Protocol of the Session on January 25, 2006

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Plenarsitzung. Zudem begrüße ich Gäste in unserer Runde: Zehntklässler des Friedrich-Gymnasiums aus Luckenwalde. Herzlich willkommen! Ich wünsche euch einen spannenden Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen einige Mitteilungen zu machen.

Der Antrag „Be- und Entlastung für die Kommunen durch Hartz IV“ ist vom Antragsteller, dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie, zurückgezogen worden.

Es ist beantragt worden, als Tagesordnungspunkt 3 die 2. Lesung des Gesetzes zur Neuregelung der Berufsbezeichnung „Ingenieurin“ und „Ingenieur“ zusätzlich aufzunehmen. Es wurde vereinbart, diesen Tagesordnungspunkt ohne Debatte zu behandeln.

Zum Tagesordnungspunkt 6 - 1. Lesung des Gesetzes zum Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg über die Errichtung eines Amtes für Statistik BerlinBrandenburg und zur Änderung landesrechtlicher Vorschriften - haben die Parlamentarischen Geschäftsführer ebenfalls Verzicht auf eine Debatte vereinbart.

Des Weiteren wurde beantragt, als Punkt 11 die Beschlussempfehlung zur Anmeldung der Landesregierung zur Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91 a des Grundgesetzes „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zusätzlich auf die Tagesordnung zu setzen. Hierzu ist Redezeitvariante 1, also 5 Minuten je Fraktion, vereinbart worden.

Wenn es zur Tagesordnung keine weiteren Bemerkungen gibt, lasse ich abstimmen. - Wer der Tagesordnung in der so geänderten Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung in dieser Fassung beschlossen.

Ich habe Ihnen bedauerlicherweise eine Reihe von Abwesenheiten mitzuteilen: Die Minister Schönbohm, Junghanns und Speer werden ganztägig und Ministerin Wanka wird ab 16 Uhr abwesend sein. Wider anders lautenden Behauptungen haben wir die Freude, den Ministerpräsidenten den ganzen Tag unter uns zu haben.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Sicheres Aufwachsen in einem kinderfreundlichen Brandenburg

Antrag der Fraktion der CDU

Die Debatte wird mit dem Beitrag der CDU-Fraktion eröffnet. Die Abgeordnete Hartfelder wird zu uns sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat für die Aktuelle Stunde das Thema „Sicheres Aufwachsen in einem kinderfreundlichen Brandenburg“ gewählt, weil wir zum einen auf die aktuellen Ereignisse der letzten Monate eingehen und zum anderen eine politische Diskussion zum Kinderschutz anregen wollen. Zugleich wollen wir auf Lösungsmöglichkeiten, Erziehungsschwierigkeiten, die es in unserem Land gibt, und Hilfsmöglichkeiten aufmerksam machen.

Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Kinder geben unserem Leben einen Sinn. Kinder machen uns viel Freude, erhellen unseren Alltag. Wenn der kindliche Mund Weisheiten von sich gibt, lässt dies manche Mühsal des Tages vergessen. So sagt der Opa zur Ina: Pass auf, dass du mit deinem hellblauen Anorak nicht an das Auto kommst! - Die fünfjährige Ina antwortet: Ich weiß, Opa, das Auto ist frisch gewaschen. - Solche Begebenheiten gibt es im Leben einer Familie jeden Tag. Wir erzählen gern davon und freuen uns darüber, ja strahlen. So ist es unverständlich, dass sich in den letzten 30 Jahren so wenige Menschen dafür entschieden haben, Eltern zu werden. Kinder sind doch unsere Zukunft. Selbstverwirklichung und Anhäufen von Geld können Kinder nicht ersetzen. Mit Kindern geben wir ein Stück unserer eigenen Persönlichkeit weiter. Kinder bieten uns Sicherheit im Alltag.

Der Generationenvertrag macht immer noch Sinn. Tragen wir heute die Verantwortung für unsere Kinder, teilen wir Freud und Leid sowie Schönes und Schweres in der Erziehung mit ihnen, so erwarten wir von ihnen zu Recht, dass sie sich, wenn wir alt sind, auch unserer Probleme annehmen.

Zuallererst tragen die Familien die Verantwortung für die Kinder. Das sollte sich auch nicht ändern. Staatliche Betreuung, ergänzt durch Erziehung und Bildung, kann die Geborgenheit in der Familie nicht ersetzen. Gerade in den ersten Lebensjahren sind Vater und vor allem die Mutter als Bezugspersonen von ganz besonderer Bedeutung. Liebe, Vertrauen und Geborgenheit, die Kinder in der Familie erfahren, sind die Voraussetzung für ein gesundes Aufwachsen; das besagen Studien aus aller Welt. Nur wenn Kinder erfahren, dass sie mit ihren Problemen von den Eltern ernst genommen werden, werden sie sich positiv entwickeln, Vertrauen aufbauen und werden sie lebenstüchtig. Ein Kind lernt sich einzuordnen, sich zuzuordnen und sich anzupassen.

Das ist eine Idealvorstellung, es klappt aber - Gott sei Dank! -, wenn auch mit Abstrichen, bei der Masse der Familien in Brandenburg und in ganz Deutschland. Der Staat muss ein großes Interesse daran haben, dass das so bleibt und möglichst noch mehr Familien dazu ertüchtigt werden, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

(Beifall bei der CDU)

Im Mittelpunkt jeder Überlegung steht die Unantastbarkeit der Würde des Kindes. Mancher behauptet, früher sei das alles besser gewesen. Dem möchte ich entgegensetzen: Früher war es anders. Auch vor 1990 gab es solche Vorkommnisse wie in den Fällen von Dennis, Jessica oder Pascal. So etwas stand

aber nicht in den Zeitungen; solche Grausamkeiten in Familien gehörten nicht zum real existierenden Sozialismus.

Jedoch gab es damals nicht nur körperliche Gewalt in der Familie, sondern auch staatlich sanktionierten psychischen Druck auf Kinder politisch Ungeliebter oder Verurteilter. Kinder wurden zwangsadoptiert oder in staatlichen Einrichtungen gemobbt.

Bettina Wegener, Systemkritikerin in der DDR, schrieb ein ihren eigenen Kindern gewidmetes Lied, die es in der Schule sehr schwer hatten:

„Sind so kleine Hände mit winzigen Fingern dran. Soll man nicht drauf schlagen, sie zerbrechen dran. Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei. Darf man niemals quälen, geh'n kaputt dabei. Grade klare Menschen wär'n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab'n wir schon zu viel!“

Dieses Lied sollten alle Menschen, die Kinder aufziehen, erziehen und bilden, verinnerlichen. Wenn ich heute von Kindesvernachlässigung, -misshandlung oder -missbrauch höre, kommt mir dieses Lied in den Sinn. Es trifft auch heute den Kern unserer Bemühungen. Wir brauchen junge Menschen mit Rückgrat, die unsere Zukunft gestalten.

Erziehung und Kinderschutz sind sehr komplex. Erziehung ist heute schwieriger als je zuvor. Eltern, die sich heute einen Kinderwunsch erfüllen, stehen vor der Herausforderung, sich in einer sehr ichbezogenen Welt in der Partnerschaft auf ein Kind einzustellen, was sehr viel Freude macht, aber auch viel Zeit, Anstrengung und Nerven kostet. Das führt häufig zu Konflikten in der Partnerschaft. Darunter leiden zuallererst die Kinder. Das Leid der Kinder beginnt oder endet häufig mit der Trennung der Eltern. Die Erziehung konzentriert sich dann auf einen Elternteil. Der Verlust der zweiten Bezugsperson wirkt sich bei den Jungen, wenn der Vater fehlt, erwiesenermaßen besonders negativ aus.

Das Fazit lautet: Bereits während der Schwangerschaft, während der ersten Lebensmonate eines Kindes, in der Kita, in der Schule ist Familienberatung notwendig. Gut ist es, dass die Mehrzahl der Familien dies eigentlich nicht braucht; denn sie bewältigen die Stresssituationen.

In der Familienforschung sind folgende Ursachen für die Entstehung von gewaltbereitem Handeln, das in die Welt, in zukünftige Familien getragen wird, bekannt: erstens unbefriedigende Partnerschaftsbeziehungen - davon sprach ich bereits -, zweitens innerfamiliäre Konfliktlösungsmuster, die Kinder erfahren und annehmen, und drittens Schwierigkeiten im Umgang mit Grenzsetzungen. Diese drei Punkte werden in der Wissenschaft als wesentlich beschrieben. Eltern müssen das wissen und ihr Handeln in der Erziehung von Kindern darauf einstellen.

Kindererziehung ist heute ungleich schwerer als vor 30 oder

40 Jahren. In den ersten beiden Lebensjahren können und sollten Eltern die Grundlagen für eine erfolgreiche Erziehung legen. Wenn mit Liebe, Vertrauen und Geborgenheit ein verständnisvolles Verhältnis zu Kleinkindern entstanden ist und klare Regeln bestehen, wird es später leichter sein, zu erziehen und zu lenken. Denn sobald Kinder die Welt entdecken, werden die Einflüsse auf sie umfassender. Eltern müssen lenken, um Kinder nicht zu überfordern. Eltern müssen den Kindern vermitteln, dass nicht jede Fernsehsendung, nicht jedes Computerspiel, nicht jede Musik, nicht jede Party für sie geeignet sind. Sie müssen ihnen vermitteln: Alles hat seine Zeit, aber sie ist jetzt noch nicht reif. - Hier wird die Verantwortung der Medien und der Unterhaltungsindustrie eingefordert. Das ist richtig, aber die Hauptverantwortung tragen die Eltern.

(Beifall bei der CDU)

Besonders schwierig wird die Zeit des Eintritts in die Schule und in die Pubertät - zwei ganz wesentliche Weichenstellungen. Kinder orientieren sich dann weniger an den Handlungsmustern in der Familie, sondern fragen und hinterfragen familiäre Verhaltsweisen und sie widmen sich mehr Freunden oder Cliquen, nehmen deren Anschauungen wahr oder an. Konflikte zwischen Eltern und Kindern sind unausweichlich. Wenn hier kein Urvertrauen aufgebaut wurde, sondern schon im Kleinkindalter Auseinandersetzungen mit Gewalt ausgetragen wurden, greifen auch Kinder eher zu diesem Mittel. Befragungen beweisen das.

Kinder, die Gewalt, physische wie psychische Gewalt, erfahren haben, sind in ihrer Seele verletzt. Sie haben es im Leben schwerer, sich zurechtzufinden. Mehr noch: Die neuerliche Hirnforschung und amerikanische Langzeitstudien belegen, dass zum einen erfahrene Gewalt im Säuglings- und Kleinkindalter zu irreparablen Hirnschädigungen führen kann. Zum anderen wurde nachgewiesen, dass diese Kinder, wie schon gesagt, zu mehr als 30 % von Opfern zu Tätern werden. Sie haben die erfahrenen Verhaltensmuster verinnerlicht und geben sie weiter.

Das bedeutet für politisches Handeln Folgendes: Je früher Intervention stattfindet, umso besser, und Intervention ist nicht nur einmal nötig, sondern immer wieder. Dazu gehört frühzeitiges Erkennen und Erfassen von gefährdeten Familien, die Kontrolle der Entwicklung von Neugeborenen und Kleinkindern - wir werden heute Nachmittag noch einen Antrag dazu beraten -, das Angebot von Hilfen wie Familienberatung, Partnerschaftsberatung und die komplexe Frühförderung der Kinder im Alter von zwei, drei Jahren und so lange wie nötig.

Dazu wiederum ist es nötig, dass wir die Institutionen, die es in Brandenburg gibt, miteinander vernetzen. Alle Stellen, die im Bereich Jugendsozialhilfe arbeiten, müssen zusammenwirken. Ich nenne an dieser Stelle nur einige. Wir müssen die Sozialhilfe, die Jugendämter, die Familiengerichte, die Wohlfahrtsverbände, Schulen und Kitas an einen Tisch bringen. Sie müssen miteinander ein Netzwerk und damit auch Frühwarnsysteme aufbauen. Wir brauchen eine qualifizierte Schulung der Mitarbeiter der Jugendämter in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten. Es hilft uns überhaupt nicht, wenn es, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, wie wir es jetzt in Blankenfelde erlebt haben, in der Folge keine Reaktion gibt. Es ist wichtig, dass die Landräte dafür sensibilisiert werden, ihre Jugendämter fachlich gut zu besetzen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Der Landrat von Teltow-Fläming hat ganz prima reagiert und gesagt: „Ich kontrolliere, was in meinem Jugendamt an ausgebildeten Kräften da ist. Ich lasse nachschulen, und wenn ich neue Kräfte einstelle“, wie er angedeutet hat, „dann sind das Sozialpädagogen bzw. andere Fachleute in diesem Bereich.“ Das ist gut und richtig so.

Wir müssen überlegen, ob das Landesjugendamt letztlich nicht nur eine Fachberatung für die Jugendämter der Landkreise und der kreisfreien Städte, sondern auch eine Dienstaufsicht sein soll, dass wir also als Land an dieser Stelle kontrollieren, was im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes in den Landkreisen passiert. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Linkspartei.PDS fort. Es spricht die Abgeordnete Wöllert.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass unser Ansatzpunkt etwas anders ist als der der CDU. Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Kollegin Hartfelder, betrachten wir Kinderfreundlichkeit und Kinderschutz nicht in erster Linie als innerfamiliäre Angelegenheit und sehen auch die Gründe für Komplikationen nicht innerhalb der Familie, sondern wir stehen in Übereinstimmung mit der Bewertung von UNICEF. Perspektivlosigkeit, Armut, Suchtprobleme, Überforderung, Egoismus - das sind Gründe, warum Kinder vernachlässigt oder misshandelt werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Eltern, die schlagen, haben nie gelernt, Konflikte mit Worten zu lösen. Das Problem ist nicht der Konflikt, sondern ist die Konfliktlösungsstrategie.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Eltern, die selbst Gewalt erlebt haben, werden in der Regel auch selbst gewalttätig, wobei der Stress umso größer wird, je gewalttätiger oder gleichgültiger die Menschen werden. Diesen Kreislauf müssen wir durchbrechen.

Dabei haben Kinder seit November 2000 ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, und zwar per Gesetz. „Gewaltfrei“ heißt - das haben Sie auch so gesagt; das unterstreiche ich - „frei von körperlicher und von seelischer Gewalt“. Woran liegt es also, dass wir seit über fünf Jahren ein so gutes Gesetz haben und heute trotzdem feststellen, dass es beim Schutz unserer Kinder immer aufs Neue Defizite gibt? Ich meine, das ist der Ausgangspunkt, den wir beleuchten müssen.

Wenn es denn so ist, wie Sie in der Begründung Ihres Antrages sagen, dass das gesamtgesellschaftliche Handeln zum Wohle der Kinder an den aktuellen Erfordernissen ausgerichtet und weiterentwickelt werden muss, dann reicht es natürlich nicht, nur die Familien im Blick zu haben, sondern dann ist auch die Gesellschaft als Ganze gefordert.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Der Staat hat eben nicht nur zu intervenieren, sondern er hat auch Bedingungen dafür zu schaffen, dass Kinder in den Familien, aber auch außerhalb gute Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung haben.