Protocol of the Session on April 14, 2005

Wenige Monate nach In-Kraft-Treten der wohl unsozialsten Reform aller Zeiten hat die PDS das Thema heute erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Speziell geht es heute um die Erfahrungen mit der Umsetzung von Hartz IV und um die notwendigen Korrekturen.

Es wäre interessant gewesen zu erfahren, welche Effekte bis jetzt eingetreten sind; doch das wäre, um es mit den Worten von Herrn Prof. Seitz zu sagen, „Kaffeesatzleserei“. Also reden wir heute erst einmal über die Erfahrungen mit der Umsetzung von Hartz IV und über die Korrekturen, die dringend notwendig sind.

Über die Erfahrungen haben bereits meine Vorredner ausführlich berichtet, sodass ich mich auf den Teil der notwendigen Korrekturen beschränken kann. Ich könnte es mir jetzt recht einfach machen und sagen: Die wirksamste Korrektur wäre die komplette Streichung von Hartz IV.

(Beifall bei der DVU)

Für diesen Vorschlag fehlen allerdings die Mehrheiten, sodass wir uns wohl oder übel mit einigen wenigen Schönheitskorrekturen zufrieden geben müssen.

Korrekturen waren bzw. sind noch dringend angebracht: bei der so genannten 58er-Regelung, bei den Freibeträgen für die Alterssicherung, bei den fehlenden Vermittlungschancen für Nichtleistungsbezieher, beim fehlenden Krankenversicherungsschutz für einige Hartz-IV-Betroffene, bei den Ein-Euro-Jobs - was muss getan werden, damit sie keine Konkurrenz für bestehende Unternehmen darstellen?-, bei der Förderung von Arbeitslosen.

Bisher wurde nur gefordert, aber wenig gefördert. Außer der

Bereitstellung von wenigen 1-Euro-Jobs gibt es keine nennenswerte Arbeitsmarktförderung. Es besteht sogar ein Rechtsanspruch auf Förderung. Doch das scheint niemanden der Verantwortlichen wirklich zu interessieren. Sie sehen, meine Damen und Herren, die Liste der dringend notwendigen Korrekturen ließe sich noch um etliches erweitern.

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist auch das bisher nicht eingelöste Versprechen der Bundesregierung, jedem arbeitslosen Jugendlichen bis Ende März - ich wiederhole: bis Ende März! - ein Angebot für eine Weiterbildung oder einen Job zu unterbreiten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat im Dezember eine Broschüre mit dem sinnigen Titel „Hartz IV - Menschen in Arbeit bringen“ herausgegeben. Schon der Titel entspricht nicht ganz der Wahrheit. Das, was in dieser Broschüre steht, entspricht auch nicht ganz den Realitäten. Zum Beispiel steht dort auf Seite 69:

„Für Jugendliche bis 25 Jahre verbessern sich die Förderleistungen. Sie erhalten zukünftig besondere Aufmerksamkeit, damit jeder eine Chance für den Einstieg in die Berufswelt bekommt. Wer unter 25 ist und einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt, ist umgehend in eine Ausbildungsstelle, eine Arbeit, ein Praktikum, eine Qualifizierung oder eine berufsvorbereitende Maßnahme zu vermitteln.“

Dieses wichtige Etappenziel wurde ebenso wie viele andere edle Ziele der rot-grünen Chaos-Bundesregierung verfehlt.

(Beifall bei der DVU)

Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an das Versprechen des Bundeskanzlers, die Arbeitslosenzahlen drastisch zu reduzieren.

Eine weitere notwendige Korrektur ist die West-Ost-Angleichung beim Arbeitslosengeld II. Mittlerweile hat sich fast jeder ostdeutsche Politiker für eine Angleichung ausgesprochen. Aber was ist bis jetzt passiert? Erst zum Jahreswechsel wird die Bundesregierung den Unterschied bei der Zahlung des Arbeitslosengeldes II in Ost- und Westdeutschland überprüfen.

Meine Damen und Herren, man diskutiert, man kritisiert, aber wird es die notwendigen Korrekturen wirklich geben? Ich glaube nicht. Vielleicht - vielleicht, wohlgemerkt - schafft man es ja, die Regelsätze in Gesamtdeutschland auf ein einheitliches Niveau zu bringen, jedoch ist das nicht das Wesentliche und wird die Hartz-IV-Gesetzgebung auch nicht sozialer machen. Alles in allem ist Hartz IV der schlimmste Absturz von Arbeitslosen in Deutschland in das Armenrecht seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949.

(Beifall bei der DVU)

Aus diesem Grund lehnen wir als Brandenburger DVU-Fraktion die unsoziale Hartz-IV-Gesetzgebung kategorisch ab.

(Beifall bei der DVU)

Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der CDU-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Schulz, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem hier so viele Bilder gezeichnet worden sind, einmal düstere in schwindelnder Höhe und einmal auf hoher See tobend, wäre es gut, wenn wir uns den Tatsachen zuwenden würden.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Hartz IV als letztes der durchzusetzenden Hartz-Gesetze sollte den Durchbruch bringen. Doch am letzten Freitag sprach BA-Chef Weise das erste Mal offiziell von 6,5 Millionen Arbeitslosen. Deren tatsächliche Zahl liegt vermutlich sogar noch höher. Er räumt ein, dass die BA das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen, sondern nur einen Beitrag zur Lösung leisten kann. Ich betrachte das ein Stück weit als Flucht nach vorn; denn Hartz insgesamt hat die an diese Maßnahmen geknüpften Erwartungen wohl nicht erfüllt. Von einem Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt - so ist mein Eindruck - scheinen wir weiter entfernt zu sein als je zuvor.

Bei sehr freundlicher Betrachtung kann man zumindest als Erfolg werten, dass wenigstens die Leistungsgewährung nach anfänglichen Pannen und großer Verunsicherung sichergestellt werden konnte. Mitte März hatten zum Beispiel erst 71 % der Arbeitsgemeinschaften eigene Räume bezogen. Die meisten Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaften - das muss auch einmal gesagt werden - sind sehr bemüht, ihre Aufgaben qualitätsgerecht zu erfüllen.

(Beifall bei der PDS)

Zum Teil gibt es noch Schwierigkeiten, weil das Personal aus BA-Agenturen und den Landkreisen Anpassungsschwierigkeiten hat, weil es in einzelnen Fällen - auch in den Optionskommunen - aus sehr fremden Fachgebieten entstammt.

In den zurückliegenden drei Monaten wurden viele Fragen an uns herangetragen. Sie betrafen den Krankenversicherungsschutz, die Ungleichbehandlung der gleichgeschlechtlichen und nicht gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, die Hinzuverdienstgrenzen, die Größe der Wohnung, die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung usw.

Die erste große Verunsicherung der von Hartz IV betroffenen Menschen hat sich gelegt, aber Fragen und von den Menschen als ungerecht empfundene Regelungen sind nach wie vor vorhanden. Auch werden Antragsteller noch immer zwischen Arbeitsamt und Optionskommunen hin- und hergeschickt. Die einen haben sicherlich bemerkt - das trifft insbesondere auf Sozialhilfeempfänger zu -, dass es sich für sie nicht so schlecht entwickelt hat, andere haben sich arrangiert, manche haben auch resigniert. Viele haben protestiert, wobei die Proteste sehr nachgelassen bzw. sich versachlicht haben -, wohl auch, weil die PDS-Initiative nicht mehr so zieht.

Insgesamt erhalten laut Aussage der BA rund sechs Millionen Menschen das ihnen zustehende Arbeitslosengeld II sowie Miete und Betriebskosten. In Brandenburg sind es 232 000. Dies ist ist allerdings ein Schätzwert; die Optionskommunen haben ihre Zahlen noch nicht gemeldet.

Im I. Quartal sind 239 000 Widersprüche eingegangen. In Brandenburg waren es 24 000, die vorrangig die Anrechnung

von Einkommen und Vermögen sowie Fragen zur Unterkunft zum Inhalt hatten. Dass damit laut Aussage der BA seltener Widerspruch eingelegt wurde als zu Zeiten der Arbeitslosenhilfe kann uns nicht allzu sehr beruhigen.

Die Zahl der erwerbsfähigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger liegt mit 4,3 Millionen deutlich über der angenommenen Zahl von 3,43 Millionen. Man hatte insgesamt mit 23 % weniger Anspruchsberechtigten gerechnet; letztendlich waren es aber noch nicht einmal 10 % weniger.

Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften liegt bundesweit bei 3,19 Millionen. Das sind 700 000 mehr als angenommen. In Brandenburg zählt man fast 30 000 Bedarfsgemeinschaften. Mit der höheren Zahl der Anspruchsberechtigten ist natürlich auch ein zusätzlicher finanzieller Aufwand verbunden. Allein bei der Unterhaltsleistung entstehen dem Bund Mehrausgaben in Höhe von 7 Milliarden Euro. Wir werden ganz genau darauf achten, dass der Bund seiner Pflicht nachkommt und die Kommunen nicht die Verlierer in diesem Finanzpoker werden.

Auch die Mittel für die Eingliederung werden angesichts der höheren Empfängerzahlen nicht ausreichen. Für 900 000 zusätzliche Hilfebezieher bräuchte die Bundesregierung nach den von Minister Clement angegebenen 2000 Euro pro Hilfebezieher zusätzlich 1,8 Milliarden Euro.

Sowohl in den Optionskommunen als auch in den Arbeitsgemeinschaften gibt es ungelöste Probleme. Das betrifft unter anderem die Dienstaufsicht in den Arbeitsgemeinschaften, weil unklar ist, inwieweit die kommunalen Träger an Erlasse der BA gebunden sind. Nach neuesten Aussagen der BA sind sie daran nämlich nicht gebunden. Es stellt sich auch die Frage nach der eigenen Personalhoheit. Zurzeit sind die Akteure vor Ort damit beschäftigt, die pünktliche Auszahlung des Geldes abzusichern, die Software zu pflegen, Widersprüche zu bearbeiten und arbeitsmarktpolitische Programme zu erarbeiten und umzusetzen.

Natürlich ist es wichtig, dass die Betroffenen ihr Geld erhalten; sie sind in vielen Fällen darauf angewiesen. Es gilt aber, nicht nur das Prinzip des Forderns umzusetzen, sondern jetzt muss endlich das Fördern in den Mittelpunkt gestellt werden.

Das bessere Fördern war eigentlich Kernpunkt dieser Reform.

Bislang erhalten Arbeitslose kaum Angebote. Auch bei den Jugendlichen wurde das gesetzte Ziel nicht erreicht; das ist bereits angesprochen worden. Mit über 60 % der Jugendlichen wurden laut Aussage der BA bisher Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen. Es geht aber darum, den Menschen Arbeit anzubieten und sie damit zu aktivieren. Wir wollen die Menschen aus der Arbeitslosigkeit holen, denn die meisten wollen ihren existenzsichernden Lohn selbst erarbeiten.

Immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte erarbeiten die Beiträge. Viele von ihnen mussten aufgrund der rückläufigen Entwicklung bei Löhnen und Gehältern in den zurückliegenden Monaten Einbußen hinnehmen. Die Rentendiskussion reiht sich ein - wir sprechen von Nullrunden -, ebenso die Diskussion um die Mindestlöhne, wobei ich meine, dass die Einführung eines Mindestlohns die Probleme nicht lösen wird.

Jedoch schaffen all diese Diskussionen und Aktivitäten keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Das ist nach wie vor Aufgabe der Wirtschaft und der Politik, die die Rahmenbedingungen setzt. Deshalb bleibt die enge Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschafts- und dem Arbeitsministerium auch eine unserer wichtigsten Forderungen. Allerdings hat die rot-grüne Steuer- und Wirtschaftspolitik massiv dazu beigetragen, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Diesen Prozess kann kein arbeitsmarktpolitisches Programm umkehren.

Wir brauchen die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Bereich des ersten Arbeitsmarktes und nirgendwo sonst. Wir müssen verhindern, dass Zusatzjobs, die so genannten 1-Euro-Jobs, reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängen. Um das zu unterbinden, ist die Beteiligung von Kammern und Arbeitgeberverbänden in den gebildeten Beiräten sehr wichtig. Deshalb ist auch darüber nachzudenken, welche Kontrollmechanismen eingebaut werden können, um ein schnelles und unbürokratisches Handeln zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Hartz IV steckt immer noch in den Kinderschuhen. Das hat die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit unserer Fraktion dieser Tage bestätigt. Die organisatorischen und technischen Vorbereitungen für Hartz IV sind weitestgehend abgeschlossen, jetzt müssen praktische Hilfen, die Eingliederung sowie die Vermittlung angepackt werden.

Das Land ist gefordert, die ARGEn und die optierenden Kreise zu unterstützen, auch wenn das Land bekanntermaßen nur in der Verantwortung für die Rechtsaufsicht steht. Das Programm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ muss den arbeitsmarktpolitischen Gegebenheiten angepasst werden und die daran Beteiligten müssen in enger Verzahnung mit den Akteuren vor Ort zusammenarbeiten.

Mein Fazit: Trotz offener Fragen und offensichtlicher Fehler in der Anlaufphase war die Entscheidung zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe richtig. Zwei steuerfinanzierte Systeme nebeneinander haben noch nie Sinn ergeben. Die bestehenden Schwierigkeiten müssen schnellstmöglich ausgeräumt werden; in diesem Zusammenhang wird man sicherlich auch über Kombilöhne nachdenken müssen.

Es bleibt natürlich eine ganze Reihe von Forderungen.

Erstens: Fördern und Fordern sind zwei Seiten einer Medaille.

Zweitens: Auf die Gleichbehandlung von Ost und West muss weiter hingearbeitet werden. Es ist nicht vermittelbar, dass es 15 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch unterschiedliche Regelsätze gibt.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS und des Abgeordneten Karney [CDU])

Es darf - insbesondere in Kleinunternehmen - keine Verdrängung der regulären Stellen geben. Damit bin ich wieder bei den 1-Euro-Jobs.

Über die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen muss man sicherlich sprechen. Die Forderungen sind klar. Es ist nicht vermittelbar, dass jemand, der auf 400-Euro-Basis arbeitet, 60 Euro behalten darf und ein 1-Euro-Jobber 130 Euro im Monat hat.

Frau Abgeordnete, Sie überziehen kräftig.

Lassen Sie mich bitte noch einen Moment sprechen. - Die zielgerichtete Qualifizierung muss Bestandteil der Arbeitsmarktpolitik bleiben.