Protocol of the Session on September 28, 2005

(Zurufe von der DVU)

Wir teilen das nicht und wir lehnen es vom Grundsatz her ab; denn Menschen gegeneinander auszuspielen ist das Niederträchtigste, was es gibt.

(Beifall bei SPD und Linkspartei.PDS - Schuldt [DVU]: Warum machen Sie es dann?)

Die Landesregierung verzichtet auf einen Beitrag. Deshalb erhält noch einmal der Abgeordnete Nonninger das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Menschen! Liebes Subjekt Frau Stobrawa!

(Widerspruch bei der Linkspartei.PDS - Schippel [SPD]: Sie sind an Intelligenz nicht zu überbieten! Wirklich!)

Am 25. April hat die EU in überstürzter Weise die Beitrittsverträge mit Bulgarien und Rumänien unterzeichnet. 2007 sollen beide Länder aufgenommen werden.

Die Antworten der Landesregierung zu diesem heiklen Thema fallen außerordentlich knapp aus. Sie hat sich stets für eine Aufnahme zum 1. Januar 2007 eingesetzt, heißt es, und im Übrigen würden ja auch Schutzklauseln eingefügt. Wie wirksam diese Schutzklauseln sind, davon konnten sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schon bei der ersten großen Osterweiterung ein Bild machen. Im Übrigen läuft auch jede Übergangsfrist einmal aus.

Die Landesregierung schließt sich in ihren Antworten stets der Meinung der Europäischen Kommission bzw. des Europäischen Rates an. Man sieht also keine Probleme oder Gefahren sowohl in organisatorischer, wirtschaftlicher, arbeitsmarktpolitischer als auch kultureller Hinsicht. Das sahen einige Europaabgeordnete - selbst aus dem Lager, aus dem man es am wenigsten erwartet - etwas anders. Ich erinnere an die kritischen Aussagen des Herrn Cohn-Bendit. Auch Herr Ehlers listete auf 16 Seiten die aktuellen Defizite auf.

Letztendlich geht es aber wieder um das große Geld. In Rumänien und Bulgarien liegt das durchschnittliche Einkommen bei nur 25 % des EU-Durchschnitts. Nach Schätzungen der EUKommission haben beide Staaten von 2007 bis 2013 Anspruch auf Subventionen in Höhe von 45 Milliarden Euro. Das ist fast die Hälfte eines Jahreshaushalts der gesamten EU von 100 Milliarden Euro. Auf das selbst in großen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten steckende Deutschland - und damit auch auf Brandenburg - kommen somit noch härtere Zeiten zu.

Ich komme nun zum Thema Türkei. Um es gleich vorweg zu sagen: Die DVU-Fraktion steht als wohl einzige Fraktion in diesem Hause geschlossen für ein klares Nein zu einer EUAufnahme und irgendeiner Form von Beitrittsverhandlungen.

(Beifall bei der DVU)

Es darf keine Freizügigkeit für die „Bevölkerungsüberschüsse“ der Türkei geben. „Die Türken gehören einem uns völlig fremden Kulturkreis an.“

(Unruhe bei SPD, CDU und Linkspartei.PDS)

Die Re-Islamisierung des Landes ist in vollem Gange und es ist ein „Irrtum einiger deutscher Politiker“, zu glauben, eine Demokratisierung der Türkei setze ein Beispiel für andere islamische Staaten.

(Widerspruch bei der Linkspartei.PDS)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, diesen Aussagen braucht man eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Sie wurden übrigens kürzlich von Altkanzler Helmut Schmidt getätigt; dies war ein Zitat.

Die Türkei hat heute schon 70 Millionen Einwohner und wäre in 15 Jahren das bevölkerungsreichste Land der EU.

(Schulze [SPD]: Haben Sie einen blassen Schimmer da- von, wie viele Einwohner Europa jetzt hat?)

Ihre Wirtschaftskraft liegt bei 7 bis 22 % des EU-Durchschnitts. Auf die EU kommen Transferzahlungen in Höhe von 20 bis 40 Milliarden Euro zu. Ein Fünftel davon entfällt auf Deutschland. Bezeichnend für die Altparteien ist, dass eine Studie des Münchner Instituts zu den Beitrittskosten der Türkei von Hans Eichel zwar in Auftrag gegeben, aber nie veröffentlicht wurde.

Die DVU-Fraktion ist der Auffassung, dass der Türkei aus geografischen, wirtschaftlichen, kulturellen und bevölkerungspolitischen Gründen eine EU-Mitgliedschaft verwehrt werden muss. Durch die Niederlassungsfreiheit käme es zu einer einzigartigen Völkerwanderung und damit zu wirtschaftlichen Krisen, zum Zusammenbruch der Sozialsysteme und zu großen ethnischen Konflikten. Dies muss verhindert werden, auch im Interesse der EU.

(Beifall bei der DVU)

Mit diesem Beitrag ist die Aussprache beendet. Ich stelle fest, dass die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 13 der DVU zur Kenntnis genommen wurde.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

„Tolerantes Brandenburg“ - für eine starke und lebendige Demokratie Handlungskonzept der Landesregierung für eine demokratische Gesellschaft mit Zivilcourage gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit

Konzeption der Landesregierung

Drucksache 4/1850

Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Minister Rupprecht. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutschland werde über den Rechtsextremismus entweder hysterisch oder gar nicht geredet. - Dies beklagt der Rechtsextremismusexperte Toralf Staud in seinem neuen Buch über die neuen, modernen Nazis von der NPD, wie er sie nennt. Stauds Beobachtung ist oft allzu richtig. Tatsächlich haben wir in der Vergangenheit immer wieder erlebt, wie nach Konjunkturen großer Aufregung über Rechtsextremismus und rechtsextremistische Gewalt bald wieder Gleichgültigkeit und Desinteresse einsetzten. Dieses Auf und Ab ist kein taugliches Rezept. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und um die Rechtsextremisten müssen wir mit großer demokratischer Leidenschaft und zugleich systematisch, umsichtig und beharrlich führen.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Das ist auch der Weg, den wir in Brandenburg in den vergangenen Jahren mit dem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eingeschlagen haben. Diesen Weg werden wir mit dem jetzt fortgeschriebenen und weiterentwickelten Konzept „Tolerantes Brandenburg - für eine starke und lebendige Demokratie“ weiter gehen.

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus muss langfristig und unabhängig davon geführt werden, ob das Thema gerade in Mode ist. So raten es uns alle Experten. Sie laufen damit bei uns in Brandenburg weit geöffnete Türen ein. Genau diese Grundeinsicht liegt unserem seit 1998 gültigen Handlungskonzept zugrunde. Genau darum geht es der brandenburgischen Landesregierung, genau darum geht es im Übrigen auch den vielen tausend Menschen, die sich überall in unserem Land couragiert für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine Alternative zur langfristigen, geduldigen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus auf allen Ebenen in unserer Gesellschaft gibt es nicht.

Manche meinen allerdings auch in diesen Tagen wieder, sie könnten sich beruhigt zurücklehnen. Das Ergebnis von mageren 1,6 % für die NPD am vorvorigen Sonntag scheint den Verharmlosern Recht zu geben, die glauben, dass dieses Resultat die fortbestehende Chancenlosigkeit des Rechtsextremismus in Deutschland bewiesen habe, die meinen, dass es nun an der Zeit sei, Entwarnung zu geben. Meine Damen und Herren, die Antwort auf derartige Vermutungen lautet ganz entschieden: Nein!

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Demokraten in Brandenburg oder anderswo könnten keinen größeren Fehler begehen. Ob eine demokratische Gesellschaft tolerant und lebendig ist, entscheidet sich nicht an Wahltagen, sondern vor allem an den Graswurzeln der Gesellschaft, im ganz normalen Alltag der Menschen in den Dörfern und Städten, auf den Schulhöfen und den Bahnhofsvorplätzen in unserem Land.

Genau hier setzen die rechtsextremistischen Parteien und Organisationen den Hebel an. Sie haben ihre Strategie geändert. Sie treten heute nicht mehr in abschreckender, martialischer Kluft auf. Vielmehr präsentieren sie sich durchaus freundlich und verbindlich. Es geht ihnen um die Durchdringung unserer Gesellschaft von der Basis her. Aber es sind dieselben Rechtsextremisten mit derselben menschenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ausgrenzungsideologie wie zuvor. Um es anschaulich zu sagen: Nette Rechtsextremisten, die im Seniorenwohnheim zur Gitarre Volkslieder singen oder Schulkindern bei den Hausaufgaben helfen, sind immer noch Rechtsextremisten; Rechtsextremisten mit derselben abstoßenden und menschenfeindlichen Blut- und Bodenideologie wie eh und je.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Der moderne Rechtsextremismus, der die Durchdringung unserer Gesellschaft von unten her anstrebt, ist in mancher Hinsicht noch schwieriger zu bekämpfen als ältere, schon auf den ersten Blick brutale und gewalttätige Formen der Naziideologie. Weil dieser moderne Rechtsextremismus aber auf die ganzheitliche Durchdringung der Gesellschaft zielt, müssen ihm ebenso ganzheitlich verstandene Konzepte entgegengesetzt werden. Genau hierauf zielt das fortgeschriebene und er

neuerte Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg - für eine starke und lebendige Demokratie“. Seinen neuen programmatischen Akzent trägt das überarbeitete Handlungskonzept bereits im Titel. Bisher war von einem Programm gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit die Rede; das zukünftige Programm setzt sich ausdrücklich für eine starke und lebendige Demokratie ein. Die Akzentverschiebung vom Gegen zum Für hat ihren Sinn. Die Arbeit gegen den Rechtsextremismus und gegen rechtsextremes Gedankengut ist ein harter Abwehrkampf. Zugleich aber ist sie wichtiger Bestandteil der Arbeit für eine erfolgreiche Gesamtentwicklung unseres Landes.

Die Brandenburger Regierung hat ihre Arbeit unter das positive Leitmotiv der Erneuerung aus eigener Kraft gestellt. Die erfolgreiche Erneuerung wird uns in Brandenburg ausschließlich als tolerante, starke und lebendige Demokratie gelingen. Gewalt und Hass, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, Protektionismus und Abschottung, all diese Facetten des Rechtsextremismus schaden unserem Land, sie schaden uns selbst, sie schaden unseren Kindern und sie werden noch unseren Kindeskindern schaden.

Tolerante und weltoffene Gesellschaften sind die erfolgreichsten Gesellschaften. Genauso gilt umgekehrt: Erfolge erleichtern Toleranz und Weltoffenheit. Deshalb sind die Bekämpfung des Rechtsextremismus und die Erneuerung unseres Landes zwei Seiten derselben Medaille. Im Übrigen kann nicht oft genug betont werden: Fremdenfeindlichkeit vernichtet Arbeitsplätze, Intoleranz vernichtet Zukunft.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, wir werden auf vielen Gebieten den richtigen Weg des bisherigen Handlungskonzeptes mit Entschiedenheit weiter verfolgen. Was sich bewährt hat, wird fortgeführt. Wie schon in der Vergangenheit werden wir in Brandenburg gegen rechtsextremistische Gewalt und rechtsextremistische Straftäter mit aller gebotenen rechtsstaatlichen Härte vorgehen. Konsequente Aufklärung und Verfolgungsdruck sind unabdingbare Bestandteile einer starken und lebendigen Demokratie, denn ohne Sicherheit vor den Feinden der Freiheit kann eine freiheitliche Gesellschaft nicht gedeihen.

Ganz besonders die Brandenburger Polizei leistet in diesem Sinne einen herausragenden Beitrag zum Schutz der Demokratie. Polizeiliche und strafjuristische Maßnahmen stehen der Natur der Sache nach immer ganz am Ende von gesellschaftlichen und individuellen Fehlentwicklungen; diese haben in der Regel weit früher begonnen. Hier setzt das überarbeitete Handlungskonzept zwei neue, deutliche Schwerpunkte. Zum einen geht es um Vernetzung, Kooperation und Konzentration. Intakte und erfolgreiche demokratische Gesellschaften entstehen nicht von selbst. Sie beruhen auf der Fähigkeit aller Akteure in Gesellschaft und Staat, sich über zentrale, gemeinsame Ziele zu verständigen und für die gemeinsamen Ziele an einem Strang zu ziehen. Nur wenn über Ressorts und formale Zuständigkeiten hinweg kooperiert wird, werden sich nachhaltige Erfolge der Arbeit für die starke und lebendige Demokratie einstellen. Nur wenn alle staatlichen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte besser zusammenarbeiten, können rechtsextreme Tendenzen verdrängt werden.

Überall in Brandenburg setzen sich schon heute Menschen intensiv füreinander und für unser Land ein: in Vereinen, Verbän

den und Feuerwehren, in Schulen, Universitäten und Kindertagesstätten, in den demokratischen Parteien, in der Wirtschaft, in den Gewerkschaften und Betriebsräten, im Sport, in Kultur und Wissenschaft, in Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. In vielen Städten und Orten unseres Landes treten Menschen couragiert für die positiven Ziele der Demokratie und für Toleranz ein, aber sie müssen mehr voneinander wissen, um noch intensiver zusammenarbeiten zu können. Die Landesregierung wird ihre bessere Vernetzung und Kooperation dauerhaft unterstützen.

Ein zweiter erweiterter Schwerpunkt des Konzepts betrifft Erziehung, Bildung und Aufklärung. Eine lebendige und starke Demokratie ohne Hass und Intoleranz kann dort gedeihen, wo man einen großen Wert auf die frühzeitige, gute Erziehung und Bildung aller Kinder und Heranwachsenden in allen Regionen unseres Landes legt. Die Wurzeln für die Fähigkeit zu Toleranz und Demokratie entstehen früh. Um das sicherzustellen, liegt die Verantwortlichkeit des Unterstützungssystems Schule jetzt bei der RAA, deren konkrete Arbeitsaufgaben in diesem Bereich über Zielvereinbarungen mit unseren Schulämtern definiert werden.

Kitas und Schulen sind ganz entscheidende Orte des frühkindlichen Erwerbs von Bildung. Es sind Orte, an denen sich die Fähigkeit der Kinder zu Zivilcourage und zur friedlichen Austragung von Konflikten entwickelt. Die Qualität von Bildung und Erziehung entscheidet über Lebenschancen. Lebenschancen wiederum entscheiden über Lebensperspektiven. Auch hier haben wir es mit einem Kreislauf positiver Wechselwirkungen zu tun. Diesen Kreislauf müssen wir stärken. Für die Schulen im Besonderen gilt in ähnlicher Weise: Je mehr sie sich ihrer jeweiligen lokalen Gesellschaft öffnen und die Zusammenarbeit suchen, desto mehr profitieren alle Beteiligten: Schüler, Lehrer, Eltern, Jugendhilfe und Polizei sowie alle anderen örtlichen Akteure.

Schulen sind ein integraler Bestandteil der Öffentlichkeit in den Städten und Regionen. Lehrer haben eine Vorbildfunktion in ihre örtliche Umgebung hinein, die sie wahrnehmen und ernst nehmen müssen.

Daneben kommt der politischen Bildung eine hohe Verantwortung zu. Sie hat die Aufgabe, Vertrauen und Einsicht der Bürgerinnen und Bürger in die Werte und Wirkungsweise der parlamentarischen Demokratie zu fördern. Die Brandenburger Landeszentrale für politische Bildung wird sich künftig ganz besonders intensiv der Aufklärungsarbeit über den Rechtsextremismus widmen. Neben der Landeszentrale sind die bewährten und wichtigsten Partner bei der Umsetzung des Handlungskonzepts auf Landesebene das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit; die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA); der Verein Opferperspektive; die Mobilen Beratungsteams und die Ausländerbeauftragte. Die sechs Büros für Integration und Toleranz in Neuruppin, Angermünde, Trebbin, Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) sind mit ihren jeweils vier Mitarbeitern stabile Unterstützer der Arbeit vor Ort.