Protocol of the Session on March 2, 2005

So sichern Sie den Zusammenhalt in Brandenburg wahrlich nicht. So richtig neu ist Ihr Leitbild, Herr Ministerpräsident, allerdings nicht. Hatte doch schon Ende Januar der Berliner Fi

nanzsenator, Thilo Sarrazin, verkündet, ein vereintes BerlinBrandenburg bestehe aus einer Stadt mit angeschlossener landwirtschaftlicher Fläche. Welch Schelte hat Sarrazin nicht auch von der Brandenburger SPD einstecken müssen! Jetzt wissen wir: Das alles war nur geheuchelt. Denn nun erklärt uns auch der Brandenburger Ministerpräsident klipp und klar: Brandenburg ist Speckgürtel mit abgehängten Randregionen.

(Schippel [SPD]: Sie lügen! - Gegenruf des Abgeordne- ten Sarrach [PDS])

Ich mache Sie darauf aufmerksam: Das, was Sie mit Ihrem neuen Leitbild verkünden, steht im Widerspruch zur Verfassung des Landes Brandenburg. Sie schreibt als Ziel vor, gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Regionen dieses Landes zu schaffen. Wenn Sie dieses neue Leitbild tatsächlich umsetzen wollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Suchen Sie die Mehrheit dafür!

Ehrliche Worte kamen heute vom Finanzminister: „Aufgabenkritik sollte durch Aufgabenreduzierung ersetzt werden.“ Herr Finanzminister, das waren wahrlich ehrliche Worte. Ich finde, das sollte auch den Leuten in den Randregionen gesagt werden. In der Konsequenz heißt das: Aufgabe sozialer Infrastruktur, Reduzierung sozialer Aufgaben usw. Das heißt - wie Herr Baaske richtig gesagt hat -: Die Wege werden länger. Das sollte man den Leuten ehrlich sagen. Die Randregionen sollten sich darauf einstellen.

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

- Herr Schippel, ich glaube, Sie kommen auch aus einer Randregion. Das sollten Sie dort einmal erklären.

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, reale Probleme zu ignorieren. Eine ehrliche Bestandsaufnahme ist längst überfällig; sie darf sich aber nicht nur auf Demographie beschränken. Was man von einer Regierung allerdings erwarten können muss, ist, dass sie sich tiefgründig mit den Ursachen dieser Entwicklung befasst, dass sie eine umfassende Analyse vorlegt, um dann gemeinsam mit Sachverständigen von außerhalb in einem breiten öffentlichen Diskurs politische Schlussfolgerungen abzuleiten. Genau das leistet das vorliegende Papier des Ministerpräsidenten nicht. Es ist oberflächlich, es ist politisch unverantwortlich und nimmt selbstherrlich ein Ergebnis vorweg: „Brandenburgs Zukunft liegt in der Metropolenregion“. Das, lieber Matthias Platzeck, ist schon einmal schief gegangen, als eine Partei immer Recht haben wollte.

Eines erschreckt mich besonders: In Ihrem Leitbild wiederholen Sie ellenlang Schlagworte wie „Ehrlichkeit“, „Erneuerung“ und „Verantwortung“. Ein ursozialdemokratisches Wort kommt darin allerdings überhaupt nicht vor, nämlich das Wort Solidarität. Die besser entwickelten Regionen eines Landes helfen den weniger starken - dieses solidarische Prinzip geben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, auf. Es ist nicht damit getan, alles in den Speckgürtel zu stecken und zu hoffen, dass sich alles andere von allein findet.

Was wäre aus der Sicht der PDS zu tun? Die Debatte über die zukünftige Entwicklung des gesamten Landes Brandenburg muss geführt werden. Nicht das Konzept der dezentralen Konzentration ist gescheitert, sondern die in seinem Namen ge

brachten politischen Fehlleistungen und die Inkonsequenz bei seiner Umsetzung.

(Beifall bei der PDS)

Von daher bedarf es zuallererst einer ehrlichen, schonungslosen Bestandsaufnahme. Es war falsch, sozusagen im vorauseilenden Gehorsam das Land in unterschiedliche Zielgebiete für die EU-Förderung einzuteilen. Wichtige Gelder gehen damit verloren. Sie haben bisher nichts unternommen, um diesen fatalen Fehler zu korrigieren.

(Beifall bei der PDS)

Es ist an der Zeit, nicht weiter von Großvorhaben zu träumen. Wir brauchen eine realistische Bewertung der Wachstumspotenziale des Landes. Wir brauchen dazu passende und vor allem flexible Förderinstrumente.

Die PDS-Fraktion schlägt Ihnen vor, eine Enquetekommission zur nachhaltigen Entwicklung der Region Brandenburg einzurichten. In diesem Gremium sollten neben Abgeordneten auch Sachverständige aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie Vertreter der Kommunen mitarbeiten. Wir als Parlament sollten dieser Kommission einen klaren Handlungsauftrag geben, der sowohl eine umfassende Analyse und mögliche Entwicklungsszenarien als auch daraus abgeleitete Schlussfolgerungen für politisches Handeln beinhaltet. Wir jedenfalls, Herr Schippel, möchten an solchen Entscheidungen beteiligt werden und sie nicht ausschließlich der Regierung überlassen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Bitte an Sie: Versperren Sie sich einer solchen Idee nicht, nur weil sie von der PDS kommt. Wir sind gern bereit, einen solchen Antrag mit Ihnen gemeinsam zu erarbeiten. Zu den Ergebnissen sollte aber auch gehören, dass die engagierte Arbeit der Brandenburgerinnen und Brandenburger nicht mit einem Handstreich vom Tisch gewischt wird. Es geht um Leistungen und Ideen, mit denen überall im Land an der Zukunft Brandenburgs gearbeitet wird. Ob es der Ökobauer in der Uckermark ist, ob es die Wissenschaftler an der BTU Cottbus oder an der Fachhochschule in Eberswalde, ob es die Optikunternehmen in Rathenow oder die Touristenführer im Stechliner Seengebiet sind - überall gibt es engagierte, ideenreiche Menschen, die im Gegensatz zur Landesregierung vor den Problemen des Landes nicht kapitulieren. Dazu besteht kein Grund, auch nicht angesichts des nunmehr so vordergründig beschworenen Themas Demago...

(Gelächter bei SPD und CDU - Schippel [SPD]: Ja, mit Demagogie kennt ihr euch besser aus!)

- Demographie. In der Studie des Instituts für Weltbevölkerung und globale Entwicklung, auf die Sie sich beziehen, heißt es: „Brandenburg hat sich bis 2020 auf 60 % mehr Rentner einzustellen.“ Weil es zugleich wesentlich weniger junge Menschen geben wird, müssten sich, so fordern die Wissenschaftler, Schulen, Universitäten, Geschäfte und Gastronomie auf eine deutlich veränderte Klientel einstellen. Von Schließen, Aufgeben und Dichtmachen sozialer Infrastruktur ist hier keineswegs die Rede. Genau das, Herr Ministerpräsident, ist aber Ihre politische Schlussfolgerung, und die halte ich für falsch.

Ich halte es eher mit einem der diesjährigen Oscar-Preisträger, nämlich Clint Eastwood, der nach seiner Auszeichnung sagte:

„Ich würde den Geldgebern ans Herz legen, die alten Leute nicht zu vergessen. Denn die Senioren - Männer und Frauen - sind bereit, ihre beste Arbeit abzuliefern.“

Ich setze hinzu: Ältere Menschen haben ihre Bedürfnisse, ihre Ansprüche an das Leben. Sie wollen Sport treiben, sie wollen Kultur genießen, sie wollen reisen. Sie brauchen Betreuung und Pflege. Hier geht es zum Beispiel auch um so etwas, was gestern mit dem Seniorenkaufhaus in der Lausitz eröffnet worden ist. Auch das gehört letztlich dazu.

(Schulze [SPD]: Das hatte eine klare Priorität!)

- Wenn es so ist, Herr Schulze, dass der Anteil Älterer auch in Brandenburg zunimmt: Warum wird das dann nicht auch als Chance für Brandenburg begriffen, als Chance für neue Wirtschaftszweige, für neue Beschäftigungsfelder, für neue Arbeits- und Ausbildungsplätze?

(Beifall bei der PDS)

Sie fahren sozusagen mit der Keule durchs Land, aber zu fragen, was daraus auch für Brandenburg entstehen kann, das genau tun Sie nicht. Da machen Sie die Augen zu.

Der Umgang der Landesregierung mit dem demographischen Faktor ist auch angesichts einer weiteren Tatsache mehr als fragwürdig. Brandenburg gehört im Unterschied zu den anderen ostdeutschen Ländern vorerst noch zu den demographischen Gewinnern. Das spiegelt sich im Übrigen in der hier zu debattierenden Finanzplanung des Landes wider. Dramatisch sinkende Einwohnerzahlen müssten sich ja wohl einerseits in sinkenden Steuereinnahmen, andererseits in zurückgehenden Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich niederschlagen, weil - so will es die föderale Mathematik - ein finanzschwaches Land wie Brandenburg für jeden Einwohner zwischen 2 000 und 2 300 Euro aus dem Länderfinanzausgleich verbuchen kann. In der von CDU und SPD vorgelegten Finanzplanung 2004 bis 2008 aber steigen die Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben von 4,3 Milliarden Euro in diesem Jahr auf knapp 4,7 Milliarden Euro im Jahr 2008. Die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen liegen bis 2008 stabil bei rund 2,6 Milliarden Euro.

Ich halte fest: Wenigstens die mittelfristige Finanzplanung dieser Landesregierung kennt bis 2008 keine „demographische Katastrophe“. Entweder sind deren Prognosen falsch oder die Landesregierung versucht, uns hier einen Bären aufzubinden.

Auch wenn wir es in Brandenburg mit annähernd stabilen Einnahmen zu tun haben, sind die verfügbaren Gelder - das wissen auch wir - knapp. Nun reden wir doch einmal, Herr Speer, über die Verbesserung der Steuereinnahmen des Landes. Brandenburg hätte mehr Finanzmittel zu vergeben, wenn sich die rotgrüne Bundesregierung entschließen könnte, die Vermögensteuer wieder einzuführen.

(Oh, oh! bei der CDU)

Die Anträge dafür sind von SPD-geführten Ländern mehrfach gestellt worden. 2002 war das auch in Brandenburg einer der

Bundestagswahlkampfschlager. Ich fürchte, das wird auch 2006 wieder so sein.

Brandenburg könnte über mehr Geld verfügen, wenn die Bundesregierung den Vorschlag bezüglich der Erbschaftsteuer aufgreifen würde, wie er von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Sachsen-Anhalt schon im März 2001 in den Bundesrat eingebracht wurde. Dennoch wird die Reform der Erbschaftsteuer von der Bundesregierung weiter auf die lange Bank geschoben.

Brandenburg könnte mehr für seine Bürger, seine Regionen und Kommunen tun, wenn Bund und Länder endlich den Vorschlag zu einem mehrjährigen 40-Milliarden-Euro-Zukunftsinvestitionsprogramm aufgreifen würden, wie es die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di seit Jahren fordert. Das könnte bis zu einer halben Million Arbeitsplätze bringen.

Brandenburg hätte auch Hunderte Millionen Euro weniger Schulden, wenn die Bundesregierung nicht 2002 den Unternehmen eine Steuergeschenkereform gemacht hätte.

(Beifall bei der PDS)

Die damit verbundenen Einnahmenausfälle musste auch unser Land mit steigenden Schulden kompensieren - Schulden, die auch nachfolgende Generationen noch belasten werden.

Auffallend ist, dass von der Landesregierung Brandenburg immer weniger zu hören war, wenn es darum ging, mit Nachdruck auf diese ungerechten Entscheidungen der Bundesregierung zulasten der Länder aufmerksam zu machen. Da stand dann Parteiräson vor Landesinteressen. Partei für Brandenburg sollten Sie aber nicht nur auf Wahlplakaten ergreifen.

Das Land hätte zu guter Letzt auch mehr Mittel in den Kassen, wenn Sie in den letzten Jahren nicht Milliarden in Großprojekte gesteckt hätten, deren Namen schon bundesweit für Verschwendung und Großmannssucht stehen.

(Schulze [SPD]: Milliarden? - Schippel [SPD]: Milliar- den? Ihr könnt nicht rechnen!)

Das, Herr Speer, waren Ihre risikohaften Entscheidungen. Da sage ich Ihnen ganz klar: Die waren mit der PDS nun wirklich nicht zu machen!

(Beifall bei der PDS)

Ob „Leuchtturm“ oder „Cluster“ oder die von der CDU jetzt wieder entdeckte „Mittelstandsförderung“: Am Ende kommt es nicht auf die Größe eines Projekts an, sondern darauf, dass es sich wirtschaftlich trägt, die Mittel effizient eingesetzt werden, es sich an der Beschäftigungswirkung orientiert und die jeweilige Region nachhaltig davon profitiert.

Die PDS schlägt deshalb schon lange eine Reform der Wirtschaftsförderung vor. Die Regionen dürfen nicht mehr über den einen Kamm der Zentrale geschert werden, vielmehr ist an den jeweils unterschiedlichen Entwicklungspotenzialen anzusetzen. Was für Wachstumsregionen wie Teltow-Fläming oder Havelland richtig und notwendig ist, hilft schwächer entwickelten Landesteilen eben nicht unbedingt weiter. Es geht darum, bei der Vergabe von Fördermitteln der EU, des Bundes und des

Landes das egoistische Ressortdenken der Ministerien zu verlassen.

(Schippel [SPD]: So ist es!)

Es ist nicht danach zu fragen, welche Förderprogramme sich kreativ auf welche regionalen Entwicklungsmöglichkeiten anwenden lassen. Wir wollen den umgekehrten, nämlich den wirklich dezentralen Weg gehen. Zuerst ist also zu fragen, welche Chancen sich in jeder Region bieten, und dies ist dann mittels so genannter Regionalfonds, mittels regionaler Investitionspauschalen zu finanzieren, die sich aus den erwähnten Fördertöpfen speisen würden.

Die Notwendigkeit, eine Wirtschaftsförderung neuer Art zu kreieren, scheint angesichts des neuen Leitbildes der Landesregierung umso dringlicher zu sein. Wenn Sie schon nicht wissen, was Sie mit den berlinfernen Regionen anfangen sollen, die Menschen dort - dessen bin ich mir ganz sicher - wissen das umso besser!

(Beifall bei der PDS)

Es ist höchste Zeit, sich von einer verfehlten Steuer-, Konjunktur-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik zu verabschieden. Es ist aber auch höchste Zeit, den eigenen Handlungsspielraum realistisch zu bewerten und erkennbar Prioritäten zu setzen. Das könnte langfristig wirklich zu einer Erneuerung aus eigener Kraft führen.