Protocol of the Session on March 31, 2004

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich. Mit der Einladung ist Ihnen auch der Entwurf der Tagesordnung zugegangen. Gibt es diesbezüglich von Ihrer Seite Bemerkungen? Das scheint nicht der Fall zu sein.

Dann möchte ich meinerseits bemerken: Sowohl von den Parlamentarischen Geschäftsführern als auch vom Hauptausschuss wird vorgeschlagen, einen zusätzlichen Punkt 12 - 2. Lesung des Gesetzes zum Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg auf dem Gebiet der Landwirtschaft, Drucksache 3/7193 - in die Tagesordnung aufzunehmen. Da zu diesem Punkt keine Debatte geführt werden soll, würde die Tagesordnung in zeitlicher Hinsicht nicht erweitert.

Wenn es darüber hinaus keine Anmerkungen gibt, bitte ich um Ihr zustimmendes Handzeichen, dass wir den Entwurf der Tagesordnung entsprechend erweitern. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann verfahren wir so.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Fragestunde

Drucksache 3/7226

Das Wort geht an Frau Dr. Schröder, die mit dem Abgeordneten Werner-Siegwart Schippel die Frage 2021 (Baumschauen im Spreewald) gegen die Frage 2031 (Plädoyer für aktive Abeits- marktpolitik) getauscht hat. Bitte, Frau Dr. Schröder.

Es geht um den Stellenwert aktiver Arbeitsmarktpolitik. Dort, wo Wirtschaftspolitik ihre beschäftigungspolitischen Ziele verfehlt, kann auch die beste Arbeitsmarktpolitik am ersten Arbeitsmarkt keine Beschäftigung schaffen. Brandenburg verzeichnete 2003 - trotz aktiver Arbeitsmarktpolitik - mit 253 000 registrierten Arbeitslosen die höchste Arbeitslosigkeit seit 1990. Ohne die Entlastungswirkungen des zweiten Arbeitsmarktes wäre diese Zahl noch wesentlich höher. Vor diesem Hintergrund und dem dramatischen Anstieg von Langzeitarbeitslosigkeit kann es kein Anliegen von Landespolitik sein, öffentlich geförderte Beschäftigung abzubauen. Trotzdem häufen sich in jüngster Zeit Hinweise von Trägern aktiver Arbeitsmarktpolitik, darunter namhafte Beschäftigungsgesellschaften wie die WEQUA Lauchhammer, nach denen ein Abbau öffentlicher Beschäftigung sowie der hierfür entwickelten Strukturen in Regionen des Landes mit besonders hoher Arbeitslosigkeit zu befürchten ist.

Ich frage daher die Landesregierung: Mit welchen Maßnahmen und Argumenten tritt sie den geschilderten Befürchtungen entgegen?

Herr Minister Baaske, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen!

(Allgemein: Guten Morgen!)

Frau Dr. Schröder, ich teile die Befürchtungen nicht in dieser Schärfe. Wir haben mit den Arbeitsämtern eine Zielvereinbarung geschlossen, bei der es um 14 165 Personen geht, die wir auch in diesem Jahr in verschiedene beschäftigungspolitische Maßnahmen bringen wollen. Wir reden dabei über SAM, SAM alt - Strukturanpassungsmaßnahmen aus dem vergangenen Jahr, die noch fortgeführt werden - und über ABM. Soweit ich es überblicken kann, kommen die Maßnahmen für Langzeitarbeitslose und das „Jump Plus“-Programm für Jugendliche hinzu. Insofern meine ich, dass die Fallzahlen etwa die Dimension des vergangenen Jahres erreichen werden.

Schauen wir uns die Kofinanzierungsmittel an, die die Landesregierung zur Verfügung stellt: Im vergangenen Jahr waren 13,5 Millionen Euro vorgesehen. In diesem Jahr wird es mit 12,8 Millionen Euro etwas weniger sein, aber wir bewegen uns damit im Haushalt durchaus in einem angemessenen Rahmen. Die verstärkte Förderung wird von 6,5 Millionen Euro auf 4,5 Millionen Euro gesenkt. Dabei müssen wir sehen, dass hier die Arbeitsämter aufgerufen sind, mit einzusteigen, und das auch wollen. Sie werden sich insbesondere auf die Modelle konzentrieren, die von Nachhaltigkeit geprägt sind. Sie haben schon signalisiert, dass sie die verstärkte Förderung für das im Wohnungsbauwesen verankerte Programm ZiS - Zukunft im Stadtteil - einsetzen wollen. Aber auch die Programme, die im landwirtschaftlichen und Umweltschutzbereich laufen, sollen damit kofinanziert werden.

Ein großes Problem - daraus wird die Angst der Träger resultieren - sind die Mittel für die fachliche Anleitung. Sie werden von 4,15 Millionen Euro auf 1,9 Millionen Euro gesenkt. Das ist der klassische Spagat, den wir machen bzw. bei dem wir uns fragen müssen: Geben wir das Geld, das wir haben, stärker für die Förderung der Maßnahmen aus? Das müssen wir in diesem Jahr tun, weil die Bundesagentur die Förderung reduziert hat. Die Förderung bewegt sich im Rahmen von 900 bis 1 300 Euro. Die Arbeitgeberanteile werden nicht mehr gezahlt, sodass wir mit dem Geld, das wir haben, die Arbeitgeberanteile mit finanzieren wollen.

Auf der anderen Seite könnte man sagen: Wir unterstützen die Träger stärker. Dann jedoch würden weniger Menschen an Maßnahmen teilnehmen können. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten bewegen wir uns. Das müssen wir abwägen.

Weil wir im nächsten Jahr auch die Träger brauchen, diese also bei den „JobCentern“ aktiv eingebunden und, wenn die Arbeitsgemeinschaften laufen, neben Kommunen und Arbeitsämtern ganz intensiv bei der Beschäftigung der Langzeitarbeitslosen mit einbezogen werden müssen, lautet mein Vorschlag, dass wir zum Beispiel zu der von Ihnen erwähnten WEQUA fahren, uns das im Detail anschauen und mit Prof. Seidel darüber reden, wie es im Falle eines eventuellen Fadenrisses, den ich, weil wir in diesem Jahr auch noch das Programm ASS Arbeit statt Sozialhilfe - haben, momentan nicht erkennen kann, weitergehen könnte. Das Programm sollte es mit dem Tä

tigwerden der „JobCenter“ zum 01.01. dieses Jahres eigentlich nicht mehr geben, es wird aber noch bis zum 31.12. fortgeführt, sodass es dort noch ein Beschäftigungsfeld für die Träger gibt.

Ansonsten ist völlig klar, dass wir in der Situation, in der wir jetzt sind - 266 000 Arbeitslose, 150 000 Menschen, die Arbeitslosenhilfe beziehen, 108 000 Langzeitarbeitslose -, noch ganz spezielle Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt brauchen. Dem dient das, was die Arbeitsämter machen und was wir kofinanzieren wollen.

Danke sehr. - Es gibt noch Nachfragen. Herr Thiel, bitte.

Herr Minister, können Sie - erstens - bitte noch einmal ganz eindeutig formulieren, welchen Stellenwert die Landesregierung angesichts der Tatsachen, die Sie gerade hier geschildert haben, der öffentlich geförderten Beschäftigung beimisst?

Zweitens: Ist der Landesregierung wirklich klar, dass mit der neuen Arbeitsmarktpolitik der BA in diesem Land soziale Strukturen in Größenordnungen kaputtgehen?

Natürlich ist uns bewusst, dass gerade denjenigen, die anstatt Arbeitslosenhilfe nur noch Sozialhilfe bekommen, mit Integrationsleistungen des SGB III geholfen werden muss. Genau deswegen fahren wir die Kofinanzierung nicht stärker zurück, wie es in anderen Bereichen der Fall ist. Daran, denke ich, können Sie sehen, dass das einen sehr hohen Stellenwert für die Landesregierung hat.

Danke sehr. - Begrüßen Sie bitte jetzt mit mir Gäste aus der Niederlausitz, Schüler der Realschule aus Spremberg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Wir sind bei der Frage 2022 (Berliner Modell zur Studienfi- nanzierung), die vom Abgeordneten Dr. Niekisch gestellt wird. Bitte sehr.

Der Berliner Senat respektive der PDS-Wissenschaftssenator haben beschlossen, ab Sommersemester 2005 Studiengebühren für Langzeitstudierende einzuführen. Gleichzeitig hat der Senat der Einführung des so genannten Studienkontenmodells zugestimmt.

Ich frage deswegen die Landesregierung: Wäre das auch für Brandenburg ein denkbarer Ansatz zur Studienfinanzierung?

Frau Ministerin Wanka, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Studienkonten kann man sich verkürzt so vorstellen, dass jeder Student ein Konto hat: für Lehrveranstaltungen, für Semester, für Dinge, die ihm zunächst konstenlos zustehen. Wenn dieses Konto aufgebraucht ist, muss gezahlt werden.

Diese Studienkonten bedeuten einen sehr hohen, überbürokratisierten Mehraufwand für die Hochschulen, insbesondere mehr Verwaltungspersonal zur Erfassung von Bonusguthaben, Restguthaben etc. In den Fachbereichen und in der zentralen Verwaltung muss das alles geregelt werden. Das ist in meinen Augen der übliche Versuch, staatlich, das heißt mit einem hohen Aufwand, zu steuern. Das ist für Brandenburg kein Weg, um die Studienfinanzierung zu verändern.

Zu den Gebühren für Langzeitstudierende, die ab Sommer in Berlin eingeführt werden, muss festgestellt werden: Wir haben großes Interesse daran, dass die Studenten kurz und schnell studieren, sodass möglichst wenige - die Hochschulen belastenden - Langzeitstudenten an den Hochschulen sind. Wir haben im Kabinett darüber diskutiert. Man muss sich das Modell auch unter dem Aspekt anschauen, dass es sich um eine zusätzliche Einnahmequelle handelt. Das ist angesichts der Finanzsituation völlig klar.

Wir in Brandenburg haben uns am Ende dieser Diskussion für einen völlig anderen Weg entschieden. Sie wissen, dass wir ab 1. Januar dieses Jahres die Hochschulen anders finanzieren. Ein Punkt ist entscheidend: Die Höhe der Zahlungen orientiert sich an der Anzahl von Studenten in der Regelstudienzeit sowie daran, inwieweit es den Hochschulen gelingt, Studenten zu Absolventen zu machen, das heißt ihnen zum Diplom zu verhelfen. Unser System ist ein positives System, ein Anreizsystem, mit dem Druck auf die Hochschulen ausgeübt wird. Sie bekommen mehr Geld, wenn sie sich besser um die Studenten kümmern und die Qualität der Lehre steigern. Es geht also um Anreize, nicht um Strafe.

Nach dem Berliner Modell bekommen diejenigen Hochschulen mehr Geld, die sehr viele Langzeitstudenten haben. Von der Logik her sagt mir das nicht zu; denn bei diesem Modell müssten die Hochschulen Interesse daran haben, möglichst viele Studenten möglichst lange zumindest in den Listen zu führen.

(Zuruf von der PDS: Das Letzte stimmt nicht!)

Wir wissen, dass im Hochschulbereich des Landes Berlin zurzeit massiv gespart wird: 54 Millionen Euro jetzt und 75 Millionen Euro in den nächsten Jahren. Dadurch verändert sich die Betreuungsrelation an den Hochschulen gravierend. Die Studentendemonstrationen in Berlin haben einen kleinen Eindruck davon vermittelt. In einer Situation, in der wir überall in Deutschland einen Andrang von Studenten verzeichnen, sich die Bedingungen an den Hochschulen verschlechtern und die Studenten, insbesondere jene in den neuen Bundesländern, sehr viel jobben müssen, um ihr Studium zu finanzieren, wird die Schuld dafür den einzelnen Studenten zugeschoben. Sie müssen zahlen, wenn sie zu lange brauchen. Ich meine, das ist nicht der richtige Weg.

Herr Dr. Trunschke, ich brauche nur an die Debatten hier im

Parlament zu denken. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wurde über Verwaltungsgebühren und Rückmeldegebühren gesprochen. Letztere werden in Brandenburg erhoben. Für jeden Verwaltungsakt muss man etwas bezahlen, so auch für diesen. Die Studenten in Brandenburg müssen bei der Rückmeldung ca. 50 Euro bezahlen. Das ist in Berlin übrigens genauso.

Es ist immer behauptet worden, das sei ein Einstieg in Studiengebühren, sei unsozial etc. Jetzt sollen 1 000 Euro im Jahr erhoben werden - und das wird überhaupt nicht kommentiert. Das vertritt die PDS in Berlin.

(Vietze [PDS]: Das ist eine Lüge! - Weiterer Zuruf von der PDS: Sie dürfen nicht nur Zeitung lesen!)

- Nicht nur Zeitung lesen, sondern auch anderes.

(Zuruf von der PDS: Wer hat darüber entschieden?)

- Der Senat hat entschieden.

(Dr. Trunschke [PDS]: Der Senat ist nicht die PDS!)

Es gibt einen Senatsbeschluss. Ihr PDS-Senator vertritt ihn nach außen und, wie ich hoffe, auch nach innen.

(Dr. Trunschke [PDS]: Es gibt allerdings noch einen Par- teitag, der darüber entscheidet!)

- Herr Dr. Trunschke, Sie können Parteitage ohne Ende machen. Das ist nicht mein Problem. Der Senat hat entschieden.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, das ist bemerkenswert.

Für mich ergibt sich ein zentrales Problem; da bin ich wirklich sprachlos. In Deutschland gibt es eine Gerechtigkeitslücke. Über PISA wurde viel diskutiert. Für mich lautet der gravierendste Befund aus PISA, dass sich in Deutschland - im Gegensatz zu den übrigen Ländern Europas - die soziale Herkunft entscheidend auf den Erfolg in der Schule auswirkt. Dieses Problem zieht sich bis zum Studium durch. Deutschland ist das Land, in dem der Anteil der Studenten aus sozial schwachen Schichten gering ist und sich über viele Jahre - trotz BAföG-Reformen, trotz Zulage von Geldern - nicht verändert hat, sondern sehr niedrig geblieben ist, viel niedriger als in Ländern wie England und Frankreich, in denen Studiengebühren gezahlt werden müssen. Wenn man Gebühren einführen will, in welcher Form auch immer, dann ist es entscheidend, dass die Gerechtigkeitslücke an dieser Stelle geschlossen wird. Dafür gibt es Modelle.

(Beifall der Abgeordneten Hartfelder [CDU])