der Vergangenheit auf diesem Kontinent Auseinandersetzungen gab, die mit ganz anderen Mitteln geführt worden sind. Glücklicherweise haben wir die historische Chance genutzt, die sich uns vor 16 Jahren bot. Der westliche Teil Europas hatte sehr richtig erkannt, dass er auch seinen Teil zur weiteren Entwicklung beitragen konnte und musste. Wir sollten für diese glückliche Fügung, die uns zu Privilegierten im ehemaligen Ostblock gemacht hat, dankbar sein. Daraus folgt zwangsläufig, dass wir die uns gewährte Hilfe bestmöglich nutzen sollten. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass das in Brandenburg in den vergangenen Jahren der Fall war. Als Beispiele nenne ich die Be