Protocol of the Session on March 3, 2004

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres

Drucksache 3/7090

Da vereinbart wurde, auf eine Debatte zu verzichten, kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung folgt, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Beschlussempfehlung mehrheitlich gefolgt worden und das Gesetz in 2. Lesung angenommen und verabschiedet.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

1. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg - Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG)

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS

Drucksache 3/7049

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. Herr Abgeordneter Görke, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wirft man einen Blick auf die derzeitige Bildungslandschaft unseres Landes, so wird man von den zahlreichen Problemen fast erdrückt, die dazu geführt haben, dass Bildung in Brandenburg im Bundesvergleich auf einem Abstiegsplatz gelandet ist. Wenn man dazu erwähnt, dass wir mit unserer bildungspolitischen gesamtdeutschen Bilanz gerade aus der Europaliga abgestiegen sind, dann wissen wir - um mit den Worten von Herrn Niekisch über die Jahreszeiten zu sprechen -, dass wir bei der Bildung im tiefsten Winter angekommen sind.

(Beifall bei der PDS)

Selten wurden so viele Protestbriefe geschrieben wie zurzeit. Frust, Unsicherheit und zum Teil Resignation - wohin man schaut.

Meistens geht es um drei Probleme: erstens um die Qualität des Unterrichts, zweitens um den Erhalt der Schulstandorte und drittens darum, wie die Kinder zur Schule gelangen, also um die Schülerbeförderung - ein Problem, das wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen haben.

Vor knapp einem Jahr hat die Mehrzahl von Ihnen, werte Abgeordnete, dem ersten kommunalen Entlastungsgesetz zugestimmt. Die katastrophalen Auswirkungen Ihrer damaligen Entscheidung offenbaren sich im gesamten Land. Jetzt zeigt sich das kurzsichtige Agieren der Landesregierung. Vor allen Dingen ist bemerkenswert, dass zahlreiche Abgeordnete von SPD und CDU in den Landkreisen einfach erwachen und jetzt unsere Kritik aufgreifen. Aber jetzt ist es zu spät oder Sie können heute noch eine Änderung erwirken, indem Sie unserem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der PDS)

Im Land Brandenburg herrscht wirklich ein regelrechtes Durcheinander bei der Schülerbeförderung. Jeder Kreis hat eine eigene, zum Teil hart umkämpfte Regelung. Aber es gibt auch Landkreise, die sich bisher nicht auf eine Satzung einigen konnten. Als Beispiele möchte ich Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming, Barnim und Märkisch-Oderland nennen. Ankündigungen aus dem Innenministerium, die Haushalte der angesprochenen Landkreise unter diesen Voraussetzungen nicht genehmigen zu wollen, tragen zur weiteren Zuspitzung der ohnehin angespannten Situation bei.

Die Hauptprobleme, die wir in der gegenwärtigen Situation sehen, sind folgende: Die Elternbeiträge sind von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich, abhängig von der Kassenlage der Landkreise. So werden Elternbeiträge mit einem prozentualen Anteil von 20, 49, aber auch von 100 %, wie in Oberhavel für die Sekundarstufe II, erhoben. Das Wort Geschwisterermäßigung gibt es in manchen Entwürfen bzw. Satzungen überhaupt nicht oder sie wird erst ab dem vierten Kind eingeführt.

Ich frage Sie: Was ist mit den gering Verdienenden oder Arbeitslosen mit Kindern? Diese sehen sich zum Teil außerstande, diese Kosten zu tragen. Hinzu kommt, dass die Elternbeiträge zum Teil auch im Voraus zu bezahlen sind.

Wie ist es mit den Sozialhilfeempfängern? Wenn es beispielsweise nach dem Landrat im Barnim geht, sollen nicht einmal sie von der Zahlung der Gebühren für den Schulbus ausgenommen werden.

(Frau Siebke [SPD]: Die machen doch gar keine!)

- Das ist ja das Gute. Aber über den Entwurf haben sie schon diskutiert. Was meinen Sie, weshalb das so viel Aufregung verursacht hat?

(Beifall bei der PDS)

Ebenso dramatisch ist die Situation für Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Sie können zum Teil aus rein finanziellen Gründen den günstigsten Lernort für ihre Kinder nicht annehmen, der ihnen durch den Förderausschuss oder durch das staatliche Schulamt zugewiesen wurde. Ihren Fraktionen, zumindest den bildungspolitischen Sprechern, sind die Petitionen des Verbandes für Sonderpädagogik zu dieser Problematik bekannt.

Aber es gibt auch noch andere Verwerfungen im Land zu dieser Frage. Ich möchte das an konkreten Zahlen deutlich machen. Von den 649 Grundschulen in Brandenburg sind bis jetzt 162 aufgelöst worden, 40 sollen noch hinzukommen. Das sind insgesamt 200, davon zwei Drittel allein im ländlichen Bereich.

Nicht anders stellt sich das bei den weiterführenden Schulen dar. So wird nach dem aktuellen Bericht der Bildungskommission der Länder Berlin und Brandenburg in den ländlichen Regionen ein dramatischer Schülerrückgang erwartet. Hier die Zahlen, Stand 2001: 92 800 Schüler. Die Prognose für 2010: 33 700 Schüler. Diese Zahlen belegen, dass die zunehmende Chancenungleichheit aufgrund der Lebensverhältnisse geradezu vorprogrammiert ist.

Zusätzlich belastet und benachteiligt werden vor allem Eltern und Schüler im ländlichen Raum; denn durch zahlreiche Schul

schließungen werden die Schulwege länger und damit zum Teil für die Eltern teurer.

Auch der öffentliche Personennahverkehr steht vor neuen Schwierigkeiten und Problemen und ist aus meiner Sicht in seiner Substanz sogar gefährdet. Viele Eltern können sich den Schulbus für ihre Kinder nicht mehr leisten und werden auf andere Beförderungsmöglichkeiten zurückgreifen, etwa auf Fahrgemeinschaften, oder die Kinder werden ganz einfach mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Das führt zu neuen Unsicherheiten und auch Gefahren.

Im Landkreis Spree-Neiße ist mit Erhebung der Elternbeiträge die Zahl der Schüler, die einen Schulbus nutzen, bereits drastisch gesunken. Von einstmals 10 000 Schülern nutzen ihn nur noch 6 500. Damit wird die Gefahr größer, dass auf der einen Seite der öffentliche Personennahverkehr weiter ausgedünnt wird und auf der anderen Seite die Fahrpreise und damit die Elternanteile erhöht werden.

Ich möchte ein anderes Beispiel nennen. Der Landkreis Potsdam-Mittelmark plant für den erwarteten Schülerfahrgastrückgang eine Nachschusszahlung an das Verkehrsunternehmen von 1,4 Millionen Euro aus der Kreiskasse ein, wenn diese Satzung so kommt, wie sie eingereicht wurde.

Ich frage Sie: Wo ist denn der von der Landesregierung oder von Ihnen, meine Damen und Herren von SPD und CDU, immer anvisierte Einspareffekt bei den Kommunen geblieben? Er ist nicht da. Er wird auch nicht eintreten. Da haben Sie sich einfach verrechnet.

(Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Verwaltungsaufwand. Der Verwaltungsaufwand für das Eintreiben und Bearbeiten der Elterngebühren ist erheblich. Ich komme aus einem Landkreis, der unter Ausnutzung von Lücken im alten § 112 des Schulgesetzes schon vor zwei Jahren Elternbeiträge für die Beförderungsleistung erhoben hat. Eigentlich - mein Kollege Dombrowski weiß das auch - waren nur zwei Verwaltungsmitarbeiter dafür vorgesehen. In Rush-hour-Zeiten haben dann insgesamt fast neun Verwaltungsmitarbeiter einen Aktenberg von rund 6 000 Vorgängen bearbeitet. Oder man macht es so: Man schiebt das einfach an das Verkehrsunternehmen ab, solange man noch eines hat. Das geht natürlich auch. Hier muss die Frage nach den Kosten und dem Nutzen gestellt werden.

Es ist eine unsägliche Spirale in Gang gesetzt worden, deren Leidtragende wieder einmal die Kinder sind. Es ist auch kein Wunder, dass sich dann diese harten Auseinandersetzungen in den Kreistagen abgespielt haben. Vor allem Eltern machen mobil und setzen sich mit der jüngst angelaufenen Volksinitiative des Vereins „Eltern für Kinder“ gegen diese Maßnahmen zur Wehr, und zwar zu Recht, wie wir meinen.

Daher hält es die PDS-Fraktion für dringend geboten, die gegenwärtige Misere schnellstmöglich zu beseitigen, was nur über eine Änderung des § 112 des Schulgesetzes möglich ist. Wir sind der Meinung, dass das Land die Verantwortung hat, dafür zu sorgen, dass die Kinder die in der Verfassung verankerte Schulpflicht wahrnehmen können. Das schließt unserer Meinung nach auch den Weg zur Schule ein. Wir sehen das

Land in der Pflicht, die Landkreise und die kreisfreien Städte in die Lage zu versetzen, dieser Aufgabe nachzukommen, beispielsweise so wie in unseren Nachbarländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Sowohl in den CDU-regierten Ländern als auch im rot-rot regierten Mecklenburg-Vorpommern tragen die Landkreise die Beförderungskosten zumindest für die Schüler der Sekundarstufe I. Die Länder gewähren den Landkreisen und kreisfreien Städten die notwendigen Zuschüsse.

Wir schlagen Ihnen heute gleichzeitig vor, die zur Erfüllung der Gesetzesänderung nötigen finanziellen Mittel in den in dieser Sitzung ebenfalls zur Diskussion stehenden Nachtragshaushalt einzustellen.

Ich fordere Sie dazu auf, den Mut zu haben, eine von Ihnen getroffene Entscheidung, die sich schlichtweg als falsch und in höchstem Maße als unsozial erwiesen hat, zurückzunehmen und unserem Antrag auf Überweisung an den Ausschuss - das tut nicht ganz so weh - zuzustimmen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich zu ein paar Argumenten, die hier vorgebracht wurden. Erster Punkt: Unterschiedliche Satzungen in Kreisen sind logisch und ganz normal. Wir haben kommunale Selbstverwaltung; die haben Sie immer gefordert.

Zweiter Punkt: Ich wehre mich eigentlich dagegen, hier mit der eingeschränkten Lebensqualität von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern Reklame zu machen. Aber nennen Sie mir ein Beispiel dafür, dass das zuständige Sozialamt die Erstattung der Fahrtkosten verweigert. Wenn Sie mir das nennen können, bin ich bereit, über den Gesetzentwurf nachzudenken.

(Beifall bei der SPD)

Dritter Punkt: Sie haben selbst davon gesprochen, dass in Ihrem Kreis seit wenigstens zwei Jahren Elternbeiträge erhoben werden. Das ist also überhaupt nichts Neues. Was Sie jetzt daraus machen, ist eine Schimäre.

Vierter Punkt: Sie wollen doch nicht behaupten, dass alle anderen Bundesländer gegen die Verfassung verstoßen, indem Beiträge erhoben werden. Nachdem wir in den letzten Jahren bereits zwei Gesetze zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben verabschiedet haben, hätte man eigentlich annehmen müssen, dass allen Fraktionen Sinn und Zweck dieser Gesetze klar gewesen sein müsste: Entlastung der Kommunen und natürlich gegebenenfalls Belastung anderer und an anderen Stellen.

(Zurufe von der PDS)

- Ich bin mir aber nicht mehr so sicher, dass Sie das verstanden haben, zumindest wenn ich mir Ihren Antrag ansehe.

(Zurufe von der PDS - Klein [SPD]: Das zeigen die Zwischenrufe!)

Ich rede deshalb hier als Innenpolitiker, weil nicht das Schulgesetz, sondern das Erste Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben die Ursache ist.

(Zurufe von der PDS)

Dieses Gesetz kommt nicht aus dem Bildungsministerium, sondern aus dem Innenministerium. Also sollten auch wir als Innenpolitiker die Verantwortung übernehmen. Insofern stehe ich hier und mache das. Das Einzige, was mich etwas irritiert, ist, dass von der Landesregierung ausgerechnet der Bauminister dazu sprechen soll.

Herr Abgeordneter, stehen Sie auch für eine Zwischenfrage zur Verfügung?