Wer dem Antrag in der Drucksache 4/964 zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Zwei Mutige. - Wer enthält sich der Stimme? - Noch mehr Mutige. Aber dieser Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen. Wir freuen uns alle auf die konkrete und praktische Ausgestaltung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgehend von den Ergebnissen des Demographieberichtes und den Zielen, die wir uns im Koalitionsvertrag gesteckt haben, legen wir Ihnen heute einen Antrag vor, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, ein familienpolitisches Maßnahmenpaket vorzulegen, das die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichert.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die demographische Katastrophe ohne Familienpolitik voranschreitet. Die Analyse der Situation ist alarmierend. Das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern verschiebt sich in der Konsequenz weiter. Deutschland hat weltweit die höchste Zahl an Kinderlosen. Insbesondere gut und hoch Qualifizierte bleiben ohne Nachwuchs. In fast der Hälfte der Haushalte der Bundesrepublik leben keine Kinder. Während in Brandenburg 1989 noch ca. 33 000 Kinder geboren wurden, sank die Zahl in den Folgejahren auf 12 240, um sich dann bei ca. 18 000 einzupegeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sie heute schon einmal ermahnt, nicht nur hinsichtlich des Rauchens, sondern auch hinsichtlich der Disziplin während der Sitzung Vorbild zu sein.
Ich bemühe mich ja schon, laut zu reden. - Die Folgen des Bevölkerungsrückgangs wirken sich in allen Bereichen aus. Immer weniger Schulen, Kitas, Krankenhäuser usw. - das sind keine Horrorszenarien, sondern Fakten. Diese sind in dem Bericht zu den Auswirkungen der demographischen und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen in Brandenburg schwarz auf weiß nachzulesen. Auch die Schlussfolgerungen können dem Bericht entnommen werden.
Die Familie ist die Basis unserer Gesellschaft. Familienpolitik umfasst alle Bereiche, auch die Wirtschaft.
Doch Familie ist noch mehr. In der Familie lernen Kinder, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Sie entwickeln Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Teamgeist. Sie erlernen Konfliktfähigkeit und Toleranz sowie die Einhaltung von Grenzen. Sie erfahren Einfühlungsvermögen, Verständnis und Mitgefühl.
Die in der Familie erworbenen sozialen Kompetenzen sind gleichzeitig wichtige Spielregeln in unserer Demokratie und in der Gesellschaft. Ich erinnere an die Äußerungen des Ministerpräsidenten von gestern, dass Eltern ganz genau hinschauen sollten, wo, mit wem und womit sich ihre Kinder beschäftigen.
Die Familie ist unser wichtigstes soziales Netz; denn viele Menschen begreifen erst im Alter, dass materielle Werte nebensächlich sind, wenn man auf die Pflege fremder Menschen angewiesen ist. Alterseinsamkeit - sie nimmt zu - trifft meist die Kinderlosen.
Familien erbringen folglich vielfältige Leistungen, die von niemandem sonst in gleicher Weise erbracht werden können. Selbst der Kanzler spricht nicht mehr von „Gedöns“. Familienpolitik erlebt eine Auferstehung, hoffentlich nicht nur dem näher rückenden Wahltermin geschuldet.
Familienpolitik ist nicht nur Geldpolitik und nicht nur Kinderbetreuung. Eine Politik für Familien und Kinder muss gesamtgesellschaftlich akzeptiert und in Strukturen eingebettet sein. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein kinderfreundliches Land. Wir sind ein familienpolitisches Entwicklungsland - trotz einer unübersehbaren Anzahl familienpolitischer Leistungen. Diese gilt es transparenter zu machen, auf den Prüfstand zu stellen und zu echter Familienförderung um- und auszubauen. Daran arbeiten wir seit langem. Ich erinnere an das Konzept des Familiengeldes oder einer Familienkasse, das sich nunmehr auch die Bundesfamilienministerin wünscht.
Auch auf Landesebene hat die CDU in den zurückliegenden Jahren Familienpolitik immer stärker thematisiert und neue Akzente gesetzt. Bereits im Jahre 2001 haben wir die erste Familienkonferenz durchgeführt. Zahlreiche Gespräche und Veranstaltungen schlossen sich an. Themen wie Verantwortung der Eltern, Erziehungskraft in der Familie, Gewalt durch Kinder und Jugendliche, aber auch gegen Kinder und Jugendliche wurden mit Praktikern diskutiert.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Familien angemessene Bedingungen benötigen, wenn wir eine familienfreundliche Gesellschaft werden wollen. Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Die Leistungen von Familien, die ihre Kinder zu verant
Ich appelliere auch an die Medien. Wenn im Fernsehen nur noch Mord und Totschlag zu sehen sind, dann ist das an dieser Stelle nicht besonders förderlich. Eltern haben nach meinem Dafürhalten Wertschätzung verdient; das kann sicherlich auch in den Medien dargestellt werden.
Gleichzeitig - auch das sage ich deutlich - muss ihre Verantwortung eingefordert werden, wenn sie sich schuldhaft ihrem Erziehungsauftrag entziehen. Es gibt in diesem Zusammenhang Zahlen, die traurig stimmen: Drei von vier Kindern werden von ihren Eltern geschlagen. Jeder achte Junge und jedes zehnte Mädchen werden sogar misshandelt. Wenn Familie derart versagt, wachsen die Kinder oft zu gewalttätigen Jugendlichen heran. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen erlebter und ausgeübter Gewalt.
Die familiäre Vernachlässigung hat leider zugenommen - mit gesamtgesellschaftlichen Folgen. Vorbeugen ist immer noch besser als Heilen. Für diese Familien müssen im Interesse der Kinder Angebote greifen, zum Beispiel Familienbildung und -beratung, die aufsuchende Familienhilfe für besonders problematische Familien eingeschlossen. Wir benötigen eine hoch qualifizierte und aktive Arbeit der Jugendämter sowie eine bessere Koordination zwischen den Akteuren, die Hilfe und Beratung anbieten, bis hin zu Polizei und Gerichten. Zu diesem Themenkomplex wird uns die Landesregierung demnächst ein Konzept vorlegen, das wir mit Spannung erwarten.
Bereits in der vergangenen Wahlperiode gab es Initiativen zur ressortübergreifenden Gestaltung eines Programms für Familien in Brandenburg. Es ist höchste Zeit, endlich zu handeln und Familienpolitik konkret zu machen.
Der vorliegende Antrag soll einen neuen Anstoß geben, der Familienpolitik im Land Brandenburg ein breites und tragfähiges Fundament zu geben. Die Familie muss in das Zentrum aller Politikfelder gerückt werden; denn nur so können wir dazu beitragen, die Familie im Land Brandenburg zu stärken und unser Land wirklich familienfreundlicher werden zu lassen. - Ich danke Ihnen für das Zuhören.
Herzlichen Dank, Frau Schulz. - Wir setzen mit dem Beitrag der PDS-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Kaiser-Nicht, bitte.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich hat niemand in diesem Parlament etwas dagegen, Brandenburg familienfreundlich zu gestalten. Verständlicherweise sehnen sich Regierung und Koalition auch einmal nach guten Nachrichten. Dafür sind solche Absichtserklärungen anscheinend gut geeignet. Dennoch verwundert mich Ihr Antrag, und das gleich mehrfach.
Erstens hat die Ministerin am 17. November im Fachausschuss bereits eine gemeinsame Kabinettsvorlage mit dem Bildungsund dem Wirtschaftsministerium angekündigt. Die Eckpunkte
für ein solches familienpolitisches Maßnahmenpaket plus Haushaltsvorschlägen sollten im I. Quartal 2005 vorliegen; das kann im Protokoll nachgelesen werden. Ist es die Absicht der Koalitionsfraktionen, dass das Ministerium langsamer arbeitet?
Zweitens soll der Landtag feststellen, dass die Landesregierung in den letzten Jahren an Verbesserungen der Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche beispielhaft beteiligt war. Wenn Sie in diesem Zusammenhang den Kita-Rechtsanspruch und das 610-Stellen-Programm nennen, fallen mir noch Haushaltsstrukturgesetze, Schülerbeförderung, Reihenuntersuchungen und die Kürzung von Mitteln für das Projekt gegen Gewalt an Schulen ein. Die PDS-Fraktion findet es nicht angemessen, die alljährlich drohenden oder vollzogenen Einschränkungen und Kürzungen als beispielhaft zu bezeichnen.
Sie selbst haben in den letzten Monaten im Plenum die - mögliche - Rücknahme dieser Kürzungen und sogar die Fachdebatte im Ausschuss verhindert.
Drittens gab es ihrerseits weder hier noch im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit, und Familie Unterstützung für zwei Anliegen der Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände. Zum einen sollte im Zusammenhang mit der Einführung von Hartz IV insbesondere die Situation der allein erziehenden Mütter mit Kindern beleuchtet und künftig erleichtert werden. Zum anderen sollten mehr Mittel und Möglichkeiten für die so nötige Familienbildung im Land bereitgestellt werden. Auf die Begründung für die Ablehnung ist die Landesarbeitsgemeinschaft mindestens genauso gespannt wie meine Fraktion.
Vielleicht musste erst ein Wirtschaftsforschungsinstitut für das Bundesfamilienministerium den Familienatlas erstellen. Dieser hält uns den Spiegel vor. Er gibt nun den wissenschaftlichen Autoritätsbeweis für das, was ich als Mutter von vier Kindern längst gemerkt habe: Wir leben in einer Region mit für Familien fehlenden Perspektiven.
Vielleicht - das würde mich freuen - ist die familienpolitische Offensive von Bundesministerin Schmidt doch nicht nur demographisch und wirtschaftlich begründet.
Frau Kollegin Schulz, natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Arbeits- bzw. Fachkräftepotenzial und nach Beitragszahlern. Kinder gehören aber auch zum individuellen Glück der Mitglieder einer Gesellschaft. Mich stört, dass dieser Punkt völlig ausgeblendet wird; ich glaube, so meinen Sie das auch nicht. Wir reden nur noch von „Humankapital“; ich mag das Wort nicht und halte es für unangemessen.
Frau Ministerin Ziegler konnte an der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Demographie, die im März in Potsdam stattgefunden hat, leider nicht teilnehmen. Zwei Mitarbeiterinnen brandenburgischer Landesbehörden folgten aber - ebenso wie ich - den Vorträgen.
Im europäischen Vergleich, bei dem weder die Bundesrepublik noch Brandenburg annähernd gut aussehen, wurde deutlich: Es braucht eine frauen- und kinderfreundliche Atmosphäre in einem Land, es braucht emanzipatorische Gleichstellungspolitik, mittelfristig verlässliche Rahmenbedingungen für die Verein
barkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit sowie für das Aufwachsen der Kinder im direkten Lebensumfeld. All dies garantiert keinen sofortigen Kindersegen, aber ohne diese politisch einzuleitenden Veränderungen wird sich mittelfristig das Blatt nicht wenden.
Die Signale von Hartz IV an junge Leute lauten: Stellt euch als flexible, mobile Arbeitsnomaden dem europäischen Arbeitsmarkt zur Verfügung! Sicherheiten für euch gibt es nicht! - Ich meine, diese Signale, gepaart mit Konkurrenz und Individualismus als Grundtugenden dieser Gesellschaft, führen am Ende zur Entscheidung gegen ein Familienleben mit Kindern. Entweder Kind oder Arbeit, entweder Kind oder Karriere - dies ist eine unmenschliche Entscheidungssituation.
Wir unterstützen das grundsätzliche Anliegen Ihres Antrages. Der Ihnen vorliegende Änderungsantrag zielt auf eine realistischere Beschreibung der Ausgangssituation. Meine Großmutter meinte immer: „Man soll sich nicht selber loben und Schwindelei kommt immer raus.“
Also lassen Sie uns doch die Absätze 2 und 3 in Punkt I streichen. Dem zweiten Teil Ihres Antrages würden wir gern zustimmen, wenn er verbindlicher wäre. So ganz ohne Haushaltsmittel wird es nicht gehen, auch wenn Geld sicher nicht alles ist. - Vielen Dank.
Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Lehmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kollegen! Liebe Frau Kaiser-Nicht, ich möchte Ihrer Großmutter wirklich nicht wehtun, aber ich meine, man darf auch an sich selbst glauben.
Meine Damen und Herren, es passt ja wie die Faust aufs Auge: Wir, die Koalition, bringen hier und heute einen Antrag mit dem Anliegen, Brandenburg familienfreundlich zu gestalten, ein und gestern hat unser Bundeskanzler versucht, den Wirtschaftsunternehmen nahe zu bringen, familienfreundliche Unternehmensvisionen einziehen zu lassen. Er sagte - Frau Schulz hat es hervorgehoben -, Familie sei ein Wirtschaftsfaktor und sprach in Bezug auf Familienpolitik von einer ökonomischen Dimension. Das ist nur eine Facette von Familienpolitik, aber doch eine wichtige. Ich bin sehr froh, dass wir so offensiv über Familienpolitik sprechen und dass es dazu in der Vergangenheit bereits viele Initiativen vonseiten des Bundes gab. Insofern ist unser Antrag, gerichtet an die Landesregierung, nur folgerichtig.