Protocol of the Session on October 27, 2004

- Herr Schulze, Sie kommen gerade zum Stichwort. Die Turbu

lenzen kurz nach der Regierungsbildung sprechen nicht gerade von gut geölten Rädern.

(Beifall bei der PDS)

Kaum ist der Koalitionsvertrag unterzeichnet, kaum sind also Länderfusion und damit gleich auch noch die Entwicklung der Kooperation mit Berlin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, tritt der christdemokratische Wirtschaftsminister aus der Formation aus und verlangt öffentlich nun doch wieder einen konkreten Fusionstermin. Sein Fraktionsvorsitzender springt ihm bei, woraufhin dessen sozialdemokratisches Pendant erklärt, er verstehe nun gar nichts mehr - und der Ministerpräsident steht hilflos daneben. Wahrlich ein überzeugender Beweis neuer Führungsstärke und neu gewonnener politischer Gemeinsamkeit.

(Beifall bei der PDS - Sarrach [PDS]: Mannschaftsspiel!)

Offenkundig ist nur eins: Sie haben eine Koalitionsvereinbarung unterschrieben. Wirklich vereinbart haben Sie nichts.

Was wir in Brandenburg brauchen, ist kein Bündnis gegen etwas, sondern ein Bündnis für Zukunft, für soziale Gerechtigkeit, für eine neue Chance für Ostdeutschland, für moderne Bildung für alle. Ein solches Bündnis war nach dem 19. September möglich. Ein solches Bündnis ist von den Wählerinnen und Wählern gewollt und gewählt worden.

Die Kraft und den Mut für einen wirklichen Politikwechsel haben Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, nicht gefunden. Da war der Gang mit der CDU ins alte Bett wesentlich bequemer. Die von Ihnen selbst angemahnte Ehrlichkeit lässt auf sich warten. Die Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs erwarten klare Antworten und konkret formulierte Ziele. Sie wollen wissen, wo es langgeht. Dann sind sie nämlich auch bereit mitzuziehen. Dann würden sie auch wieder Mut und Hoffnung schöpfen, dass es sich lohnt. Das wäre ein wirklicher Aufbruch, so wie ich ihn verstehe.

Solch eine Regierung und im Übrigen auch solch eine Regierungserklärung hätten wir gebraucht, meine Damen und Herren. Solch eine Opposition wird das Land nun bekommen. Ich verrate Ihnen: Meine Fraktion brennt darauf, ihre deutlich gestärkte Kompetenz, Herr Ministerpräsident, auch konstruktive Kritik, Realismus und eigene Ideen einer solchen Oppositionspolitik einzubringen.

(Beifall bei der PDS)

Glauben Sie ja nicht, meine Damen und Herren, dass es in den Amtsstuben gemütlich wird. Wir werden mit Ihnen nicht auf den wolkigen Höhen von Koalitionsvertrag und Regierungserklärung streiten. Von Anfang an werden wir unsere Vorschläge, unsere alternativen Politikangebote in die Auseinandersetzung einbringen. Die zehn Punkte unseres im Wahlkampf vorgestellten 100-Tage-Programms waren kein Werbegag. Das Programm enthält die dringlichsten Aufgaben, die am Beginn dieser Legislaturperiode in Angriff genommen werden müssen. Sie haben schon in dieser Woche Gelegenheit, sich damit konkret auseinander zu setzen. Wir haben eine Bundesratsinitiative zu Hartz IV, den Vorschlag zur Novellierung des Schulgesetzes und einen Antrag für eine Härtefallkommission eingebracht.

(Beifall bei der PDS)

Einen besonderen Stellenwert wird die Auseinandersetzung um Ihren Haushaltsentwurf bekommen. Herr Speer betritt da neues Terrain, nicht nur fachlich. Herr Minister, jetzt müssen Sie aus der Deckung kommen und sich an konkreten politischen Vorgaben messen lassen. Es reicht nun nicht mehr, im Hintergrund die Strippen zu ziehen und die Figuren zu schieben.

Jetzt werden Sie für die Bürgerinnen und Bürger erkennbar. Ich befürchte, Ihre Arbeitsinstrumente werden vor allem großzügige Haushaltssperren und der Rotstift sein. Das wird vielen Menschen die Augen öffnen.

Wir haben Ihnen im Wahlkampf gesagt, dass man die Haushaltskrise des Landes ohne einen Kassensturz nicht bewältigen kann.

(Schulze [SPD]: Wo waren Sie, als der Haushalts- und Fi- nanzausschuss in den letzten fünf Jahren tagte?)

- Herr Schulze, das war wirklich unter Ihrem Niveau. Ich habe Sie für klüger gehalten.

Ich sage Ihnen auch heute wieder: Wenn Sie sich nicht endlich ehrlich die Karten legen, dann ziehen Sie das Land noch tiefer in die Schuldenfalle. Ehrlichkeit ist auch hier zwingend erforderlich. Sie aber schließen die Augen, wenn Sie verkünden, die Nettokreditaufnahme solle bis spätestens 2010 auf null reduziert sein. So sind Sie auch vor fünf Jahren gestartet. Am Ende war die Verschuldung von 12 auf 17,5 Milliarden Euro gewachsen

(Zurufe von der SPD)

und die Investitionsquote so gering wie noch nie. Für Ihre Finanzpolitik, meine Damen und Herren von SPD und CDU, zahlt Brandenburg einen hohen Preis, den Verlust an Substanz, an Lebenschancen, an wirtschaftlichen und sozialen Potenzen.

(Lunacek [CDU]: Sie wollen noch mehr Schulden! - Zu- rufe von der SPD)

- Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen. - Jetzt lavieren Sie schon wieder. Herr Baaske hat mal eben im Radio den Vorbehalt angemeldet, Konsolidierung gehe natürlich nur dann, wenn entsprechende Steuereinnahmen kämen. Genau dafür tun Sie zu wenig. Ihr Ziel für 2010 ist damit bereits heute Makulatur.

Wer die unbestreitbar notwendige Sanierung des Haushalts schaffen will, braucht ein tragfähiges politisches Leitbild für Brandenburg, eine Vorstellung davon, wie der Mix aus Konsolidierung und Stabilisierung auf der einen Seite und von Ertrag bringenden Investitionen in die Zukunft des Landes auf der anderen Seite aussehen soll.

Schließlich fordern wir eine kritische Überprüfung der vielfältigen Beteiligungen des Landes.

Wer das Land sanieren will, darf sich nicht jeder Steuerreform des Bundes kritiklos unterwerfen.

(Beifall bei der PDS)

Im Gegenteil: Die Wiedereinführung der Vermögensteuer zum Beispiel - das war eine Forderung der SPD, an die ich Sie gern erinnern möchte -

(Zurufe von SPD und CDU)

könnte Brandenburg immerhin eine halbe Milliarde Euro bringen. Werden Sie im Interesse Brandenburgs endlich aktiv!

Die Hauptsorge der Menschen in unserem Lande heißt Arbeit. Deswegen geht es alle Jahre wieder um mehr als darum, Arbeitslosigkeit zum Problem Nr. 1 zu erklären. Es muss endlich etwas passieren. Noch immer verschwinden mehr Arbeitsplätze als neue entstehen. Wir benötigen dringend mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Ihre Antwort heißt auch heute wieder Hartz IV. Was ist das für eine Antwort? Sie wissen doch selbst: Die Arbeitslosigkeit wird mit Hartz IV nicht beseitigt, sondern verschärft. Die Einkommenslage von großen Teilen der Bevölkerung wird nicht verbessert, sondern verschlechtert. Hartz IV unterstützt mit der Zumutbarkeitsklausel und der Einführung der so genannten 1Euro-Jobs den breit angelegten Angriff auf Tarife und Löhne. Es wird zu erheblichen Verlusten bei der Kaufkraft kommen.

Auch wir sind für gleich hohe Zahlbeträge in Ost und West sowie für eine flexible Stichtagsregelung für den Umgang mit Schonvermögen bei Älteren. Aber ist das der ganze Änderungsbedarf bei Hartz IV? Angesichts der großen Ungerechtigkeiten und erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken sowie der Fehler im Gesetzeswerk wohl kaum.

Offen bleibt auch, wie Sie diese Korrekturen erreichen wollen.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Furchtbar!)

- Das müssen ausgerechnet Sie sagen. Unsere Argumente gegen Hartz IV haben wir doch gerade von Ihnen. Danke, Frau Schröder.

(Beifall bei der PDS)

Wir haben Ihnen unseren Vorschlag auf den Tisch gelegt. Prüfen Sie ihn gründlich. Opfern Sie die berechtigten Interessen der Betroffenen nicht wieder einer falsch verstandenen Parteiräson.

Ich möchte beim Thema Arbeit bleiben und jetzt zu den Unternehmen im Lande Ausführungen machen. Welche Antwort geben Sie ihnen? Sie konzentrieren Investitionen und Wirtschaftsförderung auf Schwerpunkte. Das soll wirklich helfen gegen Arbeitslosigkeit, Ausbildungsplatzmangel und Strukturschwäche? Unternehmen haben einen berechtigten Anspruch auf Anstrengungen der Landesregierung zur Konsolidierung und Stabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage. Behaupten Sie jetzt nicht wieder, es sei - zum Beispiel für den von uns vorgeschlagenen Regionalfonds von 150 Millionen Euro kein Geld vorhanden. Er sollte durch die Bündelung der gegenwärtig auf verschiedene Ministerien aufgesplitterten EUStrukturfondsmittel ermöglicht werden.

Überhaupt halte ich es für dringend notwendig, dass Sie sich wieder einmal mit Europa beschäftigen. Gegenwärtig werden in Brüssel die Weichen für die Vergabe der Strukturfondsmittel nach 2007 gestellt. Jetzt werden dort die Debatten über die Neugestaltung der Förderkonditionen geführt. Jetzt besteht die große politische Chance, zusammen mit der EU einen Umbau der Förderprogramme entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten strukturschwacher Regionen zu vollziehen. Sie müssen dafür jetzt dort Bedarf anmelden. Das ist nicht nur Sache

des Bundes, sondern auch der Länder. Wir fordern Sie auf, hier endlich tätig zu werden.

(Beifall bei der PDS)

Von der Landesregierung erwarten wir unverzüglich Maßnahmen zur Stabilisierung und Konsolidierung der kleinen und mittleren Unternehmen. Notwendig ist erstens eine bessere Risikokapitalabsicherung. Dafür haben wir Bürgschaftsprogramme vorgeschlagen, die den Unternehmen helfen und zugleich den Haushalt entlasten.

Überfällig ist zweitens die Veränderung der Vergabepraxis bei öffentlichen Ausschreibungen.

(Beifall bei der PDS)

Ein Landesvergabegesetz muss endlich her. Im Wahlkampf haben Sie es wieder versprochen. Im Koalitionsvertrag ist es gestrichen.

Drittens muss investiert werden. Wir brauchen eine deutliche Stärkung der Investitionskraft der Kommunen. Das ist Mittelstandsförderung pur. Das sichert und schafft Arbeitsplätze.

(Beifall bei der PDS)

Was aber machen Sie? Sie behaupten, Sie hätten aus dem Scheitern der Großprojekte etwas gelernt und setzten nun vor allem auf die heimische Wirtschaft. Was aber ist diese Ankündigung wert, wenn Sie dann doch ausrufen, der Ausbau des Flughafens Schönefeld zum Single-Airport Berlin Brandenburg International sei das zentrale Infrastruktur- und Wirtschaftsentwicklungsprojekt dieser Legislaturperiode?

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

- Ausgerechnet Sie, Herr Schulze! Eigentlich hätten Sie jetzt Beifall klatschen müssen.

(Beifall bei der PDS - Schulze [SPD]: So viele Pirouetten wie Sie kann nicht einmal eine Eisballerina vollführen!)